Deutschland nach der Wahl

Deutschland nach der Wahl

Vom Vorstand der Partei für Soziale Gleichheit

Die Bundestagswahl vom 27. September markiert einen gewaltigen politischen Umbruch. Nach sechzehn Jahren Kohl, in denen jede politische Entwicklung durch einen bleiernen Schleier gehemmt schien, sind die politischen Verhältnisse in Bewegung geraten. Wer heute Mitte dreißig ist, kannte seit dem ersten Urnengang nur die Regierung Kohl; für einen Großteil der Bevölkerung ist dies der erste bewußt erlebte Regierungswechsel.

Das Wahlergebnis kommt einem Erdrutsch gleich. Die SPD knüpft mit 40,9 Prozent der abgegebenen Stimmen (im Westen sogar 42,4 Prozent) nach 25jährigem Niedergang wieder an die Spitzenergebnisse der siebziger Jahre an. Die Union verzeichnet mit 35,1 Prozent das mit Abstand schlechteste Ergebnis seit 1953.

Addiert man die Stimmen von Union und FDP auf der einen und jene von SPD und Grünen auf der anderen Seite, so wird der Umschwung besonders deutlich. An diesem Verhältnis hatte sich zwischen 1969 und 1990 kaum etwas geändert; der Regierungswechsel von 1982 war ausschließlich auf den Koalitionswechsel der FDP zurückzuführen. Union und FDP lagen in sieben aufeinanderfolgenden Wahlen zwischen 52 und 56 Prozent, SPD und (seit 1980) die Grünen zwischen 43 und 46 Prozent, 1990 sogar nur bei 38 Prozent. Jetzt hat sich das Verhältnis umgekehrt: Union und FDP erreichten zusammen 41 Prozent, SPD und Grüne 48 Prozent - zählt man die PDS hinzu sogar 53 Prozent.

Das Wahlergebnis hat einen ausgeprägten Klassencharakter. Alle Untersuchungen sind sich einig, daß die Wahl durch das Verhalten der Arbeiterklasse entschieden wurde. So schreibt die Arbeitsgruppe Wahlen Freiburg: "Von zentraler Bedeutung für den Ausgang der Wahl war die massive Abkehr der mittleren und unteren Schichten der Arbeitnehmerschaft von der Union in Ost und West."

Im Osten, wo 1990 noch jeder zweite Arbeiter die CDU gewählt hatte, war es diesmal nur noch jeder vierte, und die SPD wurde erstmals zur stärksten Partei unter Arbeitern. Die PDS konnte ihren Stimmenanteil seit 1990 fast verdoppeln und erzielte insbesondere in eher städtischen Gebieten mit großen wirtschaftlichen und sozialen Problemen überdurchschnittliche Zuwächse. Im Westen gewannen die Sozialdemokraten laut der oben zitierten Studie "in der unteren Mittelschicht, also etwa in Gebieten mit einem hohen Arbeiteranteil, eine Wählerklientel zurück, die sie im Verlauf der siebziger Jahre in großer Zahl an die Union verloren hatten."

Die Wahl war ein eindeutiges Plebiszit gegen Arbeitslosigkeit und Sozialabbau. Die soziale Frage stand im Mittelpunkt. Einer Umfrage zufolge betrachteten 88 Prozent der Wähler die Arbeitslosigkeit als vorrangiges Problem. Andere Themen - wie "Kriminalität und Drogen" oder "Ausländer" - hielten dagegen nur 12 Prozent für wichtig. Über die Hälfte der Befragten glaubten, daß sich Schröder "für die Schaffung und Rettung von Arbeitsplätzen einsetzt", während nur jeder Fünfte dies Kohl zutraute.

Schon im Wahlergebnis zeigt sich so ein grundlegender Widerspruch, der für die weitere politische Entwicklung bestimmend sein wird: Während die Wähler eindeutig nach links gerückt sind, haben sich die gewählten Parteien ebenso deutlich nach rechts bewegt. Sie sind weder willens noch fähig, die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Die Bundestagswahl leitet daher trotz ihres eindeutigen Ergebnisses eine Periode der politischen Instabilität ein. Die Verhältnisse sind in Bewegung geraten, und sie werden es bleiben.

Die Verwandlung von SPD und Grünen

Die SPD hat sich in der Ära Kohl aus einer sozialen Reformpartei in eine Partei des Sozialabbaus verwandelt. In den Ländern und Kommunen spielt sie beim Stellenabbau im öffentlichen Dienst, den Kürzungen im Bildungswesen und bei der Privatisierung öffentlicher Unternehmen seit langem die erste Geige.

Sie ist zu einer Funktionärspartei verkommen, die kaum mehr über aktive Mitglieder unter Arbeitern verfügt. Hatten in den siebziger Jahren noch zahlreiche Arbeiter aktiv Willy Brandt unterstützt, so nimmt die Unterstützung für die SPD heute rein passive Formen an. Das Wahlergebnis war weniger eine Vertrauensbeweis für Schröder, als ein Mißtrauensvotum gegen Kohl. Den Umfragen zufolge hat sich ein Viertel der Wähler erst unmittelbar vor der Stimmabgabe entschieden.

Im Wahlkampf gab sich die SPD als "moderne" - sprich unternehmerfreundliche - Wirtschaftspartei und zielte mit der Parole "Die neue Mitte" auf die Wähler von FDP und CDU unter den Mittelschichten. Doch statt dessen haben ihr Arbeiter und Arbeitslose zum Sieg verholfen. Das hat die Parteiführung nicht nur überrascht, sondern auch geschockt. Die Siegeseuphorie hielt sich am Wahlabend deutlich in Grenzen.

Ebenso erschreckt reagierten die Grünen auf das Wahlergebnis. Sie seien von der Aussicht, bald regieren zu müssen, "total verunsichert und meinen, alles schlucken zu müssen", schilderte eine Abgeordnete, Angelika Beer, die Stimmung.

Mit den Grünen übernehmen erstmals die Vertreter der 68er Protestgeneration nationale Regierungsverantwortung. Sie hatten die Partei Ende der siebziger Jahre als Reaktion auf die Rechtswendung der SPD unter Helmut Schmidt gegründet. Die Grünen engagierten sich damals für Umweltfragen, beteiligten sich an der Friedensbewegung und vertraten auch in sozialen und demokratischen Fragen weitaus radikalere Standpunkte als die SPD. Sie wurden deshalb vielfach als linke Alternative zur Sozialdemokratie gesehen.

Inzwischen sind aus den protestierenden Studenten der sechziger Jahre wohlhabende Rechtsanwälte, Hochschullehrer und Beamte geworden. Die Grünen haben sich von der Protestpartei zur klassischen Mittelstandspartei entwickelt. Ihre Hochburgen liegen "in Dienstleistungszentren mit einem hohen Anteil von Angestellten und Personen mit höherer formaler Bildung" (Arbeitsgruppe Wahlen Freiburg). Das Ziel, an der Macht teilzuhaben, hat jedes andere Prinzip verdrängt.

Mit der geplanten Ernennung des einstigen Frankfurter Spontis Joschka Fischer zum Außenminister und Vizekanzler erreicht dieser Verwandlungsprozeß seinen krönenden Abschluß. Fischer, der laut Zeit "den Repräsentanten der klassischen deutschen Außenpolitik näher steht als manchem Parteifreund", hat seinen politischen Standpunkt in die Worte gefaßt: "Es gibt keine grüne Außenpolitik, nur eine deutsche." Seine Einbindung in eines der höchsten Regierungsämter dient nicht zuletzt dazu, die Grünen in die Pflicht zu nehmen: "Die wirkliche Beteiligung an der Macht wird auch die Grünen domestizieren - erst recht, wenn sie durch außenpolitische Absurditäten ihre Symbolfigur dieser Koalition, den Außenminister Joseph Fischer, gefährden würden", meint die Süddeutsche Zeitung (1. Oktober 1998).

Was ist von der neuen Regierung zu erwarten?

Schröder wird oft mit dem britischen Premier Blair oder US-Präsident Clinton verglichen. Was seine politischen Ziele betrifft, ist dies sicher richtig. Dennoch gibt es grundlegende Unterschiede. Sowohl Blair als auch Clinton konnten an die Arbeit konservativer Vorgänger, an Thatcher und Reagan anknüpfen, die bereits einen radikalen sozialen Kahlschlag vollzogen hatten. Schröder steht diese Aufgabe erst noch bevor.

Blair und Clinton konnten in ihren ersten Regierungsjahren zudem einen konjunkturellen Aufschwung nutzen, während Schröder sein Amt inmitten einer tiefen Krise der Weltwirtschaft antritt. Die Asienkrise hat sich auf Rußland und Lateinamerika ausgeweitet und die internationalen Börsen in einen wilden Taumel versetzt. Ein Ende der Talfahrt ist nicht abzusehen. Schon jetzt steht aber fest, daß auch in Deutschland alle wirtschaftlichen Prognosen stark nach unten korrigiert werden müssen.

Die Zukunft der Regierung Schröder wird sich daher ungleich spannungs- und konfliktreicher gestalten, als die ersten Jahre von Blair und Clinton. Neben dem Widerspruch zwischen den Zielen der Regierung und den Erwartungen der Wähler werden vor allem die Auswirkungen der internationalen Wirtschaftskrise die kommende Entwicklung prägen.

In diesem Zusammenhang muß der Rat verstanden werden, den der letzte sozialdemokratische Bundeskanzler, Helmut Schmidt, seinem Nachfolger auf den Weg gegeben hat. Schmidt empfiehlt, daß Schröder eine Art Blut-, Schweiß- und Tränen-Rede hält. Unter der Überschrift "Des Kanzlers Mutprobe" forderte er auf der Titelseite der Zeit (1. Oktober 1998), sobald die Regierung stehe, sei ein "Appell des Kanzlers an Urteilskraft und Moral der Nation fällig": "Nach schonungsloser Bestandesaufnahme wird Schröder um die Einsicht bitten müssen, daß viele Wünsche unerfüllbar sind und manche Steckenpferde ungesattelt bleiben müssen."

"Abbau der Arbeitslosigkeit" und "Bündnis für Arbeit"

Obwohl die Koalitionsverhandlungen erst in der Anfangsphase stecken, sind die Grundzüge der kommenden Regierungspolitik bereits sichtbar.

Im Mittelpunkt steht der "Abbau der Arbeitslosigkeit". Darunter ist nicht eine Verbesserung der sozialen Lage der Arbeitslosen zu verstehen, sondern staatlicher Druck, der sie zwingt, auch schlecht bezahlte Jobs anzunehmen. Pate stehen das amerikanische und das holländische Modell. In beiden Ländern sind die offiziellen Arbeitslosenzahlen gesunken, während die Zahl der Niedriglohn-, Teilzeit- und Zeitarbeitsjobs stark angestiegen ist.

Bodo Hombach, dem als Kanzleramtsminister eine Schlüsselstellung in der neuen Regierung zufällt, hat in einem Beitrag für den Spiegel (41/1998) deutlich gemacht, was dieser vorschwebt. Es gelte, "eine Art Absicherungsmentalität" zu überwinden, "wir brauchen Gleichheit beim Start, nicht im Ergebnis", verkündet er. Das Stichwort sei der "aktivierende Staat".

Lobend hebt er das amerikanische Sozialhilfereformgesetz von 1996 hervor, das die bisherige Form der Sozialhilfe mit einem Federstrich beseitigt hat. Wohlfahrt dürfe kein Lebensstil sein, sondern nur eine zweite Chance, zitiert er zustimmend Clinton. "Mir ist klar", fährt Hombach fort, "daß der enorme Druck zur Arbeitsaufnahme, der dort auf Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger ausgeübt wird, bei uns als ein Hauptmakel des amerikanischen Sozialsystems gilt. Aber die Debatte über die Frage, ob nicht jeder Job besser ist als gar keiner, hat uns bereits erreicht." Das eigentliche Wunder sei nicht in den USA, sondern in Deutschland zu besichtigen, zitiert er dann zustimmend die Süddeutsche Zeitung: "daß überhaupt keine Arbeit zu haben immer noch höher geschätzt wird als ein ,McJob'."

Grundlage der zukünftigen Sozialpolitik ist das "Bündnis für Arbeit". Mit der Übernahme des Arbeitsministeriums durch einen einflußreichen Gewerkschaftsfunktionär, den zweiten IG-Metall-Vorsitzenden Riester, stellt sich der gesamte Gewerkschaftsapparat der neuen Regierung zur Verfügung.

Kaum war das Wahlergebnis bekannt, waren aus den Gewerkschaftszentralen neue Töne zu hören. Der designierte Wirtschaftsminister Stollmann, während des Wahlkampfs wegen seiner unternehmerfreundlichen Äußerungen noch heftig kritisiert, wird nun in höchsten Tönen gelobt. Als Computerunternehmer könne er für die Entwicklung zukunftsträchtiger Wirtschaftszweige viel Gutes tun und neue Chancen auf dem Weltmarkt eröffnen, erklärte das DGB-Vorstandsmitglied Putzhammer der Frankfurter Rundschau. DGB-Chef Schulte versprach sogar Lohnzurückhaltung, falls die Lohnnebenkosten gesenkt würden. Vor der Wahl hatte es noch geheißen, nach Jahren der Reallohnsenkung sei endlich wieder eine kräftige Lohnerhöhung fällig.

Auch die Unternehmerverbände, die sich vor der Wahl noch ablehnend verhielten, haben inzwischen Gefallen an einem "Bündnis für Arbeit" gefunden. Für sie ist es ein lukratives Geschäft. Durch die angestrebte Senkung der Lohnnebenkosten steigen ihre Gewinne; und wenn die Gewerkschaften als Gegenleistung Lohnzurückhaltung üben, erhöhen sie sich noch einmal.

Auch hier steht das holländische und vor allem das dänische Modell Pate. In Dänemark hat eine übergreifende Koalition aus sozialdemokratischer Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgebern eben erst die Arbeitslosengelder gekürzt und deren Empfänger gezwungen, schon nach drei statt bisher nach sechs Monaten eine Beschäftigung außerhalb ihres bisherigen Tätigkeitsfeldes anzunehmen. Die Zeitung Politiken kommentierte dies mit den Worten, es hätte früher wohl allseits ein brüllendes Gelächter gegeben, wenn jemand vorhergesagt hätte, daß eine sozialdemokratisch geführte Regierung und die ihr verbundenen Gewerkschaften Arm in Arm mit den Arbeitgeberverbänden und allen Parteien bis zu den Rechtsaußen im Folketing gleich eine ganze Herde einst unantastbarer heiliger Kühe im dänischen Wohlfahrtsstaat zur Schlachtbank führen würden.

Ein "soziales Europa"?

Nach dem Regierungswechsel in Deutschland stellen die Sozialdemokraten in zehn von fünfzehn EU-Staaten den Regierungschef, in drei weiteren sind sie in der Regierung vertreten. Nur in Irland und Spanien herrschen die Konservativen allein. Das hat weitverbreitete Spekulationen über ein "soziales Europa" ausgelöst.

Ein Blick auf die Praxis der europäischen Regierungen entlarvt solche Hoffnungen als Illusion. Sie unterscheiden sich von ihren konservativen Vorgängern weniger durch den Inhalt ihrer Politik, als durch die Fähigkeit, den Widerstand dagegen besser kontrollieren zu können. In Italien und Frankreich sind konservative Mehrheiten an dem Versuch gescheitert, die im Maastricht-Vertrag festgelegten Haushaltskürzungen gegen weitverbreiteten Widerstand durchzusetzen; linke Mehrheiten haben es dagegen geschafft.

Selbst wenn es zu einer engeren sozialpolitischen Zusammenarbeit in Europa kommen sollte, wird sie denselben Inhalt haben, wie die Sozialpolitik in den einzelnen Ländern: die Einführung von Niedriglohnarbeit und die Senkung von Sozialstandards im Namen der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Europa.

SPD und Grüne haben sich seit langem verpflichtet, die Europapolitik der Kohl-Regierung fortzusetzen. Sie treten ebenso wie diese für eine restriktive Haushaltspolitik ein und verteidigen die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank, was in der Praxis bedeutet, daß die Währungspolitik den Vertretern der Banken überlassen und jeder demokratischen Kontrolle entzogen wird. Mit der Übernahme des EU-Vorsitzes Anfang 1999 wird die Regierung Schröder sogar direkt für die Einführung des Euro verantwortlich sein.

Die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung setzt aber auch eine Reihe weiterer politischer Prozesse in Gang. Zum einen wird die grenzüberschreitende Mobilität des Kapitals immer deutlicher vor Augen führen, daß sich die europäische Arbeiterklasse den sozialen Angriffen nur vereint widersetzen kann. Zum anderen beschleunigt das Wegfallen der europäischen Grenzen den Zerfallsprozeß der alten Parteien, die bisher durch das nationale Interesse zusammengehalten wurden.

Schon jetzt ertönen quer durch alle Parteien regionalistische Forderungen. In der SPD tut sich in dieser Hinsicht besonders der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Clement hervor. Er hatte schon anläßlich seiner Amtsübernahme im Frühjahr erklärt, er werde bald mächtiger sein als der Bonner Wirtschaftsminister. Für die Koalitionsverhandlungen in Bonn hat er sich eine Art Vetorecht ausbedungen, während er sie gleichzeitig nach Kräften torpediert, indem er die Grünen in der eigenen Regierung in der Frage des Braunkohlebergbaus Garzweiler vor ein provokatives Ultimatum stellt.

In München hat der bayerische Ministerpräsident Stoiber eine Art Gegenregierung gebildet und "seine neue Landesregierung ganz auf seine Bedürfnisse als künftiger eigentlicher Oppositionsführer im Bund zugeschnitten", wie die Frankfurter Rundschau kommentiert (7. Oktober 1998). Die Staatskanzlei wurde zu diesem Zweck personell gestärkt und mit neuen Kompetenzen ausgestattet. "Sie wird", so derselbe Kommentar, "künftig der Brückenkopf der CSU gegen die Bonner Regierung sein."

Das Aufbrechen regionaler Gegensätze, die in der deutschen Geschichte eine lange verhängnisvolle Tradition haben, birgt den Stoff für zahlreiche künftige Konflikte und politische Krisen in sich.

Wie weiter?

Die wichtigste Aufgabe, die sich aus der Bundestagswahl ergibt, ist der Aufbau einer sozialistischen Alternative zur SPD. Die kommende Entwicklung wird von sozialen Konflikten mit der Regierung geprägt sein, aber das führt nicht automatisch dazu, daß die Arbeiterklasse auch politisch mit der Sozialdemokratie bricht. Wenn sie sich enttäuscht von der Politik der Regierung zurückzieht, besteht sogar die Gefahr, daß die rechtsextremen Parteien wieder Auftrieb erhalten.

Die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt in diesem Frühjahr war ein Alarmsignal. Die DVU hatte auf Anhieb fast 13 Prozent der Stimmen erhalten. Jetzt ist sie dort auf 3,2 Prozent zurückgefallen und DVU, Republikaner und NPD erhielten bundesweit zusammen nur 3,3 Prozent. Die Mobilisierung gegen die Kohl-Regierung hat ihnen das Wasser abgegraben. Das bedeutet aber nicht, daß die rechte Gefahr gebannt ist. Vor allem unter Jugendlichen haben die Rechten nach wie vor Einfluß. Von den 18- bis 24jährigen Männern hat im Osten jeder fünfte und im Westen fast jeder zehnte die Rechtsextremen gewählt. Nur ein unabhängiges politisches Auftreten der Arbeiterklasse kann ihnen endgültig den Boden entziehen.

Zur Zeit versucht die PDS, sich als sozialistische Opposition zur kommenden Regierung darzustellen. Um diesen Anspruch zu unterstreichen, wird sie bei der Kanzler-Wahl nicht für Schröder stimmen. Da Schröder auf ihre Stimmen nicht angewiesen ist, fällt ihr das leicht. Ihr Anspruch, sozialistische Opposition zu sein, entpuppt sich dagegen als Betrug, sobald SPD und CDU tatsächlich ihre Unterstützung brauchen. Das ist in zahlreichen ostdeutschen Kommunen der Fall, wo sie Regierungsverantwortung trägt und auf das Engste mit SPD und CDU zusammenarbeitet. In Mecklenburg-Vorpommern - und möglicherweise bald auch in Thüringen und Sachsen-Anhalt - bereitet sie sich sogar auf Landesebene auf eine Koalition mit der SPD vor. Das wird sie zu einem wichtigen Standbein der Schröder-Regierung in den neuen Bundesländern machen.

Eine wirkliche politische Alternative zur SPD kann nur auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms entwickelt werden. Die Partei für Soziale Gleichheit hat in der Bundestagswahl als einzige Partei ein solches Programm vorgelegt. Sie hat deutlich gemacht, daß die Globalisierung der Wirtschaft dem Sozialreformismus den Boden entzogen hat; daher kann nur eine Politik, die sich gegen die Grundlagen der kapitalitischen Wirtschaftsordnung richtet, den Bedürfnissen der Bevölkerungsmehrheit gerecht werden. Sie hat sich entschieden gegen die Vorstellung gewandt, die SPD und die mit ihr verbundenen Gewerkschaften könnten durch Druck von unten zu einer Politik im Interesse der Arbeiterklasse gezwungen werden.

Dieses Programm hat vorerst nur vereinzelt Gehör gefunden. In den sechs Bundesländern, in denen die PSG zur Wahl antrat, stimmten 6273 Wahlberechtigte dafür, davon allein 2395 in Sachsen-Anhalt. Aber die kommende Periode wird politisch denkenden Arbeitern reichlich Gelegenheit geben, sich von seiner Richtigkeit und Notwendigkeit zu überzeugen.

Die politischen Krisen, Debatten und Auseinandersetzungen, die sich unweigerlich aus der angespannten sozialen Lage ergeben, werden zahlreiche Möglichkeiten schaffen, einem sozialistischen Standpunkt Gehör zu verschaffen. Mit dem World Socialist Web Site hat sich die Vierte Internationale dazu ein wichtiges Werkzeug geschaffen. Es verbreitet das sozialistische Bewußtsein und Verständnis, das es der Arbeiterklasse ermöglichen wird, als selbständige Kraft ins politische Geschehen einzugreifen.

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