Hamburg schiebt verstärkt auch kranke Asylbewerber ab

Am Donnerstag den 10. Juni schob das Hamburger Innenministerium zum wiederholten Male eine kranke Asylbewerberin ab.

In den frühen Morgenstunden klingelten sechs Polizeibeamte die kurdische Asylbewerberin Nikar Selcuk und ihre drei Kinder im Alter von fünf, neun und elf Jahren aus dem Bett und nahmen sie in Abschiebehaft. Nachmittags wurden die vier dann in ein Flugzeug nach Istanbul verfrachtet und in "ärztlicher Begleitung" abgeschoben. Diese Betreuung bestand vor allem darin, die kurdische Mutter mit Beruhigungsmitteln ruhig zu stellen. Am Istanbuler Flughafen wurden die vier dann nicht wie verabredet von Ärzten, sondern von der Polizei abgeholt. Die Mutter wurde bis in die späte Nacht hinein verhört.

Frau Selcuk ist eine von mindestens acht Asylbewerbern und -bewerberinnen, die trotz ärztlicher Atteste in den vergangenen zwei Wochen aus Hamburg abgeschoben wurden. Seit ihr Mann vor etwa einem Jahr verstorben war, litt sie unter schweren depressiven Erschöpfungszuständen. Auf Grund dessen war sie mehrfach ärztlich behandelt worden. Sie hatte daher eine Duldung erhalten, die eigentlich bis zum 19. Juli ausgestellt war, aber kürzlich von der Ausländerbehörde widerrufen wurde.

Anfang des Monats war neben anderen auch der 15jährige, als stark suizidgefährdet geltende Murat Ercan abgeschoben worden. Für diese Abschiebungen werden über das Arbeitsamt Ärzte angeworben, um auf Honorarbasis die außer Landes zu Bringenden zu begleiten.

Ein jüngst bekannt gewordenes internes Papier des rot-grün geführten Hamburger Senats und dessen Innenressorts tritt dafür ein, daß Flüchtlinge trotz Vorlage ärztlicher Atteste schneller abgeschoben werden können. In dem Papier wird ohne Angaben von Beispielen oder irgendwelchen Beweisen gemutmaßt, daß Ärzte den Asylsuchenden "Gefälligkeitsbescheinigungen" ausstellten. Die Hamburger Ärztekammer hatte darauf in ihrer Mitgliederzeitung die Ärzte aufgefordert, doch sorgfältigere Gutachten auszustellen.

Gegen diese unkritische Weitergabe des unbegründeten Vorwurfs erhob sich Widerstand unter Ärztekreisen. So verurteilte der Deutsche Ärztetag vergangene Woche in einer Resolution, daß Ärzte und Ärztinnen bei der Abschiebung zu Handlangern der Ausländerbehörden gemacht werden. Mit den in der Ärztlichen Berufsordnung verankerten ethischen Grundsätzen sei das unvereinbar. Auch haben sich vereinzelte Mitglieder verschiedener Fraktionen im Hamburger Abgeordnetenhaus gegen die gängige Praxis gewandt.

Das Vorgehen des Hamburger Innensenators Wrocklage (SPD) ist in doppelter Weise abscheulich. Zum einen werden Menschen abgeschoben, die laut Attest nicht flugfähig und in den Herkunftsländern gesundheitlich kaum in der Lage sind, für sich und ihre Familien zu sorgen. Andererseits hatte der Bundesinnenminister Schily (SPD) erst am 30. Mai bekanntgegeben, daß Asylbewerber, bei denen mit Widerstand zu rechnen sei, zur Zeit nicht abgeschoben werden sollen, nachdem mit dem Sudanesen Aamir Ageeb zum wiederholten Mal ein Asylsuchender während der Abschiebung zu Tode kam.

Die sozialdemokratischen Innenminister entwickeln für die Auswahl der Abzuschiebenden ungeahnte Kreativität und erheben es zum Prinzip, sie so schnell wie möglich loszuwerden. Dabei scheint auch hier zu gelten: "Die Schwächsten zuerst."

Siehe auch:
Amir O. Ageeb bei der Abschiebung getötet
(8. Juni 1999)
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