Ein Brief aus Frankreich über die Antiglobalisierungsbewegung ATTAC

Den folgenden Brief erhielten wir als Reaktion auf einen Artikel über den ersten bundesweiten Attac-Kongreß in Deutschland - "Ungezügelter Opportunismus und unerschütterliches Vertrauen in den bürgerlichen Staat" - der am 25. Oktober 2001 im WSWS veröffentlicht wurde.

Während in Berlin der erste bundesweite Kongress von Attac-Deutschland stattfand, organisierte die seit zwei Jahren bestehende Vereinigung Attac-Somme eine Reihe von Vorträgen und öffentlichen Versammlungen, um vor den "Gefahren für die Demokratie" zu warnen, die von dem WTO-Dienstleistungsabkommen GATS (General Agreement on Trade in Services) ausgehen. Die Welthandelsorganisation WTO beabsichtigt mithilfe des GATS-Abkommens "eine Liberalisierung aller Dienstleistungen, die auch den öffentlichen Dienst betrifft".

Die Organisation, die vom Gewerkschaftsverband SUD unterstützt wird, mit dem sie regelmäßige Versammlungen organisiert, vereinigt unter ihrem Dach das ganze Spektrum linker Parteien und Organisationen wie die Sozialistische Partei, die Kommunistische Partei, die Lique Communiste Révolutionnaire (LCR), die stalinistische Gewerkschaft CGT, die wichtigste Lehrergewerkschaft FSU etc.

In den Beiträgen von Marc Delepouve (Attac), Vincent Espagne (Koordinationskomitee für Bürgerkontrolle über die WTO und Attac-Gründungsmitglied) und Philippe Clochepin (Attac Dieppe) wurde hervorgehoben, dass die Regierungsbürokraten der reichen Länder die WTO deshalb kontrollieren, weil sie Expertenteams mit Hunderten Funktionären nach Genf senden können, die im Interesse der größten globalen Konzerne handeln. Die 22 Komitees der WTO, die so gut wie täglich in Genf tagen und die Handelsnormen den Bedürfnissen dieser Konzerne anpassen, produzieren buchstäblich Tonnen von Papier in Form von Richtlinien, Expertisen und anderen Dokumenten.

Enorme Ressourcen sind notwendig, um in diesen Komitees auf dem aktuellen Stand zu bleiben, und dies ist daher für arme Länder einfach nicht zu bewältigen. Burundi zum Beispiel hat gerade mal einen einzigen Experten für alle UNO-Agenturen, während die Vereinigten Staaten über 150 alleine für die WTO zur Verfügung stellen.

Das neue Prinzip der "Horizontalität" bewirkt nun, dass Entscheidungen, die über den Handel mit Produkten einer bestimmten Kategorie getroffen werden, automatisch auch auf andere, nur entfernt vergleichbare Sektoren übertragen werden können. Die Reglementierung für Hotel- und Tourismusbetriebe könnten so zum Beispiel auch für Krankenhäuser Anwendung finden.

Die Redner gingen darauf ein, dass die Privatisierung des öffentlichen Diensts einen gewaltigen Markt mit äußerst lukrativen und profitablen Anlagemöglichkeiten darstellen werde. Anschaulich beschrieben sie die Liberalisierung und Deregulierung der Märkte und andere Auswirkungen der Vorherrschaft der transnationalen Konzerne. Allerdings hatten sie keinerlei progressive Alternative anzubieten. Stattdessen schürten sie altbekannte Illusionen in die Erneuerung und Reformierbarkeit der globalen Institutionen der Bourgeoisie.

So erklärte Vincent Espagne: "Wir sind nicht gegen die Globalisierung, wir sind nur gegen die liberale Globalisierung. Und wir sind auch nicht gegen die WTO, wir wollen nur, dass ihre Spielregeln einem Regelwerk unterworfen werden, das mit den Menschenrechten vereinbar ist." Diese Position wird sehr deutlich in der Attac-Zeitung Courriel d'information d'Attac vom 13. November 2001 ausgesprochen. In einem Artikel von Arnaud Zacharie (Komitee für die Annullierung der Schulden der Dritten Welt) heißt es: "Die WTO muss erkennen, dass ihre Macht auf Handelsprodukte beschränkt bleibt. Sie muss der WSDO (World Social Development Organization) untergeordnet werden, oder, bis diese funktionsfähig sein wird, den bereits bestehenden UNO-Organisationen (UNDP, UNCTAD, UNEP, ILO, ECOSOC etc.) Dies impliziert eine tiefgehende Reform der UNO und ihres Sicherheitsrats."

Attac fordert die Einführung neuer Gesetze und Regeln, um den Weltkapitalismus besser zu kontrollieren, ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo alle früheren Kontrollsysteme seit dem zweiten Weltkrieg - von Bretton Woods bis EFTA und NAFTA - ganz offensichtlich gescheitert sind. Espagne schlug eine Reihe von internationalen Gremien vor, die Weltwirtschaft und Handel besser regeln könnten: "Einen internationalen und unabhängigen Wirtschaftsgerichtshof", "einen Sicherheitsrat", "eine internationale Umweltagentur" und "eine internationale Medikamentenagentur". Wiederholt vertraten die Redner den Standpunkt, dass es "verrückt wäre, aus der WTO auszutreten. Sich zurückziehen wäre katastrophal - Isolationismus."

Das Programm von Attac schürt neue reformistische Illusionen, um eine Entwicklung des Klassenkampfs zu verhindern. Es drückt die Hoffnung vieler Bürokraten aus, selbst lukrative Posten zu bekleiden. Ein Teilnehmer der Versammlung stellte den Attac-Repräsentanten eine Frage, in der es um die US-Bombardierung von Afghanistan ging. Er erinnerte an die kürzliche Äußerung des Parlamentsabgeordneten Yann Galut, Mitglied der Gauche-Socialist-Tendenz in der Sozialistischen Partei und führender Attac-Vertreter. Dieser hatte erklärt: "Natürlich ist eine militärische Antwort notwendig; aber sie darf keine weiteren Opfer kosten." Der Teilnehmer fragte, ob Attac nach der reaktionären Utopie von angeblich humanitären Multis jetzt auch noch die Illusion eines imperialistischen Kriegs ohne Opfer verbreiten wolle.

Philippe Clochepin's Reaktion war heftig: "Ich habe die Schnauze voll von diesem avantgardistischen Mist", stieß er hervor. Darauf unterbanden die Versammlungsleiter jede weitere Debatte über den Afghanistankrieg mit der Begründung, sie stehe nicht auf der Tagesordnung. In einem Interview mit Agence France Presse hatte Bernard Cassen, der Präsident von Attac-Frankreich, erklärt: "Niemals zuvor ist der amerikanische Präsident George W. Bush unseren Positionen so nahe gestanden. (...) Man könnte sagen, dass die westlichen Regierungen sich uns mehr und mehr annähern." Diese Haltung hat in Amiens offensichtlich ihr Echo gefunden.

TS

Siehe auch:
Ungezügelter Opportunismus und unerschütterliches Vertrauen in den bürgerlichen Staat
(25. Oktober 2001)
Globalisierung Jospin und das politische Programm von Attac
( 15. September 2001)
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