Italien vor der Parlamentswahl

Vor dem Hintergrund einer tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise finden am 24. Februar in Italien Parlamentswahlen statt. Die ursprünglich für April geplanten Wahlen waren kurzfristig vorgezogen worden, nachdem die Technokratenregierung von Mario Monti im Dezember ihren Rücktritt erklärt hatte.

Die von Monti in Zusammenarbeit mit der Europäischen Union verordnete rigide Sparpolitik hat das Land in eine tiefe Rezession getrieben. Die Wirtschaftsleistung sank im vergangenen Jahr um 2,3 Prozent, die Neuzulassung von Autos ging um 20 Prozent zurück, mehrere zehntausend Firmen meldeten Insolvenz an.

Die offizielle Arbeitslosenrate hat mit 11 Prozent den höchsten Stand seit acht Jahren erreicht. Unter Jugendlichen liegt sie sogar bei 37 Prozent. Zählt man die sogenannten Nicht-Aktiven hinzu, liegt die Zahl der Arbeitslosen noch wesentlich höher. Statt offiziell drei sind fünf Millionen Menschen ohne Arbeit. Laut offizieller Statistik sind in Italien lediglich 57 Prozent der Gesamtbevölkerung beschäftigt, in Deutschland sind es im Vergleich dazu knapp 70 Prozent.

Zur Wahl treten weit über ein Dutzend Parteien und Parteienbündnisse an. Trotzdem finden die sozialen Nöte und Sorgen der Bevölkerung im Wahlkampf keinen Ausdruck. Alle Parteien sind sich im Grundsatz einig, den unpopulären Sparkurs Montis fortzusetzen und zu verschärfen.

Pier Luigi Bersani

Größte Aussicht auf den Wahlsieg hat das Mitte-Links-Bündnis, das vom Vorsitzenden der Demokratischen Partei (PD), Pier Luigi Bersani, geführt wird. Es liegt in den Umfragen bei knapp 40 Prozent. Die PD ist eine Nachfolgeorganisation der Kommunistischen Partei, in der auch Bersani seine politische Laufbahn begonnen hat.

Im vergangenen Jahr war die PD die verlässlichste Stütze der Regierung Monti. Bersani selbst hat mehrfach angekündigt, er werde Montis Sparkurs nach der Wahl weiterführen.

Der US-Zeitung Washington Post versicherte er Mitte Januar in einem Interview, er werde Montis Reformen nicht verändern, sondern „mehr Reformen hinzufügen“. Die Frage: „Sollten sich die ausländischen Märkte vor der Rückkehr einer linken Regierung in Italien fürchten?“, verneinte er klar: „Die Märkte müssen sich vor nichts fürchten.“

Auf die Frage, ob er sich den strikten Haushalts- und Schuldenregeln der EU fügen werde, antwortete Bersani uneingeschränkt mit Ja. „Wir haben Italien in die Euro-Zone geführt“, sagte er. „Berlusconi hat die Dinge aus dem Tritt gebracht. Wir sind die am stärksten pro-europäische Partei in unserem Land, keine sozialistische, sondern eine demokratische Partei.“

Als Präsident der Region Emilia-Romagna und Verkehrs- und Wirtschaftsminister in mehreren italienischen Regierungen hat Bersani der herrschenden Klasse seine Verlässlichkeit bereits wiederholt unter Beweis gestellt.

Wichtigster Partner von Bersanis Demokraten ist das Parteienbündnis „Sinistra Ecologia Libertà“ (SEL), das vom Präsidenten der Region Apulien Nichi Vendola geführt wird. Vendola war Gründungsmitglied von Rifondazione Comunista, einer anderen Nachfolgeorganisation der Kommunistischen Partei, bevor er sich verstärkt auf Umwelt- und Identitätsfragen konzentrierte und an die Spitze von SEL trat. Durch sein Bündnis mit Bersani bekennt sich auch Vendola uneingeschränkt zum Spardiktat der Europäischen Union.

Silvio Berlusconi

Auf der Rechten hat Silvio Berlusconis Partei Volk der Freiheit (PDL) ein Bündnis mit der rassistischen Lega Nord sowie zwei rechtsextremen Parteien, La Destra (Die Rechte) und Fratelli d’Italia (Titel der italienischen Nationalhymne), geschlossen.

Berlusconi hatte der Regierung Monti im November seine Unterstützung entzogen und damit deren vorzeitigen Rücktritt ausgelöst. Der 76-jährige Milliardär, gegen den mehrere Prozesse wegen Wirtschafts- und Sexualverbrechen laufen, reagierte damit sowohl auf seine eigenen Probleme wie auf die wachsende Unzufriedenheit seiner Wählerschaft. Diese stammt zu einem großen Teil aus der Mittelklasse und ist von Montis Sparmaßnahmen stark betroffen.

Nach Montis Rücktritt bot ihm Berlusconi die Spitzenkandidatur seines Wahlbündnisses an, was dieser ablehnte. Seither führt Berlusconi eine rechtspopulistische Wahlkampagne mit heftigen Attacken auf die Europäische Union und auf die deutsche Regierung. Dabei rückt er immer weiter nach rechts. So hat er Francesco Storace, dem Kandidaten der neofaschistischen La Destra, seine Unterstützung bei der Wahl des Präsidenten der Hauptstadtregion Latium zugesagt.

Mit der ausländerfeindlichen Lega Nord, die für mehr Autonomie für Norditalien eintritt, arbeitet Berlusconi seit langem zusammen. Die Erneuerung dieses Pakts beruht auf einem Kuhhandel. Die Lega Nord unterstützt Berlusconi bei den Parlamentswahlen und dieser unterstützt die Lega bei den Regionalwahlen im Norden.

Bei den Wahlen zum Angeordnetenhaus werden Berlusconis Wahlbündnis kaum Chancen eingeräumt. Mit knapp 25 Prozent liegt es in den Umfragen deutlich hinter Bersanis Mitte-Links-Bündnis. Bei der zweiten Kammer, dem Senat, sieht es aber anders aus. Hier werden die Sitze nicht nach dem nationalen Ergebnis, sondern regional vergeben. Gewinnt Berlusconi in genügend nördlichen und südlichen Regionen die Mehrheit, kann er die zukünftige Regierungspolitik beeinflussen oder blockieren.

Mario Monti

Der bisher parteilose Mario Monti hat sich nach anfänglichem Zögern entschieden, ein eigenes Wahlbündnis „Agenda Monti für Italien“ anzuführen. Der Wirtschaftsprofessor, Goldman-Sachs-Berater und ehemalige EU-Kommissar wird von der christdemokratischen Zentrumsunion (UDC), dem Vatikan, dem Ferrari-Chef und früheren Unternehmerverbandspräsidenten Luca di Montezemolo sowie dem früheren Führer der postfaschistischen Alleanza Nazionale, Gianfranco Fini, unterstützt.

Montis Teilnahme am Wahlkampf hat vor allem taktische Gründe. Siegesaussichten werden ihm nicht eingeräumt. Sein Bündnis liegt in den Umfragen abgeschlagen bei 15 Prozent. Monti könnte Bersanis Mitte-Links-Bündnis aber eine sichere Mehrheit verschaffen, so dass dieses nicht auf die Stimmen von unsicheren Protestgruppen angewiesen ist.

Auch ein Verzicht Bersanis auf das Amt des Regierungschefs zugunsten von Monti ist nicht auszuschließen. Die Demokratische Partei hat auf diese Weise bereits Romano Prodi an die Spitze der Regierung verholfen, dessen Biografie derjenigen Montis auffallend gleicht. Auch er war Wirtschaftsprofessor, EU-Kommissar und Vertrauensmann der Banken und stammte aus dem Umfeld der Christdemokraten. Möglich ist auch, dass Monti in einer Regierung Bersani das Amt des Finanzministers übernimmt.

Beppe Grillo

Etwa gleichauf mit Montis Bündnis liegt die Protestbewegung Fünf Sterne des Komikers Beppe Grillo. Im vergangenen Sommer hatte sie noch Umfragewerte um die 20 Prozent erreicht. Inzwischen ist sie aber im Niedergang begriffen, da sie außer Tiraden auf korrupte Politiker und Versprechen von mehr Transparenz inhaltlich nichts zu bieten hat und zusehends nach rechts abdriftet. Grillo selbst wird vorgeworfen, seine Bewegung autoritär und selbstherrlich zu führen.

Antonio Ingroia und Rifondazione

Unter dem Namen Rivoluzione Civile (Revolution der Bürger) hat sich ein neues „linkes“ Parteienbündnis gebildet. An seiner Spitze steht Antonio Ingroia, der einen Ruf als erfolgreicher Mafiajäger hat. Er hatte 1992 in Palermo die Nachfolge zweier von der Mafia ermordeter Untersuchungsrichter angetreten und später im Auftrag der UNO in Guatemala die organisierte Kriminalität bekämpft.

Ingroias Bündnis wird von der Partei „Italien der Werte“ des früheren Staatsanwalts Antonio di Pietro, den Grünen und Rifondazione Comunista unterstützt. Laut Rifondazione-Führer Paolo Ferrero sind die wichtigsten Ziele des neuen Bündnisses „die Verteidigung und Wiederbelebung der Demokratie und der Kampf gegen neoliberale Politik“.

„Italien der Werte“ ist eine liberale Partei, die auf europäischer Ebene mit der deutschen FDP zusammenarbeitet. Sie war bisher mit Bersanis Demokratischer Partei verbündet und hatte die Regierungen von Romano Prodi unterstützt.

Es ist bemerkenswert, dass Rifondazione Comunista dem neuen Bündnis beigetreten ist. Es unterstreicht, dass die wichtigste Aufgabe von Rifondazione darin besteht, jede soziale Bewegung der Arbeiterklasse im Keim zu ersticken.

Die aus der Kommunistischen Partei hervorgegangene Organisation war in den 1990er Jahren von pseudolinken Organisationen in ganz Europa noch als Vorbild für eine neue, linke Partei gepriesen worden. In Wirklichkeit spielte sie schon damals eine wichtige Rolle als Mehrheitsbeschafferin für mehrere Mitte-Links-Regierungen, die heftige Angriffe gegen die Arbeiterklasse führten.

Nachdem 2008 die zweite Regierung Prodi gescheitert war, in der sie einen Minister stellte, zerbrach Rifondazione dann in mehrere Flügel. Nun wendet sie sich einem Bündnis zu, das in sozialen Fragen eher rechte Standpunkte vertritt und den Kampf gegen Mafia und Korruption auf seine Fahnen geschrieben hat.

Die Konzentration auf diese Fragen dient dazu, von den drängenden Klassenfragen abzulenken und zu verschleiern, dass alle Parteien den arbeiterfeindlichen Sparkurs unterstützen. Der im Namen des Kampfs gegen Korruption, Kriminalität und Terrorismus aufgerüstet Staat wird außerdem gegen die Arbeiterklasse eingesetzt werden, um jeden Widerstand gegen den Sparkurs gewaltsam zu unterdrücken.

Mittlerweile haben – mit Ausnahme von Berlusconis PDL – sämtliche Parteien den Kampf gegen Korruption, für Rechtsstaatlichkeit und für Demokratie in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs gestellt.

Grillos Fünf-Sterne-Bewegung kennt kein anderes Thema. Bersani hat Pietro Grasso, der als Staatsanwalt von Palermo einige der gefurchtesten Mafiabosse vor Gericht brachte, in sein Wahlkampfteam aufgenommen und will ihn zum Justizminister machen. Monti hat für dieselbe Aufgabe Stefano Dambruoso, einen früheren Mailänder Staatsanwalt und Experten für islamischen Terrorismus, rekrutiert.

Nachdem Italien ein Jahr lang von einem demokratisch nicht legitimierten Technokratenregime regiert wurde, bedeuten die Wahlen keine Rückkehr zur Demokratie. Arbeiter, Arbeitslose, Jugendliche und Rentner haben keine Möglichkeit, mit dem Stimmzettel ihre sozialen Rechte und Errungenschaften zu verteidigen.

Die Parlamentssitze werden zudem nach einem äußerst komplizierten und unübersichtlichen Wahlrecht vergeben, das 2005 von der damaligen Regierung Berlusconi auf seine Bedürfnisse zugeschnitten worden war und seither trotz wiederholter Versprechen nicht verändert wurde.

Von den 630 Sitzen im Abgeordnetenhaus entfallen 55 Prozent automatisch auf das Parteienbündnis, das auf nationaler Ebene die meisten Stimmen erhält. Die restlichen Sitze werden entsprechend dem nationalen Stimmeanteil verteilt, wobei für Parteibündnisse eine Hürde von 10 Prozent, für Parteien, die keinem Bündnis angehören, eine Hürde von vier Prozent und für Parteien, die einem Bündnis angehören, eine Hürde von zwei Prozent gilt.

Die Sitze im Senat werden nach den regionalen Wahlergebnissen vergeben. Das stärkste Bündnis in einer Region bekommt über die Hälfte der Sitze, während etwas andere Mindestklauseln als bei der Abgeordnetenwahl gelten. Für das Abgeordnetenhaus liegt das Wahlalter bei 18 Jahren, für den Senat bei 25 Jahren.

Das Fehlen jeder fortschrittlichen sozialen Alternative und das undemokratische Wahlrecht garantieren ein Wahlergebnis, das die Interessen und sozialen Bedürfnisse der großen Mehrheit der Bevölkerung nicht im Geringsten widerspiegelt. Wachsend soziale Spannungen und heftige Klassenauseinandersetzungen werden die Folge sein.

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