Perspektive

Was ist der Grund für weltweit steigende Aktienkurse?

Im letzten Jahr sind der amerikanische Aktienindex Dow Jones und der britische FTSE 250 um je zwanzig Prozent gestiegen, der DAX um 39 Prozent. Der NASDAQ, der hauptsächlich amerikanische Technologieunternehmen erfasst, hat seinen Rekord vom November 2007 bereits gebrochen, der Dow Jones liegt nur noch 600 Punkte unter seinem letzten Höchststand.

Während die Aktienkurse steigen, sinken die Produktionszahlen in Europa, China und den USA auf den niedrigsten Stand seit drei Jahren. Die europäische Wirtschaft als Ganzes befindet sich im Rückgang. Am Donnerstag erschienen die neuesten schlechten Wirtschaftsdaten in den USA, laut denen die Aufträge für langlebige Wirtschaftsgüter so stark gesunken sind wie zuletzt 2009. Das amerikanische Wirtschaftswachstum wurde im zweiten Quartal von der bereits niedrigen Vorhersage von 1,7 auf 1,3 Prozent korrigiert.

Wie kann man erklären, dass die Aktienkurse in die Höhe schießen, obwohl die Weltwirtschaft immer tiefer in die Rezession stürzt?

Die boomenden Aktienkurse sind ein Ergebnis der weltweiten Umverteilung des Reichtums von unten nach oben. Die sozialen Bedingungen der Arbeiterklasse werden unablässig verschlechtert, während den Banken Billionen von Dollar überlassen wurden, hauptsächlich für Finanzspekulationen.

Dieser Prozess zeigt sich besonders deutlich in den Vereinigten Staaten, dem Zentrum des Weltkapitalismus und der Weltwirtschaftskrise.

Die drei wichtigsten Aktienindizes haben ihren Wert seit 2009 fast verdoppelt, und die Vermögen der Superreichen sind entsprechend gestiegen. Die 400 reichsten Milliardäre in den USA besaßen im Jahr 2009 zusammen netto 1,27 Billionen Dollar. Diese bereits obszöne Zahl ist, laut der diesjährigen Liste, in nur drei Jahren um 33 Prozent auf 1,7 Billionen gestiegen.

Die Gehälter der Vorstandschefs sind ähnlich gestiegen. Das Durchschnittsgehalt bei einem der 350 größten amerikanischen Unternehmen stieg laut dem Economic Policy Institute von 10,36 Millionen Dollar im Jahr 2009 auf 12,04 Millionen im Jahr 2010, und auf 12,14 Millionen im Jahr 2011.

Ganz anders sieht es jedoch für die arbeitende Bevölkerung aus. Von 2009 bis 2011 (dem jüngsten Jahr, für das Daten verfügbar waren) stieg die Zahl der Armen in den USA um 2,6 Millionen auf 49 Millionen Menschen. Die Massenarbeitslosigkeit wurde als Druckmittel benutzt, um in allen Wirtschaftszweigen Lohnsenkungen durchzusetzen.

Seit dem offiziellen Ende der Rezession im Juni 2009 hat sich die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit von dreiundzwanzig auf 38 Wochen verdoppelt. Der Prozentsatz der arbeitsfähigen Bevölkerung, der Arbeit hat, ist gesunken, da das geringfügige Wachstum der Arbeitsplätze kaum mit dem Bevölkerungswachstum mithalten kann, und hunderttausende Entlassene haben es aufgegeben, Arbeit zu suchen.

Die Reallöhne der Beschäftigten sind um durchschnittlich ein Prozent gesunken. Allein im Jahr 2010 ging das Einkommen eines durchschnittlichen Haushalts um 1,7 Prozent zurück.

Durch die verstärkte Ausbeutung der Arbeiter konnten Unternehmen in großem Maße Kosten sparen und seit 2009 Rekordprofite einfahren; auch hierdurch vergrößerten sich die Einkommen der Superreichen.

Abgesehen von der direkten Verarmung der Arbeiterklasse wurden die Aktienmärkte auch durch den Zufluss von Geld aus den Zentralbanken der Welt stimuliert.

Im letzten Monat haben die amerikanische Federal Reserve, die Europäische Zentralbank und die Bank von Japan allesamt neue Maßnahmen eingeleitet, um hunderte Milliarden Dollar in die Finanzmärkte zu pumpen. Die amerikanische Fed ging dabei von den dreien am weitesten: Sie kündigte an, auf unbestimmte Zeit hin monatlich hypothekengestützte Wertpapiere im Wert von 40 Milliarden Dollar zu kaufen, um diese faulen Wertpapiere aus den Bilanzen der Banken zu entfernen.

Das vorgebliche Ziel dieser Aktionen ist es, die Zinsen zu senken, den Immobilienmarkt wiederzubeleben und die Geldmenge zu vergrößern, die den Unternehmen zur Verfügung steht, um zu expandieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Aber anstatt das Geld produktiv zu investieren, horten es die Unternehmen und Banken entweder oder investieren es auf den Aktienmärkten und für andere Formen von Spekulation.

Im zweiten Quartal dieses Jahres hatten die größten amerikanischen Konzerne insgesamt 1,7 Billionen Dollar zur Verfügung. Der Technologieriese Apple ist ein gutes Beispiel dafür. Er verfügte im ersten Quartal des Jahres über 110 Milliarden Dollar, im dritten über 117 Milliarden. Gleichzeitig steigt sein Marktwert, und es wird bereits darüber diskutiert, dass das derzeit 600 Milliarden Dollar schwere Unternehmen als Erstes einen Wert von einer Billion Dollar erreichen wird.

Die enormen Geldsummen, die ins Finanzsystem gepumpt werden, steigern den Wert der Wertpapiere und werden für Rekordgehälter für Vorstände genutzt, die oft an die Aktienkurse gebunden sind.

Diese Inflation der Wertpapierpreise kann angesichts einer anhaltenden wirtschaftlichen Flaute nicht ewig weitergehen. Die steigenden Preise für Aktien und andere Wertpapiere, die hauptsächlich aus den nahe null liegenden Zinsen und nahezu kostenlosem Geld von den Zentralbanken resultieren, führen zu einer neuen und noch größeren Spekulationsblase als die, die im September 2008 geplatzt ist.

Die steigenden Aktienkurse sind kein Ausdruck einer gesunden Wirtschaft, sondern einer zutiefst kranken, in der die unlösbaren Widersprüche des kapitalistischen Systems noch dadurch verschlimmert werden, dass eine gnadenlose und gierige Finanzaristokratie in den USA und weltweit die Politik diktiert.

Die herrschende Klasse in Amerika, zuerst unter Bush, danach unter Obama, reagierte auf den Börsenkrach von 2008, der durch die Dominanz des Finanzsektors über den amerikanischen Kapitalismus ausgelöst wurde, indem Billionen aus Steuergeldern an die Banken verteilt wurden. Das Ziel dieser Aktion war es, die Preise für Wertpapiere wieder zu erhöhen, um den Reichtum der Finanzaristokratie zu bewahren und zu mehren.

Die Regierungen der Welt folgten dem Beispiel und auf jede Bankenrettung folgten noch brutalere Angriffe auf die Arbeiter: Alles muss gekürzt werden: Löhne, Renten, Gesundheitswesen, Bildungswesen – alles, außer natürlich der Reichtum derjenigen, die für die Krise verantwortlich sind.

Die Finanzparasiten, die die großen Investmentunternehmen kontrollieren, ließen die Aktienmärkte mit jedem Angriff auf Arbeitsplätze und Sozialprogramme weiter steigen – zuletzt am Freitag letzter Woche, nachdem die spanische Regierung, deren Land in einer tiefen Rezession steckt, einen Haushaltsentwurf vorstellte, der für das nächste Jahr weitere 51 Milliarden Dollar Kürzungen vorsieht.

Der „Erfolg“ des Finanzkapitals basierte bisher darauf, dass es den Widerstand der Arbeiterklasse isolieren und niederschlagen konnte. Dabei verließ es sich auf die Dienste der Gewerkschaftsapparate und ihrer Verbündeten in den diversen pseudolinken Organisationen (wie der Neuen Antikapitalistischen Partei in Frankreich, der Socialist Workers Party in Großbritannien, der Linkspartei in Deutschland, SYRIZA in Griechenland, der International Socialist Organization in den USA).

Allerdings haben die Maßnahmen der Zentralbanken und Regierungen nichts bewirkt. Die Euphorie der Aktienmärkte ruht auf brüchigen Fundamenten. Die steigenden Aktienkurse sind ein Ausdruck für die Verschärfung der sozialen Spannungen, die bereits in Form explosiver Klassenkämpfe im Weltmaßstab auszubrechen beginnen. Eine neue revolutionäre Führung muss in allen Ländern aufgebaut werden, um diese Kämpfe miteinander zu vereinigen und mit einem sozialistischen und internationalistischen Programm zu bewaffnen.

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