Amerikas Tag der Schande

In seiner Amtsantrittsrede am 20. Januar ließ George W. Bush die Welt wissen, dass der amerikanische Imperialismus auch weiterhin nach Weltherrschaft strebt. Der US-Präsident rief zu den Waffen, zu einem Dschihad, und machte klar, dass keinem Land und keiner Regierung erlaubt werde, sich den USA in den Weg zu stellen.

Mit seiner Rede wollten Bush und die Kreise in der herrschenden Elite, für die er spricht, jede Illusion zerstreuen, dass die Katastrophe im Irak oder die international verbreitete Opposition gegen Washingtons Militarismus seine neue Regierung davon abbringen könnten, ihre reaktionären Ziele zu verfolgen.

Nicht zum erstenmal gab er eine Reihe unzusammenhängender Behauptungen, Lügen und Banalitäten von sich. Er brachte kein logisches Argument zustande, sondern wiederholte bestimmte Schlüsselbegriffe immer und immer wieder. Diese konzentrierten sich auf das gottgegebene Mandat der USA, überall auf der Welt einzugreifen, um die Sache der "Freiheit" zu vertreten. In seiner zwanzigminütigen Rede äußerte der Präsident 46 Mal die Worte "frei" oder "Freiheit".

Diese absurde Wiederholung des Begriffs "Freiheit" wird wohl niemanden täuschen, ganz bestimmt nicht die Opfer und Gegner der Verbrechen, die er während seiner ersten Amtszeit im Irak, in Afghanistan und anderswo begangen hat. Bush, Vizepräsident Cheney und der Rest dieser Regierung waten bis zu den Hüften in Blut und Schmutz und sind für den Tod von mehr als 100.000 Irakern und den Tod und die Verstümmelung von Tausenden amerikanischer Soldaten verantwortlich.

Die amerikanische Regierung und Armee haben in Guantanamo, Abu Ghraib und Falludscha gezeigt, welche Art von "Freiheit" für das irakische Volk und die übrige Welt sie im Sinn haben: Unterdrückung, Folter, militärische Besetzung und die Zerstörung ganzer Städte. Auch Nazi-Deutschland und das kaiserliche Japan versprachen, die Völker Europas und Asiens zu "befreien".

Man kann die reaktionäre, wunderliche Substanz von Bushs Rede nicht von dem Rahmen trennen, in dem sie gehalten wurde. Die Freiheit, die Bush ständig zur Rechtfertigung von Militarismus und Krieg beschwor, fehlte bei den Inaugurationsfeierlichkeiten in auffälliger Weise. Kriegsrechtsähnliche Bedingungen wurden der Hauptstadt aufgezwungen. Tausende Demonstranten wurden von einer ganzen Armee von Polizisten außer Sichtweite gehalten.

Als Bush gerade wieder einmal seine Ergebenheit für die Sache der Freiheit beteuerte, konnte man einen Polizisten beobachten, der die Beseitigung eines Transparents forderte. Gegen Ende der Rede zeigten Fernsehkameras Demonstranten, die festgenommen wurden, weil sie es offenbar gewagt hatten, Bush auszubuhen.

Der Zeremonienmeister der Inauguration, Senator Trent Lott aus Mississippi, hatte 2002 von seinem Posten als Mehrheitsführer im Senat zurücktreten müssen, weil er den Präsidentschaftswahlkampf Strom Thurmonds von 1948 gepriesen hatte. Thurmond hatte mit einem Rassentrennungsprogramm für die States’ Rights Party kandidiert. Ein Kommentator erwähnte den besonders starken "Mississippi-Einfluss" bei den Inaugurationsfeierlichkeiten. Der unerträgliche Einfluss der christlichen Rechten war überall zu spüren. Gebete, religiöse Hymnen und Lobpreisungen Gottes gab es im Überfluss.

Bushs Rede war eine weitere Gelegenheit, der amerikanischen Bevölkerung Furcht und Beklemmung einzuflößen. Er sprach von "ganzen Weltregionen, die brodeln vor Zorn über die Tyrannei", womit er vermutlich den Nahen Osten meinte. Ganz nebenbei verwandelte Bush diese Regionen - die in Wirklichkeit vor Zorn darüber brodeln, dass Washington dort Tyrannen unterstützt und im Irak einmarschiert ist - in eine "tödliche Bedrohung" für das amerikanische Volk.

Der Tenor der Rede war, dass nach dem 11. September Amerikas göttliche Bestimmung, die "Freiheit" über die ganze Welt zu verbreiten, mit der nationalen Sicherheit der USA zusammenfalle. Oder, um das Argument von seiner Schwülstigkeit zu befreien und die Botschaft klar und deutlich zu formulieren: Das amerikanische Volk müsse entweder töten, oder werde getötet werden.

Bush bemerkte, dass es nach dem "Schiffbruch des Kommunismus" einige ruhige und friedliche Jahre gegeben habe, bis plötzlich aus heiterem Himmel die Terroranschläge vom 11. September 2001 - die er in quasi biblischen Worten als "den Tag des Feuers" bezeichnete - diese Ruhe zerrissen hätten. Jetzt verstehen wir, behauptete er, dass "dem Frieden am besten gedient ist, wenn wir die Freiheit in der ganzen Welt verbreiten".

Die Ereignisse, über die Bush spricht, stehen in einem Zusammenhang, aber in einem anderen, als er behauptet. Der Zusammenbruch des Stalinismus in der UdSSR und Osteuropa Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre schaffte die Voraussetzung für den heutigen Ausbruch der amerikanischen Aggression. Das Ende der Sowjetunion bot den Vereinigten Staaten die Gelegenheit, den Niedergang ihrer ökonomischen Vorherrschaft durch den Einsatz des Militärs aufzuhalten. Die Bush-Regierung ist Verkörperung dieser neuen Politik, für die der 11. September nur den Vorwand lieferte.

Entsprechend dem trügerischen Charakter des imperialen Projekts der Bush-Regierung hatte die Amtseinführungsrede einen panischen, ja gelegentlich schwachsinnigen Unterton. Diese Regierung versucht unablässig und absichtlich Furcht und Hysterie zu streuen, aber in ihrer eigenen Mentalität herrscht mehr als eine Spur von Verzweiflung und Paranoia. Die amerikanische herrschende Elite glaubt, nur ein kleines Zeitfenster zu haben, um die Kräfte zurückzudrängen, die sie zu überwältigen drohen.

"Die Tyrannei in unserer Welt zu beenden", erklärte Bush, sei "jetzt die Berufung unserer Zeit". Das sollte als unheilvolle Warnung verstanden werden. Die Invasion im Irak war nur das Vorspiel.

Die Kommentare in den Medien taten Bushs Rede großenteils einfach als Inaugurationsrhetorik ab, die keine Auswirkungen auf die Politik haben werde. Das ist grundfalsch. Es gibt auffällige Parallelen zwischen dem Verhalten der Bush-Regierung und dem zunehmenden Wahnsinn der deutschen Außenpolitik Ende der dreißiger Jahre, als die wirtschaftliche Situation des deutschen Imperialismus zunehmend unhaltbar wurde.

Der objektive Hintergrund für Bushs Ruf zu den Waffen sind das massive Haushalts- und Handelsdefizit des US-Kapitalismus und eine ökonomische Struktur, die sich immer weniger aufrecht erhalten lässt. Wenn man ihn beim Wort nimmt und "Verbreitung der Freiheit" als ein Codewort für Aggression versteht, dann umriss Bush gestern ein Programm für ungezügelten Militarismus auf der ganzen Welt.

Vorbereitungen für einen Krieg gegen den Iran sind schon von dem Journalisten Seymour Hersh im New Yorker enthüllt worden. Vergangene Woche zählte Condoleezza Rice, Bushs Kandidatin für das Amt des Außenministers, bei ihrer Anhörung vor dem Auswärtigen Ausschuss des Senats die Länder auf, die ganz oben auf der Liste der Opfer für US-Aggressionen stehen. Rice bezeichnete Nordkorea, Iran, Kuba, Weißrussland, Simbabwe und Burma als "Vorposten der Tyrannei". Dann stieß sie Drohungen gegen Syrien und Venezuela aus. Die Bush-Regierung schlägt eine Politik der Subversion und militärischen Intervention gegen Länder in Südamerika, Europa, Asien und Afrika vor.

Der Präsident akzeptierte in seiner Amtseinführungsrede keinerlei Beschränkungen des "Rechts" der USA, Regierungen zu stürzen und ihre Länder zu überfallen. Für die Souveränität der Nationen, die Rolle der UNO, die Gültigkeit von Verträgen und die Bestimmungen des Völkerrechts legte er nicht einmal Lippenbekenntnisse ab.

Er warnte Amerikas Verbündete: "Die Spaltung der freien Nationen [d.h. Opposition gegen Washingtons Diktat] ist das oberste Ziel der Feinde der Freiheit."

Bush wandte sich an die "Völker der Welt" und versprach ihnen, sie von "Unterdrückung" zu befreien. Aber die Völker der Welt haben ihn in ihrer großen Mehrheit längst durchschaut. Dem Christian Science Monitor zufolge "ist Präsident Bush nach den meisten Berichten weltweit unbeliebt, ja verhasst.... Mr. Bush ist der vielleicht unbeliebteste amerikanische Führer der Geschichte." Das Program on International Policy Attitudes meldete vergangenen Herbst: "Gerade einmal zwanzig Prozent der [in 32 Ländern] in aller Welt befragten Menschen waren für die Wiederwahl Präsident Bushs."

Nach einer Umfrage von Zogby von Mitte 2004 ist der Prozentsatz der Araber - der angeblichen Nutznießer von Amerikas Kreuzzug für Demokratie im Nahen Osten - mit einer positiven Meinung über die USA in fast jedem untersuchten Land dramatisch gesunken. Zum Beispiel äußerten 98 Prozent aller befragten Ägypter eine negative Meinung über die USA. Eine andere Untersuchung fand heraus, dass eine Mehrheit der Menschen in Jordanien, Marokko, Pakistan und in der Türkei ebenso wie in Frankreich und Deutschland glauben, dass Washington seinen "weltweiten Krieg gegen den Terror" führt, um die Kontrolle über den Nahen Osten zu erlangen und die Welt zu dominieren.

Genau sowenig hat Bush in den USA ein Mandat für seine endlose militaristische und reaktionäre Politik. Zwar hat er die Wahl, wenn auch knapp, gewonnen, indem er Kriegs- und Terrorhysterie schürte, die Verwirrung der Bevölkerung ausbeutete und außerdem von der Schlappheit der Demokratischen Partei profitieren konnte. Aber kurz vor seiner zweiten Amtseinführung hat Bush die schlechtesten Umfrageergebnisse eines wiedergewählten Präsidenten seit fünfzig Jahren. Eine solide und wachsende Mehrheit hält die Invasion im Irak für einen Fehler. Auch gibt es keinerlei Massenunterstützung für seine radikale Veränderung der Altersvorsorge und der Steuergesetzgebung.

Als Bush sich der Situation in den USA zuwandte und seine "lieben Mitbürger" ansprach, verlor seine Rede den letzten Anschein von Kohärenz, den sie bis dahin vielleicht noch aufgewiesen hatte. Zuweilen hatte man keine Ahnung mehr, worüber er eigentlich sprach. Bush ging nur nebenbei ganz kurz auf die tiefe Spaltung des Landes ein und machte nicht einen konkreten Vorschlag gegen die Armut, den Niedergang des Lebensstandards und die bedrückende Verschuldung, unter denen breite Schichten der Bevölkerung leiden.

Er sprach vom Idealismus "einiger Amerikaner", nämlich jener, die an Spionage sowie der Eroberung und Besetzung fremder Länder beteiligt sind. Er forderte die Jugend auf, sich von der "Pflichtauffassung und Treue in den entschlossenen Gesichtern unserer Soldaten" inspirieren zu lassen. Die USA bräuchten Idealismus und Mut, "um die Aufgabe der amerikanischen Freiheit" zu vollenden, fuhr Bush fort; er unterließ es, diese Aufgabe zu definieren.

Nur indirekt ging er auf die Privatisierung der Altersvorsorge ein und forderte eine "Gesellschaft von Besitzern" - mit anderen Worten, eine Gesellschaft, in der der Reichtum der Elite unantastbar ist, während die übrige Bevölkerung sehen muss, wo sie bleibt.

Bush, der als Gouverneur von Texas für die Hinrichtung von 152 Menschen verantwortlich war und dessen persönliche sadistische Ader bekannt ist, ließ sich über die Tugend des "Mitleids" und "ein Herz für die Schwachen" aus.

Er schloss: "Amerika proklamiert in diesem noch jungen Jahrhundert die Freiheit für die ganze Welt und alle ihre Bewohner."

Bewohner dieser Welt, hütet euch!

Nach all dem, was in den letzten vier Jahren geschehen ist, ist der Anblick von George W. Bush, wie er zum zweitenmal seinen Amtseid ablegt, ein zutiefst schändlicher Moment in der amerikanischen Geschichte. Der Gestank der Kriminalität hängt über der Regierung - und über dem gesamten politischen und Medienestablishment der USA. Bushs Claqueure jubelten ihm nicht ohne Grund zu: Er richtet sich an die reaktionärsten und ungebildetsten Schichten der Bevölkerung.

Die US-Elite hat keinerlei rationale oder progressive Lösung für die Widersprüche des amerikanischen Kapitalismus und taumelt mit geschlossenen Augen auf die Katastrophe zu, mit der moralischen und intellektuellen Null George W. Bush an ihrer Spitze.

Die große Feindschaft gegenüber Bush und der Politik seiner Regierung in der amerikanischen Bevölkerung muss eine wirkliche politische Stimme finden. Kein Vertrauen in die Demokraten, deren gegenwärtige und ehemalige Führer, allen voran Senator Kerry, folgsam an der gestrigen Inauguration teilnahmen! Die enorme latente Opposition gegen Bush muss vereint und gegen den gesamten sozioökonomischen Status Quo gerichtet werden.

Siehe auch:
Die Logik des Irrationalen: Bushs Inaugurationsrede und die globale Strategie des amerikanischen Imperialismus
(25. Januar 2005)
Europa reagiert nervös auf US-Drohungen gegen den Iran
( 22. Januar 2005)
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