Die Europawahl und die deutschen Rechtsextremen

Selten sah man die Wahlanalysten so eifrig bemüht, ein Wahlergebnis derart auf den Kopf zu stellen, wie bei dieser Europawahl. Selten war diese Aufgabe so schwierig, selten ein Ergebnis so eindeutig. Der "große Sieg" der Union von bundesweit 11% gegenüber der Bundestagswahl im vergangenen Herbst entspricht tatsächlich einem Verlust von 3,4 Millionen Wählern. Keineswegs läßt sich aus diesem Wahlergebnis ein "Eilmarsch der Union zurück an die Macht" ableiten, wie selbst die Süddeutsche Zeitung konstatiert.

Daß der Krieg der Nato gegen Jugoslawien in dieser Wahl keine Rolle gespielt hätte, wünschen sich zwar alle Parteien in Bonn, aber nichts ist abwegiger. Der erste Kriegseinsatz unter deutscher Beteiligung nach dem Zweiten Weltkrieg hat die politischen Verhältnisse erschüttert. Die nahezu kritiklose Unterstützung der Bombardierung Jugoslawiens quer durch das politische Establishment markiert einen historischen Wendepunkt deutscher Außenpolitik.

Das Wiedererwachen des deutschen Militarismus wird zunehmend auch die Richtung deutscher Innenpolitik bestimmen. Deutlicher als Bundeskanzler Gerhard Schröder - mit dem Hinweis, daß man in der Innenpolitik genauso gut werden müsse, wie in der Außenpolitik - konnte man kaum androhen, was die arbeitende Bevölkerung nun zu erwarten hat - eine weitere politische Rechtswende. Seine Antwort werde ein "Steuer- und Sparkonzept" sein. Auf "harte Auseinandersetzungen" sei man eingestellt.

In den gewaltigen Stimmenverlusten der Sozialdemokratie kommt nicht die "Enttäuschung der Neue Mitte" über die rot-grüne Regierung zum Ausdruck. Breite Schichten der arbeitenden Bevölkerung, die im Herbst vergangenen Jahres die Ära Kohl durch die Wahl der SPD beendeten, haben den politischen Parteien in Bonn den Rücken gekehrt. In den vergangenen neun Monaten hatte sich jeder von der rasanten Rechtsentwicklung der SPD und der Grünen überzeugen können. Zum ersten mal in der Geschichte der Bundesrepublik wird das politische Spektrum von weniger als der Hälfte der Bevölkerung unterstützt. Die Regierungspartei SPD repräsentiert nur noch 13,7% der Wahlberechtigten.

Daß sich die wachsende Entfremdung zwischen dem politischen Establishment und der Masse der arbeitenden Bevölkerung nicht in Stimmengewinnen rechtsradikaler Parteien ausgedrückt hat, ist ein weiteres wichtiges Ergebnis dieser Wahl. Die rechten Parteien wurden genauso abgelehnt, wie die größeren Bonner Parteien. Ganz im Gegensatz zu den bürgerlichen und Volksparteien FDP, Grüne, SPD und CDU hat in der Bevölkerung keine Rechtsentwicklung stattgefunden. Alle Parteien der extremen Rechten haben Wählerstimmen verloren.

Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) erhielt 107.500 Stimmen, einen Anteil von 0,4%. Im Vergleich mit der Bundestagswahl hat sie 20.000 Wähler verloren. Allerdings hat sie gegenüber der Europawahl von 1994 als einzige Partei einen realen Wählerzuwachs - in einer Größenordnung von 30.000 Stimmen - zu verzeichnen.

Die DVU, die ihre Stimmen bisher einem hohen Protestwähleranteil verdankte, ist nicht zur Europawahl angetreten. Sie hat aber in den Kommunalwahlen, die gleichzeitig in sechs Bundesländern stattfanden, ebenfalls keine nennenswerten Ergebnisse erzielt. In Sachsen-Anhalt, wo sie in der Landtagswahl 1998 noch über 12% bekam, sank sie auf 0,4% ab.

Am deutlichsten fielen die Verluste für die Republikaner als stärkste Partei des Spektrums aus. Sie kamen auf 1,7%, anteilsmäßig etwas weniger als bei der Bundestagwahl im vergangenen September. Gegenüber der letzten Europawahl 1994 haben sie mehr als die Hälfte ihres Stimmenanteils von 3,9% verloren. Anstelle von damals 1,3 Millionen Wähler unterstützten sie jetzt nur noch 460.000. Wie schon in der vergangene Legislaturperiode werden sie nicht im Europäischen Parlament vertreten sein. Bei der Wahl 1989 hatten die Republikaner mit 7,1% der Stimmen sechs Abgeordnete stellen können und zusammen mit dem französischen Front National und dem belgischen Vlaams-Blok ein Bündnis - die "Technische Fraktion" - gebildet.

Sind die rechtsextremen Parteien dem Wahlergebnis nach nahezu bedeutungslos geworden, so wäre es doch oberflächlich und falsch, den Einfluß und die Bedeutung extrem rechter Tendenzen zu unterschätzen.

Die Republikaner waren 1983 als rechte Abspaltung der CSU gegründet worden. Die anfänglichen Wahlerfolge brachten ihnen Sitze in etlichen Kommunalparlamenten, im Landesparlament von Baden-Württemberg und 1989 den Einzug ins Europaparlament. Mit der Zunahme institutioneller Erfolge grenzten sie sich in den vergangenen Jahren von rechten Gewalttaten ab und waren in der Lage, rechts-konservative Wählerschichten an sich zu binden. Bei der Landtagswahl 1992 in Baden-Württemberg erzielten die Republikaner ihre Spitzenergebnisse im "Wohlstandsgürtel" rund um Stuttgart, einer besonders begüterten Region. Zudem weist dieses Bundesland an sich schon das höchste Pro-Kopf-Einkommen im Bundesdurchschnitt auf.

In der NPD konzentriert sich zunehmend faschistisches Potential. Während sie sich theoretisch rechts-intellektuell geben, rekrutieren die Nationaldemokraten gezielt militante Jugendliche und Skinheads in den sozialen Brennpunkten der neuen Bundesländer. Mit der ihnen nahestehenden Wochenzeitung Junge Freiheit sind sie maßgeblich an der theoretischen Orientierung der extremen Rechten beteiligt.

Je mehr die etablierten Parteien in den vergangene Jahren die Politik der Rechten aufgenommen und umgesetzt haben, desto mehr verschwand die Basis für eigenständige Parteien. Ihre hohen Stimmenverluste in dieser Europawahl zeigen, daß die rechtsextremen Tendenzen wieder in den Schoß der Volksparteien zurückgekehrt sind.

Besonders deutlich wird diese Entwicklung in Bayern. Dem "gewaltigen Sieg" der CSU, die im Vergleich mit der Europawahl 1994 von 48,9% um 15,1% auf 64,0% gestiegen ist, liegt ein realer Wählerzuwachs von nur rund 140.000 Personen zugrunde. Insgesamt haben 2,5 Millionen Menschen die CSU gewählt. Im Vergleich dazu haben die Republikaner 250.000 Wähler (ca. 75%) verloren. Die rechte Politik der CSU und ihres Ministerpräsidenten Stoiber hat die Republikaner schlicht überflüssig gemacht. Wenn sich diese Tendenzen vorerst wieder in den etablierten Parteien bewegen, dann aus dem Grund, daß nationalistische und rassistische Politik sich zunehmend in den großen Parteien selbst durchsetzen läßt.

In dem Ergebnis der Europawahl ist eine grundlegende Opposition zur vorherrschenden Politik der sozialen Verwüstung zum Ausdruck gekommen, die nicht automatisch rechts ist. Die Fortführung dieser Politik durch die rot-grüne Bundesregierung wird nicht ohne erbitterten Widerstand der arbeitenden Bevölkerung möglich sein. Um ihn zu brechen, wird das politische Establishment weiter Nationalismus und Rassismus schüren und mit dem Polizeiknüppel reagieren. Schröder hat der arbeitenden Bevölkerung den Kampf angesagt.

Siehe auch:
Rekordenthaltung und sozialdemokratische Verluste in der Europawahl
(15. Juni 1999)
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