Konflikte über Regierungsbildung in Griechenland

Mit dem Rücktritt des designierten Finanzministers Vasilis Rapanos und der Ernennung von Yannis Stournaras treten Konflikte über die Regierungsbildung in Griechenland zutage. In der Wahl vom 17. Juni hatte sich eine deutliche Mehrheit der Wähler zum wiederholten Mal gegen die von der EU verordnete Sparpolitik ausgesprochen. Nur eine Woche danach sind sich die Koalitionspartner uneinig, wie sie unter diesen Umständen weitere soziale Angriffe durchsetzen können. Die EU erhöht zugleich den Druck, die vereinbarten Kürzungen zügig durchzusetzen.

Bei den Wahlen wurde die konservative Nea Dimokratia (ND) mit mageren 29,6 Prozent stärkste Partei, konnte sich aber aufgrund des undemokratischen Wahlsystems 129 der 300 Parlamentssitze sichern. Obwohl eine Koalition mit der sozialdemokratischen PASOK zur Regierungsbildung ausgereicht hätte, beschloss der neue Premierminister Andonis Samaras, auch die kleine Demokratische Linke (DIMAR) in die Regierung aufzunehmen.

Rapanos wurde in dieser Konstellation von der PASOK zum neuen Finanzminister bestimmt. Er hat enge Verbindungen zu dieser Partei, die in den letzten drei Jahren die Regierung stellte und die Sozialkürzungen maßgeblich umsetzte. Er diente ihr häufig als Berater in Fragen der Wirtschaftspolitik. Zuletzt war er Vorstandsvorsitzender der privaten Nationalen Bank Griechenlands, die nicht nur der größte Gläubiger des griechischen Staats ist, sondern mit fast sieben Milliarden Euro auch am meisten von der Bankenrettung im Mai profitierte.

DIMAR und PASOK schlugen auch für die anderen Kabinettsposten, die ihnen zustanden, parteilose „Experten“ vor und verzichteten darauf, Parteipolitiker zu benennen. Doch Rapanos ist in der Regierung der direkteste Vertreter der Banken und Gläubiger.

Seinen Rückzug begründete er zunächst mit seinem schlechten Gesundheitszustand. Er hatte bereits letzte Woche, kurz vor seiner Vereidigung, einen Schwächeanfall erlitten und leidet wohl an mehreren chronischen Krankheiten.

Verschiedenen Berichten zufolge bestand aber der wirkliche Grund in seiner Unzufriedenheit mit dem neuen Kabinett. Als er als Finanzminister angefragt worden sei, habe er damit gerechnet, dass die Regierung vorwiegend aus Technokraten bestehe, berichtet etwa die Financial Times. Eine solche Technokraten-Regierung hätte, wie in Italien, ohne Rücksicht auf Parteiinteressen die aus Sicht der Banken und europäischen Mächte nötigen Maßnahmen durchsetzen sollen.

Rapanos Entscheidung sei insbesondere aufgrund der Besetzung der beiden Ministerien für Wirtschaft und Arbeit gefallen, mit denen er als Finanzminister hätte eng zusammenarbeiten müssen. Beide Posten gingen mit Kostis Chatzidakis und Giannis Vroutsis an konservative Politiker.

Im Rücktritt des Finanzministers drückt sich auch eine allgemeine Unzufriedenheit der europäischen Kreditgeber mit der Regierungsbildung aus. Samaras hat sich gegen eine Technokratenregierung entschieden und stattdessen alte Seilschaften und Netzwerke bedient.

Der neue Außenminister Dimitris Avramopoulos hatte im Jahr 2009 Samaras durch den Rückzug der eigenen Kandidatur den Weg zum ND-Vorsitz freigemacht. Schon damals ernannte Samaras Avramopoulos im Gegenzug zu seinem Schatten-Außenminister. Ähnliche Geschichten lassen sich zu fast jedem Minister der neuen Regierung erzählen.

Außerdem kündigte die neue Regierung am Samstag an, nicht nur die Steuern für wohlhabende Schichten zu senken, sondern auch die anstehenden Kündigungen im öffentlichen Dienst in Frühverrentungen umzuwandeln. Der gehobene öffentliche Dienst war bisher eine der wichtigsten sozialen Stützen der beiden traditionellen griechischen Parteien.

Um diese Maßnahmen umsetzen zu können, will die Regierung von der Troka aus Europäischer Zentralbank (EZB), Europäischer Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF) eine Lockerung der Kreditvereinbarungen erwirken. Die Sparauflagen sollen um zwei Jahre gestreckt werden.

ND und PASOK wollen mit der Fortsetzung der Vetternwirtschaft und Stärkung alter Seilschaften die Bedingungen schaffen, um neue Kürzungen gegen die Arbeiter durchzusetzen. Die Regierung fürchtet schlichtweg, dass sie andernfalls die Kontrolle verlieren könnte.

Rapanos' Rückzug ist ein Anzeichen dafür, dass die Vertreter der Banken und der Troika nicht einmal solch geringen Zugeständnissen zustimmen, sondern stattdessen weitergehende Kürzungen fordern.

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erklärte am Sonntag gegenüber der Boulevard-Zeitung Bild im Ton eines Kolonialherrn, es müsse jetzt "die wichtigste Aufgabe" der neuen Regierung von Ministerpräsident Antonis Samaras sein, "schnell, umgehend und ohne zu zögern das vereinbarte Programm umzusetzen, anstatt schon wieder zu fragen, was denn die anderen noch mehr tun könnten".

Bereits in der letzten Woche zitierte das griechische Nachrichtenmagazin To Vima Vertreter der Troika, die moniert hatten, dass in den letzten zwei Jahren etwa 50.000 Staatsbedienstete weniger als vereinbart entlassen worden seien. Schon jetzt beträgt die offizielle Arbeitslosigkeit in Griechenland fast 23 Prozent, unter Jugendlichen sogar über fünfzig Prozent.

Auch US-Präsident Barack Obama setzte Samaras am Montag in einem Telefongespräch unter Druck. Die neue Regierung solle alle notwendigen Reformen umsetzen und eng mit der Troika zusammenarbeiten, so Obama.

Die für Montag geplante Stippvisite der Troika in Athen wurde wegen Rapanos Rückzug und einer Augenoperation des Premierministers auf Anfang Juli verschoben. Deshalb wird Griechenland wahrscheinlich auch erstmal kein offizielles Thema auf dem EU-Gipfel am Ende der Woche sein. Hinter den Kulissen werden allerdings schon die Strippen gezogen.

PASOK hat nun Yannis Stournaras als neuen Finanzminister benannt. Auch der 55-Jährige war Banker und ist jetzt Ökonomieprofessor an der Universität Athen. Er war Mitarbeiter der griechischen Zentralbank und Vorstand der griechischen Handelsbank.

Stournaras gilt als extrem wirtschaftsfreundlich und hat an den Verhandlungen zum Eurobeitritt des Landes teilgenommen. Zudem ist er Chef des arbeitgebernahen Instituts für Ökonomie- und Industrieforschung. Sein erklärtes Ziel ist es, Griechenland um jeden Preis die Mitgliedschaft in der Eurozone zu erhalten. Allerdings sprach er sich, anders als Rapanos, auch für eine Neuverhandlung der Kreditvereinbarungen aus.

Er scheint nun eine Art Kompromisskandidat zu sein, der zugleich deutlich macht, dass zwischen der ND-Linie und jener der PASOK keine grundlegende Differenz besteht. Beide Parteien wollen den Sparkurs fortsetzen und gegen die Bevölkerung durchsetzen, wie sie es unter Ministerpräsident Giorgos Papandreou seit Dezember letzten Jahres bereits in einer gemeinsamen Koalition getan haben.

Die Konflikte über die Art und Weise der Umsetzung verdeutlichen die wachsende Aggressivität, mit der die herrschende Elite bereit ist, den Sparkurs fortzusetzen. Die logische Konsequenz dieser Politik wird darin bestehen, jeden Widerstand der Arbeiter rücksichtslos zu unterdrücken. Mit Dimitris Elevsiniotis und Panagiotis Karampeloas gehören gleich zwei Offiziere a.D. zum neuen Kabinett.

Dabei kann sich die Regierung auch auf die größte Oppositionspartei, die Koalition der Alternativen Linken (SYRIZA), verlassen. SYRIZA war zu den Wahlen angetreten, um den Widerstand der Arbeiter zu kanalisieren und nötigenfalls selbst in die Regierung einzutreten, um das EU-Diktat umzusetzen.

Nach den Wahlen beeilte sich ihr Spitzenkandidat Alexis Tsipras, Samaras zu gratulieren und seine Wahl trotz mangelnder Mehrheit als „Entscheidung des Volkes“ zu verteidigen. Er versicherte, dass SYRIZA als „verantwortungsvolle“ Opposition nicht zu Streiks oder Demonstrationen aufrufen werde.

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