Marionettenregime in Libyen nutzt Wahlen als demokratischen Deckmantel

Am Samstag wurden in Libyen 200 Abgeordnete für den Allgemeinen Nationalkongress gewählt, der den Nationalen Übergangsrat (TNC) ablöst.

Der TNC wurde im letzten Jahr während des Krieges zum Sturz von Oberst Muammar al-Gaddafi vom Militär als vorläufige gesetzgebende Körperschaft eingesetzt.

Der Kongress erhält die Aufgabe, in seiner ersten Sitzungsperiode innerhalb von 30 Tagen einen neuen Premierminister zu wählen. Doch die Wahlen in diesem vom Krieg erschütterten Land sind von Anfang an nichts als Schwindel. Sie sind ein Versuch der herrschenden Cliquen in Libyen, sich selbst nach dem Natokrieg, der zum Regimewechsel führte, eine Legitimation zu verschaffen.

Die USA und die europäischen Mächte bezwecken die Einsetzung einer fügsamen Regierung, um sich die Kontrolle über die lukrativen Ölreserven des Landes zu sichern, ihre geostrategisch bedeutsame Position in Nordafrika zu stärken sowie ihr Eindringen in Afrika zu verstärken. Dies führt zu Bedingungen, die ein Auseinanderbrechen des Landes in drei oder mehr Kantone ermöglichen. Den westlichen Konzernen und Banken würde es so noch weiter erleichtert, ihre Regeln durchzusetzen.

Ursprünglich war vorgesehen, dass der neue Kongress die neue Verfassung ausarbeiten sollte. Zwei Tage vor der Wahl verfügte der TNC jedoch, dass die Verfassung von einem direkt gewählten Gremium ausgearbeitet werden solle. Dies wird überwiegend als ein Hinweis darauf gedeutet, dass der TNC und seine Unterstützer in Washington eine föderale Verfassung vorziehen, falls nicht gleich eine Teilung des Landes in halbautonome Bruchteile vorgesehen ist. Letzteres hat der TNC in der Vergangenheit abgelehnt.

Der TNC erließ Wahlgesetze, die es verbieten, dass sich jeder als Kandidat für den Kongress aufstellen kann. Nur wer eine „berufliche Qualifikation“ vorweisen kann, wird zugelassen. Arbeiter sind somit ausgeschlossen. Das Wahlgesetz schließt außerdem fast jeden aus, der auf irgendeiner Stufe in Gaddafis früherer Regierung gearbeitet hat. Unter den neuen Gesetzen gilt es als strafbare Handlung, das frühere Regime zu verherrlichen oder „die Ziele der Revolution vom 17. Februar zu beleidigen“.

Alles zusammengenommen hat der TNC sichergestellt, dass die Kandidaturen auf eine relativ schmale Schicht begrenzt bleiben. Und selbst dies musste von der Wahlkommission erst abgesegnet werden. Die Kommission registrierte nur 80 Prozent der geschätzten 3,4 Millionen Wahlberechtigten.

Etwa 4.000 Einzelkandidaten traten in verschiedenen Wahlkreisen an, die meisten von ihnen als “Unabhängige”, während über 400 Kandidaten Repräsentanten von Parteien sind. Einige der Parteien treten in mehreren Wahlkreisen an, wobei viele von ihnen mehrere Kandidaten in jedem ihrer Wahlkreise antreten lassen. Führende Mitglieder des TNC treten entweder als Unabhängige oder als Parteimitglieder an, wobei diese Parteien lediglich als ihre persönlichen Vehikel gegründet wurden.

Die Islamisten stellen die Mehrzahl der Parteien.

Abdul Hakim Belhadsch, der ehemalige Chef des Militärrats von Tripolis, tritt in einem Wahlbezirk der Hauptstadt für die Al-Watan-Partei (Nationalpartei) an. Belhadsch war einer der „Rebellen“-Kommandeure. Er kämpfte als Dschihadist in Afghanistan gegen die Russen, bevor er 1992 nach Libyen zurückkehrte, wo er die Libysche Islamische Kampfgruppe aufbaute, die gegen Gaddafi opponierte. Im Jahr 1996 schwor er, „alle Abweichlergruppen zu bekämpfen, die Demokratie fordern oder sich für sie einsetzen.“

Er kehrte nach Afghanistan zurück, um die Taliban zu unterstützen, wurde später ergriffen und als Gefangener von CIA und MI5 nach Libyen gebracht, wo er gefangen gehalten und gefoltert wurde.

Die Muslimbruderschaft, die unter dem Gaddafi-Regime verboten war, führt eine finanziell wohlausgestatte Wahlkampagne und lässt ihre Kandidaten unter dem Banner der Partei für Recht und Aufbau antreten. Zuletzt pflegte sie enge Verbindungen zu Gaddafis Regime und verbündete sich mit seinem Sohn und offenkundigen Erben Seif al-Islam.

Mahmud Dschibril tritt als Kandidat für die Allianz Nationaler Kräfte an. Der ehemalige Diener des alten Regimes, der als Chef des Nationalen Wirtschaftsentwicklungrates für die Privatisierung von Staatsbetrieben verantwortlich war, lief zum TNC über.

Weitere Parteien sind die Nationale Front, die ehemalige oppositionelle Nationale Front zur Rettung Libyens, die mehrere Attentate auf Gaddafi organisierte, sowie die Union für die Heimat, die von Abdulrahman al-Suwayhili angeführt wird, der bereits in den 1970er Jahren in Opposition gegen Gaddafi geriet.

Islamistische Hardliner von Ansar al-Sharia, einer kleinen Miliz, verurteilten die Wahlen im TV und ließen befürchten, dass Wahlbüros angegriffen werden könnten. Andere Gruppen lehnten die Wahlen ab, weil sie Tripolis zu viel Macht auf Kosten der übrigen Regionen einräumen werden.

Es wird erwartet und befürchtet, dass viele der Kandidaten einen Wahlausgang, der nicht ihren Wünschen entspricht, anfechten werden. Der TNC sagte, er werde 30.000 bis 40.000 Sicherheitstruppen zum Schutz der Wahllokale entsenden.

Der neue Kongress wird ein korruptes Regime ablösen, dessen Autorität im Lande nur schwach ist und das aus ehemaligen hochrangigen vertretern aus Gaddafis Regierung, Islamisten, CIA-Agenten und Stammesführern besteht. Die Korruption hinter den Kulissen greift zügellos um sich. Niemand kann sagen, wo die monatlichen Öleinnahmen von 5 Milliarden Dollar bleiben oder wie die 200 Milliarden Dollar libyscher Investitionen verteilt werden.

Im Mai gab es einen Attentatsversuch auf den vorläufigen Premierminister Abdurrahim al-Keib. Offensichtlich steht dies in Zusammenhang mit aufgekündigten Monatszahlungen an die Milizionäre, die im Natokrieg als Fußvolk gedient haben. Diese Zahlungen beliefen sich insgesamt auf zwei Milliarden Dollar.

Im April wurde der vormalige Öl- und Premierminister Schukri Ghanem tot in der Neuen Donau bei Wien aufgefunden.

Die Wahlen waren ursprünglich für den 19. Juni vorgesehen, wurden jedoch aufgrund fortdauernder Milizenkämpfe, Entführungen, Inhaftierungen, Beschlagnahmungen, ethnischer Säuberungen und Menschenrechtsverletzungen verschoben. Das Land ist der zügellosen Tyrannei von über 500 mafiaartigen bewaffneten „Rebellen“-Gruppen ausgeliefert, die gegen Gaddafis Einheiten gekämpft haben. Diese herrschen jetzt mittels Terror und Erpressung über ihre Lehen.

Die Truppen der Übergangsregierung, die sich grundsätzlich nicht von den privaten Milizen unterscheiden, erwiesen sich als unfähig, ihre Kontrolle aufrechtzuerhalten, was dazu führte, dass Libyen zu einem von halbautonomen Organen umkämpften Torso geworden ist.

Berichten zufolge halten die Milizen über 7.000 Personen in Haft. Internationale Menschenrechtsgruppen haben einigen von ihnen gröbste Menschenrechtsverletzungen gegen Häftlinge vorgeworfen. Ein Bericht der Vereinten Nationen folgerte im März, dass die Milizen „schwerwiegende Verstöße verübt“ hätten, darunter Kriegsverbrechen und den Bruch internationalen Rechts.

Vergangenen Sonntag forderte eine bewaffnete Demonstration in Bengasi, wo die Rebellion gegen Gaddafi begann, mehr Autonomie für die östliche Region des Landes. Die Wahlkommission in der Stadt würde gestürmt und verwüstet. Vergangenen Monat haben Milizionäre mit raketengetriebenen Granaten versucht, ein Attentat auf den britischen Botschafter zu verüben. Ebenso wurden Angriffe auf einen UN-Diplomatenkonvoi, auf Büros des Roten Kreuzes sowie auf die Botschaften der Vereinigten Staaten und Tunesiens verübt. Islamistenbanden schändeten in Bengasi Gräber der britischen und Commonwealthsoldaten aus dem Zweiten Weltkrieg. Vergangenen Monat konnten bewaffnete Milizen kurzzeitig den internationalen Flughafen von Bengasi unter ihre Kontrolle bringen. Erst im April gelang es der Übergangsregierung, die Oberhand über diesen Flughafen zu gewinnen.

Über 100 Menschen wurden in den Stammeskämpfen der Zintani und al-Maschaschia getötet, die beide die Nato-Intervention nicht unterstützt hatten. Im Süden gab es wiederholt Scharmützel zwischen arabischen Ex-Rebellen und nichtarabischen Tibu-Stämmen.

Der TNC brauchte vier Wochen, um die Freilassung der vier Juristen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) zu erwirken, die nach Sintan gekommen waren, um mit Seif al-Islam, dem vom IStGH angeklagten Sohn Gaddafis, zu sprechen und vom Militärrat in Sintan gefangen gehalten wurden.

Die Situation in Libyen entlarvt die zynische Begründung für den Natokrieg: er bringe „Freiheit“, Demokratie und Menschenrechte. Statt einer Bewegung auf Demokratie zu, droht Libyen ein gewaltsamer Zerfall, Stammes- und regionale Konflikte und Bürgerkrieg.

Das Land, das einst den höchsten Lebensstandard Afrikas aufwies, ist jetzt Schauplatz weitverbreiteter Armut, sozialen Elends und von Vertreibungen.

Die Ergebnisse unterscheiden sich nicht von denen des amerikanischen Kriegs gegen das Taliban-Regime sowie der Besetzung Afghanistans und des Kriegs der USA gegen Saddam Hussein und sein Baath-Regime. Das gleiche Ergebnis leiten gerade die Golfmonarchien, die Türkei und die Vereinigten Staaten für Syrien ein, indem sie die syrischen Rebellen bewaffnen, ausbilden und finanzieren.

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