Erklärung der Socialist Equality Party der Vereinigten Staaten von Amerika

Die Arbeiterklasse und die amerikanischen Wahlen 2000

Die gesellschaftlichen Veränderungen hinter der amerikanischen Politik

Zu Beginn ihrer Endphase hat die Präsidentschaftskampagne in den Vereinigten Staaten einmal mehr den tiefen Graben offengelegt, der zwischen dem politischen Zweiparteiensystem und der breiten Mehrheit der amerikanischen Wählerschaft besteht. Ungeachtet Hunderter Millionen Dollars, die in die Werbekampagnen des republikanischen Gouverneurs George W. Bush und des demokratischen Vizepräsidenten Al Gore fließen, kann keiner der zwei Kandidaten ernsthaft behaupten, er genieße breite öffentliche Unterstützung. Die Wähler vertrauen weder den Kandidaten noch ihren Parteien.

Der Wahlkampf ist diesmal mehr als sonst eine Übung in Schönfärberei, Irreführung und offenem Betrug. Bei allem Werben um die Unterstützung der Öffentlichkeit verbergen doch beide Kandidaten nach Möglichkeit die wahren politischen und ökonomischen Interessen, denen ihre Parteien dienen. Weder Gore noch Bush können offen aussprechen, welche politische Realität ihrem Wahlkampf zugrunde liegt. Werden doch nach der Wahl vom 7. November nicht ihre Wahlversprechen die Politik der neuen Regierung bestimmen, sondern die Interessen der Konzerne, welche sowohl die demokratische als auch republikanische Kandidatur finanzieren.

Kurz vor den Wahlen steigen die Anzeichen einer Wirtschaftskrise: steigende Ölpreise, eine Welle von Entlassungen und Hinweise auf eine Verlangsamung des Weltwirtschaftswachstums, die ein Ende jenes Booms ankündigt, der durch massives Investieren von Risikokapital genährt wurde, das aber auf Dauer nicht zu halten ist. Die weitsichtigeren ökonomischen Analysten warnen davor, dass internationale wirtschaftliche Spannungen ein Katalysator für eine ernsthafte Rezession - und sogar Depression - in den USA werden könnten. Trotz des Anscheins von Prosperität, warnte Business Week in seiner Ausgabe vom 2. Oktober, "lauern Risiken hinter jeder Ecke der Weltwirtschaft. ... Die Frage ist jetzt, ob die Weltwirtschaft Belastungen ausgesetzt wird, die sich potentiell zu wirklichen Problemen auswachsen können."

Ob die vielzitierte Prosperität in den unmittelbar auf die Novemberwahlen folgenden Monaten in einen Zusammenbruch mündet oder nicht - es wird bereits allgemein anerkannt, dass die Vorteile des Wirtschaftswachstums der letzten zehn Jahre überwiegend den reichsten fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung zugute gekommen sind. Soziale Gegensätze und Probleme, die sich in zwanzig Jahren politischer Reaktion aufgestaut haben, kommen jetzt zum Ausbruch und verändern die politische Landschaft Amerikas.

Auf die Wahlen wird eine Zeit tiefer sozialer Spannungen und Klassenkonflikte folgen. Ob die nächste Regierung von einem Präsidenten Gore oder einem Präsidenten Bush geführt wird - sie wird versuchen, die ganze Last der Krise auf den Rücken der Arbeiterklasse abzuwälzen.

Aber auch die Wahl eines der Kandidaten der zwei kleinen Parteien wäre keineswegs eine wirkliche Alternative zu den Demokraten oder den Republikanern. Der Kandidat der Reformpartei, Patrick Buchanan, ist ein rechter Nationalist, der versucht, den politischen Boden für eine faschistische Bewegung zu bereiten, ähnlich den rassistischen und einwanderungsfeindlichen Parteien der Rechtsextremen in Europa. Ralph Nader von der Grünen Partei nährt die Illusion, dass die liberale Reformpolitik, die heute von den Demokraten zurückgewiesen wird, wieder zum Leben erweckt werden könnte, würde man nur Druck auf die amerikanischen Konzernspitzen ausüben. Gleichzeitig appelliert er an die gleichen nationalistischen Gefühle, die das A und O von Buchanans Wahlkampf sind.

Alle Kandidaten versuchen, die fundamentale Wahrheit zu verbergen, dass die Ursache der sozialen Kluft zwischen der privilegierten Elite und den breiten Massen der arbeitenden Bevölkerung das Profitsystem selbst ist.

Je näher der Wahltag rückt, desto mehr geraten Arbeiter unter Druck, für "das kleinere Übel" zu stimmen - was laut der Gewerkschaftsbürokratie der Demokrat Gore ist. Die Socialist Equality Party weist diese Perspektive zurück. Die Arbeiterklasse muss in erster Linie damit beginnen, die Lehren aus Jahrzehnten politischer Unterordnung unter die Demokratische Partei zu ziehen.

Die vergangenen acht Jahre demokratischer Präsidentschaft unter Bill Clinton haben die Nutzlosigkeit aller Versuche gezeigt, innerhalb des kapitalistischen Zweiparteiensystems eine progressive Antwort auf soziale Ungleichheit, Militarismus und die Unterhöhlung demokratischer Rechte zu finden.

Die Socialist Equality Party widmet sich dem Aufbau einer tatsächlichen Alternative für die arbeitende Bevölkerung und stützt sich dabei auf ihr internationales Instrument der politischen Analyse, das World Socialist Web Site. Die entscheidende Frage, die sich in den Wahlen 2000 stellt, ist die nach einer unabhängigen politischen Organisation der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines egalitären, demokratischen und sozialistischen Programms.

Soziale Spannungen unter der Oberfläche

Bei den US-Wahlen 2000 fällt besonders auf, dass die demokratische und die republikanische Partei offenbar zu ihrer eigenen Überraschung erkannt haben, dass die überwältigende Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung aus Arbeitern und Angestellten besteht, die wenig oder keinen Vorteil aus dem Börsenboom der letzten zehn Jahre gezogen haben.

Nach zwanzig Jahren, in denen beide Parteien eine Politik der Steuersenkungen für die Reichen, Haushaltskürzungen bei Programmen für Arbeiter und Arme und eine generelle Umverteilung des Reichtums von unten nach oben betrieben haben - alles im Namen der Vorherrschaft des kapitalistischen Marktes - , wetteifern der Demokrat Al Gore und der Republikaner George W. Bush darum, sich den Wählern als Vorkämpfer der Interessen des "hart arbeitenden und für alles bezahlenden" kleinen Mannes zu präsentieren.

Stunde für Stunde senden besonders die Medien der großen Bundesstaaten im industriellen Mittelwesten der USA Werbespots, die sowohl die demokratische als auch die republikanische Partei - beide vom Geldadel der amerikanischen Gesellschaft ausgehalten und kontrolliert - als wahre Volkstribune anpreisen.

Vizepräsident Gore liegt den Umfragen zufolge vorne, seitdem er sich auf dem Wahlparteitag der Demokraten in die Pose eines populistischen Gegners der mächtigen Konzerninteressen geworfen hatte. Der demokratische Kandidat geißelte die republikanischen Steuersenkungspläne als Bonanza für die Reichen, während er sich selbst zum Kämpfer für "Arbeiterfamilien" hochstilisierte.

Gore widmete im September eine ganze Woche einer tagtäglichen vernichtenden Kritik an den unpopulärsten Wirtschaftszweigen - der Gesundheitsindustrie, der Pharmaindustrie, der Tabakindustrie - und forderte schließlich die Freigabe von Öl aus der nationalen Ölreserve, um der Preistreiberei der großen Ölgesellschaften zu begegnen.

Bush, der Gouverneur aus Texas, führt seine Kampagne für die republikanische Partei unter dem Slogan eines "mitfühlenden Konservatismus" und versucht den Eindruck zu erwecken, er unterscheide sich von anderen Führern des republikanischen Kongresses dadurch, dass ihm Menschen in Not nicht gleichgültig sind. Mit seinen Vorschlägen für eine bessere Bildung, für Zuschüsse bei Medikamenten für Rentner und Verbesserungen bei der Sozialhilfe wetteifert er mit den Demokraten.

Als er in den Umfragen zurückfiel, modelte Bush seinen Steuerplan um und bezeichnete dieses schamlose Geschenk an die Reichen, als "Hilfsplan für die Mittelklasse". Auf republikanischen Wahlversammlungen und in Werbesendungen werden jetzt regelmäßig Familien mit einem Jahreseinkommen von um die 40.000 Dollar gezeigt, die erzählen, wie sie vom Bush-Plan profitieren werden.

Ähnliche Appelle finden bei den gegenwärtigen Kongressanhörungen zum Reifenkonzern Firestone statt. Einer nach dem anderen - Demokraten und Republikaner - geißeln die Habsucht der Konzerne, obwohl die gleichen Politiker die Deregulierungsmaßnahmen der achtziger und neunziger Jahre unterstützt haben, die das Desaster mit den geplatzten Reifen überhaupt erst verursacht haben.

Im Wettlauf um das Repräsentantenhaus und den Senat mäßigen die Kandidaten beider Parteien ihre übliche Law-and-Order Demagogie, ihr patriotisches Fahnenschwenken und ihre Angriffe auf Sozialhilfeempfänger und präsentieren sich ganz neu als Anwälte einer bezahlbaren Gesundheitsfürsorge und mehr Ausgaben für die Bildung, die Umwelt und eine soziale Infrastruktur.

Das Schauspiel der zwei milliardenschweren Sprösslinge der herrschenden Klasse mutet wie eine Farce an, in der sich beide, der eine Sohn eines Senators, der andere Sohn eines Präsidenten, als Vorkämpfer der Arbeiterklasse präsentieren. Aber es reicht nicht, diese plötzliche Wende im Focus amerikanischer Politik lediglich als zynischen Wahlwerbetrick abzutun.

Die Anstrengungen beider Parteien, sich mit wirtschaftlichen und sozialen Themen an die Arbeiterklasse zu wenden, zeigt eine tiefe Nervosität des politischen Establishments. Beide Parteien des Kapitals reagieren auf eine Änderung in der öffentlichen Stimmungslage, die sich unter der Oberfläche des offiziellen politischen Lebens vollzieht - und die beide fürchten.

Die Rechtswende der vergangenen zwanzig Jahre war so ausgeprägt, dass Liberalismus, die vorherrschende politische Philosophie des bürgerlichen Establishments seit den Tagen des Franklin Roosevelt, in der offiziellen Politik zu einem Schimpfwort wurde, während jede Kritik an der Kluft zwischen Reich und Arm schon beinahe als Verrat galt.

Die populistischen Merkmale der Kampagne 2000 haben eine große objektive Bedeutung. In einem politischen System, das lange Zeit weltweit am weitesten von Klassenfragen entfernt war, wo große Summen für Medienkampagnen ausgegeben wurden, um die öffentliche Meinung zu desorientieren und zu manipulieren, ist es unmöglich geworden, die Diskrepanz zwischen der offiziellen Darstellung des allgemeinen Wohlstands und der Lebensrealität der großen Mehrheit noch länger zu verschweigen.

Als Ergebnis merkt man dem Wahlkampf Anzeichen einer gewissen Spannung, ja Krise an. Die alten rechten Rezepte, die die öffentliche Meinung noch in den achtziger und neunziger Jahren verwirren konnten, haben nicht mehr die gleiche Wirkung. Republikanische Kandidaten und rechte Gastgeber der Talkshows beklagen gleichermaßen, dass sich, wie einer es ausdrückte, "keiner mehr für Steuersenkungen interessiert".

Die soziale Krise vertieft sich

Im politischen Leben Amerikas kommen nun die wahren ökonomischen Gegensätze und Klassenspannungen ans Licht. Unter den großen Industrieländern zeichnen sich die Vereinigten Staaten durch die bei weitem stärkste soziale Polarisierung und den tiefsten Graben zwischen Reich und Arm aus - oder genauer gesagt: zwischen den Reichen und allen andern.

Während des längsten Wirtschaftsbooms der amerikanischen Geschichte hat der Lebensstandard der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung entweder stagniert, oder er ist gefallen. Seit den siebziger Jahren haben die Reallöhne sowohl für Arbeiter wie auch für Angestellte ständig abgenommen, während sich das Wirtschaftswachstum mehr als verdreifacht hat. Die arbeitende Bevölkerung produziert mehr und mehr Wohlstand, aber sie hat immer weniger davon. Für die meisten Familien bedeutet das, dass sie länger arbeiten müssen und gleichzeitig immer tiefer in Schulden versinken, um gerade mal die Rechnungen bezahlen zu können. Für die Schwächsten der Gesellschaft sind die Konsequenzen noch härter: Armut, Obdachlosigkeit, Hunger, faktisches Analphabetentum.

Es ist nicht bloß die Frage eines relativen, oder selbst absoluten Niedergangs des Einkommensniveaus von Millionen amerikanischer Familien. In Wirklichkeit geht es um einen erschreckenden Zerfall der sozialen Infrastruktur und des tagtäglichen Funktionierens der Gesellschaft: Das staatliche Bildungssystem versinkt in der Krise, die medizinische Versorgung wird zusehends abgebaut und überdies ständig teurer, und die Transportsysteme zerfallen - was sich in heruntergekommenen Straßen, explodierenden Autoreifen und einem Luftverkehrswesen äußert, das vor dem Kollaps steht.

Fast täglich dokumentieren neue Berichte von Sozialämtern und privaten Fürsorgestellen die soziale Krise:

- Eine Studie vom 10. September fand heraus, dass im reichsten Land der Welt dreißig Prozent der Kinder von Alleinerziehenden von Hunger bedroht sind.

- Ein Bericht in der New York Times vom 17. September enthüllte, gestützt auf statistische Daten, dass das Durchschnittseinkommen der unteren neunzig Prozent der Bevölkerung in zehn Jahren nur um 1,6 Prozent angestiegen ist, während das oberste ein Prozent einen Zuwachs um 89 Prozent verzeichnen konnte.

- Die Studie eines Mietervereins vom 20. September stellte fest, dass ein Arbeiter mit dem gesetzlichen Mindestlohn sich nirgendwo in den Vereinigten Staaten eine "bescheidene" Dreizimmerwohnung leisten könnte.

- Die Veröffentlichung der Liste des Jahres von Forbes 400 am 22. September, eine Auflistung der reichsten Individuen Amerikas, die meisten von ihnen Milliardäre, unterstreicht den starken Gegensatz zwischen der Anhäufung von Reichtum am oberen Ende und der Verschlechterung der Bedingungen für die breite Mehrheit der Bevölkerung.

Ein Pressebericht über die soziale Spaltung in Amerika führte vor kurzem Daten über Steuerzahlungen auf, um zu demonstrieren, dass "die wachsende Flut der Bits und Bytes die Yachten weit stärker in die Höhe hebt als die Ruderboote". Solche Berichte lassen eine entscheidende Frage aus: Was ist das für ein Wirtschafts-"Boom", der nur eine relativ kleine Gruppe begünstigt und so viele auf der Strecke lässt? In welchem Sinn kann man überhaupt von wirtschaftlichem Fortschritt sprechen, wenn die Arbeiter, die den Reichtum schaffen, immer härter kämpfen müssen, um zu überleben?

Weder Gore noch Bush möchten solche Fragen diskutieren. Beide sind Zeit ihre Lebens glühende Verteidiger des Profitsystems gewesen. Wenn die Frage der sozialen Ungleichheit ins Zentrum der Kampagne 2000 rückt, dann nicht weil die demokratischen und republikanischen Politiker das wollten, sondern weil sich die objektiven Widersprüche in der amerikanischen Gesellschaft zugespitzt haben. Unabhängig davon, welcher Kandidat die Wahlen gewinnt, sind die Weichen für das Aufbrechen explosiver politischer und sozialer Konflikte unter der nächsten Regierung gestellt.

Ein Vierteljahrhundert Angriffe auf Arbeiter

Es gibt einen grundlegenden Widerspruch in der Haltung gespielter Sympathie für Arbeiter, die beide Parteien an den Tag legen. Die Kampagne 2000 findet nach einem Vierteljahrhundert statt, das von harten Angriffen beider Parteien auf die Arbeiterklasse gezeichnet war. Die Demokraten und die Republikaner sprechen über zunehmend schwierige soziale Bedingungen, ohne zu erwähnen, dass diese Bedingungen das Ergebnis einer Politik sind, die sämtliche sich abwechselnden demokratischen und republikanischen Regierungen seit den siebziger Jahren verfolgt haben. Sie scheinen auf eine Art politischen Gedächtnisschwund der amerikanischen Bevölkerung zu rechnen.

Bush beklagt den Zustand des Bildungswesens; aber die republikanische Partei hat die Krise der staatlichen Schulen mit Haushaltskürzungen auf Bundes- und Landesebene und durch ihr Bündnis mit den rechtextremen und fundamentalistischen Gruppen, die das staatliche Bildungssystem überhaupt zerstören wollen, selbst verschärft. Gore beteuert seine Besorgnis über die Millionen, die keine Gesundheitsversorgung erhalten, während er die Bilanz der Clinton-Gore-Regierung außen vor lässt, die eine Zunahme der nicht versicherten Menschen von 38 Millionen auf 44 Millionen verzeichnet.

Die demagogischen Schuldzuweisungen der beiden großen Parteien können ihre gemeinsame Verantwortung für die Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung nicht verdecken. Seit der Demokrat Jimmy Carter 1976 zum Präsidenten gewählt wurde, hatten die Demokraten und die Republikaner jeweils zwölf Jahre lang die Kontrolle im Weißen Haus. In achtzehn der letzten zwanzig Jahre hat die eine Partei die Präsidentschaft innegehabt, während die andere eins oder beide Häuser des Kongresses kontrollierte. Trotz aller gegenseitigen Attacken haben die Demokraten und Republikaner ein gemeinsames Programm durchgeführt: Sie haben die reiche Elite, die eine kleine Prozentzahl der Bevölkerung ausmacht, auf Kosten aller anderen bereichert.

Dieser Prozess begann während Carters Präsidentschaft, als die Konzerne versuchten, die Klassenbeziehungen nach den sozialen Explosionen und politischen Wirbelstürmen der sechziger und frühen siebziger Jahre neu zu ordnen. Konfrontiert mit einem verschärften internationalen Wettbewerb forderte das kapitalistische Amerika freie Hand, um die Arbeitswelt umzukrempeln und eine Erhöhung des Arbeitstempos und andere Maßnahmen zur Erhöhung der Produktivität einzuführen. Die hauptsächliche Waffe gegen die Arbeiterklasse war die absichtliche Schaffung von Massenarbeitslosigkeit, um den Widerstand der Arbeiter gegen die verschärfte Ausbeutung zu schwächen.

Carter berief den Wall Street Bankier, Paul Volcker, an die Spitze der Zentralbank Federal Reserve Board, und beauftragte ihn damit, eine straffe Geldpolitik einzuführen, die darin gipfelte, dass die Zinssätze über zwanzig Prozent stiegen. Volckers Maßnahmen brachten die gewünschten Resultate: eine tiefe Rezession und ein scharfes Ansteigen der Arbeitslosigkeit.

Carter überwachte die Rettung von Chrysler, in der zum erstenmal eine große Gewerkschaft, die United Auto Workers, unter der Drohung von Betriebsschließungen und massiven Stellenstreichungen Lohnsenkungen und einer Verschärfung des Arbeitstempos zustimmte. Seine Regierung führte auch die Deregulierung der Flugzeugindustrie ein - an deren Spitze der liberale Demokrat Edward Kennedy stand -, die erste einer Reihe von Maßnahmen, die auf eine Arbeits-"Flexibilisierung" und die Abschaffung konzerneigener Einrichtungen für Gesundheit und Sicherheit, Umwelt- und Konsumentenschutz abzielten.

In den achtziger Jahren kam die Wahl von Ronald Reagan, und es begann ein Frontalangriff auf die Arbeiterklasse sowohl im Inland als auch im Ausland. Reagan setzte die größten Steuersenkungen der Geschichte für Reiche durch, während er eine enorme Aufstockung des Verteidigungshaushalts einführte, die zwei Ziele verfolgte: die Sowjetunion, Washingtons Rivalen im Kalten Krieg, in den Bankrott zu treiben und die Ressourcen der amerikanischen Regierung aufzubrauchen, so dass für ein nennenswertes Niveau an Sozialausgaben keine Mittel mehr übrigblieben

Die Reagan-Regierung brach eine größere Konfrontation mit den Gewerkschaften vom Zaun, indem sie absichtlich einen Streik der Fluglotsengewerkschaft PATCO provozierte, alle Streikenden entließ, die Streikführer verhaftete und die Gewerkschaft finanziell ruinierte. Das Ziel war eine große, sichtbare Niederlage der Arbeiterbewegung, um seitens der Bundesregierung in allen Bereichen der Wirtschaft einen rücksichtslosen Schlag gegen Streikende durch Entlassungen, Verhaftungen und die finanzielle Ruinierung ihrer Organisationen durch Geldstrafen zu legitimieren. PATCO lieferte den Auftakt für eine ganze Reihe von Schlägen gegen die Gewerkschaft und von Lohnsenkungen durch mächtige Konzerne wie Phelps Dodge, Greyhound, Continental Airlines, Hormel und Dutzende anderer, wie es sie seit einem halben Jahrhundert nicht gegeben hatte.

Diese Angriffe wurden von der AFL-CIO sanktioniert, die mit den Unternehmern zusammenarbeitete, um die Arbeiter, die an Streiks oder Aussperrungen beteiligt waren, zu isolieren und ihre Kämpfe zu sabotieren. Es war ihr Ziel, Arbeiter zu demoralisieren und den Einfluss der einfachen Mitglieder in den Gewerkschaften zu schwächen. Während die Mitgliedschaft der Gewerkschaften, die Häufigkeit der Streiks und das Niveau der Reallöhne ständig abnahmen, stieg das Einkommen der Gewerkschaftsbürokratie und festigte sich die Macht der Funktionäre.

Die politische Wende der frühen achtziger Jahre beendete nicht nur den jahrzehntelangen sozialen Konsens gegen das "union-busting", d. h. gegen die Zerschlagung von Gewerkschaften. Sie machte auch mit der Vorstellung Schluss, die Politik der Regierung könne die schlimmsten Auswüchse des Kapitalismus durch eine Kontrolle der Kapitalisten abmildern und wenigstens minimale soziale Hilfe gewähren. Die Reagan-Regierung führte mit der Unterstützung des mehrheitlich demokratischen Kongresses eine Rekordkürzung der Unternehmens- und Einkommenssteuer durch, welche die Reichen stark begünstigte. Sie deregulierte ganze Zweige der amerikanischen Industrie und begann, die Sozialausgaben für die Armen massiv zu beschneiden. Das Ergebnis war ein explosives Anwachsen des Reichtums und Einkommens der obersten amerikanischen Gesellschaftsschicht und eine ständige Verschlechterung der Lebensbedingungen für Millionen der arbeitenden Bevölkerung.

Die Bereicherung der Wohlhabenden auf Kosten der gesamten übrigen amerikanischen Gesellschaft war weder ein Zufall, noch das unbeabsichtigte Resultat globaler Kräfte, die jenseits der Kontrolle der Politiker und Konzernchefs wirkten. Das bewusste Ziel der herrschenden politische Elite war die Beseitigung aller Hindernisse für den Profit der Konzerne und die persönliche Bereicherung. Subjektive Politik kam mit objektiven Prozessen zusammen, vor allem mit einer Umwälzung im Computerwesen und der Telekommunikation, so dass eine wachsende soziale Polarisierung entstand.

Von Reagan zu Clinton

Clintons Wahl 1992 war teilweise eine Reaktion der Bevölkerung auf über zehn Jahre Haushaltskürzungen, Lohnsenkungen und andere Angriffe auf die Arbeiterklasse. Aber die demokratische Partei, die 1992 an die Macht kam, hatte eine ganz andere Beziehung zum kapitalistischen Amerika als die demokratischen Regierungen des New Deal und der Ära der Great Society.

Clinton selbst stützte sich beim Kampf um die Nominierung für die Demokratische Präsidentschaft stark auf das Geld der Wall Street. Er war ein Mitbegründer des Democratic Leadership Council, einer Gruppe von Politikern, deren Aufgabe es war, in der demokratischen Partei ein rechteres Programm durchzusetzen; Versprechen auf bedeutende soziale Reformen und das Ziel einer größeren Gleichheit bei der Wohlstandsverteilung sollten getilgt werden, während die republikanische Demagogie in Fragen des Sozialstaates, der Kriminalität und einer starken Armee imitiert wurde.

Die acht Jahre der Clinton Regierung - sechs davon eine politische Kohabitation mit den Republikanern im Kongress - ermöglichten eine Orgie der Akkumulierung von Reichtum, die das "Jahrzehnt der Habsucht" der achtziger Jahre in den Schatten stellte. Nachdem Clinton seine einzige nennenswerte reformistische Initiative, die allgemeine Krankenversicherung, aufgegeben hatte, wurde seine Regierung durch die Wahl eines republikanischen Kongresses 1994 und die darauf folgende Serie konstruierter Untersuchungen paralysiert.

In einem Politikbereich erwies sich Clinton sogar noch aggressiver als seine Vorgänger. Die Clinton-Regierung eskalierte den Gebrauch militärischer Gewalt zur Unterstützung der wirtschaftlichen und strategischen Interessen des amerikanischen Kapitalismus auf der ganzen Welt. Unter Clinton wurden amerikanische Truppen zu Dutzenden von globalen Brennpunkten geschickt, und es hagelte US-Raketen auf sogenannte Schurkenstaaten vom Irak über Sudan und Afghanistan bis hin zu Jugoslawien. Clinton hat seinem Nachfolger eine Politik des intensiven Militarismus hinterlassen, die durch erhebliche Steigerungen der Militärausgaben in den letzten beiden Haushalten unterstrichen wurde.

Während er rücksichtslos die Interessen des amerikanischen Kapitals im Ausland verfolgte, beugte sich Clinton dem Diktat der herrschenden Schicht in Fragen der Sozialpolitik im Innern. In seiner Rede zur Lage der Union von 1995 erklärte er: "Die Ära der staatlichen Fürsorge ist vorbei". Er unterzeichnete 1996 das Gesetz, das die Sozialhilfe der Bundesregierung für alleinstehende Mütter eliminierte, die grausamste Sozialkürzung der letzten zwanzig Jahre. Sein Schatzkanzler Robert Rubin arbeitete eng mit dem Vorsitzenden der Bundesbank, Alan Greenspan, zusammen, um den Höhenflug der Börse von 1995-99 zu fördern, während dessen die Börsenpreise sich verdreifachten und beinahe über Nacht enorme Vermögen aus dem Boden gestampft wurden.

Weit davon entfernt, die Politik von Reagan und Bush umzudrehen, hat die Clinton-Gore Regierung eine immer extremere Konzentration des Reichtums in der Hand einer finanziellen Elite organisiert. Laut der Haushaltsabteilung des Kongresses, die von der Führung der Republikaner kontrolliert wird und wohl kaum eine Bastion des Egalitarismus darstellt, sind neun Zehntel des Wachstums des nationalen Reichtums in den letzen 25 Jahren dem reichsten einen Prozent der amerikanischen Bevölkerung zugefallen.

Die Sozialstruktur Amerikas im Jahr 2000

Das wesentliche Charakteristikum des heutigen Amerika, das in der Presse und offiziellen Politik nur äußerst zögerlich zugegeben wird, ist das Anwachsen wirtschaftlicher Ungleichheit in nie gekanntem Ausmaß. Ein Abgrund hat sich zwischen einer kleinen und fantastisch reichen Elite und der großen Mehrheit der Bevölkerung aufgetan, die von Lohnabrechnung zu Lohnabrechnung lebt. Keine der beiden Parteien kann sich dieser sozialen Realität ernsthaft stellen, weil sie beide das Wirtschaftssystem und die dafür verantwortliche Politik verteidigen.

Es ist in den Medien und der akademischen Welt Mode geworden, von den Vereinigten Staaten als einer "Gesellschaft von Aktienbesitzern" zu sprechen. Die Mehrheit der Amerikaner ist jetzt im Besitz von Aktien, so lautet das Argument, und darum nützt die Vervierfachung der Börsenkurse im vergangenen Jahrzehnt letzten Endes allen. Aber jede ernsthafte Untersuchung der US-Wirtschaftsstruktur beweist, dass der Finanzboom die soziale Polarisierung in Amerika dramatisch verschärft hat.

Die breite Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung ist ins Proletariat abgesunken. Diese Arbeiterfamilien sind vollkommen von ihren wöchentlichen, vierzehntägigen oder monatlichen Lohnzahlungen abhängig, wobei sie häufig an zwei oder sogar drei Arbeitsstellen schuften müssen. Auch wenn Angestellte und sogar einige Arbeiter ein paar Aktien in einem Renten- oder Versicherungsfond besitzen, sind sie deshalb noch lang nicht den großen Aktienbesitzern und Finanzinstituten vergleichbar, deren An- und Verkäufe die Wall Street bewegt. Für diese Arbeiter bedeutet das vielmehr, dass ihre Renten oder Lebensversicherungen vollkommen von den Unwägbarkeiten der Börse abhängen.

Die Gesellschaftsstruktur, die aus den achtziger und neunziger Jahren entstanden ist, ist ein bei weitem ungleicheres Amerika als die Gesellschaft, die vor 25 Jahren existierte. Die Geldsummen, die erfolgreiche oder auch weniger erfolgreiche Vorstandsmitglieder heute erhalten, wären vor einer Generation noch undenkbar gewesen. Es ist nicht nur das Ausmaß der Vermögen - zehn Milliarden Dollar, sogar fünfzig Milliarden Dollar, Summen, die den Haushalt der meisten amerikanischen Bundesstaaten übersteigen - sondern die Art und Weise, in der sie aufgehäuft werden.

Eine privilegierte Schicht wird immer reicher, während die Bevölkerungsmehrheit verarmt. Der Prozess wird noch durch die ständig intensivere Ausbeutung der Arbeiterklasse beschleunigt, wobei die Arbeitsproduktivität steigt, während die Reallöhne stagnieren. Das Ergebnis ist die wachsende Korruption und der innere Zerfall der ganzen Gesellschaft.

Die Akkumulation des Reichtums wird zunehmend von der aktuellen Warenproduktion und dem Arbeitsprozess abgekoppelt, und wer in der Lage ist, die Börsen und Geldmärkte erfolgreich zu manipulieren, gewinnt den größten Ertrag. Diese Trennung zwischen Profit und Produktion erscheint sogar innerhalb der Konzernstruktur, wo Vorstandsmitglieder ihre Vorzugsaktien dazu nutzen, ein derart gewaltiges persönliches Einkommen zu erreichen, dass sie langfristig zum Niedergang der Konzerne beitragen, in deren Diensten sie stehen.

Eine reiche und privilegierte Elite

An der Spitze der amerikanischen Gesellschaft befindet sich eine besitzende Klasse, die nach Vermögen und Einkommen reicher ist, als irgend eine andere der Geschichte. Das reichste eine Prozent der amerikanischen Haushalte hat ein Vermögen von über zehn Billionen Dollar angehäuft - zehn Millionen Millionen Dollar - das sind über vierzig Prozent des gesamten nationalen Reichtums. Der Nettobesitz dieser Multimillionäre übersteigt zusammen den gesamten Besitz der unteren 95 Prozent der Bevölkerung.

Seit Mitte der siebziger Jahre hat das oberste eine Prozent seinen Anteil am nationalen Wohlstand von unter zwanzig Prozent auf 38,9 Prozent verdoppelt; das ist die höchste Zahl seit 1929, dem Jahr des Börsenkrachs, der in die große Depression mündete. Laut einer weiteren Studie besitzt das reichste eine Prozent der Haushalte die Hälfte aller ausgegebenen Aktien, zwei Drittel aller Wertpapiere und über zwei Drittel der Konzernanteile.

Die Ungleichheit nach Einkommen ist ebenso krass wie die Ungleichheit nach Besitz. 1999 erzielte das reichste eine Prozent der Bevölkerung so viel Einkommen nach Steuern, wie die unteren 38 Prozent zusammen. Das heißt, die 2,7 Millionen Amerikaner mit den größten Einkommen erhielten genau so viel Einkommen nach Steuern wie die hundert Millionen Amerikaner mit den unteren Einkommen. Das durchschnittliche Jahreseinkommen nach Steuern des obersten einen Prozents ist seit 1977 um 370 Prozent angestiegen, von 234.700 Dollar auf 868.000 Dollar.

Knapp unterhalb der Superreichen ist eine etwas weniger reiche, aber immer noch außerordentlich privilegierte Schicht von Wohlhabenden. Diese vier Prozent der Bevölkerung besaßen 1998 21,3 Prozent des privaten Reichtums mit einem Durchschnittswert von 1,4 Millionen Dollar.

In der ganzen Periode von 1983 bis 1995 waren diese zwei Eliteschichten, die Reichen und die Superreichen, die zusammen die obersten fünf Prozent der Bevölkerung ausmachen, die einzigen Haushalte, deren Reichtum einen Nettozuwachs verzeichnen konnten. Diese Statistik ist es wert, noch einmal wiederholt zu werden: Während zwölf Jahren, während der (teilweisen) Amtszeit von Reagan, Bush und Clinton brachte das "Wunder des Marktes" 95 Prozent der amerikanischen Bevölkerung einen Nettoverlust, während nur die obersten fünf Prozent hinzugewonnen haben.

Während der neunziger Jahre ergriff eine wirklich wahnhafte Gier nach nicht erarbeitetem Einkommen die herrschende Klasse, die fühlte, dass sie von jeder wirksamen Einschränkung der Profitakkumulation befreit war. Der nackte Trieb nach persönlicher Bereicherung übersteigt alles, was man von vergangenen "Goldenen Zeitaltern" her kennt. Die Gehälter für Topmanager stiegen während der Clinton-Gore-Regierung um atemberaubende 535 Prozent. Der typische Konzernchef verdient das 475-fache Einkommen eines Durchschnittsarbeiters und das 728-fache Einkommen eines Arbeiters mit Mindestlohn. Wären die Löhne in den neunziger Jahren ebenso schnell gestiegen wie die Gehälter, Bonuszahlungen und Vorzugsaktien der Führungskräfte, dann hätte ein Durchschnittsarbeiter jetzt ein Jahreseinkommen von 114.000 Dollar im Jahr und der Mindestlohn läge bei 24 Dollar die Stunde.

Von Lohnabrechnung zu Lohnabrechnung leben

Am andern Pol der amerikanischen Gesellschaft sind die beinahe hundert Millionen Menschen zu finden, deren Existenz von Lohn oder Gehalt abhängig ist - die Arbeiterklasse, die große Mehrheit der Bevölkerung. Diese Arbeiter produzieren den atemberaubenden Reichtum der amerikanischen Gesellschaft, aber ihre eigenen Existenzbedingungen haben sich immer mehr verschlechtert, weil die Reallöhne ständig sinken und auch die immer längere Arbeitszeit nur noch zum Teil bezahlt wird.

Es gibt natürlich enorme Unterschiede im Lebensstandard, je nach Einkommen, Arbeitsbedingungen, Familienstruktur und Art des Arbeitsverhältnisses (Arbeiter können Vollzeit, Teilzeit, als Aushilfskraft, als Vertragsarbeiter etc. arbeiten), wie auch große Unterschiede im sozialen Bewusstsein. Aber trotz all dieser Verschiedenheiten und trotz der Tatsache, dass viele Arbeiter glauben, sie gehörten zur Mittelschicht, sind die überwältigende Mehrheit der Amerikaner lohnabhängige Arbeiter, die wenig oder kein Einkommen aus Zinserträgen erzielen.

Immer mehr Arbeiter sind buchstäblich ohne Eigentum. Zwischen 1983 und 1995 ist das durchschnittliche Nettovermögen der untersten vierzig Prozent der Haushalte um achtzig Prozent abgesunken, von 4.400 Dollar auf 900 Dollar. Für die untersten zwanzig Prozent liegt dieser Nettowert unter Null: Ihre Schulden übersteigen das, was sie besitzen, selbst wenn sie im eigenen Haus wohnen.

Das Einkommensniveau der ärmsten Schichten der Arbeiterklasse ist so niedrig, dass ihnen echter Mangel nicht nur droht, sondern sie diesen regelmäßig erfahren. Etwa 26 Prozent aller amerikanischen Arbeiter erhalten Löhne an der Armutsgrenze. Das Durchschnittseinkommen der ärmsten zwanzig Prozent der US Familien war im letzten Jahr nur bei 12.19990 Dollar, deutlich unterhalb der offiziellen Armutsgrenze. Die Bedingungen der Armen sind noch dadurch verschärft worden, dass seit 1996 die Sozialhilfe nicht mehr in Geld ausgezahlt wird und die Antragsteller von Lebensmittelmarken und medizinischen und anderen Hilfsleistungen oftmals erniedrigend behandelt werden.

Weitverbreitete Armut verursacht unzählige soziale Probleme in den Stadtzentren und auf dem Land, die sich mehr und mehr auch in den bessergestellten Vorstädten ausbreiten: das Aufbrechen der Familienstrukturen, häusliche Gewalt, Kriminalität, Drogenmissbrauch, Obdachlosigkeit. Eine Zahl straft die Behauptung, Amerika sei eine wohlhabende und gesunde Gesellschaft, mehr als alles andere Lügen: Über zwei Millionen Menschen sind zur Zeit in amerikanischen Gefängnissen eingesperrt, mehr als in jedem anderen industrialisierten Land und dreimal so viele wie vor nur zwanzig Jahren.

Unter den besser gestellten Schichten der Arbeiterklasse stagniert das Einkommen oder es nimmt ab - ein enormer Wechsel seit den Jahrzehnten des Wirtschaftsbooms, der auf den zweiten Weltkrieg folgte. In der Jahren 1947-79 verdoppelte sich das Durchschnittseinkommen jeder Schicht der amerikanischen Bevölkerung, von der ärmsten bis zur reichsten. Von 1979 bis 1998 erlebten die obersten zwanzig Prozent einen Einkommenszuwachs von 38 Prozent (64 Prozent für das oberste eine Prozent), während die untersten zwanzig Prozent einen Rückgang ihres Realeinkommens um fünf Prozent erleben mussten. Die dazwischen liegenden Schichten erfuhren höchstens kleine Zuwächse.

Selbst Familien mit zwei Einkommen, die ein Bruttoeinkommen von über 100.000 Dollar verzeichnen, besitzen oftmals nur ihr Haus, das dazu normalerweise noch mit hohen Hypotheken belastet ist, und haben sehr wenig oder keine Ersparnisse. Laut einer Studie haben die mittleren zwanzig Prozent der Gehaltsempfänger (angeblich Teil der Mittelschicht) gerade genug Ersparnisse, um ihren gewohnten Lebensstandard 1,2 Monate aufrecht zu erhalten, falls sie plötzlich ihre Arbeit verlieren (oder genug, um während 1,8 Monaten entsprechend dem Armutsniveau weiter zu konsumieren).

Während das Einkommen abgenommen hat, ist der Konsum bis jetzt gleich geblieben, wobei die Differenz durch Kredite ausgeglichen wird. Die Verschuldung der Haushalte ist im Verhältnis zum persönlichen Einkommen von 58 Prozent im Jahr 1973 auf fast hundert Prozent im Jahr 2000 angestiegen. Wie ein Analyst bemerkte: "Familien nutzen jetzt steuerbegünstigte Hypotheken und Eigenheim-Kredite, um ihren normalen Konsum zu finanzieren."

Eine Studie des Instituts für Wirtschaftspolitik zeigte vor kurzem, wie Arbeiter versucht haben, den Rückgang ihrer Einkommen durch längere Arbeitzeiten auszugleichen. 1998 arbeitete die Durchschnittsfamilie mit Kindern 83 Wochen pro Jahr, im Gegensatz zu 68 Wochen im Jahr 1969, was vor allem ein Ergebnis der Ausdehnung der Arbeitszeit berufstätiger Mütter ist. Amerikanische Arbeiter müssen länger arbeiten als Arbeiter in jedem anderen hochindustrialisierten Land und haben weniger Ferien und Freizeit.

Der Niedergang der Mittelschichten

Zwischen der herrschenden Klasse und der Arbeiterklasse gibt es eine umfangreiche Mittelschicht, die jedoch ständig abnimmt. Der Niedergang der amerikanischen Mittelschichten ist eins der wichtigsten - und am wenigsten untersuchten - sozialen Phänomene. Dutzende Millionen Amerikaner, die einmal relativ gute soziale Positionen bekleideten - kleine Geschäftsleute, Bauern mit eigenem Familienbetrieb, unabhängige Spezialisten, mittlere Manager -, mussten erleben, wie ihre Existenzbedingungen sich drastisch verschlechterten, während eine relativ kleine Zahl sich enorm bereicherte und durch den Börsenboom korrumpiert wurde.

Konzerne, die in den achtziger Jahren ihre Belegschaften im gewerblichen Bereich drastisch abbauten, wandten sich in den Neunzigern gegen ihre Angestellten und mittleren Manager und zerstörten so die Illusion, dass ein Arbeitsplatz in einem Großkonzern lebenslange Sicherheit bedeute. Millionen Angestellte und Techniker wurden plötzlich entlassen oder in die Scheinselbständigkeit gezwungen, wobei sich ihre "Selbständigkeit" nur auf die fehlende Arbeitsplatzsicherheit und betriebliche Vergünstigungen bezieht.

Trotz des Höhenflugs an den Finanzmärkten haben die Bankrotte von Privatpersonen und kleinen Unternehmen ständig zugenommen. Die Zahl der bäuerlichen Familienbetriebe ist unter zwei Millionen abgesunken - das ist weniger, als Gefangene in den amerikanischen Gefängnissen sitzen. Restaurants, Gemischtwarenhandlungen und Tante-Emma-Läden wurden durch Schnellimbissketten, Supermärkte und Großkaufhäuser wie Wal-Mart verdrängt, heute mit 800.000 Niedriglohnbeschäftigten der größte Arbeitgeber der USA. Und während vierzehn Millionen Menschen in der jüngsten US Wirtschaftsstatistik als "Selbständige" geführt werden, übersteigt das Durchschnittseinkommen dieser "Geschäftsleute" kaum 30.000 Dollar im Jahr, was bedeutet, dass die meisten von ihnen nicht einmal ein Einkommen oberhalb der Armutsgrenze haben.

Der Niedergang der Mittelschichten hat klare politische Konsequenzen. Ein ansehnlicher und florierender Mittelschichten-Puffer war immer die wichtigste soziale Stütze der kapitalistischen Demokratie. Eine solche Schicht hatte die Funktion, die erbitterten Gegensätze abzumildern, die durch die gesellschaftliche Spaltung zwischen den Arbeitern, die den Reichtum produzieren, und den ihn besitzenden Kapitalisten entstanden. Ohne diesen sozialen Puffer entwickeln sich die Klassenkonflikte im Kapitalismus unausweichlich zum Ausbruch offener Kämpfe.

Ein großer Teil der amerikanischen Mittelschichten ist während der letzten zehn Jahre ins Proletariat abgesunken, während eine privilegierte Minderheit besonders der leitenden Angestellten und Akademiker, die früher die wichtigsten Träger des politischen Liberalismus waren, durch den Börsenboom korrumpiert wurden und scharf nach rechts gegangen sind.

Die Krise des politischen Systems

Die tiefe Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft zwischen einer reichen Elite und der breiten Bevölkerung ist die eigentliche Wurzel des Niedergangs des politischen Systems. Es ist weithin anerkannt, dass die zwei alten Parteien ebenso wie die Wahlen, die sie unter sich ausmachen, ziemlich heruntergekommen sind. Uralte und zunehmend sinnentleerte Rituale - die Vorwahlen, die Kongresse, die TV-Debatten - werden als demokratische Fassade einer Gesellschaft aufrechterhalten, die eher der klassischen Definition einer Oligarchie entspricht.

Im dritten Buch seiner "Politika" schreibt Aristoteles: "Tyrannei ist die Herrschaft eines Mannes, die diesem einen Herrscher nützt, Oligarchie die Herrschaft, die den Reichen nützt, Demokratie die Herrschaft, die den Armen nützt." Dabei handelte es sich nicht um äußere Formen - zum Beispiel, ob gewählt wurde oder nicht. Der griechische Philosoph schrieb: "Der wirkliche Unterschied zwischen Demokratie und Oligarchie ist Armut und Reichtum."

An diesem Maßstab gemessen sind die Vereinigten Staaten nur in einem ganz formalen Sinn eine Demokratie. Die Reichen kontrollieren das Zweiparteiensystem und sie diktieren die Politik, von der sie selbst unmittelbar und umgehend profitieren. Deshalb auch das Schauspiel einer starken Kongressmehrheit, die der Abschaffung der Steuern für Landgüter, die nur von ein paar Tausend Multimillionären bezahlt werden, begeistert zustimmt, während sie eine Anhebung des Mindestlohns vereitelt, von der zwanzig Millionen Arbeiter profitieren würden.

Die Spaltung zwischen den offiziellen politischen Strukturen und den breiten Massen der amerikanischen Bevölkerung hat sich nicht über Nacht ergeben, sondern ist das Ergebnis eines langen Niedergangs. In den letzten 25 Jahren haben sich beide kapitalistischen Parteien scharf nach rechts entwickelt und es aufgegeben, sich auch nur im mindesten um die Bedürfnisse der Arbeiter zu sorgen; stattdessen rutschen sie vor der Wall Street und den großen amerikanischen Konzernen auf den Knien.

Die republikanische Partei, früher die Partei des Finanzestablishments im Osten, wird heute weitgehend von Rassisten aus dem Süden, christlichen Fundamentalisten und fanatischen Ideologen des freien Marktes kontrolliert - Elementen, die man früher als den spinnerten äußersten Rand rechter Politik in Amerika betrachtet hätte. Die demokratische Partei hat die liberale Reformpolitik aufgegeben, die mit Roosevelts New Deal verbunden war, und steht jetzt für eine Politik, die früher von ihren republikanischen Gegnern vertreten wurde - Steuerkonservatismus, Law-and-Order Demagogie und moralistische Frömmelei.

Das Ausmaß dieser Entfremdung wird durch eine simple Tatsache ausgedrückt: Wenig mehr als vierzig Prozent derjenigen, die wählen dürfen, werden am 7. November zur Urne gehen. Der Präsident der Vereinigten Staaten und die Mehrheit des frisch gewählten Repräsentantenhauses und des Senats werden nur von einem kleinen Teil des Volkes gewählt. Diejenigen, die zur Wahl gehen, werden die privilegiertesten Schichten überproportional repräsentieren. Die Wahlbeteiligung der Jungen, Armen und Benachteiligten ist so niedrig, dass sie in der Regel von den Umfragen und Kampagnenspezialisten im Auftrag der Demokraten und der Republikaner gar nicht berücksichtigt wird.

Während das Gros der Bevölkerung die Wahlen ignoriert oder boykottiert, gibt die herrschende Klasse immer größere Summen für die Beeinflussung des Ergebnisses aus. Der Wahlkampf 1996 war der erste, der mehr als zwei Milliarden Dollar kostete. Der Wahlkampf 2000 wird voraussichtlich über drei Milliarden Dollar verschlingen, vor allem durch eine TV-Werbeschlacht, in der beide Seiten die Fernsehkanäle mit Entstellungen, Demagogie und Schlammschlachten übersättigen.

Es gilt als völlig normal, dass das Rennen um einen Sitz im Repräsentantenhaus eine Kriegskasse von über einer Million Dollar voraussetzt. Der Wettbewerb um den Senat erfordert in manchen größeren Staaten von jeder Partei Ausgaben von zwanzig Millionen oder mehr, wie zum Beispiel der Kampf Hillary Clintons um den Sitz für New York. Im Präsidentschaftswahlkampf werden für die demokratischen und republikanischen Kandidaten je über fünfhundert Millionen ausgegeben. Diese atemberaubenden Ausgaben scheinen nach den Gesetzen der Grenznutzentheorie abzulaufen. Je verschwenderischer die Wahlkämpfe finanziert werden, desto weniger öffentliche Begeisterung oder auch nur Interesse rufen sie wach.

Das Ergebnis ist ein enormes politisches Vakuum auf der Linken, welches das ganze amerikanische politische Leben verzerrt. Und das mehr als fünfzig Jahre, nachdem die Hexenjagd eines McCarthy versuchte, die Befürworter sozialistischer Politik in Amerika zu kriminalisieren. Selbst Liberalismus ist inzwischen ein Schimpfwort und das Spektrum öffentlicher Politik reicht vom "gemäßigten" Konservatismus eines Clinton und Gore bis zur halb-faschistischen Politik eines Newt Gingrich, Jesse Helms und Tom DeLay.

Worum kämpfen die zwei Parteien?

Innerhalb des Zweiparteiensystems gibt es keinen progressiven Ausweg aus dem fundamentalen Antagonismus zwischen den Massen der arbeitenden Bevölkerung und der privilegierten Klasse. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es keine Konflikte innerhalb des politischen Establishments gäbe. Weil es keine ernsthaften Diskussion über soziale Themen von breiter Bedeutung für die Bevölkerung gibt, beherrscht eine erbitterte Schlacht zwischen den rivalisierenden Fraktionen der Geldelite das politische System.

Dieser Kampf wird immer rasender und zügelloser, je mehr sich die herrschenden Kreise von jeder öffentlichen Kontrolle befreit fühlen. Deshalb initiierten rechtsextreme Elemente, die durch die Wahl Clintons 1992 erschüttert und über seine milden reformistischen Vorschläge zum Gesundheits- und Steuerwesen erbost waren, eine politische Destabilisierungskampagne und legten durch die Whitewater-Untersuchung die Arbeit der Regierung lahm. Dies gipfelte schließlich mit dem Monica-Lewinsky-Skandal im Versuch, einen gewählten Präsidenten durch eine Verschwörung rechtsextremer Unternehmer, Richter, Führungsmitglieder der Kongressrepublikaner und des Büros des Sonderermittlers Kenneth Starr zu entmachten.

Das Amtsenthebungsverfahren scheiterte, nicht weil die Demokraten ihm irgend einen nennenswerten Widerstand entgegengesetzt hätten, sondern wegen der überwältigenden Opposition der Öffentlichkeit gegen den Versuch, mittels eines konstruierten Sex-Skandals das Ergebnis zweier Wahlen auf den Kopf zu stellen. Beide Parteien waren über das Ergebnis der Kongresswahlen 1998 schockiert, als die Republikaner wegen ihrer Zustimmung zum Amtsenthebungsverfahren Sitze verloren. Heute, im Wahlkampf 2000, versuchen beide Parteien, eine offene Diskussion über das Amtsenthebungsverfahren und die Bedeutung dieses gescheiterten politischen Staatsstreichs zu vermeiden.

Was sind eigentlich, abgesehen von der ganzen Wahlagitation und Demagogie, die wirklichen Differenzen zwischen der republikanischen und der demokratischen Partei?

Das Ziel der republikanischen Partei und des Bush-Lagers ist die Beseitigung aller Hindernisse für die Anhäufung persönlichen Reichtums. Sie repräsentiert die selbstsüchtigste, habgierigste, egoistischste und kurzsichtigste Schicht der herrschenden Klasse.

Es war schon erstaunlich, dass sowohl Bush als auch die Führung der Republikaner im Kongress versucht hatten, um öffentliche Unterstützung für die Eliminierung der Steuer für Landgüter zu werben, die jährlich nur einige wenige Tausende der reichsten Familien betrifft. Die Erbschaftssteuer und ihre Ergänzung, die progressive Einkommenssteuer, waren in der Fortschrittsära des frühen zwanzigsten Jahrhunderts eingeführt worden. Der Grund für diese Maßnahmen waren Bedenken, dass eine übermäßige Konzentration des Reichtums eine Gefahr für die Demokratie mit sich bringen könnte. Heute stehen die wenigen verbliebenen Hindernisse für eine Konsolidierung der Finanzaristokratie unter Beschuss.

Das Gore-Lager und die demokratische Partei repräsentieren Schichten der herrschenden Klasse, die sich weniger auf unmittelbaren Genuss und Anhäufung von Reichtum konzentrieren, weil sie in ihrer Verteidigung des Profitsystems etwas weitsichtiger sind. Sie wollen an der Macht bleiben und nicht nur heute, sondern auch morgen noch Macht und Wohlstand genießen; deshalb bestehen sie darauf, der Regierung einige Mittel zu belassen und für die Bereitstellung eines sozialen Sicherheitsventils abzuzweigen.

Gores Demagogie nach dem Motto "Für die kleinen Leute und nicht die Privilegierten" ist seine Anerkennung, dass der Kapitalismus ohne ein gewisses Maß an öffentlicher Unterstützung nicht überleben kann, wie sehr diese Unterstützung auch auf Illusionen und falsche Hoffnungen gegründet sein mag. Sein Populismus ist genau dosiert und sorgfältig gesteuert. Nur besonders ausgesuchte Industrien werden aufs Korn genommen, während die Struktur der Konzernherrschaft insgesamt intakt bleibt. Bezeichnenderweise genießt Gore, wie auch schon Clinton 1992 und 1996, beträchtliche Unterstützung unter den reichsten Kapitalisten an der Wall Street.

Das Dilemma besteht für die herrschende Klasse darin, dass keine der zwei Alternativen einen Ausweg aus den steigenden Widersprüchen des amerikanischen Kapitalismus darstellt. Wenn Bushs Politik eine Art Altersvergesslichkeit der herrschenden Klasse darstellt, die an ihrem eigenen Reichtum erstickt, ist diejenige von Gore nichts weiter als eine Selbsttäuschung.

Auch wenn man zugeben wollte, dass Gores Sympathieäußerungen für den kleinen Mann echt wären (eine Ansicht, die wir nicht teilen), würde trotzdem jeder Versuch einer Gore-Lieberman-Regierung, selbst ihr nur schwach reformistisches Programm umzusetzen, auf den wütenden Widerstand der Elite in Wirtschaft und Politik stoßen.

Man muss sich nur an die wütende Reaktion in den herrschenden Kreisen über die winzige Erhöhung der Steuersätze für Millionäre in Clintons Haushalt von 1993 erinnern, die ohne eine einzige republikanische Stimme im Kongress verabschiedet wurde. Diese Maßnahme löste eine beinahe hysterische Reaktion auf der Kommentarseite des Wall Street Journals aus und bereitete den Weg für die politischen Provokationen, die schließlich im Amtsenthebungsverfahren gegen Clinton gipfelten.

Zudem beinhalten selbst die von Gore vorgeschlagenen, begrenzten Maßnahmen ernste politische Gefahren für die herrschende Klasse, weil sie im Volk Erwartungen wecken, die unter dem heutigen System nicht erfüllt werden können und Widerstand gegen die hemmungslose Machtausübung der Konzerne ermutigen. Es ist ein historisches Gesetz, dass ein schlechtes Regime dann am meisten in Gefahr gerät, wenn es sich zu reformieren versucht.

Amerika und der Weltkapitalismus

Im Kern ist es so, dass die Weltposition des amerikanischen Kapitalismus es einer bürgerlichen Regierung unmöglich macht, wirklich tragende Sozialreformen durchzusetzen. Die Vereinigten Staaten erfreuen sich nicht mehr, wie zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, einer relativen Unabhängigkeit vom Weltmarkt oder, wie in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts fast durchgehend, einer beherrschenden Position gegenüber ihren ausländischen Rivalen.

Der finanzielle Boom der neunziger Jahre beruhte weitgehend auf der Fähigkeit der USA, Auslandsinvestitionen anzuziehen, weil sie beim Arbeitsplatzabbau, der Beseitigung staatlicher Regulierung und der Zerstörung des Sozialstaats erfolgreicher als ihre europäischen und asiatischen Rivalen waren.

Die amerikanische Wirtschaft selbst ist zunehmend labil, nicht nur wegen der Unsicherheit an den Aktienbörsen, sondern auch wegen des stark wachsenden Handelsbilanzdefizits, das sich gegenwärtig auf 400 Mrd. Dollar pro Jahr beläuft. Neben dem ganzen Wahljubel über den Haushaltsüberschuss des Bundes hat es so gut wie keine Diskussion über das Haushaltsdefizit gegeben, das sehr schnell eine untragbare Last werden könnte, wenn ausländische Investoren begännen, sich aus dem US-Markt zurückzuziehen.

Amerika hat wie keine andere kapitalistische Demokratie der Welt sogar auf dem Höhepunkt seiner wirtschaftlichen Vorherrschaft allen Sozialreformen und jeglichem sozialen Fortschritt der Arbeiterklasse Widerstand geleistet. Es erforderte sechzig Jahre harter und blutiger Kämpfe der amerikanischen Arbeiter, um auch nur die minimalsten Gewerkschaftsrechte zu erstreiten. Selbst diese erforderten aufstandsähnliche Kämpfe, in denen Arbeiter zahlreiche Fabriken besetzten.

Der Kampf für die elementaren demokratischen Rechte der Schwarzen dauerte ein Jahrhundert, vom Ende des Bürgerkriegs bis zur Verabschiedung der Bürgerrechtsgesetze in den sechziger Jahren. Sie mussten gegen Lynchjustiz, Massenrepression und Mord durchgesetzt werden und wurden erst als Ergebnis der Ghettoaufstände erreicht. Das Sozialsystem, das schließlich als Ergebnis der Arbeits- und Bürgerrechtskämpfe geschaffen wurde, war auch dann noch das rudimentärste aller großen industrialisierten Länder.

So zu tun, als könnten Sozialreformen, sei es von einer demokratischen, sei es von einer republikanischen Regierung, heute in die Tat umgesetzt werden, da sich das ganze Gebäude des Börsenbooms auf die Zerstörung von Sozialprogrammen und die Verarmung immer breiterer Schichten der Arbeiterklasse stützt, ist eine grobe Täuschung. Die einzige Grundlage für eine neue Ära sozialen Fortschritts kann nur der unabhängige politische Kampf der Arbeiterklasse sein.

Feindschaft gegen die Macht der Konzerne

Die Bedingungen für eine unabhängige Bewegung der Arbeiter entwickeln sich schnell. Sowohl die Demokraten wie auch die Republikaner haben keinerlei wirkliche Massenbasis mehr. Es gibt eine tiefe Entfremdung in beiden Richtungen. Die herrschende Elite ist der Not der Massen gegenüber unempfindlich und weitgehend gleichgültig; und die Massen können das wahre Ausmaß des sozialen Grabens, der sich entwickelt hat, kaum ermessen. Was ihre politischen und sozialen Hoffnungen angeht, sprechen die zwei Hauptklassen nicht einmal die gleiche Sprache; daher die ständigen Fehleinschätzungen der öffentlichen Meinung durch die Medien und politischen Experten, damals im Amtsenthebungsverfahren und jetzt in den Präsidentschaftswahlen.

Der größte Teil der amerikanischen Bevölkerung steht nicht nur dem politischen System, sondern auch der gesamten kapitalistischen Machtstruktur in Amerika fremd gegenüber. Wie das Magazin Business Week vor kurzem in einer Titelstory über wachsende Ressentiments gegen große Konzerne bemerkte, spürt die große Mehrheit der Amerikaner eine tiefe Antipathie gegen die Macht des Kapitals.

Die weitsichtigeren Repräsentanten des kapitalistischen Systems äußern langsam Bedenken über diesen Trend. Der Vorsitzende der Zentralbank, Alan Greenspan, warnte vor kurzem in einer Rede auf einer internationalen Bankenkonferenz in Wyoming vor der öffentlichen "Unzufriedenheit über die Art und Weise, wie die Märkte den Reichtum verteilen". "Jedes nennenswerte Abweichen der Wirtschaftsleistung von dem in den letzten Jahre gesetzten Standard", so sagte er, "droht zu einem Wiederaufleben von Ressentiments gegen die marktorientierten Systeme zu führen."

Der Wahlkampf 2000 begann damit, dass beide Parteien den Börsenboom feierten, als wäre er gleichbedeutend mit allgemeinem Wohlstand und nicht bloß eine Bonanza für die privilegierte Minderheit. Während der ganzen Geschichte des Kapitalismus war noch jede spekulative Boomperiode durch wachsende Illusionen gekennzeichnet, der Wirtschaftskreislauf sei überwunden und das Profitsystem in eine neue Ära getreten, in der die Märkte nur noch nach oben gehen. Solche Träume, wenig mehr als eine Rechtfertigung für persönliche Habsucht, sind weitverbreitet. Aber in den letzten paar Monaten nahm die allgemeinen Selbstzufriedenheit allmählich ab, und damit verlor auch Bush seine Führungsposition in den Wahlumfragen.

Ein Wahlkampf, der bereits viele Drehungen und Wendungen erlebt hat, mag leicht noch weitere Erschütterungen mit sich bringen. Aber wie er auch immer enden wird, der wichtigste Punkt lautet: keiner der bürgerlichen Kandidaten und keine der Parteien hat eine Lösung für die immer tiefere soziale Krise. Die einzige realistische Prognose ist, dass die Nachwahlzeit von intensiven sozialen Unruhen geprägt sein wird, die schnell enorme Ausmaße annehmen werden, sobald die Wirtschaftslage sich verschlechtert.

Politik duldet wie die Natur kein Vakuum. Die Arbeiter von Amerika, die große Mehrheit der Bevölkerung, finden in dem bestehenden, völlig verknöcherten politischen System für ihre sozialen Interessen oder demokratischen Rechte keine Interessenvertreter. Wenn sie in soziale und politische Kämpfe gehen - was sie in der kommenden Periode unweigerlich tun werden - dann werden sie in eine Richtung vorwärtsgehen, die sie zu einem Bruch mit den alten Parteien und dem Aufbau einer neuen politischen Massenpartei der Arbeiterklasse führen wird.

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