George W. Bush: Der Kandidat als IPO

Initial Public Offering (IPO):

Deutsch "Erstes öffentliches Angebot", es werden erstmalig Aktien eines Unternehmens interessierten Anlegern zum Kauf angeboten.

"Die Wertpapiere, die bei einem IPO angeboten werden, stammen nicht immer, aber häufig von jungen, kleinen Unternehmen, die sich von außen Eigenkapital beschaffen wollen und einen Markt für ihre Aktien suchen. Investoren, die bei IPOs Anteile erwerben, müssen bereit sein, zugunsten großer Gewinnmöglichkeiten erhebliche Risiken auf sich zu nehmen."

(Campbell R. Harvey's Hypertextual Finance Glossary)

Nach den traditionellen Maßstäben der amerikanischen Politik dürfte es einigermaßen verwundern, dass George W. Bush an die Spitze der Republikanischen Partei katapultiert wurde und gute Aussichten hat, der nächste Präsident der USA zu werden. Nichts an seiner bisherigen Laufbahn prädestiniert ihn für eine hervorgehobene Stellung im öffentlichen Leben, geschweige denn für das höchste Staatsamt im kompliziertesten und potentiell unbeständigsten Land der Welt.

Hier haben wir einen Mann, der allen Darstellungen zufolge die ersten vier Jahrzehnte seines Lebens ziellos verplempert hat. Gegen den Vietnamkrieg hatte er sich nicht gewandt, sondern wie viele privilegierte Jugendliche seine familiären Beziehungen ausgenutzt, um nicht eingezogen zu werden. Nach mehreren erfolglosen Unternehmungen in der texanischen Ölindustrie und einer gescheiterten Kandidatur für den Kongress wurde er Millionär, weil Freunde der Familie ihn zum Miteigentümer eines professionellen Baseballteams gemacht hatten.

George W. Bush scheint vor allem deshalb einen neuerlichen Vorstoß in die Politik unternommen zu haben, weil er nicht wusste, was er sonst mit seinem Leben anfangen sollte. 1994 hatte er, augenscheinlich entgegen dem Rat seiner Eltern, für den Posten des Gouverneurs in Texas kandidiert und gewonnen. Fünfeinhalb Jahre später, ausgestattet mit äußerst geringen Erfahrungen in der Bundespolitik, keinerlei Kenntnis der Weltpolitik, mangelhafter Beherrschung der englischen Sprache in Wort und Schrift, steht er an der Schwelle des Weißen Hauses.

Zwar neigte George W. Bush aufgrund seines familiären Hintergrunds und seiner gesellschaftlichen Stellung stets den wirtschaftsliberalen Allheilmitteln der Republikanischen Partei zu, doch hatte er während der meisten Zeit seines Lebens der Politik kein besonderes Interesse entgegengebracht. Er lebte in einer Familie, die seit langen Jahren politische Bindungen hatte, doch nichts deutet darauf hin, dass ihn diese Erfahrung tief geprägt hätte.

Wenn er überhaupt gewisse Lehren daraus gezogen hat, so schlugen sie sich in seiner Überzeugung nieder, dass die richtigen Beziehungen Reichtum und Macht einbringen. Denn worauf beruht sein Erfolg? Er verfügt über ein - zumindest für manche - einnehmendes Lächeln und ein sicheres Auftreten in den Kreisen der herrschenden Klasse. Wenn er als Gouverneur von Texas mit sozialen Konflikten in Berührung kam, suchte er sie stets mit frommen Sprüchen zu verkleistern.

Auch das Dauergrinsen, das George W. Bush in den Anfangsstadien seiner Bewerbung um die Nominierung der Republikaner einige Probleme bereitet hatte, ist nicht ohne Bedeutung. Der Charakter und die Psychologie eines Menschen hinterlassen im Laufe seines Lebens Spuren in seinen äußeren Zügen. Im vorliegenden Falle verraten sie, dass sich der Betreffende seiner Hochstapelei durchaus bewusst ist, und dass er sich stets darauf verlassen konnte, von anderen herausgehauen zu werden, wenn er sich wieder einmal verrannt hatte.

Ein Mann, der nicht liest, der keine geistigen Interessen hat - George W. Bush ist ein Spiegel alles Banalen, Korrupten und Verlogenen in der amerikanischen Gesellschaft.

Das World Socialist Web Site ist nicht die einzige Publikation, der auffällt, dass Bush die personifizierte Mittelmäßigkeit ist. Die New York Times stellte in einem interessanten Profil des künftigen Kandidaten der Republikaner fest: "Mr. Bush ist ein beinahe zufälliger Kandidat, ein aufgeputzter, vergnügter Geselle, der sich den größten Teil seines Lebens treiben ließ und der in den Vereinigten Staaten weitgehend unbekannt war, bevor er vor fünfeinhalb Jahren sein erstes politisches Amt übernahm. Dennoch liegt er jetzt in den Meinungsumfragen vorn und wird, falls er die Wahl gewinnt, auf weniger Erfahrung in öffentlichen Ämtern zurückblicken, als jeder Präsident im vergangenen Jahrhundert.

Mr. Bushs ungewöhnliche Laufbahn bringt es auch mit sich, dass er nach wie vor ein von Paradoxen umhülltes Rätsel darstellt. Es wäre übertrieben, ihn den großen Unbekannten der Republikanischen Partei zu nennen, aber seine Überzeugungen und sein Führungsstil - welche Art Präsident er eben sein würde - liegen noch weitgehend im Dunkeln."

Die Verfasser dieses Artikels, bürgerliche Berufsjournalisten, kehren wiederholt zu dieser Anomalie zurück: ein im wesentlichen unpolitischer Mann, der auf das höchste Staatsamt zusteuert. Sie zitieren, wie der Sprecher seines Vaters im Amt des Präsidenten, Marlin Fitzwater, George W. Bush in den frühen neunziger Jahren charakterisierte:

"George W. zeigte so gut wie nie Interesse an Politik. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir uns jemals über Politik unterhalten hätten... George W. verhielt sich derart unpolitisch gegenüber der Präsidentschaft und der Familie, dass ich schockiert war, als er für das Amt des Gouverneurs kandidierte."

Der Artikel fährt fort:

"Als er 1978 erfolglos für den Kongress kandidierte, so erzählen seine Freunde, tat er dies nicht aufgrund etwaigen tiefer ideologischer Überzeugungen, sondern weil er meinte, es wäre cool, Kongressabgeordneter zu sein.

Im Erwachsenenleben stellt Erfolg in der Politik eine der sichersten Garantien dar, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen und die lautesten Lacher für seine Witze zu ernten. Zu dieser Rolle fühlt sich Mr. Bush offenbar hingezogen - weil er sie genießt und sehr gut beherrscht, weniger wegen seiner politischen Überzeugungen."

Dann folgt die bissige Beobachtung:

"Mr. Bush gibt sich entschieden anti-intellektuell. Wenig deutet darauf hin, dass er über eine durchdachte politische Philosophie verfügt. Er ergeht sich über viele Fragen und witzelt oft, dass er nur die Zusammenfassung des Vorstands lese und sich den langen Bericht spare. Er ist also zwar kein unbeschriebenes, aber ein ziemlich unleserlich beschriebenes Blatt.

Selbst George W.s Bruder, der Gouverneur von Florida Jeb Bush, sagte in einem Fernsehinterview während des Parteitags der Republikaner, er hätte noch vor einem Jahr nicht geglaubt, dass sein Bruder zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner werden könnte.

Das einzige, wodurch sich George W. Bush auszeichnet, ist sein Familienname. Doch auch wenn man in Rechnung stellt, dass politische Inzucht in der amerikanischen Politik schon lange gang und gäbe ist, fällt die plötzliche Prominenz des jüngeren Bush-Sohns aus dem Rahmen. Das gegenwärtige Klima ist so beschaffen, dass allein der Markenname Bush George W. zur begehrtesten Handelsware der Politik machte.

Die Vermarktungsstrategie hängt an dem verschwommenen Slogan "leidenschaftlicher Konservativer". Doch George W. Bushs Biographie lässt nicht erkennen, dass er in seinem Leben jemals etwas mit Leidenschaft betrieben hätte, seien es die Saufgelage seiner College-Zeit oder die Geschäfts- und Gouverneurstätigkeit in Texas. Bekanntlich fanden unter seiner Amtsführung in Texas mehr als 130 Hinrichtungen statt. Er legte viel Mitgefühl für die Konzerne und die Reichen an den Tag, denen er Steuergeschenke und Abstriche bei den Umwelt- und Sicherheitsauflagen gewährte, doch er widersetzte sich jeglichen Maßnahmen, die das Schicksal der Armen erleichtert hätten. Der "leidenschaftliche Konservativismus" besteht nur in salzigen Krokodilstränen für diejenigen, die unter seiner eigenen rechten Politik zu leiden haben.

Wie konnte diese Nullität in den Mittelpunkt der amerikanischen Politik geraten, und was verrät seine Kandidatur über die Zustände in den USA? Den Konzernvertretern, die seine Kandidatur unterstützen, mag das Fehlen einer ausgearbeiteten politischen Perspektive als Vorzug gelten, der Bushs Eignung als ihre Marionette unterstreicht. Ein derart oberflächlicher Mann dürfte leicht zu manipulieren sein. Doch auf einer grundlegenderen Ebene muss der Aufstieg George W. Bushs objektive Tendenzen in der amerikanischen Gesellschaft und Politik zum Ausdruck bringen.

Die Bewohner des Weißen Hauses sind durchaus nicht immer distinguierte Persönlichkeiten gewesen. Doch in Perioden, die von Überfluss und Exzessen geprägt waren - wie die zwanziger Jahre und die letzten beiden Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts - sowie in Perioden, während derer wachsende Widersprüche auf eine große Krise zutrieben - wie in den 1850er Jahren vor dem amerikanischen Bürgerkrieg - zogen häufig mittelmäßige Figuren in den Präsidentensitz ein.

Auf der anderen Seite stellt man fest, dass die amerikanische herrschende Klasse in manchen Krisenzeigen auch außerordentlich starke Charaktere für das Weiße Haus fand. Jedem Präsidenten obliegt die Verteidigung der grundlegenden Interessen des amerikanischen Kapitalismus im Innern und im Ausland. Doch einige brachten politisches Kapital aus langjähriger Erfahrung in der Politik zum Tragen, eine wirkliche Kenntnis der internationalen Angelegenheiten, literarisches Talent oder eine gewisse rednerische Begabung. Andere hatten, in Friedens- oder Kriegszeiten, persönliche Schwierigkeiten erfahren, die ihren Charakter gefestigt und sie darauf vorbereitet hatten, die Leitung des amerikanischen Kapitalismus zu übernehmen.

Man denke an Theodore Roosevelt, einen Politiker und Kriegshelden, der Amerikas Aufstieg zur imperialistischen Macht anführte und erkannte, dass man die Macht der Großkonzerne einschränken musste, um das Profitsystem langfristig abzusichern. Woodrow Wilson hatte sich vor seinem Einzug in das Weiße Haus als Verfassungsgelehrter einen Namen gemacht und führte die USA in den Ersten Weltkrieg. Franklin Roosevelt verfügte über Jahre der Erfahrung sowohl in der Politik des Staates New York als auch auf Bundesebene; hinzu kam die moralische Stärke, die er im Kampf gegen eine Lähmung gewonnen hatte, bevor er 1933 das Präsidentenamt übernahm. Eisenhower besaß, wie er während des Zweiten Weltkriegs bewies, ein ausgeprägtes Organisationstalent und war eine gestandenere Figur, als der golfspielende Dilettant, als den man ihn später darstellte. Selbst Kennedy konnte sich als Kriegsheld gerieren und auf vierzehn Jahre im Kongress verweisen, bevor er Präsident wurde. Wie die jüngst freigegebenen Protokolle der Kubakrise beweisen, war Kennedy ein ausgesprochen fähiger Politiker.

Wissen, Erfahrung und die Fähigkeit, eine Situation in ihren Feinheiten und ihrer Komplexität zu erfassen, sind für das Präsidentenamt außerordentlich wichtig. Unwissenheit, Unerfahrenheit und Kurzsichtigkeit an der Staatspitze hingegen bergen große Gefahren nicht nur für die amerikanische herrschende Klasse, sondern für die ganze Welt.

In Bush überschneiden sich zwei parallele Prozesse - der Zerfall der alten politischen Eliten und der Aufstieg eines neuen, zutiefst reaktionären Elements in den Reihen der Reichen und Privilegierten.

Die vergangenen zwei Jahrzehnte wurden Zeuge eines unverkennbaren Niedergangs der bürgerlichen Parteien und Politiker nicht nur in Amerika, sondern weltweit. Es waren Jahrzehnte eines umfassenden gesellschaftlichen Wandels, der sich vor allem durch das Anwachsen der sozialen Ungleichheit und die kolossale Bereicherung einer schmalen Schicht an der Spitze der Wirtschaftsleiter auszeichnete. Je mehr sich die Kluft zwischen der privilegierten Elite und den Massen verbreiterte, desto schmaler wurde die soziale Basis der bürgerlichen Parteien. Die beiden Parteien des amerikanischen Kapitalismus, die Demokraten und die Republikaner, haben sich immer mehr von der allgemeinen Bevölkerung abgeschottet.

Das Resultat war, dass selbst jene grundlegenden Fähigkeiten, die man früher einem politischen Führer abverlangt hätte - die Fähigkeit, Bündnisse aufzubauen und mit breiteren Schichten der Bevölkerung umzugehen - entwertet wurden. Heute werden Politiker von ganz engen Kreisen auserkoren und plump vermarktet. George W. Bush ist hier das beste Beispiel. Er hatte seine Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner schon unter Dach und Fach, bevor die breite Mehrheit der Amerikaner überhaupt von seiner Existenz erfahren hatte.

Gleichzeitig haben sich auch innerhalb der herrschenden Elite bedeutende Veränderungen vollzogen. Der ausgedehnte Börsenboom und das allgemeine Klima ungehemmter Spekulation haben eine zusätzliche neureiche Schicht in die Reihen der Reichen und Mächtigen geschwemmt. Diese Leute haben in kurzer Frist atemberaubende Reichtümer zusammengerafft, ohne jemals Unternehmen mit wirklicher Substanz aufgebaut zu haben.

Solche Individuen mussten sich niemals der Herausforderung stellen, in schwierigen Zeiten ein Unternehmen zu leiten und über Wasser zu halten. Reich wurden sie durch das Steigen der Börsenkurse und die Billionensummen, die in die Wall Street flossen. Sie verfügen über keine Tradition oder Vision, die über ihre unmittelbaren Interessen hinausginge.

Nicht wenige haben riesige Vermögen angehäuft, ohne zu wissen, wie ihnen eigentlich geschah. Selbst jene, die über ein gewisses geschäftliches Talent verfügen, eine Begabung für Programmierung haben oder wissen, wie man einen schlauen Einfall zu Geld macht, sehen selten über ihr beschränktes Aktionsfeld hinaus. Ihr Verständnis von Gesellschaft und Politik ist rudimentär.

Aufgrund ihres Reichtums können solche Leute dennoch bedeutende Spieler auf dem Feld der Politik werden. Doch auch auf diesem Gebiet lassen sie sich von kurzfristigen Interessen leiten, nicht von einem umfassenderen, weitsichtigeren Verständnis der Interessen des amerikanischen Kapitalismus.

Bush ist in hohem Maße das Sprachrohr solcher Kräfte. Obwohl er aus einer Familie mit politischer Tradition stammt, deckt sich seine Laufbahn weitgehend mit der Erfahrung jener Gesellschaftsschicht, die in der Periode des Spekulationsbooms in die herrschende Elite aufstieg. Wenn der Parteitag des Privilegs und der Raffgier, der vergangene Woche in Philadelphia zusammentrat, sich zu Bush hingezogen fühlte, dann deshalb, weil die Delegierten in dem texanischen Gouverneur sich selbst wiedererkannten.

Die Geschichte der USA beweist jedoch, dass nichts ungestraft bleibt. Man kann nicht endlos mit den sozialen Widersprüchen der amerikanischen Gesellschaft spielen, ohne dass man sie früher oder später unsanft zu spüren bekommt.

Der Kurseinbruch bei den Internet-Aktien hat kürzlich bereits angekündigt, was bevorsteht. Sobald die überhöhten Bewertungen der Wunderfirmen des Internets in Frage gestellt werden und die Unternehmen einen Gewinn erwirtschaften müssen, um die Preise ihrer Aktien zu rechtfertigen, brechen die Kurse ein und die Stars der Märkte von gestern werden zu den Bankrotteuren von heute.

Ein ähnliches Schicksal winkt den aufgeblähten Produkten der politischen Spekulation wie George W. Bush. Ob er der nächste Präsident wird oder nicht, bleibt abzuwarten. Doch allein die Tatsache, dass ein solcher Mann von einer der beiden großen kapitalistischen Parteien ausersehen wird, das in sozialer Hinsicht unberechenbarste Land der Erde zu lenken, bezeugt das Ausmaß der politischen Krise in den USA.

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