Orson Welles in den Augen der heutigen Filmindustrie

Einige Bemerkungen zum amerikanischen Fernsehfilm RKO 281(Regie: Benjamin Ross, Buch: John Logan, nach der Fernsehdokumentation Die Schlacht um Citizen Kane)

Mit vollem Recht kann man Charles Chaplin (1889-1977) und Orson Welles (1915-1985) als die zwei Persönlichkeiten bezeichnen, die im populären Kino das höchste Niveau an künstlerischer Qualität und Komplexität erreichten. Chaplin schuf seine wichtigsten Filme in den ersten dreißig Jahren des Jahrhunderts. Welles hätte seine große Zeit in den vierziger, fünfziger und sechziger Jahren haben können. Dies wurde ihm jedoch durch die gesellschaftliche und historische Entwicklung außerordentlich erschwert, vor allem, als der Beginn politischer Reaktion zu einem tiefen Stimmungswandel in breiten Teilen der Bevölkerung führte.

Seine Werke sind um so bemerkenswerter, wenn man die Feindschaft und Gleichgültigkeit nicht nur der amerikanischen Studios, sondern buchstäblich der gesamten internationalen Filmindustrie bedenkt. Außer Orson Welles gibt es in der Filmindustrie keinen andern, der sich so hartnäckig und ernsthaft mit Fragen der persönlichen und gesellschaftlichen Moral und Korruption sowie der Versuchung von Macht und Größe in der besonderen Erscheinungsform der fünfziger und sechziger Jahre auseinandersetzte ( Macbeth, Othello, Im Zeichen des Bösen, Mr. Arkadin, Der Prozess und Falstaff). Welles systematisches Festhalten an der Produktion kritischer und eigenständiger Filme in jener Zeit der Reaktion und des Konformismus hat etwas Heroisches.

RKO 281, vom HBO-Kabelfernsehen in den USA produziert und gezeigt, ist eine fiktive Darstellung der Entstehung von Citizen Kane, Orson Welles‘ erstem Spielfilm, der vom Juni bis September 1940 gedreht und im Mai 1941 uraufgeführt wurde. Das Drehbuch von Welles und Herman Mankiewicz wurde von dem Leben des Zeitungsmagnaten William Randolph Hearst (1863-1951) inspiriert. Mit Hilfe seiner diversen Günstlinge, zu denen auch die Klatschkolumnistin Louella Parsons gehörte, übte Hearst, der zu der Zeit schon durch und durch reaktionär geworden war, enormen Druck auf Hollywoods Establishment aus, um Citizen Kane zu unterdrücken.

Die Direktoren des amerikanischen Filmstudios RKO brachten den Film schließlich ohne große Begeisterung heraus; und als er sich nicht gerade als Kassenschlager erwies, begruben sie ihn schnell in ihrem Archiv.

Autor John Logan und Regisseur Benjamin Ross ( Das Handbuch des jungen Giftmischers, 1995) drehten ihren Film RKO 281 - die Chiffre, mit der Welles‘ Projekt zur Zeit der Dreharbeiten bezeichnet wurde - in Anlehnung an den Dokumentarfilm Der Kampf um Citizen Kane, der 1996 gesendet worden war. Zum Glück ist ihr Film etwas besser als das damalige oberflächliche Stück. Der 1996 von Richard Ben Kramer und Thomas Lennon gedrehte Dokumentarfilm argumentierte im wesentlichen, Welles und Hearst hätten einen gleichermaßen egoistischen und aufgeblasenen Charakter gehabt, und der Konflikt zwischen den beiden hätte sich fast nur im psychologischen Bereich abgespielt. Er brachte es fertig, Citizen Kane außerhalb aller historischen und gesellschaftlichen Umstände zu behandeln, die diesem Konflikt eine solche Bedeutung verliehen hatten. Außerdem suggerierte der Dokumentarstreifen, Welles habe seinen Film aus purer Karrieresucht fertiggestellt, was kein Karrierist der neunziger Jahre, der etwas auf sich hält, getan hätte. Alles in allem war es ein inhaltsleeres und kleinkariertes Werk. (Siehe auch World Socialist Web Site, PBS documentary: "The Battle Over Citizen Kane" - A revealing look at an old controversy)

RKO 281 wurde von Tony und Ridley Scott produziert und in England mit überwiegend britischen Schauspielern gedreht. Vielleicht erforderte schon das Genre des Spielfilms einen etwas tieferen Blick. Zum Beispiel konnte es für die Produzenten des Dokumentarfilms noch angehen, die Auseinandersetzung von Orson Welles und William Randolph Hearst als einen Zweikampf zwischen zwei Gleichen darzustellen. Ross und Logan mussten jedoch die besonderen Bedingungen und Standpunkte der zwei Protagonisten aufzeigen, wenn das Publikum irgend einen Sinn in den Ereignissen erkennen sollte. Der Zuschauer sieht mit eigenen Augen, dass Hearst über enormen Reichtum verfügt und Welles nichts hat als seinen Film und seine Integrität als Künstler. Hearst greift zum Antisemitismus (sein Kommunistenhaß wird nicht erwähnt) und verfolgt seine Ziele mit wirtschaftlicher Erpressung, während Welles in einer Rede vor den RKO-Aktionären auf den Triumph des Faschismus in Europa hinweist und das Recht auf freie Meinungsäußerung verteidigt.

Der Film zeichnet sich zudem durch die Besetzung der Hauptrollen mit zwei hervorragenden Schauspielern aus: Liev Schreiber (als Welles) und James Cromwell (als Hearst). John Malkovich gibt eine relativ zurückhaltende Darstellung von Herman Mankiewicz. Die Aussagen, die das Drehbuch Schreiber in den Mund legt, sind nicht gerade umwerfend, streckenweise sogar ziemlich klischeehaft, aber ihm gelingt es trotzdem, etwas von Welles‘ Leidenschaft zu vermitteln: eines 25jährigen Filmemachers, der einen der mächtigsten Männer Amerikas aufs Korn nimmt. Man glaubt ihm, wenn er von seinem Film bedauernd sagt: "Er ist alles, was ich habe". Er hinterläßt weniger den Eindruck eines Egozentrikers, als vielmehr eines Mannes, der unter allen Umständen die Wahrheit, so wie er sie sieht, veröffentlichen will.

Cromwell, der Sohn des Regisseurs John Cromwell, gelingt es meisterhaft, ein recht widersprüchliches Individuum darzustellen. Zu Beginn seiner Zeitungskarriere war William Randolph Hearst ein Liberaler und Freund des kleinen Mannes. Er rühmte sich seines Kunstverstands und seines Geschmacks bei Antiquitäten, die er in großen Mengen sammelte. Schon 1940 vertrat er jedoch nahezu faschistische Ansichten. Er lehnte den "New Deal" ab und bezeichnete ihn als ersten Schritt zum Kommunismus in den USA. "Roosevelt ist Bolschewist", sagt er am Anfang des Filmes. "Er wird uns innerhalb eines Jahres in einen Krieg mit [Nazi-]Deutschland stürzen". Cromwell hat eine wundervolle Art zu erblassen, um Hearsts selbstgerechten und größenwahnsinnigen Zorn darzustellen.

Einige der besten Szenen des Filmes zeigen Hearst als Scheusal. Als er von Hedda Hopper, einer Klatschkolumnistin, die nicht in seinen Diensten steht, über den Inhalt von Citizen Kane informiert wird, läßt er unverzüglich nach Parsons (Brenda Blethyn) rufen. "Ich bezahle Dir eine Stange Geld; warum hast Du nichts davon gewußt?" fragt er sie. Parsons ist außer sich und beschämt darüber, was Welles hinter ihrem Rücken treibt. "Ich will Blut sehen", sagt sie. Trocken kommentiert Hearst: "Gut. Erhalte Dir dieses Gefühl."

Bei einem Treffen mit Louis B. Mayer (David Suchet), dem Chef des Filmstudios Metro Goldwyn Mayer (MGM) lädt Hearst ihn in einen exklusiven Club in Los Angeles ein und schlägt vor, die Leiter der anderen Studios mitzubringen. Oh, sagt er - als ob ihm dieser Umstand gerade erst einfiele - aber von Euch wird ja keiner eingelassen, Ihr seid ja alle Juden. Hearsts Drohung ist unüberhörbar. Mayer und die anderen waren außerordentlich besorgt, ihr jüdischer Ursprung könnte öffentlich bekannt werden.

Nach einer privaten Vorführung von Citizen Kane für Hearst und seine langjährige Mätresse, die Schauspielerin Marion Davies, greift der Zeitungszar zum Telefon und ruft Parsons an. "Benutz‘ die Akte", befiehlt er ihr - er bezieht sich auf Material, das die Hearst-Zeitungen gesammelt haben, um sexuelle Verfehlungen von Hollywood-Stars zu dokumentieren. Die Veröffentlichung würde den Ruin des Studios bedeuten, wie Parsons gegenüber Mayer betont. Der MGM-Chef ruft daraufhin die anderen Studioleiter (Jack Warner, David O. Selznick, Harry Cohn etc.) zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen, in deren Verlauf der Expertenausschuß der Filmindustrie den Vorschlag macht, das Filmnegativ und alle Abzüge von Citizen Kane für 800.000 Dollar von RKO abzukaufen und zu verbrennen. Zum Glück lehnt die RKO-Leitung diesen Vorschlag ab.

Obwohl der Film diese und andere wichtige, aber relativ offensichtliche Zusammenhänge aufzeigt, möchte ich nicht allzu sehr für ihn die Hand ins Feuer legen. Während sich die Filmemacher verpflichtet fühlten, einige der Bemühungen zur Unterdrückung von Citizen Kane aufzuzeigen, taten sie ihr Bestes, um den Konflikt zwischen Welles und Hearst auf einen Kampf zweier übergroßer Egos zu reduzieren.

So versucht der Film ständig, Analogien im Verhalten der beiden zu ziehen. Während Hearst die starke Alkoholikerin Davies (Melanie Griffith) drangsaliert, malträtiert Welles den Alkoholiker Mankiewicz (den Bruder des Filmdirektors Joseph Mankiewicz und Vater von Frank Mankievicz, Robert F. Kennedys Pressesprecher und George McGoverns politischer Berater 1972). Beide, Hearst und Welles, können sich manchmal als "seelenlose Monster" aufführen. Beide wollen zu ihren "eigenen Bedingungen" geliebt werden. Ross und Logan inszenieren eine fiktive Begegnung Welles mit Hearst in einem Fahrstuhl, bei der letzterer sagt: "Mein Kampf mit der Welt ist fast zu Ende. Der Ihre hat gerade erst angefangen." Und so weiter.

Weil gewisse Fakten offensichtlich von der Mehrheit derjenigen, die in der Filmindustrie arbeiten, in Vergessenheit geraten sind, ist es notwendig, sie in Erinnerung zu rufen. Citizen Kane wurde von jemandem mit linken politischen Sympathien gedreht (worauf es in RKO 281 keinen einzigen Hinweis gibt), er stellt Aspekte des amerikanischen Traums in Frage und kritisiert einen Mann, der Prinzipien und große Talente auf dem Altar des Geldes und der Macht geopfert hat. (Ironischerweise war Hearst so dünnhäutig und stur, dass er im Unterschied zu anderen nicht einmal in der Lage war zu erkennen, dass sein Portrait in Welles‘ Film recht ausgewogen und wohlwollend ausgefallen war.)

Darüber hinaus war Hearsts Kampagne gegen Welles‘ Film ein offener Akt von Zensur, vor dem die Filmindustrie bereitwillig kapitulierte. Der Kampf um Citizen Kane lieferte einen Vorgeschmack auf die antikommunistische Hetzjagd von McCarthy in den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren. Er enthüllte die Feigheit der Studioleiter in Hollywood und ihr mangelndes Interesse an demokratischen Prinzipien.

Der Konflikt zeigte auch auf, wie schwierig es für einen Regisseur wurde, in Hollywoods Welt geldmachender Filmproduktionen weiterhin bewußt kritische künstlerische Arbeit zu leisten, und welchen Mut und welche Charakterstärke es erforderte, diesen Verhältnissen die Stirn zu bieten. Welles war trotz all seiner Schwächen und Fehler ein Mann mit solchen Qualitäten. In einer immer schwierigeren finanziellen und persönlichen Lage kämpfte er auch nach den Attacken von Hearst und dem Filmestablishment auf seine Karriere und seinen Ruf weitere dreißig Jahre um die Vollendung seiner Filme. Sein Lebenswerk war nur in den Augen von Opportunisten und Speichelleckern ein "Misserfolg". Heute, wo die amerikanische Filmindustrie aus ihrem langen Schlaf aufzuwachen scheint, sollten ihre ernsthaftesten Künstler Welles‘ Kampf als Vorbild, nicht als abschreckendes Beispiel betrachten.

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