Perruchot-Bericht enthüllt Beziehungen der französischen Gewerkschaften zur herrschenden Klasse

Am 12. Februar erschien ein Bericht über die Finanzierung der französischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Er wurde von dem Abgeordneten Nicolas Perruchot von der Partei Neues Zentrum (Nouveau Centre) herausgegeben, die der regierenden UMP nahesteht. Darin werden die arbeiterfeindlichen Mechanismen des „Sozialdialogs“ in Frankreich und Europa aufgedeckt.

Die Abgeordneten der Nationalversammlung beschlossen, den Bericht nicht wie geplant am 30. November 2011 zu veröffentlichen, obwohl sie ihn für seine hohe Qualität lobten. In der Geschichte der Nationalversammlung ist das ein Novum. Die Regierung bat die Abgeordneten der Union für eine Volksbewegung (UMP), sich bei der Abstimmung zu enthalten, damit die Sozialistische Partei (PS) und ihre Anhängsel den Bericht unter der Decke halten konnten. Mehrere Monate später veröffentlichte Le Point den ungekürzten Bericht.

Nicolas Perruchot erklärte in Revue Parlementaire: „Kommissionspräsident Richard Maille sagte mir am Tag davor, dass er vermutlich für den Bericht stimmen werde. Er muss in der Zwischenzeit Kontakt mit Cristophe Jacob gehabt haben“, dem Präsidenten der UMP-Fraktion.

Die Vertreter der französischen Bourgeoisie fürchten, dass ein Bericht über die finanzielle Abhängigkeit der Gewerkschaften von Staat und Wirtschaft sie in den Augen der Arbeiter diskreditieren würde. Die Abgeordneten verheimlichten den Bericht, um die Gewerkschaften vor dauerhafter Feindschaft der Arbeiter gegenüber dem Gewerkschaftsbund CGT und den anderen Gewerkschaften zu schützen.

„Die Nichtveröffentlichung dieses Dokuments hat die Vorwürfe und Verdächtigungen gegenüber den Gewerkschaften noch verschärft“, erklärte CGT-Generalsekretär Bernard Thibault. Die CGT-Führung und die anderen Gewerkschaften bestritten weder Zahlen noch Inhalt des Berichtes.

Auf Seite 165 heißt es: „Jedes Jahr werden in Frankreich fast vier Milliarden Euro für Gewerkschaftsaktivitäten ausgegeben. Ein Großteil dieser Gelder (90 Prozent) kommt aus Gewerkschaftsaktivitäten in Unternehmen und dem öffentlichen Dienst, aus Beiträgen (nach Steuer) nur drei bis vier Prozent.“

Solche Subventionen von Unternehmen und Staat bedeuten, dass die französischen Gewerkschaften auch ohne einen Großteil der Arbeiter überleben können. Nur acht Prozent der französischen Arbeiter sind Gewerkschaftsmitglieder, und die aufgeblähten Gewerkschaftsbürokratien verdanken ihr Fortbestehen der Unterstützung und Begünstigung durch die herrschende Klasse.

Diese Zahlen zeigen, wie tief die Gewerkschaften in die Strukturen von Staat und Wirtschaft integriert sind. Man kann nicht mehr von Arbeiterorganisationen reden; sie sind leere Hüllen, geführt von bürokratischen Karrieristen auf staatlicher Ebene; ihre Ziele sind diejenigen des Staates und der herrschenden Klasse.

Laut dem Bericht kommen die meisten Geldmittel der Gewerkschaften von Arbeitgebern – etwa 3,5 Milliarden Euro für Gewerkschaftsvertreter in Form von Subventionen, entweder für Betriebsräte oder für Freistellungszeit für Gewerkschaftsaktivitäten. Diese Summe ist fast gleichmäßig auf Privatwirtschaft und öffentlichen Dienst verteilt.

Die Gewerkschaften sind auch im Management öffentlicher Einrichtungen tätig – z.B. in paritätischen Ausschüssen, die die Finanzen der Sozialsysteme verwalten. Dennoch behauptet der Bericht, die Gewerkschaften erfüllten nicht direkt und konkret diese Art von Dienstleistungen. Dadurch verdienen sie mindestens 80 Millionen Euro, zusätzlich außerdem Subventionen und Steuererleichterungen im Wert von 175 Millionen Euro.

Während die Gewerkschaften solche Beträge in die eigenen Taschen schaufeln, verhandeln sie mit Staat und Wirtschaft über Rentenkürzungen und allgemein die Zerstörung der sozialen Errungenschaften der Arbeiter.

Alle nationalen Gewerkschaftsbürokratien in Europa spielen grundsätzlich die gleiche Rolle. Aber selbst im Vergleich zu anderen europäischen Gewerkschaftsbürokratien fällt die französische durch die besondere Schwäche bei ihrer finanziellen Unterstützung durch die Arbeiter und ihre Abhängigkeit vom Staat auf.

In den Nachbarstaaten spielen Mitgliedsbeiträge eine große Rolle bei der Finanzierung der Gewerkschaften. In Deutschland kommen 1,3 Milliarden Euro aus Beiträgen, in Großbritannien eine Milliarde, in Frankreich nur 110 bis 160 Millionen Euro. In Dänemark und Schweden sind 70 bis 80 Prozent der Arbeiter Gewerkschaftsmitglieder, zehnmal mehr als in Frankreich.

Die Wahl von Nicolas Sarkozy zum Präsidenten der Republik war ein bedeutender Fortschritt in der Entwicklung der Gewerkschaftsbürokratie zu einem Arm des Staates. Er verstand es, eng und öffentlichkeitswirksam mit den Gewerkschaften zusammenzuarbeiten und Sozialkürzungen zu verhängen, und dabei die nationalen Gewerkschaftsverbände als Polizeitruppe gegenüber der Arbeiterklasse einzusetzen.

Im Jahr 2008 unterzeichneten CGT, CFDT und Regierung eine „gemeinsame Position.“ Der Staat erhöhte seine Subventionen an die großen Gewerkschaften, damit sie die Arbeiterklasse an die Kandare nahmen und eine Politik sozialen Rückschritts durchsetzten.

Die Rentenreform von 2010, die die Regierung durchsetzte, stieß in der Arbeiterklasse auf heftigen Widerstand. Frankreich drohte eine Benzinknappheit, als Arbeiter Raffinerien im Norden und Öldepots im Süden Frankreichs blockierten. Die Regierung schickte Bereitschaftspolizei, um den Streik niederzuschlagen und die Raffinerien und Öldepots wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Die physische Unterdrückung und Einschüchterung, mit der gegen die Arbeiter der Raffinerie vorgegangen wurde, veranlasste die CGT nicht, den Kampf der Arbeiter auszuweiten. Die Gewerkschaften entschlossen sich, den Streik zu beenden und die Arbeiter heimzuschicken. Darin zeigte sich deutlich, wie sehr die Gewerkschaften einen politischen Kampf gegen die herrschende Klasse ablehnen.

Diese Niederlage der Arbeiter wird schwere Folgen für die Gewerkschaften haben. Sie werden es in Zukunft noch schwerer haben, die sozialen Bewegungen der Arbeiterklasse unter Kontrolle zu halten.

Der Bericht von Perruchot zeigt die wachsende Kluft zwischen Arbeitern und Gewerkschaften: „In der öffentlichen Meinung gelten die Gewerkschaften nicht als Organisationen, die die Interessen ihrer Mitglieder vertreten, sondern als Bürokratien unter Führung der Chefs… Manchmal wird diese Ansicht durch den Verdacht der Kollaboration mit dem Arbeitgeber oder sogar Korruption bestärkt.“

Der Bericht entlarvt auch die angeblich linksextremen Parteien wie die Neue Antikapitalistische Partei und Lutte Ouvriere (Arbeiterkampf), die behaupten, dass nur die Gewerkschaften Arbeitskämpfe austragen können. Diese Sicht läuft darauf hinaus, dass der Klassenkampf von Vertretern des bürgerlichen Staates kontrolliert werden muss.

Die Arbeiterklasse muss einen politischen Kampf gegen die Bourgeoisie führen und dabei auch in Konflikt mit der Gewerkschaftsbürokratie treten, da sie jeden echten Kampf der Arbeiter ablehnt.

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