Ägyptische Präsidentschaftswahl:

Militärjunta droht mit hartem Durchgreifen

In Ägypten haben Quellen aus der Armeeführung angedeutet, dass die Junta im eskalierenden Streit um die Wahlen hart gegen den Widerstand der Öffentlichkeit durchgreifen werde.

Die Oberste Wahlkommission (SPEC) hat erklärt, sie werde die Wahlergebnisse, die eigentlich für heute angekündigt waren, erst am Wochenende bekanntgeben.

Kurz zuvor hatten die „Richter Ägyptens“ (eine Gruppe von Richtern, welche die Wahlen beobachteten) in einer inoffiziellen Stellungnahme den Kandidaten der Moslembrüder, Mohamed Mursi, zum Wahlsieger erklärt. Bei einer Pressekonferenz beim ägyptischen Journalistenverband sagten die Richter, Mursi habe die Wahl mit über dreizehn Millionen Stimmen gewonnen, während sein Gegenkandidat Ahmed Schafik knapp zwölfeinhalb Millionen Stimmen erzielt habe. Schafik, der letzte Premierminister unter dem gestürzten Diktator Hosni Mubarak, ist der vom Militär bevorzugte Kandidat.

Anfang der Woche sagte ein anonymer Informant aus dem Militär der staatlichen Tageszeitung Al Ahram, der Oberste Militärrat (SCAF) sei entschlossen, zu verhindern, dass Mursi die Macht übernimmt: „Der Militärrat ist entschlossen, die Moslembrüder nicht an die Macht kommen zu lassen. Er wird die Zügel der Macht nicht aus der Hand geben, bis eine neue Verfassung ausgearbeitet und die Bedingungen für einen ausgewogenen politischen Prozess geschaffen sind.“

Angesichts der Tatsache, dass die Militärjunta den Entwurf der neuen Verfassung kontrolliert und ihre Veröffentlichung nach dem Militärputsch vom Wochenende auf unbestimmte Zeit verschoben hat, deutet diese Stellungnahme darauf hin, dass die Junta Mursi nicht erlauben wird, sich am Wochenende zum Sieger zu erklären. Die Junta hat vor, die vollständige Kontrolle über die Exekutive zu behalten.

Die Informationsquelle aus dem Militär deutete an, dass jeder Versuch, Mursi zum Sieger zu erklären, die Stabilität des Staates gefährden würde. Er fügte hinzu, alle weiteren Gespräche würden „konfrontativer Natur sein“ und: „Um plötzliche Wendungen zu vermeiden, die zur Konfrontation führen und die Situation auf die Spitze treiben könnten, ist der Militärrat die einzige Kraft, die in der Lage ist, den politischen Prozess so zu regeln, dass die Stabilität des Staates gewahrt bleibt.“

Der Sprecher erklärte, die Moslembrüder hätten den Rückhalt der imperialistischen Hintermänner der ägyptischen Bourgeoisie, die einen Sieg der Moslembrüder vorziehen würden: „Die Vereinigten Staaten und die Europäische Union haben beide Nachrichten geschickt, laut denen sie Mohamed Mursi als Präsidenten von Ägypten vorziehen würden. Diese Gruppe, die sich auf diese Weise unterstützt wähnt, übt jetzt Druck auf die ägyptische Übergangsregierung aus. (…) Außerdem tauscht das Führungsbüro der Moslembrüder Botschaften mit den USA aus, – die auch Israel kennt –, in denen es um ihre Haltung zur Hamas, zu Gaza und den Verträgen von Camp David geht.“

Das Militär ist jedoch nach wie vor die treibende Kraft im ägyptischen Staat und die einzige, die in der Lage wäre, den Widerstand der Arbeiterklasse gegen das ägyptische Regime zu unterdrücken. Der Armeesprecher deutete an, dass die Junta deshalb erwarte, von den imperialistischen Mächten unterstützt zu werden, damit ein Zusammenbruch der staatlichen Autorität verhindert werden könne. Es sei jedoch noch unklar, ob die USA lieber Mursi oder Schafik im höchsten Staatsamt sehen wollten, sagte der Sprecher.

Die Kommentare des Militärs richten sich zwar direkt gegen die Kampagne der Moslembrüder, aber das Hauptziel der staatlichen Unterdrückung sind die Proteste der Arbeiterklasse, wie sie zu Beginn der ägyptischen Revolution, im Februar 2011, zum Sturz von Mubarak führten.

So erklärten Armeevertreter der Zeitung Al Ahram in einer eigenen Erklärung, sie arbeiteten an einem „Plan B”, um im ganzen Land Truppen einzusetzen: „Wir bereiten uns für eine große Welle von Aufständen und Unruhen für mindestens mehrere Tage vor, die die Moslembrüder anfangen könnten, wenn Schafik zum Präsidenten ernannt wird. (...) Wir erwarten alle mögliche Probleme, und wir unternehmen Schritte, um sie einzudämmen.“

Diese Vertreter erklärten, sie bereiteten sich darauf vor, im Falle eines Notstandes die Hauptstadt Kairo und andere wichtige Zentren wie Alexandria, Suez und Ismailija einzunehmen.

Am eskalierenden Konflikt um die Präsidentschaftswahl zeigt sich ein erbitterter Machtkampf innerhalb der ägyptischen Bourgeoisie, zwischen Militär und Moslembrüdern. Anfangs arbeiteten der Oberste Militärrat und die Moslembrüder zusammen, um die revolutionären Kämpfe der Arbeiterklasse zu unterdrücken, aber jetzt, wo die Islamisten die Parlamentswahlen gewonnen haben, kommt es zu scharfen Spannungen.

Durch den Putsch vom Wochenende zeigte das Militär deutlich, dass es nicht die Absicht hat, die Macht an die Moslembrüder abzugeben. Es löste das Parlament und die verfassungsgebende Versammlung auf, die beide von den Islamisten dominiert waren.

Auf die Kommentare der Armee folgten mehrere Versuche der Moslembrüder, vom Militär die Anerkennung Mursi zu erreichen. Am Dienstag veröffentlichte Mursis Wahlkampfteam ein Pamphlet, in dem er als Sieger mit 52 Prozent der Stimmen dargestellt wurde. Ein Sprecher Mursis erklärte: „Die Zahlen beruhen auf den Wahlergebnissen, die am Sonntag und Montag veröffentlicht wurden, und der Auflistung der Stimmen aus dem Ausland.“

Die Moslembrüder riefen außerdem zu Protesten auf dem Tahrirplatz in Kairo auf, an denen sich zehntausende Menschen beteiligten. Mehrere liberale und pseudolinke Gruppen, wie die Bewegung des 6. April und die Revolutionären Sozialisten, schlossen sich den Protesten der Moslembrüder an. Diese sind besorgt, dass ein Sieg Schafiks den hohlen und betrügerischen Charakter des „demokratischen Übergangs“ bloßlegen würde, den die Armee angeblich organisiert, und an dem sie teilgenommen haben.

Da der demokratische Übergang durch den Putsch des Militärs als Lüge entlarvt wurde, fürchten die Moslembrüder und ihre Verbündeten eine explosive Konfrontation zwischen der Arbeiterklasse und dem Militär.

Der Sprecher der Moslembrüder, Mohamed Ghozlan, warnte vor einer „gefährlichen Konfrontation“ zwischen der Bevölkerung und dem Militär, sollte Ahmed Schafik zum neuen Präsidenten von Ägypten gewählt werden. Ein Sieg Schafiks käme laut Ghozlan einem direkten Putsch durch den Militärrat gleich.

Unter diesen Bedingungen zeigen sich die Moslembrüder besorgt über die Versuche des Militärs, die offiziellen Einrichtungen der politischen Macht, welche die Junta selbst eingerichtet hat, zu vereinnahmen. Saad al-Katatni, der Sprecher des aufgelösten Parlaments, warnte: „Das Vorgehen des Militärs könnte zu einem Vakuum führen. Der Verfassungsentwurf könnte Jahre dauern, womit das Militär jahrelang an der Macht bleiben könnte. Das ist inakzeptabel.“

Katatni betonte, die Moslembrüder seien keine unmittelbare Bedrohung für die Junta: „Was in Algerien passiert ist, kann in Ägypten nicht noch einmal passieren“, erklärte er. Damit spielte er auf den Bürgerkrieg von 1991 bis 2002 an, bei dem in Algerien das Militär einen bewaffneten Aufstand von Islamistengruppen niederschlug, welche die Wahlen 1991 gewonnen hatten. Im Bürgerkrieg starben etwa 150.000 Menschen. „Das ägyptische Volk ist anders, und es ist nicht bewaffnet. Wir kämpfen einen legalen Kampf im Establishment, und auf den Straßen einen Kampf der Bevölkerung.“

Schafiks Wahlkampfteam reagierte auf die Initiativen der Moslembrüder mit einer Pressekonferenz, auf der sie erklärte, Mursi verbreite „falsche Ergebnisse“, tatsächlich habe Schafik die Wahlen gewonnen. Schafiks Wahlkampfsprecher Ahmed Sarhan beschuldigte die Moslembrüder, „von Anfang an Lügen über die Ergebnisse der Wahl verbreitet zu haben“, und behauptete, nach eigenen Schätzungen läge ihr Kandidat mit 51,5 bis 52 Prozent vorne.

Der Verfassungserlass erlaubt es dem Militär, einzugreifen, wenn “das Land vor inneren Unruhen steht [...] um für Sicherheit und den Schutz von öffentlichem Eigentum zu sorgen“.

In ganz Ägypten werden jetzt zusätzliche Sicherheitskräfte eingesetzt. Dreitausend Polizisten und Soldaten werde eingesetzt, um öffentliche Stellen zu besetzen, die für Politik und Wirtschaft wichtig sind (zum Beispiel den Suezkanal). Der Sicherheitschef in Suez, Adel Refaat, sagte am Mittwoch: „Wir sind entschlossen, alle öffentlichen Einrichtungen und Polizeistationen zu verteidigen.“

Ein Militäraufgebot wurde auch auf der Straße von Kairo nach Alexandria gesichtet. Checkpoints der Armee mit Stacheldrahtverhauen und schwerbewaffneten Truppen sind wieder aufgetaucht, wie damals, während des achtzehntägigen Aufstands, der Hosni Mubarak stürzte.

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