Österreich nach der Wahl

Grüne bieten sich der konservativen ÖVP als Koalitionspartner an

Seit den österreichischen Nationalratswahlen, aus denen die regierende konservative Volkspartei (ÖVP) Ende November als klarer Sieger hervorging, führt Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) ständige Sondierungsgespräche, um einen Koalitionspartner für die nächsten vier Jahre zu finden.

Obwohl rechnerisch jede im Nationalrat vertretene Partei für eine Regierungsmehrheit in Frage käme, gestaltet sich die Regierungsbildung schwierig. Jede Parteienkombination birgt angesichts der angespannten sozialen und politischen Lage des Landes erhebliche Risiken. Das ist der Grund dafür, dass sich die Gespräche mit Sozialdemokraten und dem bisherigen Koalitionspartner FPÖ stark in die Länge ziehen.

Bereits am Wahlabend machte Schüssel keinen Hehl daraus, dass er die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit der FPÖ anstrebt, allerdings unter veränderten Voraussetzungen. Er will seine Volkpartei deutlich stärken und die FPÖ herabstufen, die bei den Wahlen fast zwei Drittel ihrer Stimmen verlor. Doch die heftigen internen Streitigkeiten in der FPÖ und das völlig unberechenbare Verhalten des ehemaligen Parteivorsitzenden Jörg Haider, sowie die ablehnende Haltung der FPÖ zur EU-Osterweiterung machen eine Zusammenarbeit schwierig.

Auf der anderen Seite birgt eine Koalition mit den Sozialdemokraten für Schüssel die Gefahr, dass dann die FPÖ als rechte Oppositionspartei stark auftrumpft und die Meinungsführung im konservativen Lager anstrebt.

Die Schwierigkeiten, denen Schüssel bei der Regierungsbildung gegenübersteht, haben nun die Grünen auf den Plan gerufen. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte bestünde für sie die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung. Bereits im Wahlkampf hofften sie darauf, zum Partner in einer SPÖ-geführten Regierung zu werden. Als dies nach dem schwachen Abschneiden der SPÖ und den großen Stimmengewinnen von Schüssels ÖVP unmöglich wurde, zeigte sich die grüne Parteispitze bereit, auch mit der konservativen Volkspartei ein Regierungsbündnis anzustreben. Dabei ficht es sie nicht an, dass sie damit Partner eines Regierungschefs würden, der als einer der ersten in Europa die radikale Rechte hoffähig gemacht hat.

In den vergangenen Wochen haben bereits mehrere Unterredungen von Verhandlungsdelegationen unter Leitung von Grünen-Chef Alexander van der Bellen mit Wolfgang Schüssel und anderen ÖVP-Vertretern stattgefunden - zuletzt am Dienstag vor Weihnachten. Wie die Wiener Zeitung Standard berichtet, erklärte van der Bellen anschließend, man warte nun erst einmal den Ausgang der Regierungsverhandlungen zwischen der Volkspartei und den Freiheitlichen ab. Sollten diese Gespräche zu keinem Ergebnis führen, seien die Grünen bereit, "in aller Ernsthaftigkeit" in Regierungsverhandlungen mit der ÖVP einzutreten.

Was van der Bellen gegenüber der Presse nicht sagte, ist, dass der Bundesvorstand die Verhandlungen über eine Regierungsbeteiligung vor allem deshalb vorübergehend abbrach, weil er über das Ausmaß des Widerstands von Teilen der Basis überrascht war. Unmittelbar nach bekannt werden der Gespräche mit Schüssel hatte der Jugendverband der Grünen in Wien die Parteizentrale besetzt, um gegen die Verhandlungen mit der Volkspartei zu protestieren. Stefan Schennach, grüner Bezirksrat von Wien/Döbling und Vorsitzender der Bezirkskonferenz der Wiener Grünen, warnte: "Schwarz-Grün würde uns derzeit zerreißen."

Prominente Grüne drängen hingegen van der Bellen zu einer Koalition mit den Konservativen. Daniel Cohn-Bendit, der für die französischen Grünen im Europaparlament sitzt, riet in einem Interview, keine "Angst vor Schüssel" zu haben und die europäische Erweiterung gemeinsam zu "stemmen", "um so zu verhindern, dass eine antieuropäische Partei wie die FPÖ in dieser historischen Situation etwas zu sagen hat".

Der Berliner Abgeordnete Hans-Christian Ströbele, der sich als Parteilinker bezeichnet, blieb in seinen Äußerungen zur österreichischen Situation zweideutig und betonte, "dass es auch andere Wege gibt als Rot-Grün". Es sei nicht abzulehnen, wenn die Parteiführung herauszufinden versuche, "was mit der ÖVP überhaupt umzusetzen sei".

Dass gerade deutsche Spitzenpolitiker der Grünen die Situation in Österreich aufmerksam verfolgen, ist nicht zufällig. Vor allem Cohn-Bendit tritt schon seit Längerem für ein Zusammengehen von Konservativen und Grünen ein. Nach den Frankfurter Kommunalwahlen im März 2001 gehörte er zu den vehementesten Befürwortern von "Schwarz-Grün". Sollte in Österreich eine Bundesregierung zwischen Konservativen und Grünen zustande kommen, wäre für die hessischen Grünen der Weg in eine Regierungsbeteiligung mit dem notorischen Rechtsaußen der CDU und jetzigen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch leichter. Nicht wenige Grüne in Deutschland spekulieren auf diese Option, da sowohl den Sozialdemokraten als auch der FDP massive Stimmenverluste in der kommenden Landtagswahl vorausgesagt werden.

Politisch sind Grüne und Konservative - in Deutschland genauso wie in Österreich - schon seit längerem enger aneinander gerückt. Das Bekenntnis der österreichischen Grünen zu einer wirtschaftsfreundlichen Politik und ihr Eifer, die Sozialsysteme zu "reformieren", haben ihnen viele Freunde in konservativen Kreisen beschert. Der liberale Flügel der ÖVP um Schüssels Vorgänger Erhard Busek, EU-Erweiterungsbeauftragter der Regierung, nennt eine Koalition aus ÖVP und Grünen seine "erste Präferenz".

In den Medien wurde die Möglichkeit einer schwarz-grünen Zusammenarbeit ebenso begrüßt, und das vorläufige Beenden der Gespräche durch die Grünen wurde mit Verständnislosigkeit und Verärgerung quittiert.

Typisch ist der Kommentar von Alfred J. Noll, einem Wiener Universitätsprofessor, der den Eintritt der Grünen in eine konservative Regierung als Mittel gegen einen weiteren Rechtsruck betrachtet: "Es ist dann [bei einem Gang in die Opposition] das Verhalten der Grünen, das ursächlich dafür ist, dass die Haider-FPÖ weiterhin repräsentativ für Österreich ist" und "die ÖVP weiter nach rechts drängt".

Kommentare in den Tageszeitungen fordern die Grünen auf, ihre "Kinderkrankheiten" hinter sich zu lassen und endlich "erwachsen zu werden", anstatt durch den Gang in die Opposition "Politikunfähigkeit" zu demonstrieren.

Das Wiener Stadtmagazin Falter, dessen Chefredakteur Armin Thurnher einer der radikalsten Verfechter einer grünen Regierungsbeteiligung ist, machte darauf aufmerksam, dass Schwarz-Grün auf kommunaler Ebene bereits erprobt wurde. In Götzis, einem Zehntausend-Seelen-Ort in Vorarlberg, regierten zwischen 1990 und 2000 Konservative und Grüne weitgehend harmonisch. Bisher hatten die Grünen ihre Annäherung an die Konservativen allerdings meist unter dem Deckmantel "ökologischer Verbesserungen" vollzogen. Ähnlich begründete auch der Wiener Grünen-Chef Christoph Chorherr seine Vorschläge zur Zusammenarbeit.

Die Wandlung der Grünen von einer "linken" Protestpartei in eine konservative, staatstragende Partei ist kaum überraschend. Ähnlich wie in Deutschland entstand die Partei aus mehreren Gruppierungen. 1986 formierte sich erstmals die Grüne Liste. Ökobauern, Prominente wie der Schauspieler Herbert Fux, Friedensaktivisten wie Peter Pilz - der heute eine schlagkräftige Berufsarmee für internationale Einsätze fordert - und Altlinke - wie Andreas Wabl - sammelten sich dort. Trotz interner Auseinandersetzungen und Spaltungen herrschte ein bürgerliches Klima vor und man einigte sich auf die Ökologie als kleinsten gemeinsamen Nenner. Die Frage des Klassencharakters der Partei kam nie auf.

1993 stieg der Wirtschaftsprofessor und ehemalige Sozialdemokrat van der Bellen bei den Grünen ein und löste Christoph Chorherr als Spitzenmann ab. In dieser Zeit orientierte sich die Partei immer mehr an Besserverdienenden und begann die Interessen der Wirtschaft zu den ihren zu machen. Immer mehr linke Kritiker wurden aus der Partei gedrängt. Ein ORF -Bericht bemerkte dazu: "Unter ihm [van der Bellen] werden die Grünen zu einer ganz normalen Partei."

Nach und nach warf die Partei ihren Anti-Militarismus und ihr Eintreten für Minderheiten und soziale Gerechtigkeit über Bord. Heute steht sie in vielen Punkten rechts von den Sozialdemokraten. Ihre Bereitschaft, mit der konservativen Volkspartei ein Bündnis einzugehen, stellt einen weiteren drastischen Rechtsruck dar. Anstatt den rechten Kräften in der österreichischen Politik entgegen zu treten, bietet sie sich ihnen als Bündnispartner und Gehilfe an.

Die ÖVP hat sich in den vergangenen drei Jahren weit nach rechts bewegt und in vielen Bereichen die reaktionäre Politik der Freiheitlichen Partei (FPÖ) übernommen. Die verschärfte Asylpolitik von Innenminister Ernst Strasser (ÖVP) und die Aufstellung des früheren FPÖ-Mitglieds Karl-Heinz Grasser als unabhängiger Finanzminister belegen dies eindeutig. Ansonsten ist die ÖVP eine strikte Verfechterin einer wirtschaftsliberalen Politik. Den Forderungen der Großunternehmer nach Aufweichung der Sozialsysteme und einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes nachkommend, kündigte Wirtschaftsminister Bartenstein bereits eine umfassende Deregulierung der Arbeitsbeziehungen für die nächste Legislaturperiode an.

Siehe auch:
Die Wahlen in Österreich - Eine Analyse
(27. November 2002)
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