Wie das Zuwanderungsgesetz zu einem Abschiebungsgesetz wurde

Am Montag, den 3. Mai trat Reinhard Bütikofer, Parteivorsitzender der Grünen, vor die Presse und erklärte: "Das Spiel ist aus!" Er verkündete den Abbruch der Gespräche mit CDU/CSU im Vermittlungsausschuss über das sogenannte Zuwanderungsgesetz.

Die Verhandlungen zogen sich bereits über Monate hin. Ihr Hauptinhalt waren immer weiter gehende Vorschläge zur erleichterten Abschiebung, die Einführung von Sicherungshaft für verdächtige Ausländer bei unüberwindbaren Abschiebehindernissen, die Einrichtung einer zentralen Datei über islamistische Extremisten, und andere Maßnahmen zur Staatsaufrüstung.

Innenminister Otto Schily (SPD), der am selben Nachmittag in einer Pressekonferenz gesagt hatte, dass er trotz wiederholtem Scheitern der Gespräche am ersten Mai-Wochenende weiterverhandeln wolle, reagierte erbost auf die Erklärung der Grünen. Und nach hektischen Gesprächen zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Außenminister Joschka Fischer (Grüne) wurde einige Tage später erklärt, dass man einen letzten Einigungsversuch mit der Opposition unternehmen wolle. Auch die Grünen stimmten auf ihrem Kleinen Parteitag am 8. Mai dieser Vorgehensweise zu.

Ein genauerer Blick auf die Hintergründe beweist, dass der Abbruch der Gespräche von Seiten der Grünen nichts mit Opposition gegen ein repressives Gesetzespaket zu tun hatte. Ihr Vorgehen scheint vielmehr mit der Krise der rot-grünen Regierungskoalition an mehreren Fronten zusammenzuhängen und ist als Warnzeichen gegenüber der SPD zu verstehen, dass es einige Regierungsmitglieder - wie Otto Schily oder Wolfgang Clement (Wirtschafts- und Arbeitsminister) - mit ihren offenen Avancen in Richtung einer Großen Koalition nicht zu weit treiben sollten.

So erklärte Reinhard Bütikofer in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau vom 5. Mai: "Es geht jetzt darum, den Blick nach vorn zu richten und praktisch zu planen, was Rot-Grün umsetzen kann. Ein Beispiel: Abschiebeerleichterungen. SPD und Grüne sind sich längst über Abschiebeerleichterungen für terrorverdächtige Ausländer einig. Die könnten wir umsetzen. Warum sollen wir statt zu handeln der Union noch weiterhin eine Bühne liefern, auf der sie ständig verkünden kann, Rot-Grün wolle keine Sicherheit in Deutschland."

Ähnlich äußerten sich die Vorsitzende der Grünen, Angelika Beer, der Verhandlungsführer der Grünen im Vermittlungsausschuss, Volker Beck und auch die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, die Grüne Marieluise Beck. Alle betonten, dass in dem Gesetz die Sicherheitsfragen beachtet werden müssten. Von dem ursprünglichen Teilziel, Einwanderung zu regeln, ist praktisch nichts mehr übrig geblieben.

Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 6. Mai haben die Grünen in einem internen Argumentationspapier 92 Punkte aufgelistet, in denen sie der Union nachgegeben haben. "Wir haben unsere eigenen Leute gequält von Woche zu Woche mit immer neuen Zugeständnissen an die Union".

Verschärfung des ersten Entwurfs

Die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss waren notwendig geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2002 die Abstimmung über den Gesetzentwurf im Bundesrat für ungültig erklärt hatte. Die Bundesregierung brachte das Gesetzespaket erneut im Bundestag ein, wo es mit rot-grüner Mehrheit verabschiedet wurde, und scheiterte erneut bei der Abstimmung im Bundesrat (Länderkammer), in dem inzwischen die unionsgeführten Länderregierungen die Mehrheit haben.

Die World Socialist Web Site schrieb damals:

"Das rot-grüne Zuwanderungsgesetz, das eigentlich am 1. Januar 2003 in Kraft treten sollte, ist alles andere als die große demokratische Reform des Ausländerrechts, als die sie von ihren Autoren ausgegeben wird.

Neben wenigen Verbesserungen - die Anerkennung nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung als Asylgründe, die Aufnahme einer, allerdings sehr schwammig formulierten, Härtefallregelung für Flüchtlinge - sollte das Gesetz vor allem der Abwehr und Begrenzung von Einwanderern und Flüchtlingen dienen. Zuwanderung sollte alleine dann erfolgen dürfen, wenn sie ‚den Interessen Deutschlands’ (Innenminister Otto Schily, SPD) dient. Zudem wurde sichergestellt, das eine möglichst dauerhafte Einwanderung unterbleibt, indem die Durchführung von Abschiebungen erleichtert und die Erlangung einer dauerhaften Niederlassungserlaubnis wesentlich erschwert wurde.

Die Annullierung des Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht wird zur Folge haben, dass an seine Stelle eine noch restriktivere Regelung tritt.... Die Vorsitzenden von CDU und CSU, Angela Merkel und Edmund Stoiber, haben bereits deutlich gemacht, dass die Union im Bundesrat einem überarbeiteten Gesetzentwurf nur zustimmen wird, wenn er die Zuwanderung noch weiter einschränkt." (WSWS, 28. Dezember 2002)

Diese Warnung hat sich vollkommen bestätigt. Und selbst für den Fall, dass Rot-Grün einige Veränderungen, die sie mit eigener Mehrheit durchsetzen könnten, vornehmen würden, sähen diese im Wesentlichen Verschlechterungen gegenüber dem jetzigen Zustand vor. So drehte sich die Diskussion in den letzten Wochen und Monaten fast ausschließlich um Fragen der Inneren Sicherheit, um das Schüren von Ängsten und Abschreckung. Nach den tragischen Anschlägen auf die Nahverkehrszüge in Madrid vom 11. März dieses Jahres wurde sowohl von Seiten der Regierungsvertreter wie der Opposition auf die bereits vereinbarten Verschärfungen weiter draufgesattelt.

Innenminister Otto Schily brachte den Vorschlag ein, Ausweisungen von terrorverdächtigen Ausländern zu erleichtern und zu beschleunigen. Der Bundesinnenminister selbst sollte aufgrund einer "tatsachengestützten Gefahrenprognose" die Abschiebung anordnen können, die nur noch im Schnellverfahren vor einer Instanz, dem Bundesverwaltungsgericht, angefochten werden könnte. Diesem Vorschlag stimmten die Grünen ausdrücklich zu.

Ebenso wurde die Forderung nach Aufenthaltsbeschränkungen und Überwachungsmaßnahmen für terrorverdächtige Ausländer, die nicht abgeschoben werden können, in das Gesetzespaket aufgenommen. Auch diesen Maßnahmen stimmten die Grünen zu.

Die Forderung nach einer allein auf Verdacht begründeten Sicherungshaft - wer ein bisschen mit der deutschen Geschichte vertraut ist, wird sofort an die berüchtigte Schutzhaft der Nazis für politisch Andersdenkende erinnert - wurde ebenfalls von Otto Schily selbst ins Gespräch gebracht. Unionsvertreter nahmen Schily beim Wort und legten einen eigenen Gesetzesentwurf vor, der die präventive Inhaftierung von für gefährlich gehaltenen Ausländern für die Dauer von einem Jahr und länger vorsieht.

Wie schon bei früheren Verhandlungen zum Thema Innere Sicherheit wurde jedes Entgegenkommen der Regierung von der Opposition mit noch weiter gehenden Forderungen beantwortet. Mit einem Katalog von 128 Forderungen waren die Vertreter der Union vor einem Jahr in die Gespräche gegangen.

Dazu gehören die Einrichtung einer Zentraldatei für alle, die Ausländer einladen, Ausweisungsverschärfungen für Schleuser, erleichterte Abschiebung für so genannte Extremisten und deren Unterstützer, die Einschränkung des Staatsbürgerschaftsrechts und die dauerhafte Kürzung der Sozialhilfe für Asylbewerber. (Nach geltender Gesetzeslage erhalten Asylbewerber für drei Jahre 25 Prozent weniger Sozialhilfe, obwohl die Sozialhilfe als das absolute Existenzminimum definiert ist und seit Jahren nicht an die gestiegenen Lebenshaltungskosten angepasst wurde.)

Viele Vertreter von Flüchtlingsorganisationen und Menschenrechtsgruppen haben immer wieder vor den Auswirkungen restriktiver Gesetzesmaßnahmen auch auf bereits hier lebende Ausländer gewarnt. Eine Reihe von Artikeln in der Presse wiesen in den letzten Wochen auch auf die Verfassungswidrigkeit vieler vorgeschlagener Maßnahmen hin.

Ausländern, die nicht an so genannten Integrationskursen (zweimal dreihundert Stunden) teilnehmen oder dort nicht die gefordert Leitung erbringen werden mit finanziellen Sanktionen bestraft und müssen damit rechnen, dass sie ausgewiesen werden. Der Staat seinerseits ist dagegen nicht verpflichtet, ein ausreichendes Angebot an Sprach- und Integrationskursen zur Verfügung zu stellen und schon gar nicht Angebote, die auf die unterschiedlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Einwanderer Rücksicht nehmen. Bereits in den letzten Monaten wurde stark bei Sprachkursen für Ausländer gekürzt. Über die zukünftige Finanzierung streiten sich Bund und Länder.

Heribert Prantl bemerkt hierzu in der Süddeutschen Zeitung : "Es wird eine Schulpflicht etabliert, ohne dass ausreichend Schulen und Lehrer zur Verfügung stehen, gleichwohl aber kann die Verletzung der Pflicht geahndet werden. Die neuen Anforderungen können selbst die alteingesessenen Ausländer in Deutschland in Schwierigkeiten bringen: Viele von ihnen haben zwar jahrzehntelang die schlechten und schlecht bezahlten Jobs gemacht, die die Deutschen nicht mehr haben wollten; sie haben aber immer noch keine guten Deutschkenntnisse und noch immer keinen unbefristeten Aufenthaltstitel."

Schily verteidigt Guantanamo

Die extrem rechten Positionen von Innenminister Otto Schily (SPD) haben es den Unionspolitikern leicht gemacht, die rot-grüne Regierung vor sich herzutreiben und zumindest in einigen wenigen Fragen die Spannungen zwischen SPD und Grünen zuzuspitzen. So dachte Schily vor wenigen Wochen in einem Interview mit dem Spiegel laut über ein "Notwehrrecht gegenüber Terroristen" nach. Dabei fiel sowohl seine rechtswidrige Äußerung "Sie lieben den Tod. Sie können ihn haben", als auch seine Bemerkungen zu Sicherungshaft für "gefährliche" Ausländer und Terrorverdächtige, die nicht abgeschoben werden können.

Entlarvend ist in diesem Zusammenhang eine Aussage Schilys in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 19. März 2004. Auf die Frage bzw. Feststellung: "Wichtig ist ein faires Gerichtsverfahren, ein Menschenrecht gegen willkürliche Inhaftierung. Diese Menschenrechte werden leider auf Guantanamo verletzt", antwortete Schily: "Ich bin sehr kritisch gegenüber Guantanamo. Das sage ich auch unseren amerikanischen Partnern. Aber wir sollten diese Diskussion nicht hochnäsig führen. Die Terroristen in Afghanistan sind keine Kombattanten im Sinne der Genfer Konvention. Es handelt sich nicht um eine kriegsführende Partei, sondern um eine Bande von Verbrechern. Andererseits setzen wir gegen sie nicht nur polizeiliche, sondern auch militärische Mittel ein. Wir haben, das muss man offen bekennen, noch keine eindeutige rechtliche Kategorie gefunden, mit diesen Menschen umzugehen."

Ähnlich wie die amerikanische Regierung erklärt der deutsche Innenminister einzelne Menschen oder ganze Bevölkerungsgruppen für außerhalb des Gesetzes stehend. Für diese gelten noch nicht einmal die Genfer Konventionen. Wer zum "Terroristen" oder "Terrorverdächtigen" oder "Unterstützer" von Terroristen erklärt wird, unterliegt staatlicher Willkür.

Mehrere Presse-Kommentare in den letzten Wochen haben auf die Parallelen zwischen der Verschärfung der Ausländergesetze, die im Vermittlungsausschuss "Zuwanderung" diskutiert und festgelegt wurde, und Guantanamo hingewiesen.

So schreibt Julia Albrecht in einem Artikel zum Zuwanderungsgesetz in Spiegel Online vom 1. April unter der Überschrift "Straße nach Guantanamo": "Eigentlich sollte das Zuwanderungsgesetz die Integration und Zuwanderung von Ausländern erleichtern und verbessern. Doch die zunehmende Terrorangst änderte den Charakter grundlegend. Statt Integration steht nun die Abschiebung im Mittelpunkt. Bundesinnenminister Otto Schily und die Union wollen einen Ausländer bereits bei Verdacht ausweisen, den Rechtsweg verkürzen und jene Ausländer, die man nicht ausweisen kann, in Sicherheitsverwahrung nehmen. So mutiert das Gesetz zu einer Terrorbekämpfungsschrift - und das ohne Not."

Nach den neuen Vorschlägen soll der bloße Verdacht ausreichen, um Menschen auszuweisen oder auf unbestimmte Zeit einzusperren.

Siehe auch:
Bundesverfassungsgericht kippt das Zuwanderungsgesetz
(28. Dezember 2002)
Abwehr von Flüchtlingen und Ausländern gesetzlich verankert
( 20. September 2002)
Ausländerfeinde an der Regierung
( 15. März 2002)
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