Bürgerschaftswahlen in Bremen

Ein Nachtrag

Am 6. Juni gewann die SPD die Bremer Bürgerschaftswahlen. Sie wird auch weiterhin mit Henning Scherf den Bürgermeister und somit den Regierungschef in Deutschlands kleinstem Bundesland stellen.

Mit rund 42,5% konnten die Sozialdemokraten sich gegenüber der Wahl von 1995 um knapp 10 Prozentpunkte verbessern. Auch der bisherige Koalitionspartner CDU gewann 5% hinzu und erreichte 37,1% der abgegebenen Stimmen. Bündnis 90/Die Grünen erzielten 9,0%, ein Verlust von 4%. Die rechtsradikale Deutsche Volksunion (DVU) verfehlte mit etwas über 3% die Fünfprozenthürde, kann aber dank des besseren Abschneidens in Bremerhafen trotzdem einen Vertreter in die Bürgerschaft schicken. Nicht mehr vertreten ist die Wählervereinigung Arbeit für Bremen (AFB), eine Abspaltung von der SPD, die bei der letzten Wahl noch 10,7% erreicht hatte.

Obwohl eine Koalition der SPD und der Grünen eine satte Mehrheit hätte und der Bonner Regierung wieder zu der bei der Hessenwahl verlorenen Mehrheit im Bundesrat verhelfen könnte, setzt Henning Scherf die Große Koalition mit der CDU fort. Nur elf Abgeordnete werden die kommenden vier Jahre auf den Oppositionsbänken verbringen, zehn von den Grünen und der DVU-Mann.

Noch in der Wahlnacht hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) das Wahlergebnis begrüßt und sich ebenfalls für die Fortführung der großen Koalition ausgesprochen. Beide, SPD und CDU, hätten in den vergangenen Jahren in Bremen eine "zukunftsorientierte und beachtliche Arbeit im Interesse der Bürgerinnen und Bürger" durchgeführt.

Schröders Bewertung macht unmißverständlich deutlich, daß er sich die Option einer Großen Koalition auch auf Bundesebene offenhalten will. Immerhin war die kleine Stadtrepublik an der Weser schon öfter das Experimentierfeld für Regierungskombinationen. Vor zwanzig Jahren zogen die Grünen dort zum erstenmal in ein deutsches Länderparlament ein und seitdem werden die Bremer Wahlen oft als "Seismograph für die politischen Strömungen in der deutschen Gesellschaft" ( Süddeutsche Zeitung) betrachtet. Grund genug also, die zurückliegende Regierungsarbeit der Bremer Koalition genauer unter die Lupe zu nehmen.

Seit Henning Scherf die große Koalition 1995 begann, wurden im öffentlichen Dienst 2000 Stellen abgebaut. Für Beamte gilt wieder die 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich, und die Bremer Lehrer müssen wöchentlich zwei Unterrichtsstunden zusätzlich geben. Zwei Schulen wurden ganz geschlossen, und nicht selten werden in den verbliebenen die fehlenden Räumlichkeiten durch Container ersetzt. Ebenso wurden die Sozialausgaben gesenkt und mit Ausnahme einiger Prestigeprojekte die Ausgaben für kulturelle Zwecke begrenzt.

Die Regierungspartner haben aber schon deutlich gemacht, daß diese Maßnahmen nur der Auftakt zu viel weitreichenderen sind. Im Wahlkampf wollten allerdings weder SPD noch CDU die Katze aus dem Sack lassen. Kein Zweifel kann aber daran bestehen, daß der öffentliche Dienst weiter ausgedünnt werden soll. Politiker aller Parteien behaupten, daß dieser zu viel "Altlasten" mit sich herumtrage, seit der ehemalige Bürgermeister Hans Koschnick (SPD) Mitte der 70er Jahre 10.000 neue Stellen bei der öffentlichen Hand einrichtete.

Um diesen Abbau nicht allein tragen zu müssen, hatte sich Scherf schon im Wahlkampf gegen eine SPD-Alleinregierung ausgesprochen, wie sie aufgrund der Meinungsumfragen möglich schien. "Ich brauche die CDU für einen breiten gesellschaftlichen Konsens." Für diesen tritt er mit Hartmut Perschau (CDU) ein, der stellvertretender Regierungschef und Finanzsenator ist.

Die Regierungsdevise lautet "Sparen und Investieren". Dabei konzentriert sich das Sparen völlig auf den Sozialbereich und das Investieren auf die Schaffung eines Niedriglohnsektors. Die außerordentlich hohe Pro-Kopf-Verschuldung von 24.000 DM wird benutzt, um eine ständige Erpressung der Bevölkerung durchzuführen. Jede Tariferhöhung, jede Anpassung der Sozialhilfe an die Inflationsrate müsse anderswo eingespart werden. "Dem Sanierungskurs muß sich alles unterordnen", betont der SPD-Funktionär Christian Weber und schlägt gleichzeitig Begünstigungen und "Anreize für den Mittelstand" vor. Stolz verweist die Regierung auf die Entstehung eines neuen Gewerbegebiets am Flughafen mit 3000 neuen Arbeitsplätzen, doch die meisten davon sind wenig qualifizierte und schwach entlohnte Jobs in Call-Centern. Bremen hat mit 15 Prozent die höchste Arbeitslosigkeit aller alten Bundesländer.

Während die große Mehrheit der Bevölkerung mehr und mehr verarmt und sich selbst überlassen bleibt, konzentriert sich die Landesregierung darauf eine privilegierte Elite heranzubilden. Nicht weniger als 1 Milliarde Mark wurden ausgegeben, um eine private internationale Universität anzusiedeln, deren Lerninhalte nach amerikanischem Vorbild völlig auf die Interessen der Wirtschaft ausgerichtet werden. In dieselbe Richtung geht die Errichtung der Musical Halle für "Jekyll & Hyde" oder der Bau des Space + Oceanpark.

So zeigt sich, was das viel gerühmte "Bremer Modell" eigentlich ist: Der Abbau der bestehenden Sozialstaatsstrukturen und die Verwandlung von gut bezahlten Arbeitsplätzen in Billiglohnjobs. Daher gewinnt Kanzler Schröder seine Zuneigung zur großen Koalition.

In den allermeisten Medien wurde der Ausgang der Bremer Bürgerschaftswahl als herausragender Sieg der bisherigen Koalition gewertet, und in der Tat wird Bremen von einem Bündnis regiert, daß über 89 von 100 Bürgerschaftssitzen verfügt.

Untersucht man aber die Wahl etwas genauer, dann fällt die sehr niedrige Wahlbeteiligung von gerade mal 60% im Vergleich zu 68,63% in 1995 auf. Das bedeutet, daß zwei Fünftel der Wahlberechtigten gar nicht zur Wahl gingen und Scherf selbst nur von jedem vierten Wahlberechtigten gewählt wurde. Der "grandiose Gewinn von 5%" der CDU entpuppt sich als ein Minus von über 4000 Stimmen in absoluten Zahlen..

Betrachtet man die anderen zur Wahl stehenden Parteien, so fällt auf, daß es für viele Wähler gar keine wirkliche Alternative gab. Die Grünen haben sich durch den Krieg und die Regierungspolitik in Bonn bei vielen einstigen Wählern diskreditiert und die Protestpartei "Arbeit für Bremen", eine rechte Abspaltung der SPD, die 1995 über 10% der Stimmen bekam, konnte sich nicht als ernsthafte Opposition zeigen und verlor seine führenden Mitglieder vorwiegend durch Austritt. Die PDS blieb wie beim letzten mal zwischen zwei und drei Prozent.

Die DVU des Münchner Rechtspopulisten Dr. Gerhard Frey ging vor allem in der abgewirtschafteten Hafenstadt Bremerhafen auf Stimmenfang, in der die Arbeitslosigkeit schon über 18% liegt. Die Tatsache, daß diese Gruppierung ins Parlament einzog, obwohl sie sich gerade auch in Bremen als Skandalpartei gezeigt hatte (bei der Bürgerschaftswahl 1991 zog die DVU mit über sechs Prozent und 6 Abgeordneten ins Parlament ein, doch nach übler Vetternwirtschaft und persönlicher Bereicherung brach die Fraktion nach kurzer Zeit auseinander) und eigentlich als diskreditiert galt, zeigt, was passiert, wenn die soziale Frage den Rechten überlassen bleibt.

Henning Scherf wurde vor vier Jahren Regierungschef in Bremen und löste seinen glücklosen Vorgänger Klaus Wedemeier ab, der mit seiner "Ampelkoalition" aus SPD, FDP und Grünen gescheitert war.

Scherf galt bis dahin als ein Vorzeigelinker in seiner Partei, und trat 1995 für eine Rot-Grüne Koalition ein. Die Parteimehrheit wollte jedoch eine große Koalition. Der Sohn einer evangelischen Drogistenfamilie, die unter den Nazis verfolgt wurde, nahm an der Blockade des US-Raketenlagers Mutlangen teil und half den Sandinisten in Nicaragua bei der Kaffeeernte. 1980 beteiligte sich Scherf, obwohl er schon Senator für Jugend und Soziales war, noch als Demonstrant gegen ein Rekrutengelöbnis der Bundeswehr im Weserstadion, bei dem es zu schweren Auseinandersetzungen und Straßenschlachten kam. Auch im diesjährigen Krieg gegen Jugoslawien gehört der Kriegsdienstverweigerer Scherf zu den Kritikern in seiner Partei.

Der 2,04 m große Jurist, der morgens mit dem Fahrrad zur Arbeit kommt und dessen Markenzeichen das "ständige Umarmen aller sich in Reichweite befindenden Personen" ist, ist seit beinahe 30 Jahren in der Bürgerschaft und führte unzählige Ressorts als zuständiger Senator und überstand in dieser Eigenschaft fünf Untersuchungsausschüsse und drei Mißtrauensvoten. Zuvor arbeitete er als Rechts- und auch als Staatsanwalt.

Seine "soziale Ader" ist in den vergangenen Jahren aber einem kühlen wirtschaftsorientierten Realismus gewichen. Er hielt Reden zum Thema Globalisierung und kam zu dem Schluß, den Standort Bremen in der Weltwirtschaft wettbewerbsfähig machen zu müssen. Diesem Ziel wurde alles untergeordnet. Über auffällig gewordene Ausländer sagt er heute: "Wer sich hier kriminell verhält, (...) fliegt raus."

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