Polizei, Geheimdienst, NSU

In der letzten Woche sind weitere Informationen über die Verbindung zahlreicher Behörden mit den rechtsextremistischen Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) an die Öffentlichkeit gelangt. Es zeigt sich, dass nicht nur alle Ebenen des Inlandsgeheimdienstes, sondern auch der Militärische Abschirmdienst (MAD), sowie diverse Polizeibehörden in Verbindung mit den Rechtsterroristen standen, sie deckten und finanzierten.

Zudem beteiligten sich sämtliche involvierten Bundes- und Landesregierungen an der Verschleierung dieser Tatbestände. Darunter befinden sich nicht nur die rot-grüne, schwarz-rote und schwarz-gelbe Bundesregierungen, sondern etwa auch der rot-rote Senat Berlins.

Am vergangenen Donnerstag wurde bekannt, dass der Thüringer Neonazi Thomas Starke mehr als zehn Jahre lang als „Vertrauensperson“ für das Landeskriminalamt Berlin tätig war.

Der Tageszeitung Junge Welt zufolge gilt Starke als „Schlüsselfigur beim Abtauchen des NSU in den Untergrund“. Er hat bereits gestanden, Ende der 1990er Jahre Sprengstoff an den NSU geliefert zu haben. Ab dem Jahr 2000 soll Starke dann im Dienste des Berliner LKA gestanden haben und erst im Januar 2011, nur Monate vor Bekanntwerden der Mordserie, der zehn Menschen zum Opfer fielen, abgeschaltet worden sein.

Spiegel Online berichtet, Starke habe gegenüber dem LKA mehrfach über den NSU gesprochen, mindestens fünf Mal in den Jahren 2001 bis 2005. Seine eigene Rolle als Unterstützer (Sprengstofflieferung, Wohnungsvermittlung) soll er seinerzeit noch verschwiegen haben.

Schon 2002 habe er aber den Fokus der Fahnder auf Jan Werner gelenkt. Wer die Beteiligten des NSU suche, müsse sich an den hochrangigen Vertreter des „Blood & Honour“ Netzwerks wenden. Werner wurde damals schon vom brandenburgischen Verfassungsschutz beobachtet, der ihn der Waffenlieferung an den NSU verdächtigte.

Laut Berliner Zeitung soll Werner sogar selbst mit dem LKA Berlin von 2001 bis 2005 kooperiert haben. Die Zeitung zitiert ein Fax des LKA, in dem das Bundeskriminalamt gebeten wird, die Berliner vor möglichen Aktionen gegen Werner zu informieren.

Offensichtlich hatte die Polizeibehörde Berlins ausreichend Informationen, um gegen die drei Mitglieder des NSU, Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt vorzugehen, die sich schon seit 1998 im Untergrund befanden und zwischen 2000 und 2007 mindestens zehn Menschen ermorderten. Das LKA Berlin blieb aber ebenso wie die übrigen Behörden völlig untätig.

Sowohl dem jetzigen Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) als auch seinem Vorgänger Erhart Körting (SPD) waren die Dienste von Thomas Starke bekannt. Im März leitete Henkel – allerdings nur auf Anfrage – die Information an den Generalbundesanwalt weiter. Doch weder dieser noch Henkel selbst hielten es für notwendig, den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags, geschweige denn die Öffentlichkeit, über den Fall zu informieren. Henkel berief sich auf noch laufende Ermittlungen, die ihm eine Veröffentlichung des Falls unmöglich gemacht hätten.

Bereits am vergangenen Dienstag wurde im Untersuchungsausschuss bekannt, dass der MAD ebenfalls tief in die Affäre involviert war. In den 1990er Jahren führte der deutsche Militärgeheimdienst offensichtlich eine Akte über Uwe Mundlos selbst. Der MAD soll sogar versucht haben, Mundlos als Quelle für die rechtsextreme Szene zu rekrutieren, dieser habe jedoch abgelehnt.

Über die Existenz einer solchen Akte waren bis Dienstag weder der Untersuchungsausschuss noch die Öffentlichkeit informiert worden. Neben dem MAD war allerdings auch das Bundesverteidigungsministerium seit Dezember letzten Jahres darüber informiert. Im März wurden ferner der Generalbundesanwalt und das Bundeskriminalamt (BKA) auf Anfrage darüber in Kenntnis gesetzt.

Ein Sprecher des Ministeriums berief sich auf ein kompliziertes rechtliches Verfahren, das der Freigabe im Wege gestanden habe. Außerdem, so die Financial Times Deutschland, habe das Ministerium zunächst Akten „mit anderen Schwerpunkten für den Ausschuss“ heraussuchen wollen. Wenn auch noch andere Unterlagen als „nur“ eine eigens geführte Akte über einen der mutmaßlichen NSU-Mörder Priorität hatten, muss man sich die Frage stellen: Was verschweigen MAD und Verteidigungsministerium noch?

Der MAD behauptet, die Akte unmittelbar nach dem Ausscheiden von Mundlos aus dem Wehrdienst vernichtet zu haben. Allerdings hatte der Geheimdienst zuvor eine Kopie an das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sowie dessen Landesämter in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt versandt. Trotzdem hatte auf eine Anfrage des Untersuchungsausschusses vom vorigen Monat nur das Bundesamt positiv geantwortet. Die übrigen Behörden hatten die Existenz der Akte verschwiegen und den Ausschuss belogen.

Der Chef des Landesamtes Sachsen-Anhalt, Volker Limburg, musste am letzten Donnerstag schließlich zurücktreten, weil er Tags zuvor eingeräumt hatte, dass seine Behörde doch über eine Kopie der Akte verfüge, diese nur nicht habe finden können. Limburg ist damit der vierte Chef einer deutschen Geheimdienstbehörde, der in den vergangenen zweieinhalb Monaten zurücktritt.

Die in der letzten Woche aufgetauchten Akten und Zusammenhänge machen immer deutlicher, dass staatliche Stellen offenbar bis ins kleinste Detail vom direkten Umfeld der Terroristen informiert waren. Doch der Staat wusste nicht nur von Waffen- und Sprengstofflieferungen, sondern bezahlte die Beteiligten sogar. Dass staatliche Institutionen die Hintermänner der mutmaßlichen Mordanschläge deckten und direkt finanzierten, ist spätestens seit der letzten Woche unbestreitbar.

Es ist nur noch ein kleiner Schritt bis zum Nachweis, dass der Staat unmittelbar an den Taten beteiligt war. So ist noch immer völlig ungeklärt, welche Rolle ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes spielte, der im April 2006 beim Mord an Halit Yozgat in dessen Internet-Café zur Tatzeit anwesend war. Trotz mehrmaligem Fahndungsaufruf hatte er sich seinerzeit nicht bei der Polizei gemeldet. Unter Bekannten als „kleiner Adolf“ bekannt, wurde er lediglich innerhalb der Landesbehörden versetzt und bis heute keiner öffentlichen Vernehmung unterzogen.

Bereits am fünften September rechnete die Junge Welt vor, dass mehr als jedes vierte Mitglied des Thüringer Heimatschutzes (THS) auf den Gehaltslisten des Verfassungsschutzes gestanden haben könnte. Der NSU war Ende der 90er Jahre direkt aus dem THS hervorgegangen. Es sei daran erinnert, dass den Bundesverfassungsrichtern 2003 schon die Tatsache reichte, dass jeder siebte Funktionär ein Spitzel war, um die faschistische NPD als eine „Veranstaltung des Staates“ zu bezeichnen.

Die systematische Vertuschung und Fälschung durch die Behörden verhindert ebenso eine ernsthafte Aufklärung dieses Sachverhalts, wie die Arbeit des Untersuchungsausschusses des Bundestags, in dem all die Parteien vertreten sind, die im Bund oder in den betreffenden Ländern an der Regierung beteiligt waren und jede Aufklärung torpedieren. Der Ausschuss hat nicht einmal die gesetzlichen Regelungen ausgeschöpft und etwa eine systematische Anfrage bei den Landeskriminalämtern gestellt. Nahezu alle bisherigen Erkenntnisse wurden teils durch beharrliche Recherche, teils durch bloßen Zufall, nie aber auf eigene Initiative der betroffenen Behörden gewonnen.

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