"Die Truman Show"

Lebenszeichen in Hollywood

In Die Truman Show stellt Jim Carrey, der bisher fast nur komische Rollen gespielt hat, einen 29jährigen Mann namens Truman Burbank dar. Trumans gesamtes bisheriges Leben wurde, ohne daß er dies wußte, als Fernsehprogramm in die ganze Welt ausgestrahlt, 24 Stunden am Tag, 7 Tage in der Woche. Die Stadt, in der er lebt, ist ein riesiges Studio mit Tausenden versteckter Kameras. Alle Personen, die er kennt, sind Schauspieler, darunter auch seine Frau (Laura Linney).

Weil es keine Werbeunterbrechungen gibt und die Kamera immer auf den Star der Show gerichtet ist, müssen die anderen Schauspieler Produkte oder Werbeschilder vor die Kamera halten, während sie mit Truman sprechen.

Alles ist falsch. Sein bester Freund (Noah Emmerich) erzählt Truman in bewegenden Worten, während sie beim Sonnenuntergang am See sitzen, wieviel ihm seine Freundschaft bedeutet; diese Worte werden ihm aber vom Regisseur der Show vorgegeben. Truman seinerseits läßt dies nicht deshalb mit sich machen, weil er ein Dummkopf wäre, sondern weil er naiverweise von Menschen und Dingen nur Gutes erwartet. Es sind ihre Gewissenhaftigkeit und grundlegende Güte, die menschliche Wesen verletzlich machen, und nicht ihre Bosheit.

Das Superhirn hinter "Die Truman Show", mit der ihre Produzenten, Sponsoren und die Fernsehanstalt unzählige Millionen verdienen, ist ein väterlicher Bursche namens Christof (Ed Harris), der sich für einen gottähnlichen Künstler hält, einen wohlwollenden Schöpfer eines menschlichen Lebens.

Seahaven, Trumans perfekte kleine "Heimatstadt", liegt auf einer Insel, die mit dem Festland durch einen Damm verbunden ist. (Das alles liegt innerhalb einer gigantischen Kuppel, einem der beiden einzigen von Menschen geschaffenen Bauwerken, die vom Weltall aus gesehen werden können. Das andere solche Bauwerk ist die Große Chinesische Mauer, wie uns ein Fernsehansager feierlich berichtet.) Sein Gedächtnis wurde mit bestimmten Erinnerungen programmiert. Danach ist sein Vater bei einem Schiffsunglück ums Leben gekommen, weshalb er Angst vor der Überquerung des Wassers hat. Seit seiner Kindheit wurde er auf jede nur erdenkliche Weise entmutigt, Seahaven zu verlassen. In einem Rückblick sehen wir Truman, wie er seiner Grundschullehrerin erzählt, daß er ein Entdecker wie Magellan sein möchte. Sie holt schnell eine Weltkarte hervor und erklärt ihm, daß "schon alles entdeckt" worden sei.

Eine Reihe von unbedeutenden Vorfällen wecken Trumans Verdacht. Er beginnt den Betrug zu durchschauen. Dies erweckt andere unterdrückte Gefühle. Er hegt schon lange den geheimen Wunsch, nach Fidschi zu reisen, wo er seine verlorene Liebe zu finden glaubt. Jede Art von Hindernis wird ihm in den Weg gelegt. Ein Plakat in einem Reisebüro zeigt ein vom Blitz getroffenes Flugzeug; "Dies könnte auch Ihnen passieren!", lautet die einladende Botschaft dazu. Die Mitarbeiterin des Reisebüros sagt ihm, daß sie keine Flüge nach Fidschi im Angebot habe. Er entscheidet sich dann für eine Busreise nach Chicago. Der Busfahrer macht das Getriebe kaputt und kann deshalb nicht weiterfahren. Truman schafft es, den Damm zusammen mit seiner Frau in einem Auto zu überqueren, aber eine von den Behörden aufgestellte Straßensperre, die angeblich die Bevölkerung vor einem Unfall in einem Kernkraftwerk schützen soll, vereitelt seine Pläne.

Jetzt wird der Wunsch, diesem Alptraum von Stadt zu entkommen, zu einer Besessenheit. Trumans Flucht von seinem Fernseh-Leben führt zu einer großen Krise. Die Bevölkerung der Stadt wird auf ihn gehetzt. Seine scheinbar freundlichen Nachbarn und Bekannten verwandeln sich in einen wachsamen Mob. Am Ende steht er vor der Wahl, in seinem bequemen, geisttötenden Käfig zu bleiben oder in die umliegende Welt auszubrechen.

Der Australier Peter Weir hat bei dem Film Regie geführt, das Drehbuch schrieb der Neuseeländer Andrew Niccol (und die Hauptrolle spielt der Kanadier Carrey). Der Film ist beunruhigend und stellenweise recht amüsant. Seine Prämisse ist legitim: der Schock und die heftige innere Krise, die ein Individuum durchmacht, welches anfängt die Welt zum ersten Mal zu sehen, wirklich zu sehen, wirklich durchzublicken. Ein lächelndes Gesicht kann plötzlich eine versteckte böse Absicht andeuten, eine gemütliche Straße Untätigkeit, ja Ersticken. Das ist kein Verfolgungswahn, sondern der Anfang von Wissen.

Der Film wird von einer wirklichen Verachtung für den Ersatz beseelt, für die von Medien manipulierte Kultur, eine gefälschte Welt von Leuten und Ereignissen, die im Interesse des privaten Gewinns organisiert ist. Carrey glänzt in der Hauptrolle. Die unterschwellige Unruhe, Melancholie und Verzweiflung, die man auch bei seinen anderen Darstellungen immer wahrnehmen konnte, finden hier ein passendes Einsatzgebiet.

Etwas an dem Film fand ich unbefriedigend. Fast alles, was mit der Stadt zu tun hat - seine Frau, seine Kollegen, den ganzen tragikomischen Horror seiner Lage - fand ich überzeugend. Aber das Thema schien mir nur teilweise ausgearbeitet oder umgesetzt zu sein. Natürlich liegen manche seiner subversiven Implikationen vielleicht außerhalb der Reichweite der Schöpfer des Films. Trumans verlorene Liebe erscheint wie ein nachträglicher Einfall und ist überflüssig. Die Rolle von Ed Harris überzeugt nicht. Die Filmemacher wollten, so kann man annehmen, einen stereotypen Medien-Mogul vermeiden. Das ist in Ordnung. Aber ihre Alternative - ein mit einer Baskenmütze versehener empfindsamer Manipulator - führte zu nichts. Die flüchtigen Eindrücke, die man von den Zuschauern der "Truman Show" zu sehen bekommt, sind zu oberflächlich und zu rätselhaft - allerdings sind sie am Ende erfrischend optimistisch.

Offen gesagt wollte ich mehr von dem sehen, was ich interessant fand. Das Thema ist umfangreich. Alles in allem hatte ich das Gefühl, daß Die Truman Show der erste Akt eines beträchtlich längeren, mit größerem Einsatz geschaffenen Werkes ist. Aber es war ein erster Akt, den ich größtenteils anziehend und überzeugend fand.

Weirs Karriere ist interessant und lehrreich. 1944 in Sydney geboren, begann er Ende der sechziger Jahre Filme zu drehen. Nach mehreren Kurzfilmen, die voller Breitseiten gegen das Establishment steckten, machte er eine Reihe fast grotesker Geschichten: Die Autos, die Paris auffrassen(1974), Picknick am Valentinstag(1975), Die letzte Flut(1977) und den Antikriegsfilm Gallipoli(1981). Angesichts der jüngsten Ereignisse ist es interessant, daß sein letzter australischer Film Ein Jahr in der Hölle(1982) sein einziges größeres Feature war, das sich, wenn auch nur mittelbar, mit dem indonesischen Militärputsch 1965 und dem folgenden Blutbad beschäftigte.

Wie viele seiner Gegenstücke der australischen New Wave (Bruce Beresford, Fred Schepisi, u.a.), fand Weir Hollywood unwiderstehlich. Das ist nicht ganz unverständlich. Die Studios in den USA boten umfangreiche Ressourcen, große Projekte, eine große Menge talentierter Schauspieler und Techniker, und sofortigen Zugang zu einem Weltmarkt. Insgesamt aber waren die von Weir und den anderen erreichten Ergebnisse nicht bemerkenswert. Natürlich kamen sie zu einer ungünstigen Zeit in die Studios: den Amtszeiten von Reagan und Bush.

Der einzige Zeuge(1985), der erste Film, den Weir in den USA drehte, war ein intelligenter Krimi, aber im wesentlichen nicht der Erinnerung würdig. Der Club der toten Dichter(1989), die Geschichte des Einflusses eines Lehrers auf seine Schüler, war schon mehr der Versuch einer Aussage, aber keiner, der ihn wegen Radikalismus aus Hollywood getrieben hätte. Green Card - Schein-Ehe mit Hindernissen(1990) war ziemlich übel: eine Romanze, die das Lebensgefühl der "Boheme" und der mit sich selbst beschäftigten Mittelklasse von Manhattan rechtfertigte oder als Tatsache darstellte. Weir war nicht der Einzige, der sich schämen sollte; auch Gérard Depardieu hatte sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Mit Die Truman Show scheint Weir seine Stimme wiedergefunden zu haben. Er sagte einem Reporter der Zeitschrift New York, daß der Golfkrieg ihn dazu ermutigt habe, über die Rolle der Medien bei "der Verwischung der Grenze zwischen Realität und Unwirklichkeit" nachzudenken. Er bemerkte: "Der Golfkrieg war eine der ersten Live-Shows, die wir alle gesehen haben. Es war ziemlich offensichtlich, wie das funktionierte, mit der sehr genau kontrollierten Berichterstattung, es war wie ein keimfreies Videospiel." Mit Abscheu äußerte er sich beispielsweise auch über die Neugestaltung des Times Square in New York City durch die Disney- Unternehmen. Durch diese Umgestaltung erhalte der Platz "das Gepräge und den Nimbus der Kindheit, also der Zeit im Leben, in der noch keine ernsthaften Fragen gelöst werden müssen." Dies ist ein wichtiger Punkt.

Man scheint Anzeichen von Leben in Hollywood zu spüren. In den vergangenen sechs Monaten sind vier Filme erschienen, die einen mehr oder weniger treffenden Blick auf die gegenwärtige amerikanische Gesellschaft werfen: Barry Levinsons Wag the Dog, Mit aller Macht von Mike Nichols, Warren Beattys Bulworth und jetzt Die Truman Show. In manchen dieser Fälle scheinen Leute wieder aufzuleben, die im letzten Jahrzehnt nicht viel gemacht haben - oder nicht viel von Bedeutung gemacht haben. Zwei allgemeine Prozesse müssen hier am Werk sein: erstens ein wachsendes Gespür der Filmemacher und Künstler für die soziale Krise in den USA und die Gefahr einer weiteren Schlächterei wie im Golfkrieg; zweitens, und das ist vielleicht noch ausschlaggebender, ein intuitives Verständnis der selben Künstler, daß kritische Sichtweisen von einem wachsenden Publikum wohlwollend aufgenommen werden.

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