Slowakei: Massenarmut und Korruption am Vorabend der Parlamentswahl

Wenige Tage vor der Parlamentswahl am kommenden Samstag verschärft sich die wirtschaftliche und politische Krise in der Slowakei. Die rechts-konservative Regierung von Iveta Radi&;ová war im Oktober vergangenen Jahres zusammengebrochen, weil die sozialdemokratische Opposition ihre Zustimmung zum Eurorettungsfond (EFSF) von vorgezogenen Neuwahlen abhängig machte.

Es ist nicht zum ersten Mal, dass in dem kleinen Land zwischen Österreich, Tschechien, Polen und Ungarn, vorgezogene Wahlen stattfinden. Kaum eine Regierung in Bratislava hat bisher eine volle Amtszeit durchgehalten. Eine reiche, privilegierte Elite ist in einer Vielzahl kleiner rechter, nationalistischer Parteien organisiert, zu denen auch die Sozialdemokraten gehören. Obwohl sie in allen grundlegenden Fragen übereinstimmen, findet ein heftiger Streit darüber statt, wem die Ausbeutung des Landes zugute kommt.

Zwei Jahrzehnte nach der Wende und der anschließenden Spaltung der Tschechoslowakei lebt die große Mehrheit der knapp sechs Millionen Slowaken in bitterer Armut. Mit vierzehn Prozent hat die Slowakei eine der höchsten Arbeitslosenquoten Europas. Das Durchschnittseinkommen liegt bei nur 800 Euro brutto pro Monat.

Weil keine Partei es wagt die sozialen Probleme anzusprechen, findet die politische Auseinandersetzung über Intrigen und Korruption statt. So wird auch der gegenwärtige Wahlkampf von einer gewaltigen Korruptionsaffäre geprägt, in die buchstäblich alle Parteien der Regierung und Opposition verwickelt sind.

Ein Blick auf die jüngsten Ereignisse zeigt die mafiösen Zustände, die sich seit der Wiedereinführung kapitalistischer Verhältnisse unter dem Banner von Demokratie und Freiheit entwickelt haben.

Unter dem Codenamen “Gorilla” hörte der slowakische Inlandsgeheimdienst SIS 2005 und 2006 eine Wohnung in der Hauptstadt Bratislava ab und sammelte dabei detailliertes Material über ein Korruptionsnetz aus Politik und Wirtschaft. Die Abhörprotokolle tauchten im Dezember auf und belegen, dass Seilschaften aus Wirtschaft und Politik alle wichtigen politischen Entscheidungen allein nach dem Gesichtspunkt der persönlichen Bereicherung gesteuert haben.

In der abgehörten Wohnung soll sich einer der bekanntesten slowakischen Finanzhaie und Mitbesitzer der Finanzgruppe Penta mit hochrangigen Politikern und Staatsbeamten, darunter dem damaligen Wirtschaftsminister Jirko Malchárek, getroffen haben. Diese konspirativen Treffen deuten auf jahrelange Korruption bei der Privatisierung staatlicher Firmen und bei der Vergabe öffentlicher Aufträge hin.

In den Protokollen geht es darüber hinaus um Bestechung von politischen Parteien, Parlamentsabgeordneten und Regierungsmitgliedern. Die Bestechungssummen gehen dabei in die Millionen.

Das Private-Equity-Unternehmen Penta wurde bereits in einer WikiLeaks-Depesche der US-Botschaft in Bratislava aus dem Jahr 2005 genannt. Das Unternehmen soll demnach 67.000 US-Dollar an Schmiergeldern für Parlamentarier bezahlt haben.

Der ehemalige Premier und SDKU-Vorsitzende (Slowakische Demokratische und Christliche Union) Mikuláš Dzurinda, der nun wieder ein Ministeramt bekleidet, ist tief in die sogenannte Gorilla-Affäre verstrickt. Unter Dzurindas Regie hatte ein unglaublicher sozialer Kahlschlag stattgefunden. Arbeitslosengeld und Sozialhilfe waren mehr als halbiert worden. Sichere Arbeitsverhältnisse und Kündigungsschutz existieren faktisch nicht mehr. Die Umstellung des Rentensystems ging mit erheblichen Kürzungen der Renten einher. Das Gesundheitssystem wurde nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten umgebaut. Entsprechend erhält heute ein großer Teil der Bevölkerung, der nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, bestenfalls noch eine minimale Versorgung bei Notfällen.

Die Einführung eines einheitlichen Steuersatzes von 19 Prozent riss ein enormes Loch in den Staatshaushalt, das durch Einsparungen bei den öffentlichen Ausgaben und durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer teilweise ausgeglichen wurde.

Nach Enthüllung der Gorilla-Protokolle kam es zu mehreren Demonstrationen im Land. In Bratislava und in weiteren Städten demonstrierten Tausende gegen die Korruption in der Politik. In Bratislava nahmen ungefähr 6.000 Menschen an der Demonstration teil. Hunderte Menschen beteiligten sich in anderen Städten. In der zentralslowakischen Stadt Zvolen protestierten etwa 2.000 Menschen. Der Wiener Standard bemerkte: „Der Unmut der Massen richtet sich gegen die gesamte politische Elite des Landes.“

Das allerdings hindert die Parteien nicht, ungeachtet ihrer eigenen Verstrickungen, sich als Vorkämpfer gegen Korruption darzustellen. Plötzlich fordern alle Politiker schärfere Strafen und Gesetze gegen Korruption und versuchen den Protest der Bevölkerung auf das eigene Stimmenkonto zu lenken.

Doch die Wut in der Bevölkerung hat tiefe soziale Ursachen. In den letzten Jahren haben sich im Zuge der weltweiten Wirtschaftskrise die Lebensbedingungen deutlich verschlechtert. Im Juli 2010 kam eine Vierer-Koalition unter Führung von Rádicová von der konservativen SDKÚ–DS an die Macht, obwohl diese nur die zweitstärkste Kraft hinter der sozialdemokratischen Smer-SD von Robert Fico geworden war. Das Regierungsbündnis zerbrach jedoch im Oktober als Rádicová mit der Vertrauensfrage bezüglich des europäischen Rettungsschirmes im Parlament scheiterte.

Der rechts-liberale Koalitionspartner Rádicovás SaS (Freiheit und Solidarität) sprach sich gegen die Finanzhilfen für Griechenland aus und damit hatte die Koalition, die noch die Partei Most-Híd und die Christdemokraten einschloss, keine Mehrheit mehr. Die Abstimmung war jedoch nur der Schlusspunkt einer Koalition, die von Grabenkämpfen und gegenseitigen Beschuldigungen gekennzeichnet war.

Vor allem die neoliberale SaS, die eine schmale Schicht von Unternehmern und Superreichen im Land vertritt, kritisierte Radicova, die Sparmaßnahmen der Regierung gingen nicht weit genug. Die Regierung konnte nur drei der geplanten sechs “Reformen” auf den Weg bringen. Eine Rentenreform, Änderungen im Steuerrecht und massive Entlassungen im Öffentlichen Dienst wurden noch nicht umgesetzt.

Angesichts der katastrophalen Umfragewerte der konservativen und liberalen Kräfte, hoffen EU-Funktionäre nun darauf, dass die rechten Sozialdemokraten der Smer-SD und Robert Fico an Einfluss gewinnen und eine Regierung bilden können, die weitere „Reformen“ sprich: Sozialkürzungen durchsetzen können.

Als stärkste Partei kann Smer-SD derzeit mit 35 bis 40 Prozent der Stimmen rechnen. Die Parteien der jetzigen Regierung haben dagegen allesamt mit der Fünfprozenthürde zu kämpfen. Einige neugegründete Parteien könnten für den Ausgang und die Regierungsbildung entscheidend sein. Die Gruppierung „99%“ kommt laut Umfragen auf fast sieben Prozent, die „Partei der gewöhnlichen Leute“, eine Abspaltung der SaS, auf neun Prozent.

Fico, der vehement für eine Zustimmung der Slowakei zum EFSF eingetreten war, verfolgt eine ebenso rechte Politik wie die jetzige Regierung. Fico machte deutlich, dass er eng an der Seite von Deutschland und Frankreich steht und deren Forderung nach brutalen Sparmaßnahmen in den Eurostaaten unterstützt. Wie schon die Vorbereitung auf die Einführung des Euro im Jahr 2009, die mit massiven Sparmaßnahmen und Auflagen einherging, will Fico gegen die Schuldenkrise in Europa mit einem harten Sparprogramm vorgehen.

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