Tsipras trifft Schäuble

Gestern traf sich der griechische Oppositionsführer Alexis Tsipras von der Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA) mit dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), um über die Kreditvereinbarungen zwischen der Europäischen Union und Griechenland zu sprechen.

Tsipras hatte zuvor um die fast einstündige Audienz gebeten. Er befand sich ohnehin in Deutschland, wo er die deutsche Linkspartei besuchte, auf deren Vermittlung laut Süddeutscher Zeitung das Gespräch mit Schäuble zustande kam.

Der deutsche Finanzminister trägt persönliche Verantwortung für die brutalen sozialen Angriffe, die Griechenland von der EU diktiert worden sind. Bei allen Verhandlungen hatte er darauf bestanden, dass die Vorgaben nicht um ein Komma abgemildert werden. Das Elend von griechischen Kindern, die wegen fehlender Medikamente sterben, von Jugendlichen, die zu 57 Prozent arbeitslos sind, und von Alten, die wegen sinkender Renten aus ihren Wohnungen vertrieben werden, sind das direkte Ergebnis von Schäubles EU-Politik.

Mit seinem Besuch bei Schäuble signalisiert Tsipras, dass er ein verlässlicher Partner für diese Politik ist. SYRIZA ist mit 27 Prozent der Stimmen die größte Oppositionspartei, und Umfragen sehen sie bei Neuwahlen teilweise in Führung. „Die Deutschen können sehen“, sagte Tsipras unmittelbar vor dem Treffen, „dass SYRIZA die nächste Regierung stellen könnte. Dafür wollen sie sich vorbereiten, indem sie direkt mit uns in Kontakt treten. Das wollen wir auch.“

SYRIZA wolle „möglichst normale Beziehungen zu den Regierungen, die in griechischen und europäische Angelegenheiten eine wichtige Rolle spielen.“

Gegenüber der Deutschen Welle bekräftigte Tsipras sein früheres Versprechen, seine Partei wolle die griechischen Schulden nicht einseitig kündigen, sondern lediglich die Kreditvereinbarungen neu verhandeln und „reformieren“. Darin sehe er sich durch die letzten Äußerungen des IWF-Chefökonomen Olivier Blanchard bestätigt, der eingeräumt habe, dass den Sparmaßnahmen falsche Berechnungen zugrunde lägen, die nun angepasst werden müssten.

Nach dem Treffen mit Schäuble sagte Tsipras laut Reuters: „Ich habe ihm gesagt, dass die Austeritätsprogramme gescheitert sind.“ Nun müsse man mit Armut, Arbeitslosigkeit und der Erstarkung faschistischer Parteien umgehen. Darauf bereitet sich Tsipras offensichtlich in Zusammenarbeit mit Schäuble vor. Seine Differenzen mit Schäuble seien nur „politisch, nicht persönlich“, betonte er.

Schäuble machte seinerseits deutlich, dass das „wirtschaftliche Anpassungsprogramm alternativlos“ sei, wie eine Sprecherin des Finanzministeriums erklärte. Ansonsten könne Griechenland kein Teil der Eurozone bleiben. „Schäuble hat Herrn Tsipras aufgefordert, den eingeschlagenen Weg mitzutragen“, sagte die Sprecherin.

Im Juni letzten Jahres hatte die Bundesregierung auf Anfragen Tsipras noch ablehnend reagiert und ein Zusammentreffen mit ihm abgelehnt. Dass Tsipras nun vorgeladen wird, ist ein deutliches Signal, dass die europäische und griechische Elite in wachsendem Maße auf SYRIZA setzt, um den griechischen Staat zu stabilisieren und den Widerstand der Arbeiter gegen weitere Kürzungen zu unterdrücken.

Das Treffen fand vor dem Hintergrund einer tiefen Krise des politischen Systems in Griechenland statt. Fünf brutale, von der EU diktierte Sparprogramme haben das bisherige parlamentarische System an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Die sozialdemokratische PASOK und die konservative Nea Dimokratia (ND), die das Land seit dem Ende der Militärjunta 1974 abwechselnd regierten, haben ihre Unterstützung in der Bevölkerung weitgehend verloren.

Nachdem zunächst PASOK den sozialen Kahlschlag als Regierungspartei verantwortet hatte, stürzte sie bei den Wahlen im Juni 2012 von 44 auf 12 Prozent ab. Die konservative Nea Dimokratia (ND), die seither die Regierung führt, ist in den Umfragen unter 20 Prozent geschrumpft.

Die Wut der Arbeiter entlädt sich täglich in neuen Streiks, die von der Gewerkschaftsbürokratie nur noch begrenzt unter Kontrolle gehalten werden können. Allein in der letzten Woche streikte der öffentliche Nahverkehr, legten die Mitarbeiter der staatlichen Lottogesellschaft die Arbeit nieder und protestierten die Bahnarbeiter. Am Samstag wurde dann noch ein neues Steuergesetz verabschiedet, das den Spitzensteuersatz um drei auf 42 Prozent senkt und die Steuern für kinderreiche Familien erhöht.

Die Dreierkoalition aus ND, PASOK und DIMAR, die nur wegen des undemokratischen Wahlsystems in Griechenland über die Mehrheit der Parlamentssitze verfügt, hat seit Juni letzten Jahres 15 ihrer 179 Abgeordneten verloren und liegt damit nur noch 14 Mandate über der parlamentarischen Mehrheit von 150 Sitzen.

Die meisten Abgeordneten wurden ausgeschlossen, weil sie sich im Dezember letzten Jahres geweigert hatten, dem fünften Sparprogramm zuzustimmen. Die DIMAR schloss erst vor wenigen Tagen zwei weitere Abgeordnete aus, die sich allzu nachdrücklich für eine genaue Untersuchung der Begünstigung von Steuerflüchtlingen durch die Regierung eingesetzt hatten.

Als die PASOK-Regierung vor einem guten Jahr ähnliche Zerfallserscheinungen aufwies, entschied die EU, den Regierungschef Giorgos Papandreou durch den Technokraten Loukas Papadimos zu ersetzen und die konservative ND sowie die halb-faschistische LAOS an der Regierung zu beteiligen. Zugleich wurde der Staatsapparat gestärkt, die Polizei vermehrt gegen streikende Arbeiter eingesetzt und die Hetze gegen Migranten verschärft.

Nun bereitet sich SYRIZA darauf vor, eine ähnliche Rolle zu spielen. Schon im Dezember letzten Jahres hatte es SYRIZA abgelehnt, das fünfte Sparpaket durch das Erzwingen von Neuwahlen zu stoppen und der Regierung so das Überleben gesichert. Jetzt könnte die Partei direkt in die Regierung eingebunden werden.

Tsipras hat schon am 30. November letzten Jahres auf einem Parteitag erklärt, dass SYRIZA eine Regierung der „Einheit des Volkes, der Verantwortung und der sozialen Rettung“ bilden wolle. „Wir werden die Verantwortung übernehmen, das Land zu regieren, auch wenn das unter der Bedingung der wirtschaftlichen Katastrophe und der sozialen Auflösung stattfindet. Und wir werden erfolgreich sein“, sagte er.

Diese Worte müssen die griechischen Arbeiter als Warnung verstehen.

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