Schäuble attackiert griechische Wähler

Am Vorabend der Wahl in Griechenland verschärft die deutsche Regierung ihre Drohungen. „Es gibt keinen bequemen Weg“, betonte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) Anfang der Woche in mehreren Pressemeldungen. Die von der Bundesregierung und der EU diktierten Sozialkürzungen und Entlassungen im öffentlichen Dienst – Schäuble nennt das beschönigend „Anpassungsmaßnahmen“ – seien unumgänglich und nicht verhandelbar, und zwar egal wie das Wählervotum ausfalle.

Noch deutlicher drückte sich Schäuble in einem Interview mit dem ZDF heute journal am Samstagabend aus. Griechenland müsse die Bedingungen der EU einhalten, „da können die Griechen wählen, wie sie wollen“, sagte er.

Anfang des Jahres hatte Schäuble die Entscheidung der griechischen Regierung, Neuwahlen durchzuführen, scharf kritisiert und von „Wahlen zur Unzeit“ gesprochen. Erst müssten die Kürzungen durchgesetzt werden, dann könne man über Wahlen sprechen. Als trotzdem Neuwahlen angesetzt wurden, verlangte Schäuble von allen Parteien eine schriftliche Erklärung, dass sie nach der Wahl in vollem Umfang am Kürzungsprogramm festhalten. Er knüpfte die Auszahlung der nächsten Tranche aus dem Euro-Rettungsfond an diese Bedingung und erpresste die Parteien mit dem drohenden Staatsbankrott.

Nun erklärt Schäuble, die griechische Bevölkerung könne wählen, wen sie wolle, das Wählervotum und die Zusammensetzung einer neuen Regierung hätten auf die Politik in Athen keinen Einfluss. Es gebe nur zwei Möglichkeiten: Entweder Griechenland bleibe in der EU und im Euro-Verbund, dann würden alle wichtigen Entscheidungen in Brüssel und Berlin getroffen und müssten uneingeschränkt akzeptiert werden. Oder Griechenland verlasse den Euro, dann sei ein Staatsbankrott mit noch verheerenderen wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen die Folge.

Das ist die Sprache der Diktatur. In beiden Fällen entscheiden nicht die Wähler, sondern der Markt – sprich die Banken, großen Kapitalgesellschaften und die dahinter stehende Finanzaristokratie.

Schäuble ist Jurist und war von 1989 bis 1998 und von 2005 bis 2009 als Innenminister für die Einhaltung der deutschen Verfassung zuständig, laut der alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. In Griechenland wird dieses demokratische Grundprinzip auf deutschen Druck jetzt außer Kraft gesetzt. Das zeigt erneut, wie dünn die demokratischen Traditionen der herrschenden Klasse in Deutschland sind.

Als Innenminister war Schäuble 1990 auch federführend an der Abwicklung der DDR beteiligt. Damals wurde er nicht müde zu beklagen, dass es in der DDR keine freien Wahlen gegeben habe und die Bürger „wählen konnten, wie sie wollten“, ohne dass sich politisch etwas änderte. Wodurch unterscheidet sich das vom heutigen Griechenland? Nur dadurch, dass die Arbeiter in der DDR über soziale Rechte und Errungenschaften verfügten, die die griechischen Arbeiter nie hatten oder auf Schäubles Initiative verloren haben.

Schäubles Drohung, die griechische Bevölkerung habe nur die Alternative zwischen Pest und Cholera – Armutsdiktat aus Brüssel und Berlin oder Staatsbankrott –, zeigt, mit welcher Aggressivität der deutsche Imperialismus die Wirtschaftskrise nutzt, um seine Vorherrschaft in Europa durchzusetzen.

Vor einigen Wochen hatte der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Volker Kauder erklärt, in Europa werde „wieder deutsch gesprochen“. Mit „wieder“ kann er nur die Jahre vor 1945 gemeint haben, als deutsche Soldaten halb Europa zerstörten. Nun macht Schäuble deutlich, wie das heute zu verstehen ist: Massiver Sozialabbau, Einschränkung demokratischer Rechte und eine gigantische Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben.

Schäuble kann nur deshalb so selbstherrlich auftreten, weil alle Bundestagsparteien die Regierung von Angela Merkel in den entscheidenden Fragen unterstützen. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier erklärte gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, er sei skeptisch, ob Griechenland in der Eurozone bleiben könne. Radikale griechische Parteien führten einen Wahlkampf gegen Europa und hätten damit stark an Zustimmung gewonnen.

Die Forderung der SPD, der Fiskalpakt der Regierung müsse durch einen „Wachstumspakt“ ergänzt werden, hat mit Beschäftigungsprogrammen und anderen Maßnahmen zur Linderung von Arbeitslosigkeit und Armut nicht das Geringste zu tun. Vielmehr geht es um zusätzliche Gelder für die Banken und den Abbau von sogenannten „Beschäftigungshemmnissen“. Darunter ist der Abbau von Kündigungsschutz und anderen Arbeiterrechten zu verstehen, um eine möglichst weitgehende Flexibilisierung und Liberalisierung des Arbeitsmarkts und eine Ausdehnung des Niedriglohnsektors zu schaffen.

Auch die Gewerkschaften unterstützen Schäubles Politik. Sie unternehmen nichts, um die griechischen Arbeiter zu verteidigen und zu unterstützen, sondern rücken stattdessen immer näher an Staat und Regierung heran.

Die Arbeiterklasse in Europa und besonders in Deutschland muss Schäubles Attacken auf Griechenland ernst nehmen und dagegen ankämpfen. Die prinzipielle Verteidigung der griechischen Arbeiter ist nicht nur ein elementares Gebot der Solidarität, es geht auch um die eigenen Rechte und Errungenschaften.

Die Politik von Merkel und Schäuble erinnert an den aggressiven Sozialabbau und die Notverordnungen der Regierung Brüning während der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre. Die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten und die Zerschlagung demokratischer Rechte unter dem Zentrumspolitiker Brüning, der von der SPD unterstützt wurde, ebnete damals Adolf Hitler den Weg an die Macht.

Deshalb ist es so wichtig, gegen Schäubles Attacken in die Offensive zu gehen und alle sozialen und demokratischen Rechte zu verteidigen. Ein solcher Kampf hätte große Signalwirkung für die Arbeiter in Athen und Thessaloniki. Er würde deutlich machen, worin die Antwort auf Schäubles Erpressung „Friss oder stirb!“ besteht: Im gemeinsamen Kampf der Arbeiter in Europa zum Sturz der kapitalistischen Regierungen und zur Errichtung von Arbeiterregierungen, im Sturz der EU-Institutionen und dem Aufbau Vereinigter Sozialistischer Staaten von Europa.

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