Nigeria:

Proteste gegen Benzinpreiserhöhung führen zum Generalstreik

 Die beiden wichtigsten Gewerkschaften Nigerias, der Nigeria Labour Congress (NLC) und der Trade Union Congress (TUC), haben ab Montag zu einem unbefristeten Generalstreik aufgerufen, falls die Regierung die abgeschafften Benzinsubventionen bis dahin nicht wieder einführt. Die Gewerkschaften geben sich alle Mühe, der Proteste Herr zu werden, die am Montag als Reaktion auf einen dramatischen Preisanstieg beim Benzin ausgebrochen sind.

Am vergangenen Sonntag hat Präsident Goodluck Jonathan die Abschaffung der Subventionen für Benzinimporteure verkündet. Durch diese Maßnahme haben sich die Benzinpreise von 65 Naira (35 Cent) auf mehr als 140 (72 Cent) pro Liter mehr als verdoppelt.

Die Kraftstoff-Subvention war eine der wenigen Vergünstigungen, die der Mehrheit der nigerianischen Bevölkerung auf Grund des gewaltigen Ölreichtums des Landes zugestanden wurden. Nigeria produziert etwa 2,4 Millionen Barrel Rohöl pro Tag. Fast das gesamte in Nigeria verbrauchte Öl wird zunächst außer Landes geschafft, raffiniert und dann wieder ins Land zurücktransportiert.

2011 gab die Regierung für Benzinsubventionen etwa acht Milliarden US-Dollar aus. Staatliche Funktionäre behaupten, dass die Einsparungen bei den Subventionen bessere Investitionen in Infrastruktur-Projekte ermöglichen und dem Staat erlauben werden, die Staatsschulden abzutragen. Die Regierung weigert sich, die Streichung der Subventionen zu überdenken. Sie hat versucht, dem wachsenden Widerstand in der Bevölkerung durch eine vorzeitige Auszahlung der Monatsgehälter im öffentlichen Dienst entgegenzutreten. Außerdem hat sie einen neuen Plan zur Modernisierung des öffentlichen Transportsystems angekündigt.

Die Proteste haben sich rasch im Land ausgebreitet. In Lagos sind hunderte von Menschen vor die Tankstellen gezogen, in Benin City haben Demonstranten den Rücktritt von Präsident Jonathan und von Finanzministerin Ngozi Okonjo-Iweala verlangt.

Ein 23jähriger Student soll bei Protesten im westlichen Staat Kwara von der Polizei erschossen worden sein. Der Guardian schreibt: „Unter einer umstrittenen Regulierung, die als Polizeianordnung Nr. 237 bekannt ist, können Polizisten auf Randalierer oder Demonstranten schießen, auch wenn sie durch sie nicht in Lebensgefahr geraten. Die Anordnung schreibt vor, dass Polizisten ‚auf die Knie der Randalierer’ zielen sollen und verbietet ausdrücklich Warnschüsse in die Luft.“

Am Mittwoch marschierten Demonstranten durch die Straßen von Kano, der zweitgrößten Stadt Nigerias, und forderten die sofortige Wiedereinführung der Benzinsubventionen. Sie erzwangen die Schließung von Tankstellen, verbrannten Autoreifen und bildeten Menschenketten, um größere Straßen zu blockieren.

Als Echo auf die Ereignisse in Amerika und Ägypten sind die Proteste „Occupy Nigeria“ genannt worden. Einige hundert Demonstranten haben Kanos Silver-Jubilee-Platz besetzt und ihn in „Platz der Befreiung“ umbenannt. Dies ist eine Anspielung auf den Tahrir-Platz in Kairo, der durch die Kämpfe der ägyptischen Revolution bekannt wurde und dessen Name ebenfalls „Befreiungsplatz“ bedeutet.

Am Donnerstag griff die Polizei ein und trieb die Demonstranten auseinander. Dabei setzte sie Tränengas und Schlagstöcke ein. Nach Aussagen der Demonstranten wurden fast dreihundert Menschen verletzt und 19 verhaftet.

Die reaktionäre Aufhebung der Benzinsubventionen, durch die der Benzinpreis auf 65 Naira festgeschrieben war, hat die Rückendeckung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank. Finanzministerin Ngozi Okongo-Iweala diente der Weltbank vom 1. Dezember 2007 bis zu ihrem Wechsel ins gegenwärtige Amt als leitende Direktorin.

Die Jonathan-Regierung behauptet, das Ende der Benzin-Subventionen sei für das Überleben der nigerianischen Regierung notwendig, die derzeit über 5 Billionen Naira (etwa 31 Milliarden US-Dollar) Schulden verfügt. Informationsminister Labaran Maku reagierte auf die Forderungen der Demonstranten nach einer Rücknahme der Maßnahme mit folgenden Worten: „Zurückzuweichen hieße, die Wirtschaft abzuwürgen. Deshalb rufen wir die Bürger auf, die Last mit uns gemeinsam zu tragen.“

Dass kein Geld vorhanden sei, um Programme wie die Benzinsubventionen zu bezahlen, ist ein schlechter Witz. Die überwiegende Mehrheit der Nigerianer existiert von weniger als zwei Dollar pro Tag, während die transnationalen Ölfirmen und die Bourgeoisie des Landes riesige Vermögen anhäufen.  Als einer von sechs Ölkonzernen, die im Land operieren, erwirtschaftete Shell-Nigeria 2010 einen Profit in Höhe von 8,15 Milliarden Dollar.

Von WikiLeaks 2010 veröffentlichte diplomatische Geheimdepeschen enthüllten, wie weit Firmen wie Shell Oil gehen, um Nigerias Reichtum zu plündern. Vertreter von Shell zahlten nigerianischen Regierungsangestellten Schmiergelder in Millionenhöhe. Das Geld wird von Mitgliedern der Finanzelite verprasst. Die Ehefrau des Ex-Präsidenten Umaru Musa Yar’Adua zum Beispiel leistet sich für zehn Millionen US-Dollar eine Unterkunft in der Londoner Innenstadt.

Die Proteste gegen die Benzinpreiserhöhung fallen in eine Zeit, in der das Land von Ausbrüchen konfessioneller Gewalt geschüttelt wird, auf die die nigerianische Regierung mit zunehmender Härte reagiert. Wenige Tage, bevor er die Aufhebung der Benzin-Subventionen verkündete, erklärte Präsident Jonathan in 15 lokalen Regierungsdistrikten in den nördlichen Staaten von Borno, Yobe, Plateau und Niger den Ausnahmezustand. Auch die internationalen Grenzen zum Niger, dem Tschad und zu Kamerun wurden geschlossen.

Die Verkündung des Ausnahmezustands  war eine Reaktion auf eine Serie von Bombenattentaten am Weihnachtstag, bei denen mindestens 42 Menschen getötet und mehr als 57 verletzt wurden. Die muslimische Extremistengruppe Boko Haram mit Basis in Borno State übernahm die Verantwortung für die Gewaltakte. Die Gruppe führt seit 2009 Bombenattentate durch. Sie wurde 2002 mit dem Ziel gegründet, im ganzen Land das muslimische Sharia-Recht einzuführen.

Bei einer Ansprache in einer zerbombten Kirche in Abuja sagte Präsident Jonathan am vergangenen Samstag: “Wir werden die Terroristen vernichten. Wenn es Einrichtungen gibt… die Terroristen Unterschlupf gewähren, werden wir uns mit ihnen befassen.“

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