Die Bilanz von vier Jahren rot-grüner Bildungspolitik

Verschärfte Sparmaßnahmen und Öffnung des Bildungssektors für den Markt

Betrachtet man die Entwicklungen im Bereich der Bildungspolitik unter der rot-grünen Bundesregierung, so fällt vor allem zweierlei ins Auge: zum einen der zunehmende finanzielle Druck und Sparzwang, unter dem die Bildungsinstitutionen leiden, und zum anderen die voranschreitende Unterwerfung des Bildungssektors unter die Kriterien des Marktes und der Rentabilität.

Zwar liegt die Ausgestaltung der Bildungspolitik in der Verantwortung der Länder und viele konkrete Bedingungen in einzelnen Schulen und Einrichtungen sind auf Entscheidungen auf kommunaler Ebene zurückzuführen, aber die Bundesregierung hat in den vergangenen vier Jahren politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen geschaffen, die sich maßgeblich auf das Bildungswesen auswirken, und die Positionen derjenigen Kräfte gestärkt, die mehr Marktwirtschaft im Bildungssektor fordern. Sie ist somit wesentlich verantwortlich für eine Entwicklung, die für den Großteil der Bevölkerung eine schlechtere Qualität der Bildung und einen erschwerten Zugang zu Bildungsinstitutionen bedeutet. Die soziale Polarisierung drückt sich auch im Bildungssektor mit zunehmender Schärfe aus.

Auswirkungen der Sparpolitik

Die miserablen Bedingungen an vielen Schulen und anderen Bildungsinstitutionen in Deutschland sind ein direktes Ergebnis der Sparpolitik im sozialen Bereich, die einerseits politisch gewollt ist, andererseits aber auch - gerade auf kommunaler Ebene - durch Geldmangel erzwungen wird. Die Finanzminister auf Bundes- und Landesebene tragen eine unmittelbare Verantwortung für die oftmals miserablen Bedingungen, unter denen in Deutschland gelernt und gelehrt wird.

Die finanzielle Notlage, in der sich viele Kommunen in Deutschland befinden, ist ein Ergebnis davon, dass den Städten und Gemeinden in den vergangenen Jahren von Seiten des Bundes und der Länder immer mehr Aufgaben aufgebürdet wurden, ohne ihnen zusätzliches Geld zur Verfügung zu stellen. Diese Umverteilung der Kosten zu Lasten der Kommunen hatte bereits unter der Regierung Kohl begonnen, die Steuerreform der rot-grünen Regierung hat das Ausbluten der kommunalen Kassen allerdings enorm beschleunigt und viele Städte und Gemeinden innerhalb kürzester Zeit in die Pleite getrieben.

Stellte die Gewerbesteuer früher für viele Kommunen die Haupteinnahmequelle dar, so können Großkonzerne heute ganz legal ihre Steuerzahlungen auf Null fahren. Auch die Finanznot der Länder hat sich durch die vom Bundesfinanzministerium durchgesetzte Steuerreform enorm verschärft: Die neu geschaffene Möglichkeit für Großunternehmen, Verluste aus Beteiligungen unbegrenzt von der Steuer abzusetzen, führte beispielsweise in Nordrhein-Westfalen dazu, dass das Land im Jahre 2001 insgesamt mehr als 3,2 Milliarden DM an Körperschaftssteuer zurückerstatten musste. Diese Rückzahlungen überstiegen nach Angaben von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) die Einnahmen und kamen vor allem vier Großkonzernen zugute: 1,4 Milliarden DM gingen an die Deutsche Telekom, 800 Millionen DM an den Energieriesen RWE, 500 Millionen DM an den Bayer-Konzern und mehr als eine halbe Milliarde DM an Vodafone.

Die leeren Kassen führen dazu, dass vor allem im sozialen Bereich gestrichen und gekürzt wird, und verringern die Fähigkeit der öffentlichen Hand, ihren Aufgaben in Hinblick auf das Bildungswesen gerecht zu werden. Die Auswirkungen der Sparpolitik im Bildungsbereich sind an vielen Schulen sehr deutlich wahrzunehmen und zeigen sich an maroden Gebäuden und Einrichtungen, veralteten Lehrmitteln, Schließungen ganzer Schulen und der Umverteilung ihrer ehemaligen Schüler auf Schulen in anderen Stadtteilen.

Es werden nicht ausreichend Lehrer angestellt, was zur Folge hat, dass die Klassen sehr groß sind, Unterricht regelmäßig ausfällt, bestimmte Fächer wegen Lehrermangels nicht unterrichtet werden können und die Bedingungen zur Durchführung von Förderunterricht und Projekten immer schwieriger werden. Die Lehrer werden zusätzlich zum Unterricht mit Verwaltungsaufgaben belastet, so dass ihnen für ihre ohnehin viel zu großen Klassen oder gar die Einzelbetreuung von Schülern und Eltern kaum noch Zeit bleibt.

Zunehmend werden Eltern die Kosten für die Lehrmittel aufgebürdet und nötige Renovierungsarbeiten müssen oftmals von Schülern, Eltern und Lehrern übernommen werden, da die Kommune diese Leistungen nicht erbringen kann. Vielerorts wird auch an anderem Personal, wie z.B. Reinigungskräften und Hausmeistern, gespart, so dass sich die Klassenzimmer, Schulhöfe und sanitären Anlagen in einem keineswegs angemessenen Zustand befinden.

Angesichts der Finanznot wenden sich viele Schulen auf der Suche nach Drittmitteln an Unternehmen, die sie als Partner und Sponsoren für bestimmte Projekte und Anschaffungen gewinnen wollen. In einigen Städten haben Schulen ihr Gelände für Werbung geöffnet, um an Geld zu kommen. In der jüngsten Zeit sind einige Städte dazu übergegangen, die Schulen selbst zu vermarkten - so werden die Schulgebäude an private Investoren verkauft oder langfristig vermietet und von der Kommune sodann wieder zurückgemietet, um durch einen solchen Deal kurzfristig an größere Summen zu gelangen, mit denen beispielsweise eine Sanierung der Gebäude finanziert werden kann.

Ähnlich wie die Schulen dem Sparzwang der Kommunen ausgeliefert sind leiden die Hochschulen darunter, dass sie von Seiten der Länder chronisch unterfinanziert werden. Auch hier zeigt sich dies an schlecht ausgestatteten und renovierungsbedürftigen Räumen und Gebäuden, an unzureichenden Neuanschaffungen von Büchern für die Bibliotheken und vor allem am Personalabbau und der Schließung von Studienzweigen und ganzen Instituten. Noch viel stärker als die Schulen werden die Universitäten dazu angehalten, sich selbst zu helfen und Drittmittel aus der Wirtschaft aufzutreiben.

Welche Auswirkungen diese Bindung der Hochschulen an die Geldgeber aus der Wirtschaft langfristig auf die freie und kritische Forschung und Lehre an den Unis haben wird, ist ein Thema, das im offiziellen Rahmen nicht diskutiert wird.

Öffnung des Bildungssektors für den Markt

Neben der Sparpolitik, die die Bildungsinstitutionen auf indirektem Wege dazu drängt, sich am Markt zu orientieren und in der Privatwirtschaft Geldgeber ausfindig zu machen, findet seit einigen Jahren auch eine gezielte Politik zur Öffnung des Bildungssektors für den Markt statt.

1994 wurde im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) das General Agreement on Trade in Services (GATS) geschlossen, das den freien Handel mit Dienstleistungen regelt. Das GATS, dem die EU beigetreten ist, verpflichtet die Vertragsstaaten, ihren Dienstleistungssektor - und dazu gehören laut GATS auch die Bereiche Bildung und Gesundheit - für den freien Handel und den internationalen Wettbewerb zu öffnen.

Die im Abkommen festgelegte Gleichstellung aller Anbieter der "Ware Bildung" stellt die staatliche Subventionierungspolitik von Bildungsinstitutionen allgemein in Frage. So ist beispielsweise im Sinne des GATS ein kostenloses Studium an einer staatlichen Hochschule ein Dumping-Angebot, das private Universitäten benachteiligt, bzw. nur dann zulässig, wenn private Bildungseinrichtungen im gleichen Maße gefördert werden wie die staatlichen Institutionen.

Die EU hatte sich bei ihrem Beitritt zum GATS eine Ausnahmeregelung erwirkt, um Schulen und Hochschulen in ihren Ländern nach eigenem Erachten subventionieren zu können, doch alle Ausnahmeregelungen sind laut GATS-Vertrag nur zehn Jahre lang gültig, und die EU muss bei der Neugestaltung der Verträge ab dem Jahre 2005 ihre Vorbehalte aufgeben oder zumindest einschränken.

Die Unterstützung des GATS durch die Bundesregierung ist Bestandteil einer Politik, die bewusst die Liberalisierung und Privatisierung des Bildungswesens anstrebt. Unter der rot-grünen Bundesregierung ist die Entwicklung hin zur Öffnung des Bildungssektors für den Markt in den vergangenen Jahren enorm vorangeschritten und äußert sich in verschiedenen Formen.

Während der Regierungszeit Schröders hat die Debatte um das Ende der freien Hochschulbildung und die Einführung von Studiengebühren enorm an Schwung gewonnen. Die Mehrheit der Bundesländer hat bereits Studiengebühren in der einen oder anderen Form eingeführt oder deren baldige Einführung beschlossen - Gebühren für Langzeitstudium und Zweitstudium und als "Verwaltungsgebühren" getarnte Studiengebühren.

Im rot-grünen Koalitionsvertrag von 1998 hatte es geheißen: "Wir werden [...] die Erhebung von Studiengebühren ausschließen", und Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) besaß die Unverfrorenheit, noch am 13. Juni 2002 in einer Rede zu behaupten: "Mit [...] der Einführung von Bildungskrediten und dem Verbot von Studiengebühren für das Erststudium sorgen wir dafür, dass alle begabten jungen Menschen studieren können - auch wenn ihnen keine goldene Kreditkarte in die Wiege gelegt wurde."

Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Mit der Neuregelung des Hochschulrahmengesetztes (HRG) unter Rot-grün ist die Einführung von Gebühren erst möglich geworden, auch wenn sie derzeit noch nicht für das Erststudium innerhalb der bürokratisch festgelegten Regelstudienzeit erhoben werden dürfen. Wichtiger ist hier vor allem, was das HRG alles nicht verbietet. Es erlaubt die Aushöhlung der kostenlosen Hochschulbildung durch die schrittweise Einführung von Gebühren für bestimmte Gruppen von Studenten.

Betroffen sind keineswegs nur einzelne Studierende. So hat eine Erhebung an der Universität Bochum gezeigt, dass 48 Prozent der Studierenden dort in die Gruppe derjenigen fallen, die ab kommendem Jahr mindestens 650 Euro Gebühren pro Semester zahlen müssen, weil sie die kostenlose Studienzeit bereits überschritten haben, ein Zweitstudium betreiben oder zur Gruppe der Seniorenstudenten gehören.

Bildungsgutscheine

SPD-Politiker, wie z.B. der rheinland-pfälzische Kultusminister Jürgen Zöllner oder seine nordrhein-westfälische Kollegin Gabriele Behler, sind ebenfalls federführend in der Debatte um die Einführung von sogenannten "Bildungskrediten" oder "Gutscheinen", mit denen das gesamte Bildungssystem neu organisiert werden soll. Demnach hätte jeder junge Mensch einen Anspruch auf Ausbildung in einem gewissen Rahmen, der ihm durch die Gutscheine vorgegeben ist. Wofür er die Gutscheine im Rahmen seiner Ausbildung ausgibt, steht ihm frei. Sind die Gutscheine jedoch einmal verbraucht, muss er seine weitere Bildung selbst finanzieren.

In der Konzeption der "Bildungskredite" wird besonders deutlich, dass von Seiten der politischen Elite Bildung nicht als demokratisches Recht oder Mittel zur Emanzipation und Aufklärung verstanden wird, sondern als "Investition in das Humankapital", die der zur "Ich AG" mutierte Staatsbürger auf dem freien Markt tätigen kann, um seinen individuellen Wert als Arbeitskraft zu steigern. Bildung wird weniger als gesellschaftlicher Auftrag denn als individuelle Frage verstanden, deren Kosten dementsprechend von den Einzelpersonen auch selbst zu tragen sind.

Während die Vertreter der offiziellen Politik versuchen, eine Akzeptanz für diese Entwicklung zu schaffen, indem sie sie mit Phrasen wie "Freiheitsgewinn" und "Autonomie" belegen, trifft gerade das Gegenteil zu: Wer die Freiheit genießt, eine gute Ausbildung zu erhalten und sich mit frei gewählten Bildungsinhalten zu befassen, die keinen unmittelbaren Bezug zum Beruf oder Arbeitsmarkt haben, hängt immer stärker von der sozialen Herkunft und Stellung ab.

Bildungsgutscheine sind auch das bevorzugte Modell, mit dem die Weltbank international das staatliche Bildungswesen "verschlanken" und Privatisierung und "Wettbewerb" im Bildungssektor fördern will. In einigen Ländern sind die Auswirkungen des Gutscheinsystems bereits sichtbar.

In Chile beispielsweise wurde auf Druck der Weltbank das gesamte nationale Bildungswesen auf Gutscheine umgestellt: Die Bildungskredite können entweder für das staatliche Bildungssystem verwendet werden oder, aufgestockt durch private Zuzahlungen, für Privatschulen genutzt werden. Im Ergebnis ist der private Bildungssektor gewachsen, da die gehobenen Schichten ihre Kinder aus den staatlichen Schulen herausnehmen. Die Kinder der Arbeiterklasse mit wenig Geld und vielen Problemen bleiben in den staatlichen Schulen, die immer schlechtere Möglichkeiten haben, eine gute Ausbildung zu gewährleisten.

Allgemein lässt sich Folgendes feststellen: Ein auf dem Marktprinzip basierendes Bildungssystem verstärkt die soziale Ungleichheit, da wohlhabende Eltern ihren Nachwuchs auf sozial exklusive Schulen schicken, zu denen andere Kinder keinen Zugang haben. Privatschulen, die die Möglichkeit haben, sich ihr Klientel selbst auszusuchen, wählen sich Kinder, deren Eltern die Ausbildung bestmöglich unterstützen können und die dadurch kostengünstig und leicht zu unterrichten sind.

Am anderen Ende eines solchen Systems konzentrieren sich die Schulen, die Kinder mit Problemen, Verhaltensauffälligkeiten und besonderen pädagogischen Anforderungen unterrichten - hauptsächlich Kinder aus der Arbeiterklasse und ausländischer Herkunft. Die staatlichen Bildungsangebote bekommen so zunehmend den Charakter von Verwahrungsanstalten für sozial Benachteiligte.

Siehe auch:
Weitere Artikel zum Thema Bildungspolitik
(Dieser Artikel ist auch in der gleichheit - September/Oktober 2002 enthalten.)
Loading