Neues Opelwerk in Rüsselsheim: 4000 Arbeiter weniger

IG Metall und Betriebsräte stimmen zu

Das in Rüsselsheim geplante neue Opelwerk wird 820 Millionen Mark kosten und 4000 Arbeiter und Angestellte weniger beschäftigen als das heutige. Das gab Vorstandschef Robert Hendry am 26. Mai der Presse bekannt.

Der Mutterkonzern General Motors will noch in diesem Jahr damit beginnen, am Stammsitz mit hundertjähriger Opel-Tradition eins der modernsten Automobilwerke der Welt zu errichten. Die Produktion wird hier nach den Prinzipien der "schlanken Produktion", der flexiblen, universal einsetzbaren Belegschaft, der ständigen Qualitäts-Selbstkontrolle und des "Just in time"-Verfahrens konzipiert, wie sie bisher nur im Eisenacher Werk zur Anwendung kamen. Die alten Anlagen des Werks, das vor 20 Jahren noch 43.000 Arbeiter beschäftigt hat, sind dazu nicht mehr tauglich und sollen ganz abgerissen werden.

In unmittelbarer Nähe der alten Werkshallen sollen die neuen Fertigungslinien hochgezogen werden; die Installationen für den Karosseriebau, die Fertig- und die Endmontage sollen im Jahr 2002 stehen, die neue Lackiererei etwas später.

Laut Frankfurter Rundschau erklärte Wolfgang Strinz vom Opel-Vorstand, daß die Produktionskosten in den alten Fabrikhallen von Rüsselsheim pro Fahrzeug um 35 Prozent höher als in Eisenach liegen. Das "Eisenacher Modell" entstand, als General Motors nach dem Zusammenbruch der DDR das Wartburg-Werk übernahm, niederreißen ließ und die weltweit modernste Anlage des Konzerns hinstellte, in der weniger als ein Drittel der früher über 10.000 Arbeiter eine Beschäftigung fanden.

Daß die Produktion im neuen Werk für die Belegschaft eine völlige Umstellung mit sich bringt, liegt auf der Hand. Zwar wird Gruppenarbeit auch schon jetzt praktiziert, auch will das Management am Drei-Schicht-Betrieb festhalten. Anders als bisher, wo für den Bau des Vectra und des Omega zwei getrennte Straßen existieren, soll in Zukunft aber alles auf einer einzigen Linie gebaut werden, wodurch pro Jahr bei gleicher Stückzahl von 275.000 Autos ein Produktivitätszuwachs von vierzig Prozent erreicht werden soll. Von der bisher in der Fertigung arbeitenden Belegschaft von 10.500 Arbeitern werden dann nur noch etwas mehr als 6.500 gebraucht, an die jedoch wesentlich höhere Ansprüche gestellt werden.

Rudolf Müller, Gesamtbetriebsratsvorsitzender, äußerte sich positiv über die Entscheidung. Darauf habe man lange warten müssen, sagte er der Presse. Die Arbeitnehmervertretung habe seit Jahren die komplette Erneuerung der Produktionsanlagen gefordert. Zwar "bedauert" er, daß im Jahr 2002 4.000 Arbeiter weniger beschäftigt werden, aber der Neubau sei die einzig richtige Entscheidung, da das Werk sonst kaum eine Zukunftsperspektive habe. Er behauptet, die Stellen würden nicht über betriebsbedingte Kündigungen, sondern sozialverträglich über Altersteilzeit- und Vorruhestandsprogramme abgebaut werden. Selbst wenn das wahr ist, bedeutet es doch, daß immer weniger Arbeiter unter immer brutalerem Streß produzieren müssen, während ein immer größeres Arbeitslosenheer auf der Straße bleibt.

Den jüngsten Standortsicherungsvertrag haben Geschäftsleitung und Betriebsrat um eine neue Vorruhestands- und Altersteilzeit-Regelung für die Beschäftigten des Opel-Stammwerks erweitert, nach der 58-jährige Arbeiter freiwillig in Rente gehen können und 57-jährigen Arbeitern sowie 60-jährigen Angestellten eine Altersteilzeit angeboten wird.

Opel-Betriebsräte und Vertreter der IG Metall hatten in der letzten Mai-Woche an einer internationalen Betriebsräte-Tagung in Detroit teilgenommen. Opel war durch Müller, dessen Stellvertreter Klaus Franz und Thomas Klebe, IG-Metall, (alle drei Aufsichtsratsmitglieder) vertreten. Zur Zeit gibt es von General Motors auch Pläne, in Kanada und den USA rationellere Montagestraßen aufzustellen, durch die Arbeitsplätze wegrationalisiert werden.

Die deutschen Betriebsräte zogen das Fazit, daß man vom Mutterkonzern General Motors verlangen müsse, ein Konzept zu entwickeln, durch welches die Arbeitsplätze längerfristig gesichert würden. Sie argumentieren, mit Hilfe modernster technischer Innovationen, Qualitätsarbeit und hochmotivierter Belegschaften müßte es doch möglich sein, wieder mehr Marktanteile auf dem Weltmarkt zurückzuerobern. Dazu sei es notwendig, "allgemeines Firmeninteresse mit nationalen Handlungsspielräumen zu verbinden".

Müller erklärte, eine vielseitigere Strategie sei nicht nur im Interesse der Arbeitsplätze, sondern auch der Kapitalseite, da international nur der im Spiel der Global Players bestehen könne, der auch die Besonderheiten der nationalen Märkte berücksichtige. Aus diesem Grund hat der Rüsselsheimer Betriebsrat die Berufung von Robert Hendry nach Deutschland und die Entmachtung des Produktionschefs Peter Hanenberger unterstützt. Hanenberger hatte das von der General Motors Zentrale favorisierte Konzept eines "universalen Weltautos" vertreten, das rationeller und mit geringeren Kosten zu produzieren wäre, während der Betriebsrat am neuen Chef Hendry positiv hervorhebt, daß dieser mit der Pflege des typischen deutschen Opels ein national eigenständiges Produktionskonzept mit den hier üblichen Qualitätsstandards verteidige.

Die Gewerkschafter und Betriebsräte wetteifern darin, den Direktoren als Juniorpartner Ratschläge zu erteilen, wie sie besser am Weltmarkt bestehen und die Konkurrenz erfolgreicher ausstechen könne. Sie kritisieren höchstens, die Strukturen bei General Motors seien "zu verkrustet", um eine effektive Veränderung durchzusetzen (Thomas Klebe, IG Metall).

Schon bisher haben die Betriebsräte für Disziplin unter den Belegschaften gesorgt: In Rüsselsheim, Bochum, Kaiserslautern und Eisenach, wo das Weihnachtsgeld von der Höhe des Krankenstands abhängig ist, beteiligen sie sich an der Hetzjagd auf Kranke. In den letzten Jahren hatte die Gewerkschaft bereits der Einführung von Dauernachtschichten und Wochenendarbeit zugestimmt.

Mit der jüngsten Entscheidung sind IG Metall und Betriebsräte aber noch einen Schritt weiter gegangen: Während massiv in die neuen Produktionsanlagen investiert wird, haben sie zugestimmt, daß in den kommenden vier Jahren die Lohnkosten um 5,3 Prozent gesenkt und 4.000 Arbeitsplätze zerstört werden.

"Was war die Alternative?" sagte Klaus Franz gegenüber der amerikanischen Tageszeitung Detroit News. "Rüsselsheim ganz dicht zu machen, das war die Alternative. Das ist hart, sehr hart, aber es ist Realität." Er spielte auf die Drohung an, daß die Produktion beispielsweise nach Gliwice, Polen, verlagert werden könnte, wo General Motors in drei Jahren einen Autobetrieb hochgezogen hat, der noch Ende diesen Jahres die Produktion vom Typ Astra und Corsa aufnehmen will. Dieser Drohung hat die IG Metall nichts entgegenzusetzen.

Obwohl man mit der Tagung in Detroit den ersten Schritt in Richtung eines internationalen Betriebsrats tat, und obwohl Rudolf Müller bereits den Vorsitz des europäischen Betriebsrats innehat, bedeutet dies für die Arbeiter von Opel und General Motors nicht, daß sie sich einen besseren Schutz durch wachsende internationale Solidarität erhoffen können - im Gegenteil. Der internationale Betriebsrat wird den Weltkonzern unterstützen, Produktionsanlagen wie in Eisenach, in Polen und in Rüsselsheim auch im amerikanischen Michigan und Ohio, sowie in Argentinien, Brasilien und China zu errichten, um mit minimalen Arbeitskosten maximale Profite zu erreichen.

So wurde die Zustimmung der Opel-Betriebsräte und der IG Metall zum Abbau von 4000 Arbeitsplätzen in Rüsselsheim denn auch in der amerikanischen Presse als vorbildlich hingestellt. Die Detroit News schrieb am 26. Mai 1999: "Wer einen Eindruck davon bekommen will, was die Zukunft für die United Auto Workers [die amerikanische Autoarbeitergewerkschaft UAW] und den General Motors Konzern bereithält, blicke nach Deutschland... Die Führer der IG Metall, der mächtigen Gewerkschaft, die die deutschen Autoarbeiter vertritt, standen 18 Monate lang vor demselben Dilemma, vor dem heute auch die UAW... steht: Weniger Arbeitsplätze oder gar keine."

Die Zeitung kommt zum Schluß, daß es in einem global integrierten Unternehmen nur ein einziges Unternehmenskonzept geben kann, und daß sich kein Werk davon ausschließen kann, wo immer auf der Welt es auch stehe. "In Rüsselsheim, das nur 90 Flugminuten von Märkten in Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik entfernt ist, haben sie das verstanden."

Siehe auch:
Schwere Erschütterungen bei Opel
(18. November 1999)
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