Der BSE-Skandal in Deutschland weitet sich aus

Nachdem in den letzten Wochen sechs weitere Fälle der Rinderseuche BSE, fünf in Bayern und einer in Niedersachsen, aufgetreten sind, beläuft sich die Gesamtzahl der nachweislich erkrankten Tiere auf sieben. Am 4. Januar kamen zwei weitere "Verdachtsfälle" hinzu, ebenfalls in Bayern.

Ende November wurde in Deutschland der erste Fall von BSE nachgewiesen und beendete schlagartig die bis dahin aufrechterhaltene Illusion von einem "BSE-freien Land". Hektisch wurden einige im Grunde völlig unzureichende Maßnahmen verabschiedet, die sich immer mehr als Augenwischerei herausstellen. Immer klarer tritt zu Tage, dass die Verantwortlichen, allen voran die Bundesregierung, weder fähig noch willens sind, für die Sicherheit der Verbraucher zu sorgen. Daran ändern auch ständige Lippenbekenntnisse der Regierungsvertreter nichts, "nach Schwachstellen auf allen politischen Ebnen zu suchen" und den Kampf gegen die Rinderseuche zu verstärken, wie dies Kanzler Schröder in seiner Neujahrsansprache getan hat.

Auch die vom Bundeskanzler ernannte Sonderbeauftragte, die Rechnungshofpräsidentin Hedda von Wedel (CDU), dämpfte - kaum dass sie ihre Arbeit aufgenommen hatte - die Erwartungen an eine Behebung der "Schwachstellen", indem sie erklärte, "zersplitterte Zuständigkeiten" seien ein "sehr großes Problem bei der Bewältigung der Krise".

Bei genauerer Betrachtung erweisen sich die Lügen und gezielten Vertuschungen der letzten Jahre nicht als Schwachstelle oder Ausnahme, sondern als Regel. Im Mittelpunkt stehen hierbei genauso wie beim BSE-Skandal in Großbritannien die Profite der Fleisch- und Agrarlobby.

Nach dem zweiten BSE-Fall im Allgäu hatte eine EU-Kommission eine Rücknahme von Fleisch- und Wurstwaren angeregt, in deren Produktion möglicherweise Risikomaterialien wie Hirn oder Rückenmark eingeflossen sind. Bis zum Oktober sind in Deutschland auch diese Teile zur Herstellung von Lebensmitteln verwendet worden und aufgrund der langen Haltbarkeit der Produkte sind diese noch längere Zeit im Handel. Der Deutschen Gesellschaft für Ernährung nach werden für Würste und Leberwürste häufig Innereien verwendet, die ebenfalls ein hohes BSE-Risiko bergen. Abgesehen davon werden diese Bestandteile in der Wurst auch nicht immer deklariert. Bei einer Analyse von 600 deutschen Würsten konnten Forscher bei 20 Prozent der Mettwürste und zehn Prozent der Leberwürste Hirngewebe nachweisen, das jedoch nicht angegeben war.

Die Aufforderung der EU-Kommission, alle Rindfleischprodukte, die Risikomaterialien enthalten, vom Markt zu nehmen, stieß beim Bundesgesundheitsministerium auf taube Ohren. Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) leugnete schlichtweg die Verarbeitung von Risikomaterialien und sprach sich gegen eine Rückholaktion aus. Agrarstaatssekretär Martin Wille erklärte am selben Tag, man könne Wurst unbedenklich kaufen. Fischer stellte sich damit konsequent auf die Seite der Lebensmittelindustrie. Diese sieht im Zusammenhang mit der Rinderseuche nur "Panikmache", wie der Leiter der Zentrale der Lebensmittelindustrie der deutschen Agrarwirtschaft Michael Vogt erklärte.

Aber bereits einen Tag nach diesen Äußerungen gestand das Gesundheitsministerium ein, Fehler gemacht zu haben. Inzwischen war bekannt geworden, dass eine Warnung der Bundesanstalt für Fleischforschung zehn Tage dem Ministerium vorgelegen hatte, ohne dass sie beachtet worden war. Die Bundesanstalt für Fleischforschung hatte eindringlich vor der möglichen Gefahr einer BSE-Kontaminierung von Wurstwaren durch Seperatorenfleisch (maschinell von der Wirbelsäule abgetrenntes Fleisch) gewarnt.

Gesundheitsministerium und das Landwirtschaftsministerium unter Minister Karl-Heinz Funke (SPD) rechneten, wie nun bekannt wurde, bereits seit dem Frühjahr mit dem Auftreten von BSE. Am 13. April hatten Experten das Landwirtschaftsministerium bei einer Arbeitskreissitzung, bei der auch Vertreter des Gesundheitsministeriums anwesend waren, auf das Auftreten von BSE-Fällen vorbereitet und zur Ergreifung geeigneter Maßnahmen aufgefordert. Funke ließ angeblich sogar einen Krisenplan für das Auftreten des ersten Falles erarbeiten. Die Experten bemängelten auch die zu geringe Anzahl der Tests und wiesen auf die mögliche Gefahr einer Übertragung der Seuche auf Schafe hin. In der Öffentlichkeit beteuerte Funke noch im November, dass in Deutschland keine BSE-Gefahr bestehe.

Auch bezüglich der Beimengung von Tiermehl in Futtermittel war das Bundeslandwirtschaftsministerium bereits frühzeitig darüber informiert, dass hier Verstöße gegen geltendes EU-Recht an der Tagesordnung sind. In Bayern beispielsweise wurde 1999 in 75 Prozent der Futtermittelproben Tiermehl entdeckt. Anfang Oktober erhielt das Landwirtschaftsministerium darüber einen Bericht von EU-Inspektoren, die auf gravierende Mängel und Versäumnisse bei den Futtermittelkontrollen aufmerksam machten, besonders in Bayern.

Aus Bayern stammten fünf der sieben an BSE erkrankten Rinder und dort wurde offensichtlich auch am sorglosesten mit der Rinderseuche umgegangen. Im August letzten Jahres, als es bereits genug Anzeichen für BSE in Deutschland gab, wehrten sich Gesundheitsministerin Barbara Stamm und Landwirtschaftsminister Josef Miller (beide CSU) gegen eine EU-Richtlinie, die Risikomaterial aus dem Produktionsprozess ausschließen sollte. Dies sei eine "unzumutbare Beeinträchtigung" für Bauern und Metzger.

Aber auch in anderen Bundesländern wird das Futtermittelverbot permanent unterlaufen, und das ist nicht die einzige kriminelle Methode, die die Lebensmittelindustrie anwendet, um ihren Verlust möglichst gering zu halten. Fast im gesamten Bundesgebiet wurden bei Stichproben falsch deklarierte Wurstwaren ausfindig gemacht. Fleischwaren wurden als "rindfleischfrei" angepriesen, enthielten jedoch Rindfleisch.

Derweil ruft die BSE-Krise die Auswirkungen hervor, gegen die die Lebensmittelindustrie- und Agrarlobby so vehement ankämpft, wobei sie buchstäblich über Leichen geht. Österreich hat bereits ein Importverbot für deutsches Rindfleisch verhängt und in Belgien und Holland wurden deutsche Rindfleischprodukte aus den Geschäften entfernt. Gebietsweise ist in Deutschland der Rindfleischmarkt nahezu zum Erliegen gekommen.

Siehe auch:
Erste Fälle von BSE in Deutschland
(12. Dezember 2000)
Britische Regierung spricht von 250.000 möglichen Todesfällen durch Creutzfeld-Jakob-Krankheit
( 14. November 2000)
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