USA weiten militärischen Einfluss nach Osteuropa aus

Während der Vorbereitung des amerikanischen Angriffs auf den Irak bezeichnete US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die ehemaligen stalinistischen Staaten Osteuropas als Teil des "neuen Europa" im Gegensatz zum "alten Europa" Frankreichs und Deutschlands

Hinter dieser Unterscheidung steckte mehr als eine zeitweilige Verärgerung der US-Regierung über die französische und deutsche Haltung zum Irakkrieg. Sie kündigte eine Veränderung der allgemeinen Ausrichtung der amerikanischen Militärstrategie an. Diese stützt sich nicht länger auf die ehemaligen Verbündeten in Westeuropa und wendet sich einem neuen Netz von Bündnissen zu.

Jane's Intelligence Digest stellte später fest, die US-Strategie habe "einen grundlegenden Wandel zu den von der Bush-Regierung als verlässlichere Verbündete angesehenen Ländern des ‚neuen Europa'" vollzogen; der Prozess werde von einer Umverteilung der amerikanischen Militärstandorte begleitet, die nach Meinung einiger Militäranalysten zur größten Umorganisation amerikanischer Streitkräfte im Ausland seit 1945 führen werde.

Nach dem Fall der Sowjetunion versuchten die USA ihren Einfluss in Osteuropa und auf dem Balkan auf Kosten Russlands und der EU auszuweiten, indem sie die ehemaligen Satellitenstaaten der Sowjetunion ermutigten, der Nato beizutreten, und indem sie bilaterale Wirtschafts- und Sicherheitsabkommen abschlossen. Ein Aspekt davon war die Einrichtung von neuen Militärbasen in ehemaligen Anlagen des Warschauer Pakts von Polen bis Rumänien. Nach der Sprachregelung des Pentagon sind das "virtuelle" Basen - d.h. relativ kleine Stützpunkte an Stelle der großen Basen, auf die sich das US-Militär im Kalten Krieg gestützt hatte -, die sich wie Inseln über Europa bis nach Zentralasien und dem Nahen Osten erstrecken sollen, Regionen von zentraler Bedeutung für die geostrategischen Interessen der USA.

Marinegeneral James. L. Jones, der höchste US-Offizier in Europa, sagte im April vor der Presse: "Ich glaube nicht, dass wir darüber sprechen, ein neues Ramstein zu bauen [der größte amerikanische Luftwaffenstützpunkt in Deutschland] oder eine andere große strategische Anlage, wo gleichzeitig eine kleine US-Stadt mit Familien, Schulen und allem drum und dran gebaut wird. Vielmehr versuchen wir eine ganze Gruppe von leicht anpassbaren Basen zu bauen, die bei Bedarf sehr schnell von klein auf mittel oder groß gebracht werden können, und sehr effizient und ökonomisch gebaut sind."

Das US-Verteidigungsministerium hat große Summen in riesige Transportflugzeuge investiert, die ganze Einheiten inklusive Ausrüstung von Garnisonen in den USA zu Einsatzorten überall auf der Welt transportieren können. Für die Militärplaner ist es so leichter, die Ablehnung künftiger Aggressionskriege durch rivalisierende Regierungen und die öffentliche Meinung ins Leere laufen zu lassen. Diese Umstrukturierung, die von den Pentagonstrategen schon seit Anfang der neunziger Jahre vorbereitet wurde, ist ein weiterer deutlicher Hinweis auf den unilateralistischen und aggressiven Kurs, den die US-Außenpolitik eingeschlagen hat, seit der Zusammenbruch der Sowjetunion weite Teile des Globus zugänglich gemacht hat, von denen amerikanische Truppen bis dahin ausgeschlossen waren.

Die militärische Umorganisation wird dazu führen, dass mehrere der sechzehn US-Kasernen in Deutschland geschlossen werden. In den letzten Jahren haben sich US-Militärs darüber beschwert, dass Manöver in Deutschland aufgrund von Umweltauflagen und anderer juristischer Beschränkungen immer schwieriger werden. Zu den Gründen für die Verlagerung amerikanischer Basen nach Osten gehört auch das Bestreben des US-Imperialismus, unabhängig operieren zu können, ohne Behinderung durch die potentiell problematischen Beziehungen zu den großen europäischen Rivalen. Der Verteidigungsanalyst beim Brookings Institute, Peter Singer, sagte im Radio Free Europe: "Es macht Sinn einige dieser Truppen in Gebiete zu verlegen, wo es größeren Bedarf gibt, weg aus Gebieten, wo es lokalen Widerstand gibt, wo sie unpopulär sind, wo sie nicht richtig üben können."

Die Verlegung von US-Standorten nach Osteuropa wird an den neuen Standorten langfristig kaum populärer sein. Die öffentliche Meinung über den Irakkrieg unterschied sich im "neuen Europa" nicht wesentlich von der in Westeuropa. Die im ehemaligen Jugoslawien stationierten US-Truppen haben sich den Ruf erworben, in Prostitution und andere kriminelle Aktivitäten verwickelt zu sein. Aber die Bush-Regierung ist der Meinung, dass sie in den ex-stalinistischen Halbgangstern, aus denen die herrschende Elite der ehemaligen Sowjetsatelliten besteht, Partner gefunden hat, die leicht im Sinne ihrer militaristischen Ziele zu manipulieren sind.

· Polen ist Nato-Mitglied und einer der wichtigsten Verbündeten Bushs bei der Invasion und Besetzung des Irak. Es ist das größte der zehn Länder, die im Mai nächsten Jahres in die EU aufgenommen werden. Trotz der Opposition Frankreichs und Deutschlands gegen die Invasion stellte sich Polen fest auf die Seite der USA und schickte während der Invasion Sondertruppen und eine Brigade zur Unterstützung der Besatzung in den Irak.

· Auch mit Ungarn versuchen die USA ihre bilateralen Beziehungen zu intensivieren, während das Land gleichzeitig stärker in den Einflussbereich der europäischen Mächte gezogen wird. Wie Polen war auch Ungarn ein besonders eifriger Helfer beim "Krieg gegen den Terrorismus" und der Invasion des Irak. Seit 1995 beheimatet der Luftwaffenstützpunkt Tazar ein Logistikzentrum der US- und Nato-Truppen auf dem Balkan. In den Monaten vor der Invasion des Irak nützten die USA die Basis - die eingerichtet worden war, um die Operationen im ehemaligen Jugoslawien zu unterstützen - zur Ausbildung exilirakischer Söldner aus dem Dunstkreis von Ahmed Tschalabi.

· Janes Intelligence Digest zufolge könnte Albanien nach einem Besuch von Donald Rumsfeld Anfang des Jahres das nächste auf der Liste der Länder sein, in denen eine dauerhafte amerikanische Militärpräsenz etabliert wird. Albanien spielt als Verbündeter der USA eine Schlüsselrolle auf dem Balkan. Es bewaffnete und finanzierte die von den USA unterstützte UCK im Kosovo.

· Der Beitritt Bulgariens zur Nato wird für nächstes Jahr erwartet. Seine Streitkräfte sind seit dem Ende der Sowjet-Ära erheblich umstrukturiert worden, hauptsächlich unter Einflussnahme der USA. Als Teil eines 60-Millionen-Dollar-Geschäfts, Huey Hubschrauber der US-Luftwaffe zu kaufen, erhielten bulgarische Rüstungsfirmen einen Vertrag als regionales Reparaturzentrum für die militärische Ausrüstung der USA.

Die USA bauten den bulgarischen Flughafen Sarafovo zu einem Stützpunkt für KC-135-Tankflugzeuge aus und nutzten den nahegelegenen Hafen für den Feldzug gegen den Irak. Die bulgarische und die amerikanische Regierung stehen in Verhandlungen, dort einen permanenten Militärstützpunkt zu errichten. Ein kleines bulgarisches Kontingent tut gegenwärtig in Afghanistan Dienst.

· Seit Clinton 1997 eine strategische Partnerschaft mit Rumänien bekannt gab, gilt das Land als wichtiger Verbündeter der USA auf dem Balkan. Rumänien war das erste Land, dass sich dem Nato-Projekt "Partnerschaft für Frieden" anschloss, das als eine Vorstufe für den Beitritt zur Nato galt. Die USA planen, eine Luftwaffenbasis auf dem Flughafen Michail Kogalniceau und einen Marinestützpunkt im Schwarzmeerhafen Konstanza einzurichten. Während des Angriffs auf den Irak war der Hafen eine wichtige Versorgungseinrichtung für das US-Militär. Der rumänische Ministerpräsident Adrian Nastase hat sich mehrmals mit General Myers, dem US-Generalstabschef, und mit Gregory Martin, dem Chef der US-Luftwaffe in Europa, getroffen, um die Chancen für ein solches Projekt auszuloten. Nastase hat sein Land als "exzellentes Sprungbrett in mehrere Regionen" wie den Kaukasus und den Nahen Osten angedient.

Bulgarien und Rumänien streben einen Beitritt zur EU für 2007 an und befinden sich zur Zeit in Beitrittsverhandlungen. Wegen ihrer vorbehaltlosen Unterstützung für die USA Anfang des Jahres hat der französische Präsident sie allerdings abgewatscht; er sagte, die beiden Staaten hätten sich besonders unverantwortlich verhalten, als sie sich der französisch-deutschen Position wiedersetzten, und damit ihre Beitrittschancen gefährdet. Aber die herrschenden Eliten Bulgariens und Rumäniens waren der Meinung, der zeitweise Zorn Frankreichs sei ein tragbarer Preis für die potentiell lukrativen Verträge mit dem Pentagon. Janusz Bugajski vom Zentrum für Strategische und Internationale Studien in Washington sagte zu den amerikanischen Plänen, in den beiden Ländern dauerhaft Stützpunkte einzurichten: "Diese Länder haben sich im Irakkrieg und auch in anderen Fragen, wie z.B. dem Wiederaufbau in Afghanistan und ganz allgemein im Anti-Terrorkampf, als sehr gute Verbündete erwiesen... Das ist eine Art Belohnung."

Bei den Plänen der USA, große Teile ihres europäischen Militärapparats in Länder auf dem Balkan zu verlegen, geht es um viel mehr als um eine "Belohnung" für ihre Unterstützung im Irakkrieg. Der Grund ist die Nähe dieser Länder zu einigen der wichtigsten Öl- und Gasquellen der Welt. Angefangen mit der Förderung der Auflösung Jugoslawiens Anfang der 90er Jahre, über die Nato-Bombardierung Jugoslawiens bis hin zur gegenwärtigen Verlegung amerikanischer Truppen und Stützpunkte in dieses Gebiet hat der amerikanische Imperialismus versucht, sich als beherrschende Macht in Südwesteuropa zu etablieren. Von dort soll das amerikanische Militär in der Lage sein, den Nahen Osten und das kaspische Becken zu erreichen, und die Kette von neuen US-Stützpunkten zu ergänzen, die unter dem Vorwand des Kampfs gegen den Terrorismus von Katar bis Kirgisistan eingerichtet wurden.

Die USA waren in der Lage ihren Einfluss und ihre militärische Präsenz in Osteuropa auszubauen, obwohl die Europäische Union in der Region wirtschaftlich dominierend ist. Die meisten Länder entlang der Ostgrenze der EU werden der EU im nächsten Jahr beitreten und die Währungen der meisten Länder sind an den Euro gebunden, nachdem sie bereits vorher schon an die deutsche Mark gebunden waren. Alle Kandidatenländer wickeln mindestens die Hälfte ihres Handelsvolumens mit EU-Ländern ab, während es mit den USA nur geringen direkten Austausch gibt. Polen wickelt z.B. 70 Prozent seines Außenhandels mit der EU ab und bezieht 61 Prozent seiner Importe von dort. Im Gegensatz dazu belaufen sich die Vergleichszahlen für die USA auf 2,4 Prozent der Exporte und 3,4 Prozent der Importe.

Die neuen militärischen Partnerschaften, welche die USA in der Region aufgebaut haben, sollen teilweise als Gegengewicht zum Einfluss der EU dienen. Die Regierungen der osteuropäischen Staaten ihrerseits hoffen, durch ihre Anlehnung an den US-Militarismus ihre Position in der EU zu stärken, von der sie überrollt zu werden drohen.

Washington hofft auch, dass es die Spaltung in Europa durch eine Reihe bilateraler Abkommen, durch Drohungen und Bestechungen entsprechend seiner unmittelbaren außenpolitischen Interessen aufrecht erhalten kann. Die Beziehungen der USA zu den osteuropäischen Ländern sollen eine einheitliche europäische Reaktion auf die amerikanische Außenpolitik wie den Aufbau Europäischer Streitkräfte verhindern.

Der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz sagte kürzlich der New York Times : "Ihre Funktion [der ausländischen US-Stützpunkte] ist vielleicht mehr politisch als militärisch, sie senden ein Zeichen an alle."

Da die neuen osteuropäischen Stützpunkte voraussichtlich mit einigen der 68.000 Soldaten bemannt werden, die momentan noch in Deutschland stationiert sind, hofft die Bush-Regierung, die Umorientierung nach Osten werde die deutsche Regierung unter Druck setzen, nicht noch einmal den Fehler zu machen, sich gegen die USA zu stellen, wie sie es vor dem Irakkrieg in der UNO getan hatte. Nach demselben Muster planen die USA, ihr Personal auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik von 3000 Mann auf einen Rest von 500 zurückzufahren, nachdem sich die türkische Regierung geweigert hatte, ihr Territorium für den Angriff auf den Irak zur Verfügung zu stellen. Allgemeiner gesprochen signalisiert Washington, dass Amerika seine alten Verbündeten aus der Zeit des Kalten Kriegs für entbehrlich hält, und dass die Opposition einstmaliger Verbündeter durch die Bildung einer "flexibleren" Allianz wett gemacht werden kann.

Jede Verlagerung amerikanischer Stützpunkte wird, zumindest kurzfristig, enorm teuer, weil die vorgesehenen Anlagen in Osteuropa beträchtlich um-, wenn nicht sogar neu gebaut werden müssen. Außerdem werden die Stützpunkte in Deutschland von der deutschen Regierung mit einer Milliarde Dollar pro Jahr subventioniert, bei Gesamtkosten von sieben Mrd. Dollar im Jahr. Die wirtschaftlich danieder liegenden Staaten Osteuropas können wohl kaum irgendwelche Subventionen gewähren. Stattdessen werden sie eher Zahlungen für die begleitende Infrastruktur erwarten. Selbst für den Fall der Verlagerung von Truppen aus Deutschland müsste das US-Verteidigungsministerium für Entwicklungs- und Sanierungsarbeiten in einem Umfang zahlen, der einer Beibehaltung der Stützpunkte für acht Jahre gleichkäme. Es wären also Milliarden zusätzliche Dollar notwendig, um die Pläne umzusetzen.

Siehe auch:
Irak-Krieg spaltet die Nato
(13. Februar 2003)
Die Desintegration der Nato
( 13. Februar 2002)
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