Ein Briefwechsel zu Timothy McVeigh dem Bombenleger von Oklahoma City

An den Herausgeber:

Betrifft David Walshs pseudo-intellektuelle Analyse zu Tim McVeigh. ["Der Werdegang eines Massenmörders"]

Ich könnte lachen, nur will Walsh wohl ernst genommen werden und das Thema ist tragisch. Ich warte auf den nächsten Artikel von Walsh, in dem er erklärt, welcher verkommene Hintergrund und welche gesellschaftlichen Bedingungen die nächsten sozialistischen Terroristen oder die nächste sozialistische Regierung zu Massenmorden veranlasst haben.

McVeigh ist kein "Opfer" einer verdorbenen Gesellschaft oder verdorbener gesellschaftlicher Bedingungen. Er ist ein Mann mit einem unabhängigen, freien Willen, der den Gang seines Lebens und seine Handlungen bestimmt. Er hätte zu jedem Zeitpunkt im Laufe seines Lebens sein Schicksal ändern können. Er hätte nach seiner Dienstzeit bei der Armee nicht in die wirtschaftlich schwierigen Bedingungen im Bundesstaat New York zurückkehren müssen: Er hätte in hundert andere Regionen ziehen können, wo die Wirtschaft im Aufschwung war. Er hätte auf Kosten des Steuerzahlers zur Schule gehen und eine Ausbildung für einen profitablen und lohnenden Job in der neuen Technologiebranche erhalten können. Er hätte im letzten Augenblick Reue zeigen und den Laster irgendwo in einen See fahren können. Er hätte die ultrarechten Überzeugungen, die er vertreten hat, nicht glauben müssen und persönliche Heilung finden können. Er hätte...

McVeigh als Opfer mag den Sozialisten in ihr Programm passen. McVeigh als rechter Verschwörer passt ihnen vielleicht noch besser. McVeigh als benachteiligtes Opfer der kapitalistischen Ausbeutung passt ihnen vielleicht am besten - aber das ist alles Unsinn. McVeigh, ein menschliches Wesen, hat sich entschlossen, ein Massenmörder zu werden. Er entschloss sich, gegen sein Gewissen zu handeln. Er entschloss sich, sich der Welt mitzuteilen und zu ihr beizutragen, indem er 168 Leute umbrachte, die ihm persönlich nichts getan hatten und noch nicht mal sehr repräsentativ waren für die Leute und die Regierung, die er nach eigenem Bekenntnis hasst.

Linksextreme und Rechtsextreme haben im Kern denselben Antrieb: Hass. Das mag Hass gegenüber den "Privilegierten" sein oder Hass gegenüber den "Liberalen". Das Problem liegt nicht in den grundlegenden gesellschaftlichen Strukturen, wie Marx und viele andere verkündet haben. Das Problem liegt in der grundlegenden Natur des Menschen und der Weigerung zu vieler Menschen, diesen Hass abzulehnen und mit Mitleid und fairen Mitteln für die Gerechtigkeit zu arbeiten. Natürlich ist es schneller und dramatischer, ein Gebäude in die Luft zu jagen oder eine Regierung zu stürzen. (Und im Fall des Faschismus 10 Millionen Menschen weltweit umzubringen oder so. Dann lasst uns aber auch nicht vergessen, dass der Kommunismus weltweit etwa 35 Millionen Menschen getötet hat.) Es ist viel schwieriger, sich mit friedlichen Mitteln für Gerechtigkeit einzusetzen. Das dauert länger und die Ergebnisse sind manchmal weniger unmittelbar. Es ist viel schwieriger, innerhalb von Gesellschaftssystemen zu arbeiten. Es ist viel schwieriger, das Beste am Kapitalismus zu erhalten und gleichzeitig das Beste an den sozialistischen Ideen in die Kultur zu tragen. Es ist leichter, ein Ideologe zu sein. Aber 168 Menschen könnten dann noch leben, lachen und lieben, wenn Tim McVeigh einen schwierigeren Weg genommen hätte an Stelle des leichten, gewalttätigen. Mehr Menschen werden sterben, wenn die Rechtsextremen und Linksextremen ihren Weg fortsetzen.

Wie wäre es, ab und an von der politischen Seifenkiste herunterzusteigen und an Stelle der Phrasendrescherei über das Böse in der jetzigen Gesellschaft mal auf die guten Sachen hinzuweisen und die Wege zu einem möglichen Wandel zu zeigen? Wie wäre es, wenn ihr eure Leser ermutigt, Verantwortung für ihre eigenen Handlungen und Umstände zu übernehmen, und aufhört nach jemandem Ausschau zu halten, dem ihr die Schuld geben könnt? Wie wäre es mit dem edlen Weg des aktiven und friedlichen persönlichen Wandels, anstatt mit dem Finger auf andere zu zeigen und sie um das zu beneiden, was sie erreicht haben? Wie wäre es mit einer Kolumne, in der der Weg des Hasses eindeutig abgelehnt wird? Prügelt auf die Rechte so viel ein, wie ihr wollt, aber wenn die Linke einen Tim McVeigh mit anderem Namen hervorbringt, dann tut nicht allzu überrascht. Tief im Inneren singen beide Seiten dasselbe Lied - und das ist kein gutes.

ER

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Lieber ER,

Sie schaffen es, in Ihrem Brief die Haltung des amerikanischen Spießbürgers zu jedem gesellschaftlichen Problem auf den Punkt zu bringen. Nach dieser Sichtweise machen die sozialen Rahmenbedingungen, in die Menschen hineingeboren werden, keinen Unterschied. Ob die Eltern eines Individuums Millionäre sind oder in Armut leben - er oder sie hat die gleichen Chancen im Leben. Wir sind alle freie Atome, und wir machen unseren Weg in der Gesellschaft frei nach unserem Willen. Niemand, der nur ein wenig intellektuelle Aufrichtigkeit besitzt, kann im Jahr 2001 so etwas schlucken.

Amerika ist eine stark gespaltene Klassengesellschaft. In unserer Wahlerklärung vom Oktober vergangenen Jahres stellten wir fest: "An der Spitze der amerikanischen Gesellschaft befindet sich eine besitzende Klasse, die nach Vermögen und Einkommen reicher ist, als irgendeine andere in der Geschichte. Das reichste eine Prozent der amerikanischen Haushalte hat ein Vermögen von zehn Billionen Dollar angehäuft - zehn Millionen Millionen Dollar - das sind über vierzig Prozent des gesamten nationalen Reichtums. Der Nettobesitz dieser Multimillionäre übersteigt zusammen den gesamten Besitz der unteren 95 Prozent der Bevölkerung." Am anderen Pol der Gesellschaft sieht es so aus: "Zwischen 1983 und 1995 ist das durchschnittliche Nettovermögen der untersten vierzig Prozent der Haushalte um achtzig Prozent gesunken, von 4.400 Dollar auf unter 900 Dollar. Für die untersten zwanzig Prozent liegt dieser Nettowert unter Null: Ihre Schulden übersteigen das, was sie besitzen, selbst wenn sie im eigenen Haus leben."

Wir haben für Timothy McVeigh keine Lanze gebrochen. Wir verachten die Ideologie, der er sich verschrieben hat. Aber es ist absurd, wenn man sich weigert etwas zu sehen, das offensichtlich ist - dass seine Tat von bestimmten wirtschaftlichen, politischen, ideologischen und kulturellen Entwicklungen bedingt wurde und letztendlich ein Produkt dieser Entwicklungen ist.

Wenn gesellschaftliche Rahmenbedingungen keine Folgen haben, warum hat der Bombenanschlag dann nicht vor 25 oder vor 50 Jahren stattgefunden? Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass jemand mit seinem sozialen oder familiären Hintergrund (Arbeiter in einer Autofabrik in der Industrieregion von Buffalo im Bundesstaat New York) zu diesen Zeitpunkten eine solche Tat auch nur in Erwägung gezogen hätte. Es brauchte ein starkes Anwachsen der sozialen Polarisierung und die politische Entfremdung, die im reaktionären Klima der 1980-er und 90-er Jahre mit ihr einher ging, um einen rechten Terroristen wie McVeigh hervorzubringen.

Niemand spricht McVeigh von seiner Verantwortung frei. Er traf gewisse Entscheidungen. Aber es bleibt die Tatsache bestehen, dass objektive gesellschaftliche Bedingungen, darunter auch die Förderung rechtsextremer Elemente durch das politische Establishment, "... es buchstäblich unvermeidlich [machten], dass irgend jemand eine Gräueltat wie den Bombenanschlag von Oklahoma City begehen würde", wie ich in meinem Artikel schrieb.

All Ihr Gerede über den nächsten "sozialistischen Terroristen" kann nicht die Tatsache verschleiern, dass der Bombenanschlag von einem Ultrarechten ausgeführt wurde und von niemandem sonst. Sozialisten lehnen den individuellen Terrorismus ab und kämpfen dafür, dass sich die Masse der arbeitenden Bevölkerung ihrer eigenen sozialen Interessen bewusst wird und die Gesellschaft kollektiv und mit Hilfe politischer Mittel umwandelt. Der "Kern" unseres "Antriebs", um ihren Ausdruck zu benutzen, ist nicht "Hass", sondern der Kampf für soziale Gleichheit und das Ende aller Formen der Ausbeutung.

"Wie wäre es, ab und an von der politischen Seifenkiste herunterzusteigen und an Stelle der Phrasendrescherei über das Böse in der jetzigen Gesellschaft mal auf die guten Sachen hinzuweisen und die Wege zu einem möglichen Wandel zu zeigen?" Hier werden Sie bemerkenswert ungenau. Sie geben uns keine Beispiele für die "guten Sachen", die wir im Zusammenhang mit der derzeitigen amerikanischen Gesellschaft hervorheben sollen. Ihre Unbestimmtheit ist jedoch verständlich angesichts der derzeitigen Lage, in der sich die Masse der Bevölkerung befindet. "Gute Sachen" sind größtenteils etwas, was den wenigen hoch Privilegierten vorbehalten bleibt.

Ganz nach der Art der Polemik, der sie frönen, beschuldigen sie uns dafür, dass wir ein politisches Programm haben. Natürlich haben wir ein politisches Programm, dass wir offen erklären. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass unsere Ansichten bloß subjektiv und ohne wissenschaftlichen Gehalt sind. Sie dagegen wollen uns glauben machen, dass Ihre antisozialistische und antihumanistische Hetze frei von Politik ist.

Sie sagen: "Das Problem liegt nicht in den grundlegenden gesellschaftlichen Strukturen, wie Marx und viele andere verkündet haben. Das Problem liegt in der grundlegenden Natur des Menschen..." Hier haben wir es wohl mit der Erbsünde zu tun. Wir lehnen solche religiösen Mystifikationen ab, die in ihrem Brief die Funktion erfüllen, den Status quo zu rechtfertigen. Die Vorstellung, dass es wegen der bösen Natur des Menschen unmöglich ist, die Gesellschaft zu verbessern, ist keinesfalls eine neue oder originelle Idee. Sie wird seit Jahrzehnten vorgebracht, um die Menschheit zu erniedrigen und zu leugnen, dass sie die Fähigkeit hat, die menschliche Gesellschaft zum Besseren zu verändern. Diese Ansicht ist vor allem in den letzten 20 und mehr Jahren auf offizieller Seite in Mode gekommen. Diese gänzlich ahistorische und unwissenschaftliche Vorstellung ist nicht nur eine Attacke gegen Marx, sondern ein Angriff auf die letzten 500 Jahre des progressiven Denkens.

Ihre Anschauung lässt sich vergleichen mit den Vorstellungen der Physik, Biologie und Medizin, die im Mittelalter vorherrschten. Ein Arzt, der heute auf einer solchen Grundlage behandeln würde, würde vor Gericht gestellt, weil er sich des medizinischen Betrugs und der Fahrlässigkeit schuldig gemacht hätte.

Es ist, um zum Schluss zu kommen, kein Zufall, dass Sie ihr Verständnis der menschlichen Natur anführen, um die gänzlich barbarische und mittelalterliche Praxis der Todesstrafe zu rechtfertigen.

David Walsh

Siehe auch:
Der Werdegang eines Massenmörders
(26. April 2001)
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