Das Massaker an kurdischen Demonstranten im israelischen Konsulat in Berlin

Am 17. Februar starben auf dem Gelände des israelischen Konsulats vier junge kurdische Menschen durch Pistolenschüsse israelischer Sicherheitsbeamter. Mindestens zwölf weitere wurden zum Teil recht schwer verletzt.

Die schändliche Entführung des Vorsitzenden der PKK, Abdullah Öcalan, aus der griechischen Botschaft in Nairobi, zwei Tage zuvor mit Hilfe des amerikanischen und des israelischen Geheimdienstes inszeniert, hatte in ganz Europa zu Demonstrationen der kurdischen Bevölkerung geführt.

Noch am Abend des Vorfalls rechtfertigte der Botschafter Israels in Deutschland, Avi Primor, die Vorgehensweise der Sicherheitsbeamten: "Sie waren ja nur zwei Leute, um sich zu verteidigen. Und die Leute, die angegriffen haben, waren etwa 200. Da mußten sie schießen. Sie hatten keine andere Möglichkeit, um zu überleben." Notwehr sei es gewesen, und nur ein einziger Warnschuß in die Luft sei außerhalb des Gebäudes abgegeben worden.

Auch das deutsche Außenministerium rechtfertigte zwei Tage danach das Verhalten gegen die kurdischen Demonstranten: "Es liegen keine Anhaltspunkte für ein schuldhaftes Verhalten der israelischen Sicherheitsbeamten vor." Die Polizei behauptete, daß die Demonstranten mit Äxten und Eisenstangen bewaffnet gewesen seien.

Drei Monate später, am 27. Mai, wird der Öffentlichkeit durch das Magazin Kontraste des deutschen Fernsehsenders ARD ein Polizeivideo präsentiert, in welchem sich die Ereignisse völlig anders darstellen.

Dort stehen auf der Treppe vor dem Eingang des Konsulats höchstens 20 Kurden, meist mit dem Rücken zur verschlossenen Tür. Keine Spur von Äxten oder anderen Waffen. Lediglich einen Ast von einem Baum kann man in der Hand eines Demonstranten ausmachen.

Plötzlich ertönen in kurzer Folge mindestens elf Schüsse. Der oder die Schützen sind nicht sichtbar, wohl aber deren Wirkung. Einige Kurden gehen getroffen zu Boden und bleiben auf der Treppe liegen. Der Rest flüchtet in Panik zum Ausgangstor. Zu allem Überfluß wirft die Polizei, die sich außerhalb des Konsulatsgeländes aufgehalten hatte, den flüchtenden Demonstranten auch noch Reizgaspatronen entgegen.

Der 26jährige Sinan Karakus starb auf der Türschwelle, getroffen in den Hinterkopf und den Unterschenkel. Sema Alp, mit 18 Jahren die Jüngste unter den Opfern, kam neben ihm zu Tode, ebenfalls in den Hinterkopf getroffen, dazu noch in den Rücken und die Hand. Ein Dritter, Ahmed Acar, 24 Jahre, erlag erst im Krankenhaus seinen Verletzungen im Becken und am Arm. Der einzige, der im Gebäude getötet wurde, war der 29jährige Mustafa Kurt, der sich zuvor mit etwa zehn anderen im Obergeschoß verschanzt hatte. Auch ihn trafen die tödlichen Geschosse von hinten in die Hüfte.

Auch bei vielen Verletzten zeigte sich, daß sie auf der Flucht waren, als sie - von hinten - getroffen wurden.

Der Spiegel hat in seiner Ausgabe vom 31. Mai anhand dieses Videos und einer Reihe von Zeugenaussagen den Ablauf minutiös nachgezeichnet. Danach kann von Notwehr keine Rede sein.

Selbst einer der Schützen widerspricht diesem Schluß, wenn er zu Protokoll gibt, daß, nachdem er einen Warnschuß in die Decke des Gebäudes abgegeben hatte, sein Kollege erschien und "mit seiner Waffe nach draußen geschossen" habe.

Noch deutlicher aber geht das kaltblütige Verhalten der Sicherheitsbeamten aus den Aussagen der Polizei hervor. Ein Hauptkommissar der Bereitschaftspolizei sagte: "Beide schossen für mich völlig gezielt auf die vor ihnen befindlichen Personen."

Der Leiter der 23. Einsatzhundertschaft hat zwei Sicherheitsbeamte gesehen und sagte dazu aus: "Ich konnte sehen, daß die stehende Person, ohne den Schußarm zu senken, das Magazin aus seiner Waffe drückte und mit einem neuen Magazin sofort nachlud. Er schoß mit der neuversorgten Waffe weiter, in einer Geschwindigkeit, die man nahezu als Dauerfeuer bezeichnen kann."

Der Polizist, der die Kamera führte, nahm nicht nur die Bilder, sondern auch seine eigene Stimme auf. "Der schießt - raus!", rief er, als er die Sicherheitsbeamten in der Tür erblickte - nicht wie jemand, der einen Warnschuß in die Luft erwartet, sondern wie jemand, der befürchtet, getroffen zu werden.

Weshalb dieses Video gerade jetzt veröffentlicht wird, darüber läßt sich im Moment nur spekulieren. Sicher spielen die Auseinandersetzungen zwischen SPD und CDU in Berlin um das momentan CDU-geführte Ressort der Berliner und künftig hauptstädtischen Polizei keine geringe Rolle. So wurde auch ein mitgeschnittenes Telefongespräch zwischen dem Polizeipräsidenten Hagen Saberschinsky und dem Innenstaatssekretär Kuno Böse an die Öffentlichkeit gebracht, das einen Tag vor der Schießerei geführt wurde und die Erwartung einer Auseinandersetzung um das israelische Konsulat beweist. Die sonst übliche Verstärkung von Sicherheitsmaßnahmen blieb in diesem Falle aus, was von der SPD benutzt wird, um an der "Hauptstadtfähigkeit" der Berliner Sicherheitsbehörden zu zweifeln.

Doch jenseits dieser Motive wird der Öffentlichkeit durch das Video zweifelsfrei bewiesen, daß es sich bei dem Zwischenfall im israelischen Konsulat nicht um die Notwehr zweier Beamter gegen einen schwer bewaffneten kurdischen Überfall handelt, sondern um ein Massaker an einer überschaubaren Anzahl von sicher aufgebrachten, aber letztlich völlig wehrlosen Demonstranten.

Siehe auch:
Die Entführung Abdullah Öcalans: Wo ist das Asylrecht geblieben?
(18. Februar 1999)
Die Rolle der Bundesregierung bei der Verhaftung Öcalans
( 23. Februar 1999)
Die Politik der PKK - eine Bilanz
( 3. März 1999)
Schauprozeß gegen Abdullah Öcalan in der Türkei. Was sind die Gründe für das Verhalten des PKK-Chefs?
( 5. Juni 1999)
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