Marxismus und die AIDS-Dissidenten

Teil 2 - Wissenschaftliche Objektivität

Dies ist der zweite Teile einer Antwort von Chris Talbot auf eine Reihe von Briefen, die die Theorien der sogenannten Aids-Dissidenten unterstützen. Den Ersten Teil - Die Kritik der Dissidenten an den orthodoxen Aids-Theorien und die Briefe, auf die sich Talbot bezieht, haben wir am Samstag veröffentlicht. Der dritte Teil folgt morgen.

Um ein tieferes Verständnis der Fragen rund um Aids zu vermitteln und um zu verstehen, wie die Dissidenten-Gruppen entstanden sind, ist es für Marxisten unabdingbar, die Geschichte dieses Problems zu studieren, so wie es MS angedeutet hat. An dieser Stelle muss ich allerdings ihrer Auffassung deutlich widersprechen, dass es ausreiche, das Vorhandensein von wirtschaftlichen und Regierungsinteressen an einem Wissenschaftszweig nachzuweisen, um behaupten zu können, dass wissenschaftliche Resultate einfach erfunden seien. ("Und sie haben so angestrengt nach diesem Virus gesucht, dass sie ihn gefunden haben.") Noch deutlicher wird das in dem Brief von JF ausgedrückt - die Linke "versucht sich in die sogenannte objektive und sichere Welt der WISSENSCHAFT als Alternative zurückzuziehen". (Hervorhebung im Original)

Zu leugnen, dass es eine objektive Wahrheit überhaupt gibt, und zu postulieren, die Wissenschaft sei nur eine gesellschaftliche Erfindung, ist ziemlich in Mode gekommen, häufig in angeblich linken Zirkeln. Diese Herangehensweise ist nicht in der Lage, Wissenschaft von Ideologie oder von offenem Mystizismus zu unterscheiden. Historisch gesehen stellt die Leugnung der Objektivität, und nicht die Verteidigung der Wissenschaft durch Marxisten und progressive Denker im Allgemeinen, einen Rückzug dar. Als gesellschaftliches Phänomen führte diese stets zur Verteidigung der Reaktion und zur Unterdrückung der Suche nach Wahrheit. Als Beispiel sei hier die wissenschaftsfeindliche, mystische Welle angeführt, die selbst intellektuelle Kreise in Deutschland erfasste, bevor die Nazis an die Macht kamen, oder die Verfolgung von Wissenschaftlern und der Angriff auf ganze Zweige der Wissenschaft, wie der Genetik, im stalinistischen Russland. In unserer Epoche ging die Herausbildung des Postmodernismus mit einem Rückzug vom sozialistischen Denken und jeglichem Streben nach sozialen Verbesserungen einher.

Wenn wir akzeptieren, dass die Wissenschaft in der objektiven Wirklichkeit eine Grundlage hat, dann müssen wir deutlich zwischen der Gültigkeit oder Ungültigkeit eines speziellen Wissenschaftszweigs - in diesem Fall der molekularen Virusforschung - und dem geschichtlichen Kontext unterscheiden, in dem er sich entwickelt. So würde heute zum Beispiel niemand die Gültigkeit von Newtons Gravitationsgesetzen zur Berechnung der Umlaufbahn der Satelliten, Monde und Planeten in Zweifel ziehen. Aber wie alle wissenschaftlichen Theorien nähert sie sich der Wahrheit nur an. Betrachtet man Objekte, die sich fast mit Lichtgeschwindigkeit bewegen oder deren Gravitationsfelder besonders stark sind, benötigt man Einsteins Relativitätstheorie. Dennoch gibt es wohl wenige Menschen, welche die seltsamen religiösen Überzeugungen unterstützen oder auch nur verstehen würden, die das Motiv für Newtons Forschungen waren und einen großen Teil seiner Zeit beanspruchten.

Mehrere Briefe drücken die Überzeugung aus, es reiche schon, die Gier und das Streben nach Profit hinter der Arbeit spezieller Gruppen von Wissenschaftlern aufzuzeigen, um damit das Wissenschaftsgebiet, auf dem sie arbeiten, für unwissenschaftlich zu erklären. Es gibt in der Tat Fälle von Betrug, schlampiger Arbeit und viele Fälle, in denen aus den Ergebnissen der Wissenschaft Verwerfliches entsteht - wie giftige Chemikalien, gefährliche nicht getestete Medikamente oder sogar Nuklearwaffen. Das heißt jedoch nicht, dass die Chemie, Biochemie oder Atomphysik uns in irgendeiner Weise ein falsches Bild der Wirklichkeit zeigt.

Ich verwahre mich obendrein aufs Heftigste gegen die Ansicht, dass Wissenschaft und Technologie an sich die Ursache der Probleme unserer Epoche sind. Die Quelle dieser Probleme findet sich vielmehr im kapitalistischen Profitsystem. Die unwissenschaftlichen Fortschrittskonzepte, wie sie zum Beispiel von den Grünen vertreten werden, sind ein Versuch, in eine imaginäre, "sichere" vergangene Welt zurückzukehren. Die global organisierte moderne Technologie und Medizin - von der Produktion des Silikonchips bis zur Gentechnik - kann eine erfolgreiche Zukunft für die Menschheit sichern, wenn sie sich in gesellschaftlichem Besitz befindet und demokratisch kontrolliert wird. Das ist sicherlich eine Grundvoraussetzung des Marxismus.

Bevor ich mich mit der Geschichte der Aids-Krankheit beschäftige, möchte ich einen Überblick über die relevanten grundlegenden wissenschaftlichen Fakten geben. HIV ist eine besondere Art von Virus, auch Retrovirus genannt. Die Ursache der meisten Infektionen sind Viren oder Bakterien - zum Beispiel lösen Viren Masern, Windpocken und Mumps aus. Während Bakterien normalerweise Einzeller sind, die wachsen und sich teilen wie Zellen in der gesamten lebenden Materie, können Viren bis zu 500mal kleiner sein, und sie müssen in lebende Zellen eindringen, um zu überleben. Das genetische Material von Zellen ist in DNS-Molekülen enthalten. Die Information, die die DNS enthält, wird an die RNS weitergegeben, die wiederum dazu dient, die verschiedenen Arten von Proteinen zu produzieren, die es der Zelle ermöglichen, zu leben und sich zu reproduzieren. Im Gegensatz dazu besteht ein Virus aus der DNS, umgeben von einer schützenden Proteinhülle. Es dringt in eine Zelle ein, bemächtigt sich ihrer und produziert Tausende von neuen Viren.

Retroviren unterscheiden sich von den meisten Viren dadurch, dass nicht die DNS, sondern die RNS ihr genetisches Material ausmacht. Sie enthalten zusätzlich ein spezielles Enzym (ein Protein, das bei einer biochemischen Reaktion als Katalysator wirkt), das reverse Transkriptase genannt wird und den normalen zellularen Prozess, mit dem DNS in RNS verwandelt wird, umkehrt; dadurch werden DNS-Kopien der viralen RNS erstellt. Unter bestimmten Bedingungen wird diese "Betrüger"-DNS in die DNS der Zelle eingebaut, wo sie überlebt und zusammen mit der Zelle reproduziert wird. Wenn der HIV-Virus zum ersten Mal in den Körper eindringt, wird er vom Immunsystem entdeckt; er hängt sich an die so genannten CD4-T-Zellen des Immunsystems und die anfängliche Infektion ist unter Kontrolle. Das Immunsystem ist jedoch nicht in der Lage, die Zellen aufzuspüren, die die virale DNS enthalten, und die Krankheit besteht in dieser latenten Form weiter.

Dieser Reproduktionsprozess erklärt die lange Zeit zwischen der ursprünglichen Infektion und dem Ausbruch der voll entwickelten Krankheit Aids. Aus diesem Grund nennt man HIV Lentivirus oder "langsamen" Virus. Wenn die virale DNS neue Viren produziert, werden ihre Proteine von den T-Zellen des Immunsystems entdeckt: so kann der Virus angegriffen und kontrolliert werden. Dann spielen jedoch zufällige Veränderungen, oder Mutationen, beim Reproduktionsprozess der viralen RNS eine Schlüsselrolle. Die RNS ist anfälliger dafür, "fehlerhafte" Kopien von sich selbst zu machen, als die DNS. Der Virus kann dem Immunsystem immer einen Schritt voraus bleiben, bis schließlich die CD4-T-Zellen nicht mehr mithalten können und beginnen, sich drastisch zu verringern.

Dies ist natürlich eine sehr vereinfachte Zusammenfassung eines sehr komplexen Prozesses, von dem bestimmte Aspekte immer noch nicht verstanden werden. Eine klare und umfassende Erklärung findet man in dem Buch von Professor Luc Montagnier, der HIV entdeckt hat. [13] Die Dissidenten-Wissenschaftler, speziell Duesberg, haben die Tatsache, dass es noch keine vollständige biochemische Erklärung dafür gibt, wie HIV Aids auslöst, für ihren Angriff benutzt. Aber, wie ich in meiner Antwort an Mr. Martinot erklärt habe, es gibt viele Viruserkrankungen, für die es noch keine vollständige biochemische Erklärung gibt. Zum Beispiel werden Windpocken und Gürtelrose von demselben Herpes-Virus ausgelöst - dem Varicella-Zoster-Virus (VZV). Dennoch bleibt der Virus nach der VZV-Erstinfektion, die Windpocken auslöst, latent in den Nervenzellen des Körpers. Diejenigen von uns, die den VZV in sich tragen, sind dann immun gegen Windpocken. Gelegentlich wird dieser latente VZV reaktiviert und produziert neue Viren, die an den Nervenzellen entlang wandern und Gürtelrose hervorrufen. Was diesen Prozess auslöst ist nicht vollständig geklärt. Aber dennoch würde niemand in Frage stellen, dass VZV der Auslöser ist. (Diese Erklärung und eine nützliche allgemeinverständliche Einführung in die Entwicklung der Virologie gibt das Buch "The Invisible Enemy, A Natural History of Viruses") [14]

Wie ich ebenfalls in meiner Antwort auf Mr. Martinot erklärt habe, sind die üblichen Kriterien, die erfüllt sein müssen, um die mikrobische Ursache einer Krankheit festzustellen, im Koch-Test enthalten: Als erstes ein deutlicher statistischer Zusammenhang zwischen dem Erreger und der Krankheit, als zweites die Isolation des Verursachers und drittens der Beweis, dass die Übertragung des Erregers auf eine nicht infizierte Person die Krankheit hervorruft. Es gibt eine Fülle von Beweisen für alle drei dieser Bedingungen. Faktisch alle Aids-Patienten sind HIV-positiv - wenn man Aids durch eine sehr niedrige Zahl von CD4-T-Zellen definiert und die Abwesenheit anderer Krankheiten, die das Immunsystem unterdrücken. [15] HIV kann isoliert werden, wenn man es während einer "langen und beschwerlichen Prozedur" [16] in einer Kultur wachen lässt. Es wurden Fälle von Krankenhauspersonal untersucht, die mit HIV in Kontakt kamen und von denen einige HIV-positiv wurden. In einem speziellen Fall schnitt sich Malon Johnson, ein Pathologe an der Vanderbilt-Universität, Tennessee, 1992 mit einem Skalpell in den Daumen, das er bei einem Aids-Patienten benutzt hatte. Er wurde als HIV-positiv diagnostiziert, nimmt jetzt antivirale Medikamente und hat ein Buch über seinen Kampf gegen HIV geschrieben. [17] Trotz dieser überwältigenden Beweise dafür, dass HIV die Ursache von Aids ist, kann das, wie jeder wissenschaftliche Beweis, einer detaillierten Überprüfung unterzogen und beanstandet werden.

Die Geschichte von Aids

Nach dieser ausführlichen Einleitung, möchte ich mich der Geschichte und dem gesellschaftlichen Umfeld von Aids zuwenden - sowohl was die gesundheitliche Katastrophe angeht als auch die Wissenschaft und Medizin, die entwickelt wurde, um ihr zu begegnen. Obwohl die Arbeiten der Dissidenten sich weitgehend auf die speziellen Fragen der Wissenschaft konzentrieren - sie greifen die Theorie an, dass der HIV-Virus Aids verursacht -, tauchen ernsthafte Bedenken in Bezug auf ihr Anliegen vor allem dann auf, wenn sie als Bewegung auftreten (und sie sind im Wesentlichen eine politische Bewegung, egal wie vage definiert).

Wie ihre Unterstützung für Mbeki in Südafrika gezeigt hat, macht sie das, was man bestenfalls als Naivität bezeichnen könnte, zu einem nützlichen Werkzeug für reaktionäre gesellschaftliche Kräfte. Auf die Frage nach der wissenschaftlichen Stichhaltigkeit ihrer Argumente werde ich am Ende meiner Erwiderung zurückkommen.

Professor Duesberg ist seit über zehn Jahren die zentrale Figur des Dissidentenlagers. Trotz der beleidigenden Hinweise von MS auf Anhänger der orthodoxen wissenschaftlichen Richtung, zeigen die Dissidenten ein erstaunliches Maß an Leichtgläubigkeit, wenn es darum geht, die "Parteilinie" in Bezug auf die Entwicklung der Aids-Wissenschaft zu akzeptieren, wie sie im Wesentlichen von Duesberg und seinen journalistischen Anhängern entwickelt wurde.

Es stimmt, wie MS erklärt, dass es eine Reihe von Wissenschaftlern im Dissidenten-Lager gibt. Neben der Gruppe, die direkt mit Duesberg in Verbindung steht, gibt es den deutschen Virologen Stefan Lanka und die Perth-Gruppe in Australien um Eleni Papadopulos-Eleopulos, die die Existenz eines HIV-Virus überhaupt in Frage stellen. (Zu dieser Auseinandersetzung unter den Dissidenten komme ich noch zurück.) MS zufolge gehört Bryan Ellison zu diesem alternativen Dissidenten-Lager und beschuldigt Duesberg des "Verrats". Ellison war als Student Duesbergs Mitarbeiter und überwarf sich Mitte der 90er Jahre mit ihm wegen eines Rechtsstreits über die Veröffentlichung ihres gemeinsam geschriebenen Buchs. Es sieht so aus, als habe er seitdem nichts mehr geschrieben oder keine Rolle mehr gespielt. Der Versuch einer der Dissidenten-Internetseiten, ihn zu interviewen, schlug fehl. [18] Auf jeden Fall erscheinen Artikel der meisten anderen Dissidenten-Wissenschaftler auf Duesbergs Internetseite. Selbst wenn sie Meinungsverschiedenheiten über wissenschaftliche Fragen haben, akzeptieren sie offensichtlich alle seine Argumente in Bezug auf die orthodoxe Aids-Wissenschaft; Argumente, die MS zweifellos wiederholt.

Bevor wir uns Duesbergs Erklärung der Ereignisse ansehen, wollen wir den historischen Hintergrund eingehender betrachten.

Aids wurde in den frühen 80er Jahren entdeckt, als man bei homosexuellen Männern in den USA sehr seltene Krankheiten fand, die in Zusammenhang mit unzulänglichen Immunsystemen standen. Mehrere von ihnen waren gestorben, und es wurde klar, das es sich um einen neuen und tödlichen Symptomkomplex handelte. 1984 gab es 6122 Aids-Fälle und 2800 gemeldete Todesfälle. Das US-amerikanische Center for Disease Control (CDC) [Gesundheitsbehörde] schätzte, dass sich in den USA zwischen 200.000 und 300.000 Menschen mit dem Virus angesteckt hatten, der gerade zur Ursache der Krankheit erklärt worden war. Wie ein kürzlich erschienenes Buch über den öffentlichen Gesundheitssektor erklärt: "Washington reagierte bei sämtlichen öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen sehr zögerlich in Bezug auf HIV: ob mit Geldern für grundlegende Forschung, mit öffentlicher Aufklärung, rechtlichen Maßnahmen zum Schutz von infizierten Personen oder hinsichtlich des Versicherungsschutzes im öffentlichen Gesundheitssystem." [19]

Nicht nur, dass die Reagan-Regierung keine Reaktion zeigte, sie wurde auch von der Kampagne der fundamentalistischen christlichen Rechten beeinflusst, die Aids als "göttliche Strafe" für homosexuelles Verhalten ansah. Reagan selbst wusste so wenig über Aids, dass er dachte, Aids sei so etwas Ähnliches wie Masern. [20] Wegen der Tatsache, dass die Krankheit sich durch sexuellen Kontakt ausbreitete, verhinderten rechte Politiker jeden Versuch zur öffentlichen Aufklärung über das Wesen von Aids: Erst 1986 durfte der Vorsitzende der obersten US-Gesundheitsbehörde eine Erklärung herausgeben, die davor warnte, dass Aids durch Sexualverkehr übertragen wird. Und das geschah gegen die Opposition der republikanischen Rechten; außerdem war es nicht erlaubt, analen Verkehr zu erwähnen - der wahrscheinlichste Übertragungsweg zwischen Homosexuellen. Es kursierten panikerregende Geschichten über den äußerst infektiösen Charakter von Aids und selbst Ärzte und Zahnärzte weigerten sich Aids-Patienten zu behandeln.

1984 behauptete der amerikanische Wissenschaftler Robert Gallo, er habe den Virus gefunden, der Aids verursacht. Praktisch jedes Buch und jeder Artikel der Dissidenten folgt Duesberg, der Gallo zum Hauptschurken der Aids-Wissenschaft macht. Gallo erklärte, er habe das HIV-Retrovirus isoliert, nachdem er eine Virusprobe von Professor Luc Montagniers Team in Frankreich erhalten habe. Es stellte sich heraus, dass Gallos eigene Laborkulturen mit denen von Montagnier vermischt worden waren. Der Wissenschaftsredakteur der Chicago Tribune, John Crewdson, der den Hintergrund der Geschichte aufdeckte, erklärte, es sei entweder "ein Versehen oder Diebstahl" gewesen. Gegen Gallo wurde daraufhin vom National Institute of Health (NIH) [Nationale Gesundheitsbehörde] ermittelt und er wurde wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens angeklagt; die Anschuldigungen gegen ihn wurden allerdings später nach einer Berufung wieder fallen gelassen. [21]

Wie Joan Shenton in ihrem Buch "Positively False" erklärt, bedeutete die Tatsache, dass Gallo das Patent für den Aids-Bluttest erhielt - und zwar anderthalb Jahre nachdem Montagnier zum ersten Mal seine Bewerbung dafür eingereicht hatte, was von den US-Behörden ignoriert worden war -, dass Gallo und seine Teilhaber, die ein privates Unternehmen, die Cambridge Bioscience, gegründet hatten, Einnahmen von Millionen Dollar erwarten konnten. [22] (Montagnier und das französische Pasteur-Institut haben die US-Regierung 1985 wegen dieser Angelegenheit verklagt. Zwei Jahre später gab es eine außergerichtliche Einigung, aber erst nach einer Intervention auf höchster Ebene vom französischen Premierminister Jacques Chirac bei Präsident Reagan.)

Ohne in irgendeiner Weise zu versuchen, Gallo von aller Schuld freizusprechen, soll man doch nicht aus den Augen verlieren, worum es in dieser Frage eigentlich geht? Es ist völlig un zulässig, die Sünden von Gallo (oder sogar den Inhalt seiner Arbeiten, wie TS vorschlägt) zu benutzen, um die gesamte Theorie, dass HIV Aids auslöst, auf den Müll zu werfen. Wissenschaftlich ausgedrückt: Die Theorie wurde zuerst von Motagnier entwickelt und zusätzlich von einem weiteren Team in den USA erforscht. [23] Eine Widerlegung dieser Theorie kann sich deshalb nicht einzig und allein auf die Mängel in Gallos Arbeit konzentrieren.

Politisch ausgedrückt heißt das, der zentrale Punkt ist die Rolle der US-Regierung. Es waren die US-Behörden, die versucht haben, Montagnier zu schröpfen und den wichtigen französischen Beitrag zur Aids-Forschung an den Rand zu drängen. Es war Margaret Heckler, Präsident Reagans Gesundheitsministerin, die in einer Presseerklärung Gallo zum Helden der amerikanischen Wissenschaft erklärte, bevor andere Wissenschaftler seine Resultate ernsthaft untersuchen konnten. Es war Heckler, die erklärte: "Diejenigen, die behaupten, wir täten nicht genug, haben nicht verstanden, wie tadellos gründliche, bedeutende medizinische Forschung vorangeht." [24] Und es war Heckler, die behauptete, innerhalb von zwei Jahren stünde ein Impfstoff für Tests zur Verfügung

Nachdem sie vier Jahre lang sehr wenig bis nichts getan hatte, reagierte die US-Regierung dann auf die übliche kopflose Art und Weise, um die wachsende Welle von Besorgnis zu besänftigen. Es war ein Versuch, die Franzosen zu überlisten (Montagnier und seine Gruppe waren bezeichnenderweise sehr vorsichtig, was ihre Ergebnisse anging). Die US-Regierung benutzte die Presse-Mitteilung, um die normale wissenschaftliche Vorgehensweise der genauen Gegenprüfung zu umgehen, und förderte den Presserummel um einige Wissenschaftler, die dann zusammen mit US-Unternehmen daraus mit Leichtigkeit ein Vermögen machen konnten.

Es ist sicherlich richtig, dass Gallo und andere aus der Krebsforschung kamen, und dass es fragwürdige Entwicklungen der Regierungspolitik gegenüber der Wissenschaft auf diesem Gebiet gab. In den 70er Jahren tauchten rund um Präsident Nixons "Krieg gegen den Krebs" Sensationsberichte über die neuesten angeblichen Heilmethoden für Krebs auf, die große Aufmerksamkeit auf von verschiedenen Wissenschaftlern entwickelte patentierte Laborprozesse lenkten.

Duesberg selber wurde in dieser Zeit berühmt. Ich sehe keinen Grund, MS zuzustimmen und Duesbergs wissenschaftliche Fähigkeiten in Frage zu stellen - ihm werden bahnbrechende Arbeiten in Bezug auf die genetische Grundlage von Krebs zugeschrieben -; er hat eine Reihe von Auszeichnungen bekommen, darunter auch die Mitgliedschaft in der angesehenen National Academy of Sciences. Aber es entbehrt nicht jeglicher Vernunft, die Ansicht zu vertreten, dass der oberflächliche Optimismus, der in dieser Zeit bezüglich einer Krebsheilung vertreten wurde, zusammen mit der Verherrlichung des Strebens nach persönlichem Reichtum, dazu beigetragen hat, dass er sich offensichtlich von der molekularen Virologie insgesamt abgewandt hat.

Duesbergs Version

Hier kommen wir zur ersten von Duesberg aufgestellten Behauptung: Riesige Mengen an Regierungsgeldern seien in die Aids-Forschung geflossen, weil - wie MS es darstellt - das Geld der Steuerzahler beim Kampf gegen den Krebs verschleudert worden war, deshalb sei stattdessen der Triumph der Aids-Forschung vorangetrieben worden. Ich weiß nicht, ob Duesberg die Meinung von MS teilt, das Pentagon sei daran interessiert gewesen, aber man muss dennoch klarstellen, dass an diesem Argument nichts Progressives ist. Es ist ein Appell an die äußerste Rechte, die überzeugt ist, dass die Regierung für die Forschung zuviel Geld ausgibt und - angesichts ihrer Vorurteile gegenüber Homosexuellen - speziell für Aids. Bryan Ellison, der 1990 mit Sicherheit rechte Überzeugungen vertrat, legte der Zeitschrift Policy Review einen Artikel vor, den er zusammen mit Duesberg geschrieben hatte und in dem zum ersten Mal ihre Theorien dargelegt wurden. Diese Zeitschrift wird von der rechten Denkfabrik Heritage Foundation herausgegeben. Der Artikel schlug vor, die Regierung solle, statt drei Milliarden Dollar im Jahr für die Aidsforschung auszugeben, lieber Studien finanzieren, die untersuchen, "wie verschiedene Aids-Erkrankungen hervorgerufen werden", und die "angemessene Therapien dagegen entwickeln". Der Rest der drei Milliarden Dollar "könne eingespart und den Steuerzahlern zurückgegeben werden". [25]

Die Summe von drei Milliarden Dollar ist ganz eindeutig eine grobe Übertreibung. Wie ein neulich auf der Homepage von Duesberg erschienener Artikel zugibt, betrug die gesamte Summe, die die USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Italien in der Mitte der 90er Jahre jährlich für die Aids-Forschung ausgegeben haben, nur 1,8 Milliarden Dollar. [26]

Wie sollte eine sozialistische Haltung in dieser Frage aussehen? Trotz des riesigen Anteils an öffentlichen Geldern, die ans Militär fließen - und trotz der Tatsache, dass die Pharmakonzerne auf Kosten der Öffentlichkeit profitieren, eine Frage, zu der ich später noch kommen werde - müssen die öffentlichen Ausgaben für die Erforschung von Krankheiten und für die Entwicklung von Medikamenten und zur Gesundheitsversorgung verteidigt werden; genauso wie die öffentliche Gesundheitsversorgung, wie sie in Westeuropa existiert, verteidigt werden muss. All das sind wichtige Errungenschaften, die die Arbeiterbewegung im Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts erkämpft hat. Was immer wir an der öffentlichen Gesundheitsversorgung kritisieren, so ist es sicherlich unzulässig, der republikanischen Rechten zu erlauben, diese Kritik als Rechtfertigung zu benutzen, um die öffentlichen Ausgaben dafür noch weiter zu kürzen. Aber genau das tun die Dissidenten.

In diesem Zusammenhang ist die Behauptung von TS, die Aids-Dissidenten würden keine Gelder erhalten, sicherlich zu hinterfragen. Ich habe keine Widerlegung des Berichts in der südafrikanischen Zeitung Mail and Guardian gelesen - ich habe diesen Bericht in meiner Antwort an Mr. Martinot erwähnt -, der erklärt, dass Dissidenten (vermutlich Duesbergs Gruppe) von dem milliardenschweren Finanzier aus San Franzisko, Bob Leppo, finanziert werden und dass eine rechte Lobbyisten-Gruppe sich ihrer Sache angenommen hat. Diese Lobbyisten-Gruppe hat kostenlose Exemplare von Duesbergs Buch "Inventing the Aids-Virus" und von dem von Duesberg-Anhänger und Nobelpreisträger Kary Mullis verfassten Buch "Dancing Naked in the Mind Field" zusammen mit weiterem Dissidenten-Material verteilt. Das Ganze war mit einem Aufruf an die Mitglieder des US-Kongresses verbunden, die Ausgaben der Regierung für die Forschung zu überprüfen. [27]

Gehen wir zur nächsten Behauptung Duesbergs: Weil die Virologen in der Krebsforschung nicht den Durchbruch schafften, den sie erhofft hatten, und weil einige Wissenschaftler die Möglichkeit sahen, ihr Wissen über Viren in der Aids-Forschung zu nutzen, um viel Geld zu machen, erklärt Duesberg das gesamte Gebiet der Virologie für Müll. MS scheint damit überein zu stimmen. Folgendes äußert Duesberg zum Beispiel über Virologie in dem Buch, das er zusammen mit Ellison geschrieben hat:

"Das CDC [Center for Disease Control = US-amerikanische Gesundheitsbehörde] hat das öffentliche Vertrauen missbraucht, indem es Grippeinfektionen und andere unbedeutende epidemische Krankheiten in ungeheure Krisen verwandelt und aus nicht ansteckenden medizinischen Bedingungen ansteckende Seuchen fabriziert hat. Während die Virus-Jäger des NIH und der akademischen Welt sich als nützlich erwiesen haben, indem sie harmlose Viren oder sogar nicht existierende Viren als für längst bekannte Krankheiten verantwortlich erklärt haben, verfügen das CDC und seine EIS-Infrastruktur [Epidemic Intelligence Service, eine Abteilung des CDC] über die Mittel, um die Seuchen zu übertreiben oder sogar selbst zu fabrizieren." [28]

Ich weise erneut darauf hin, dass diese Art von Argumentation in sich reaktionär ist und sehr leicht von Politikern benutzt werden kann, die die öffentlichen Ausgaben für medizinische Forschung drastisch kürzen wollen. Duesberg verhöhnt die "Erreger"-Theorien über Krankheiten. Er spricht von der Gegenwart als "einer Epoche frei von ansteckenden Krankheiten, aber voller von Menschen geschaffenen Chemikalien". Er ist der Meinung, dass die Wissenschaftler und die Öffentlichkeit "eine überholte Angst vor Mikroben teilen, aber den Gebrauch von zahlreichen Drogen und Medikamenten tolerieren oder sogar genießen". Das scheint auch die Auffassung von MS zu sein, die erklärt, dass die Idee der viralen Kausalität und der Immunschwäche sich bei Krebs als falsch herausgestellt hat; außerdem wiederholt sie Duesberg, indem sie betont, die letzte große Virenerkrankung, die im Westen besiegt werden musste, sei Polio gewesen.

Man kann sich gut vorstellen, was die Menschen in Uganda von dieser so genannten "Übertreibung" der Gefahren von Viren-Epidemien halten. Dutzende sterben zur Zeit an Ebola, und weltweit werden nur verschwindend kleine Geldmittel darauf verwendet, um einen Impfstoff für diese tödliche Krankheit zu finden. Und haben wir nicht selbst in den Vereinigten Staaten und im Westen das Recht, Duesbergs Einstellung für extrem selbstgefällig zu halten? Hätten wir nicht jede Berechtigung zu fordern, dass sehr viel mehr öffentliche Gelder in den Kampf gegen Viruserkrankungen gesteckt werden, um mögliche Grippe-Epidemien und ähnliches zu bekämpfen?

Duesbergs Ansichten, dass die Erregertheorien überholt seien, wurden 1992 veröffentlicht, dem selben Jahr, in dem die Zahl von TBC-(Tuberkulose-)Fällen in New York auf 3811 anstieg. In ihrem kürzlich erschienen Buch "Betrayal of Trust" erklärt Laurie Garrett den Zusammenhang zwischen dem Anwachsen von TBC-Fällen in New York City und dem Angriff auf die öffentliche Gesundheitsversorgung unter den Regierungen von Bush und Reagan. Sie zeigt auf, dass weltweit im Jahr 1999 mehr Menschen an TBC gestorben sind als 1899. [29] Ist es wirklich an der Zeit, die "Angst vor Mikroben" fallen zu lassen, auf die Duesberg so verächtlich hinweist?

Öffentliche Gesundheitsversorgung und private ärztliche Behandlung

Ein Argument kann man mit Sicherheit vorbringen, und Laurie Garrett tut es, dass es nämlich in den letzten Jahrzehnten eine extrem einseitige Entwicklung der individuellen medizinischen Behandlung im Gegensatz zu den gesellschaftlichen Methoden der medizinischen Versorgung gegeben hat. Sie weist darauf hin, dass 1999 in den USA weniger als ein Prozent aller öffentlichen und privaten Ausgaben in öffentliche Gesundheitsprogramme geflossen sind; wohingegen 99 Prozent für private ärztliche Behandlung ausgegeben wurden. [30] Das setzte sich unter Clinton fort, der seine Minimalvorschläge für eine Reform des öffentlichen Gesundheitswesens unter dem Druck der republikanischen Rechten fallen ließ. (Auf die Rolle der Pharmakonzerne bei dieser Entwicklung komme ich später zurück.) Was die Aids-Dissidenten angeht, muss man jedoch darauf hinweisen, dass ihre Kritik an Methoden, die auf der "Erreger-Theorie" basieren, in keiner Weise irgendeine Besorgnis über diese einseitige Konzentration auf individuelle Medizin ausdrücken. In den vielen Arbeiten von Dissidenten, die ich in den letzten Monaten gelesen habe, habe ich bisher keinen einzigen Hinweis auf Besorgnis über die Kürzungen im öffentlichen Gesundheitswesen oder die Millionen von US-Bürgern gefunden, die über keine oder nur eine unzureichende Krankenversicherung verfügen, oder die Millionen, die weder einen Arzt noch eine Klinik aufsuchen können.

Duesbergs Theorie, dass Drogen die Ursache von Aids sind, wirft wichtige Fragen in Bezug auf die öffentliche Gesundheit auf. Aber er verschwendet keinen einzigen Gedanken an die gesellschaftlichen Ursachen von Drogenkonsum oder entwickelt Vorschläge, was dagegen zu tun sei. Er reduziert die Frage des Drogenmissbrauchs auf ein enges wissenschaftliches Problem. Und selbst da gibt es ernsthafte wissenschaftliche Schwächen in seiner Theorie, Drogenmissbrauch sei die Ursache für Aids.

1987 griff Duesberg die Arbeit von Gallo und dessen Kollegen an, konnte aber keine alternative Theorie vorlegen, um Aids zu erklären. Offensichtlich unter dem Einfluss des Aids-Journalisten John Lauritzen kam er zu dem Schluss, dass faktisch alle Aids-Kranken homosexuelle Männer seien, die in den Badehäusern von San Franzisko und New York einem Lebenswandel häufig wechselnder Geschlechtsbeziehungen frönten und regelmäßig zum Vergnügen Drogen nahmen oder Drogenabhängige waren. [31] (Joan Shantons Buch enthält zum Beispiel ein ganzes Kapitel, das den Vorgängen in Badehäusern gewidmet ist.)

Anfänglich gab es unter homosexuellen Aktivisten ein gewisses Interesse an Duesbergs Angriff auf Gallos HIV-Theorie - Gallo hatte sie durch seine arrogante Weigerung, ihre Fragen zu beantworten, von sich gestoßen. Aber dieses anfängliche Interesse schwand, als Duesberg seine Theorie entwickelte, der "Lebenswandel" sei die Ursache, und nur eine kleine Zahl von homosexuellen Aktivisten unterstützten ihn auch weiterhin. Darunter befand sich auch Michael Callen, ein homosexueller Aktivist, der an Aids starb. Inmitten der rechten Kampagne gegen Homosexuelle in den frühen 80er Jahren, gestand Callen, er habe häufig wechselnden Geschlechtsverkehr gehabt und regelmäßig eine ganze Reihe von Drogen genommen. Er machte direkt seinen Lebenswandel für seine Krankheit verantwortlich. Seine Haltung konnte nur die anti-homosexuelle Propaganda, die von den christlichen Fundamentalisten aufgepeitscht wurde, unterstützen. Der Großteil der homosexuellen Aktivisten wandte sich gegen die Erklärung, der "Lebenswandel" sei für Aids verantwortlich, wie sie von Callen und Lauritsen vertreten wurde. Diese Erklärung verstärkte nicht nur die Vorurteile gegenüber Homosexuellen, es gab auch medizinische Untersuchungen, die bewiesen, dass Homosexuelle, die ihre Partner nicht ständig wechselten und keine Drogen nahmen, sich dennoch mit Aids infizierten. [32]

Das Ausmaß von Duesbergs Ignoranz in bezug auf gesellschaftliche und politische Fragen zeigt sich in seiner Meinung darüber, wie Drogenmissbrauch behandelt werden sollte. Am Ende einer umfangreichen Arbeit über HIV und Aids empfiehlt er, die Regierung "könne dem amerikanischen Steuerzahler jährlich bis zu 20 Milliarden Dollar sparen" (in dieser Summe ist angeblich Drogenbehandlung als auch die medizinische Aids-Behandlung enthalten), wenn die "Aufklärung über Aids und Drogen, darauf basierte, die gesundheitlichen Langzeitfolgen von Drogeneinnahme klar zu machen". Mit anderen Worten, wenn man den Drogenbenutzern sagt, dass sie durch ihre Gewohnheit Aids bekommen können, könnten sowohl Aids als auch die Einnahme von Drogen sofort drastisch reduziert werden. "Es wäre", so argumentiert er, "genauso erfolgreich wie das bundesstaatliche Programm gegen das Rauchen." [33]

Duesberg hat offensichtlich keine Vorstellung von den sozialen Problemen und dem enormen menschlichen Leid, die zum wachsenden Drogenmissbrauch geführt haben, ganz abgesehen von Alkohol, Tabak und Medikamenten; genauso wenig scheint er von den ungeheuren Einsparungen seit 1980 bei den Programmen zur Behandlung von Abhängigen, zur Vorbeugung und zur Drogen-Aufklärung zu wissen. Genauso blind ist er gegenüber der Tatsache, dass die Zahl derjenigen, die dafür ins Gefängnis geworfen werden und die zu den verwundbarsten Schichten der Gesellschaft gehören, massiv angewachsen ist, und zwar seit Reagans "Krieg gegen Drogen" im Jahr 1982. Es ist bemerkenswert, wie attraktiv seine Perspektive für Reaktionäre ist - wenn die Leute der Warnung keine Beachtung schenken, die ihnen die langfristigen Folgen von Drogenmissbrauch erklären, was können sie dann anderes erwarten, als zu Gefängnisstrafen verurteilt zu werden, früh zu sterben oder beides?

Wiederum ein erstaunlicher Mangel an Interesse für öffentliche Gesundheitsfragen zeigt sich in Duesbergs abwertender Haltung gegenüber dem Gebrauch von Kondomen und der Bereitstellung von sauberen Nadeln für Drogenabhängige. Diese Haltung gegenüber der Werbung für Kondombenutzung - was natürlich nicht die einzige Antwort auf die Ausbreitung von Aids sein kann - wurde von MS aufgegriffen. Selbst wenn man mit der Meinung der Mehrheit der Dissidenten übereinstimmt, dass Aids nicht durch Geschlechtsverkehr übertragen wird, ist es, angesichts all der übrigen sexuell übertragbaren Krankheiten, durchaus vernünftig, eine solche öffentliche Gesundheitsmaßnahme zu unterstützen. Nicht so Duesberg. Seiner Meinung nach "hat der geschützte Geschlechtsverkehr nicht einen einzigen Fall von Aids verhindert; außerdem würde den Menschen durch die ausschließliche Konzentration auf sichere und saubere Nadeln als Vorsorge gegen Aids ein falsches Gefühl von Sicherheit gegeben". [34]

Wenn es sich um eine "ausschließliche Konzentration" handelte, wäre das natürlich inakzeptabel. Auf der alternativen Aids-Konferenz entzweite sich Duesberg jedoch sowohl mit Michael Callen als auch mit Dr. Joseph Sonnabend, dem hoch angesehenen New Yorker Arzt, der lange Zeit mit Aids-Patienten gearbeitet hat. Sonnabend, der als erster für geschützten Sex unter Homosexuellen eingetreten war, hatte Zweifel an der Arbeit von Gallo über HIV und wurde von Joan Shenton und anderen als zentrale Dissidentenpersönlichkeit herausgestellt. Seine Meinung war, dass Aids wahrscheinlich durch eine Reihe von Faktoren, die das Immunsystem schwächen, einschließlich von Infektionen, die in Zusammenhang mit "risikoreichem Verhalten" stehen, verursacht wird. Er konnte aber die verantwortungslose Haltung nicht akzeptieren, die die Dissidenten-Kreise in Bezug auf soziale Fragen einnahmen. Sonnabend wurde später Mitglied im Aids-Beratungsgremium von Mbeki, aber auf der Seite der orthodoxen Aids-Wissenschaftler.

Noch einmal: Afrika und die Dissidenten

Obwohl in den Schriften der Dissidenten immer wieder darauf verwiesen wird, dass Aids in Afrika eine grundlegend andere Krankheit sei als im Westen - angeblich eine Fortdauer der Krankheiten, die es in Afrika schon immer gab, und das Ergebnis von Armut - gibt es von ihnen keine ernsthaften Untersuchungen der sozialen und politischen Aspekte des enormen Anwachsens von Todesfällen speziell unter jungen Leuten. Überdies ist Geshekters Darstellung von "Entwicklungshilfe-Agenturen, Akademikern und biomedizinischen Forschern", die wütend "mehr Geld und staatliche Unterstützung" verlangen, ein zentrales Thema rechter Ideologen.

Die Argumentation der Dissidenten ist als erstes ein Angriff auf die Diagnose von Aids in Afrika. Sie argumentieren, die Definition von Aids, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO, World Health Organisation) auf der Bangui-Konferenz von 1985 gegeben hat, sei nur eine Übereinkunft, die sich auf beobachtete Symptome basiere. HIV-Tests gäbe es nur bei einer kleinen Prozentzahl von Patienten, und Tuberkulose sowie andere in Afrika verbreitete Krankheiten würden bei HIV-Tests ebenfalls zu positiven Resultaten führen. Und deshalb werden laut ihrer Argumentation die Aids-Zahlen von Wissenschaftlern, die dringend westliche Unterstützung gewinnen wollen, künstlich in die Höhe getrieben.

Zweitens stützten sich Aids-Wissenschaftler angeblich auf "westliche Vorstellungen von sexueller Moral und rassistische Klischees aus dem 19. Jahrhundert". [35] Geshekter behauptet, die Idee, dass Aids in Afrika vor allem durch heterosexuellen Geschlechtsverkehr übertragen wird, sei eine Klischeevorstellung vom "unersättlichen sexuellen Appetit und exotischen fleischlichen Gelüsten" der Schwarzafrikaner.

Dass es für große Teile Afrikas keine verlässlichen Statistiken gibt, ist richtig. Die Zahlen der WHO zum Beispiel basieren auf Untersuchungen in begrenzten Gebieten und beschränkten Gruppen, wie schwangeren Frauen, Prostituierten oder Blutspendern, die ein Krankenhaus besuchen, oder Patienten in Krankenhäusern der großen Städte. Was man über die Prozentzahlen an HIV-Positiven in diesen Gruppen weiß, wird auf die gesamte Bevölkerung hochgerechnet; dabei werden die statistischen Standardmethoden benutzt. Obwohl es eine große Fehlerquote bei den Ergebnissen gibt, zeigen sie dennoch eine sehr rasche Ausbreitung der Infektion bei beiden Geschlechtern. Es wäre offensichtlich wichtig, genaue Statistiken zu erhalten, aber Geshekters Reaktion besteht nur darin, von den Planern der öffentlichen Gesundheitsfürsorge zu verlangen, "systematisch Statistiken zu erstellen". Er zieht die Tatsache nicht einmal in Betracht, dass solche "Gesundheitsfürsorge-Planer" in vielen verarmten Ländern nicht einmal existieren.

Es ist Mode geworden, die Aktivitäten von westlichen Hilfsorganisationen, NGOs usw. in den unterentwickelten Ländern anzugreifen, und es ist mit Sicherheit nicht schwierig, ihre Beschränkungen nachzuweisen. Geshekter möchte dieser Liste auch westliche Aids-Mediziner und medizinische Hilfskräfte hinzufügen. Tatsächlich ist die westliche Hilfe für Afrika seit den 80er Jahren insgesamt zurückgegangen. Sie ist größtenteils an wirtschaftliche Reformen gebunden, umfasst weniger als 15 Milliarden Dollar im Jahr und fließt in Schuldenrückzahlungsprogramme der Länder südlich der Sahara an westliche Banken. Zweimal soviel Gelder gehen an Schuldenprogramme als für grundlegende Gesundheitsversorgung ausgegeben wird. Im Jahr 2001 betrugen die Gesamtausgaben der USA für Hilfsprogramme gegen HIV/Aids und sämtliche Infektionskrankheiten in Afrika nur 460 Millionen Dollar.

Wenn Geshekter, statt die "leichten" Ziele wie die Weltgesundheitsorganisation, UNAIDS usw. anzugreifen, eine ernsthafte Untersuchung der Gesundheitsversorgung in Afrika durchführen würde, dann müsste er die zentrale Rolle offen legen, die die Strukturanpassungsprogramme des IWF dabei spielen, selbst die minimalste Gesundheitsversorgung, die es zuvor auf dem Kontinent gab, abzuschaffen. Er müsste als Professor für afrikanische Geschichte sicherlich die Auswirkungen der Sklaverei und der Kolonialherrschaft auf Afrika berücksichtigen, genauso wie die noch anhaltenden Auswirkungen der imperialistischen Politik während des Kalten Kriegs. Stattdessen zählt er nur "die schlechten Ernten, die ländliche Armut, das System der Wanderarbeiter, die Überfüllung der Städte, die ökologische Erosion, das soziale Gemetzel, den Zusammenbruch der staatlichen Strukturen und die sadistische Gewalt der Bürgerkriege" als die Faktoren hinter den Krankheiten in Afrika auf, als seien all das Gottes Taten. [36]

Trotz des großen Gezeters aus dem Dissidenten-Lager, die sozialen Bedingungen seien das Problem in Afrika, vermeiden sie jegliche Diskussion über ihre Ursachen und versuchen in keiner Weise, gegen die Plünderungen der westlichen Banken und Konzerne vorzugehen.

Quellen:

13. Luc Montagnier, Virus, W.W. Norton & Co., 2000

14. Dorothy H. Crawford, The Invisible Enemy, A Natural History of Viruses, Oxford University Press, 2000

15. The Evidence that HIV Causes AIDS, NIAID Fact Sheet http://www.niaid.nih.gov/factsheets/evidhiv.htm

(Sehr viel mehr Informationen gibt es unter: Focus On the HIV-AIDS Connection http://www.niaid.nih.gov/spotlight/hiv00/default.htm)

16. Virus, S. 98

17. The Invisible Enemy, S. 137

18. HIV/AIDS Web-Seite von Raeto West http://www2.prestel.co.uk/littleton/aids_hiv_fraud.htm

19. Laurie Garrett Betrayal of Trust, The Collapse of Global Public Health, Hyperion, 2000, S. 399

20. ibid, S. 398

21. Joan Shenton Positively False, I.B.Tauris, 1998, Kapitel 4

22. ibid, S. 45

23. Steven Epstein, Impure Science, Aids, Activism and the Politics of Knowledge, University of California Press, 1996, S. 66-75

24. ibid, S. 72

25. ibid, S. 135

26. Valendar Turner and Andrew McIntyre, The Yin and Yang of HIV, in Rethinking AIDS

27. The self-styled Galileo of the modern age, Daily Mail and Guardian, 3. April, 2000

28. Positively False, S. 66

29. Betrayal of Trust, S. 418

30. ibid, S. 425

31. Impure Science, S. 111

32. ibid, S. 49

33. Peter Duesberg, How Much Longer Can We Afford the AIDS Virus Monopoly?, auf der Rethinking AIDS-Web-Seite http://www.virusmyth.net/aids/

34. Positively False, S. 150

35. Charles Geshekter, Reappraising AIDS in Africa, auf Rethinking AIDS

36. ibid

Siehe auch:
Erster Teil - Die Kritik der Dissidenten an den orthodoxen Aids-Theorien
(8. Dezember 2001)
Dritter Teil - Medikamentenbehandlung, statistische Studien und Pharma-Konzerne
(8. Dezember 2001)
Ein Briefwechsel zum Thema Aids/HIV
( 20. September 2000)
UN-Bericht über Aids zeichnet ein Bild der Verwüstung
( 21. Juli 2000)
Ursprung des AIDS Virus festgestellt
( 9. März 1999)
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