Opfer des NATO-Krieges

Wer ist verantwortlich für den Tod von Milena Malobabic und Sanja Milenkovic?

In letzten drei Tagen des Monats Mai haben die Bombenangriffe der NATO auf Serbien mindestens 50 Zivilisten das Leben gekostet und Hunderte weitere verwundet.

Am Sonntag mittag um 13 Uhr zerstörte ein NATO-Flugzeug in der Stadt Varvarin in Südserbien eine Brücke, als gerade Hunderte Einwohner auf dem Weg zum Markt waren. Mindestens elf Zivilisten starben, vierzig wurden verletzt. Zeugen berichten, daß vier Autos in den Fluss gefallen seien. Als Menschen, die in der Nähe gestanden hatten, den ersten Opfern zu Hilfe eilten, traf sie ein weiterer Beschuß. Vier NATO-Kampfflugzeuge waren an diesem Einsatz beteiligt.

Am Montag bombardierten NATO-Flugzeuge ein Sanatorium und Altersheim in Surdulica in Südost-Serbien. Es war der zweite todbringende Angriff auf diese Kleinstadt mit 15.000 Einwohnern. Bereits am 27. April waren NATO-Geschosse in einem Wohnviertel niedergegangen und hatten elf Menschen getötet. Beim jüngsten Angriff starben 27 Zivilisten. Rund einhundert Menschen lebten in der Sanatoriums-Anlage am Stadtrand. Sechzehn Bewohner und Patienten starben, als in zwei der sieben Gebäude NATO-Bomben niedergingen. Fünf weitere Menschen wurden unter den Trümmern begraben. Insgesamt gab es 40 Verletzte.

Die serbischen Medien berichteten außerdem, daß in der zentralserbischen Stadt Novi Pazar am Montag zehn Menschen bei Angriffen der NATO getötet und zwanzig verletzt worden seien.

Die Sprecher der NATO entschuldigten sich weder für den Angriff auf Varvarin bei hellichtem Tage, noch für die Toten. Sie bezeichneten lediglich die Brücke als "auserwähltes und legitimes Ziel". Jamie Shea, Sprecher des Militärbündnisses, erklärte: "Der Sieg über das Böse hat immer einen Preis. Leider gibt es ihn nicht umsonst. Aber wenn man ein großes Übel nicht besiegt, wird der Preis noch höher sein."

Zwischen der selbstgerechten Heuchelei von Shea, Clinton, Blair und Co. - die behaupten, "keinen Krieg gegen das serbische Volk" zu führen - und der brutalen Wirklichkeit des NATO-Krieges klafft ein Abgrund.

Die Behauptungen der amerikanischen und europäischen Medien, der Angriff auf Varvarin und andere Scheußlichkeiten seien "fatale Fehler", klingen nicht mehr sehr glaubwürdig. Hatten Militärsprecher in den Anfangsstadien des Krieges noch behauptet, daß Brücken und andere Teile der Infrastruktur bei Nacht angegriffen würden, um Opfer unter der Zivilbevölkerung möglichst auszuschließen, was soll man dann aus dem jetzigen Beschuß bei hellem Tageslicht folgern? Der einzig logische Schluß besteht darin, daß die NATO gezielt serbische Zivilisten tötet und terrorisiert.

Die Brutalität des Bombardements hat in den jüngsten Tagen zugenommen. Die NATO hat jetzt innerhalb von 70 Tagen rund 15.000 Kampfeinsätze gegen Serbien geflogen. Ihre Maschinen steigen nun bisweilen 350 bis 400 Mal täglich auf. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat Europa nichts Vergleichbares mehr erlebt. Und nichts deutet auf ein Nachlassen hin. Im Gegenteil, die US-Militärs kündigen eine Steigerung des Bombardements an, um die serbische Regierung zur Kapitulation vor den Forderungen der NATO zu zwingen.

Die NATO-Regierungen und ihre Propaganda verwenden viel Mühe darauf, die gesamte serbische Bevölkerung zu Verbrechern und Komplizen von Milosevics "Kriegsverbrechen" zu erklären. Sie stürzen sich auf den bitteren Bruderkrieg auf dem Balkan, in dem die nationalistischen Kräfte auf allen Seiten Greueltaten begangen haben, und schlachten ihn für ihre eigenen Zwecke aus. Um die Verbrechen der NATO zu vertuschen und um die Serben in den Augen der Öffentlichkeit als Unmenschen darzustellen, wird so wenig wie möglich über das Leiden der serbischen Bevölkerung berichtet.

Je brutaler der Luftkrieg wird, desto weniger berichten die Medien, insbesondere das Fernsehen, über die Verwüstung. Wo bleibt Brent Sadler von CNN, der Anfang April zumindest einen Eindruck von Tod und Zerstörung in Aleksinac vermittelt hatte? Nun: Fehlanzeige. Beinahe nichts mehr. Nur wenn ein besonders schreckliches Verbrechen stattfindet, lassen sich die großen Fernsehsender zu einer kurzen Meldung bewegen - natürlich nicht, ohne die Rechtfertigungen der NATO anzuführen.

Die Angriffe auf Varvarin und Surdulica waren besonders grausam und wurden daher von einigen Journalisten wahrgenommen, weil sie einmal nicht umhin konnten zu sehen, daß auch die Opfer der NATO Menschen sind.

Kevin Cullen, ein Reporter des Boston Globe, verfaßte einen bewegenden und ungewöhnlichen Bericht über seinen Besuch am Ort des Geschehens in Surdulica: "Vor einem der beiden Gebäude, die direkt getroffen worden waren, lagen die Leichen von vier älteren Menschen aufgebahrt. Die Totenstarre hatte bereits eingesetzt, und der Arm einer Frau zeigte starr nach oben, ihr Finger schien beinahe anklagend ausgestreckt... Die Gewalt der Explosion hatte Baumwipfel abgerissen. Auf den Ästen anderer Bäume hingen Kleiderfetzen. Hemden, Hosen und Strümpfe hingen herab, 50 Fuß über dem Boden, wie Weihnachtsdekoration.

Dr. Srboljub Aleksic, 60, der Direktor des Sanatoriums, stand inmitten der Trümmer und beschuldigte die NATO eben jener Kriegsverbrechen, deren sie seinen Präsidenten Milosevic so eilig angeklagt habe. ‚Dies hier ist ein Krankenhaus‘, sagte er. ‚Auf dem Dach ist ein großes rotes Kreuz. Wenn die NATO behauptet, sie habe nicht gewußt, daß dies ein Ort für Kranke sei, dann lügt sie.‘"

Ironischerweise lebten neben Patienten mit Atemwegserkrankungen sowie Rentnern auch serbische Flüchtlinge aus Bosnien und Kroatien, die 1995 mit dem Segen der NATO vertrieben worden waren, in dem Sanatorium. Eine der Toten war Bosiljka Malobabic, Mutter dreier Kinder, die aus ihrem Haus in Kroatien verjagt worden war. Auch zwei ihrer drei Kinder, Milena und Rade, wurden getötet. Ein serbischer Passant bemerkte bitter: "Kroatien wollte damals keiner bombardieren."

Auch eine Reporterin der Irish Times, Lara Marlowe, ließ der Anblick Surdulicas nicht kalt. Auch sie schrieb über den Tod der 19jährigen Milena Malobabic. "Milenas Körper war als letzter aufgereiht, von trauriger Schönheit, mit schwarzem Haar und silbernen runden Ohrringen. Ihre blaugrünen Augen schienen noch im Tode voller Schmerz. Gemeinsam mit drei anderen Familienmitgliedern war sie wegen Tuberkulose in dem Sanatorium behandelt worden."

Andere Reporter fanden das Notizbuch des Mädchens. "‘Dieses Notizbuch widme ich Dejan‘, hatte sie auf die Innenseite des Deckels geschrieben, und das Geburtsdatum ihres Freundes, 1972, mit ihrem eigenen verschlungen. ‚Wenn du nur wüßtest, wie sehr ich jetzt leide‘, hatte sie ein Gedicht begonnen, bei dem die Anfangsbuchstaben der ersten Worte seinen Namen bildeten. ‚Vielleicht ist es nicht richtig, aber ich möchte zu Dir zurück. Deine Milena liebt Dich immer noch, aber ich spüre die Wunde..."

Sanja Milenkovic, 17, eine mathematisch hochbegabte Gymnasiastin aus Belgrad, überquerte gerade die Brücke in Varvarin, als sie von NATO-Flugzeugen beschossen wurde. Carlotte Gall berichtet in der New York Times, das Mädchen sei so schwer verwundet worden, daß es auf dem Weg zum Krankenhaus starb. "Nach dem ersten Einschlag rannten Leute von dem nahegelegenen Marktplatz herbei, um den Verletzten auf der Brücke zu helfen. Da kamen die Flugzeuge zurück und warfen noch einmal zwei Bomben ab, die die Brücke von ihren Betonpfeilern herabschlugen. Tödliche Splitter flogen durch die Straße bis zum Marktplatz, wie Zeugen berichten."

Gall schildert die Folgen: "Acht Körper lagen auf Bahren im Leichenschauhaus am Eingang des städtischen Friedhofes. Vater Ciric mit seinen schwarzen Anzugshosen und Straßenschuhen. Die anderen Männer trugen billige Arbeiterkleidung. Ihre Körper waren entsetzlich verdreht. Die Frau, deren Leiche aus dem Fluß gezogen wurde, schien als einzige im Tode ruhig zu sein. Der Körper der jungen Frau Milenkovic befand sich noch im Krankenhaus."

So sieht die grauenhafte Logik des Krieges gegen Serbien aus. Milena Malobabic und Sanja Milenkovic hatten das Unglück, der Kriegsmaschinerie der NATO über den Weg zu laufen. Sie fielen im wahrsten Sinne des Wortes einem politisch motivierten Mord zum Opfer. Wer wird jemals für dieses Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden? Clinton, Clark, oder Blair?

Die USA und die übrigen Staaten steigern die Intensität ihrer Angriffe zum Teil deshalb so ungehemmt, weil es noch keinen massenhaften öffentlichen Aufschrei dagegen gibt. Dieser barbarische Krieg - eigentlich ist es gar kein Krieg, sondern ein einseitiges Bombardement - wird im Namen der amerikanischen, britischen, französischen Bevölkerung geführt. Die Bevölkerung der NATO-Staaten muß seine wahren Dimensionen und seine Folgen begreifen. Wer sich weiterhin mit dem Gedanken tröstet, daß die Kampfjets eingesetzt werden, um die "Demokratie" einzuführen und die Region in Ordnung zu bringen, der sollte noch einmal nachdenken. Ein solcher Militärangriff, bei dem unbedenklich Zivilisten beschossen, bei dem das wirtschaftliche und soziale Leben eines ganzen Volkes vernichtet wird, kann unmöglich progressiven Zielen dienen.

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