Mahmud Abbas und der Niedergang der palästinensischen Nationalbewegung

Teil 2

Nach dem Osloer Abkommen kehrte Abbas gemeinsam mit anderen wohlhabenden palästinensischen Geschäftsleuten in die Palästinensergebiete zurück. 1995 zog er nach Gaza und Ramallah und wurde 1996 Generalsekretär des PLO-Exekutivkomitees. Er spielte bei allen Verhandlungen mit Israel eine wichtige Rolle.

Die Osloer Vereinbarungen beinhalteten die Ablehnung aller Formen des Widerstands gegenüber Israel, auch der Intifada, die Anerkennung des Staates Israel, die Rücknahme der Landforderungen mit Ausnahme von 22 Prozent Palästinas (Westjordanland und Gazastreifen) und die Schaffung einer Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) unter Führung der PLO, die die meisten Funktionen der israelischen Militärbehörde übernehmen würde, darunter auch Polizeiaufgaben und die Verantwortung für die innere Sicherheit, während Israel die Verantwortung für die Außenpolitik, Verteidigung, den Schutz israelischer Siedlungen und die Kontrolle der Grenzen und Grenzübergänge nach Israel behielt. Der letztendliche Grenzverlauf, der Status von Ostjerusalem, die Kontrolle über die Wasserressourcen und das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge wurden für weitere Verhandlungen offen gelassen.

Aus dem Blickwinkel des US-Imperialismus und des zionistischen Staats wurde die palästinensische Bourgeoisie, vertreten durch die PLO, damit beauftragt, die palästinensische Arbeiterklasse im Griff zu halten und Israels Sicherheit zu garantieren. Aus Sicht der palästinensischen Bourgeoisie, die im Exil ein beträchtliches Vermögen angehäuft hatte, konnte selbst solch ein aus zwei nicht verbundenen Teilen bestehender und im Grunde nicht lebensfähiger Staat sie in die Lage versetzen, ihren Reichtum durch die Ausbeutung der eigenen Arbeiterklasse zu vergrößern. Diese Ausbeutung sollte durch den eigenen repressiven Staatsapparat garantiert werden.

Dieser Deal und die Aussicht auf einen Staat, der in wirtschaftlicher Abhängigkeit und politischer Unterordnung zu Israel stände, machten den Gazastreifen zu einer Hochburg des islamischen Fundamentalismus. Der junge Staat war von Vetternwirtschaft und Missmanagement geprägt, und die PLO begann die Rolle des Unterdrückers zu übernehmen, um die Privilegien einer schmalen bürgerlichen Schicht zu sichern.

Im vergangenen Jahrzehnt waren die politischen und gesellschaftlichen Beziehungen in den Besetzten Gebieten von den Versuchen der Palästinensischen Autonomiebehörde geprägt, eine zunehmend verarmte und verbitterte Bevölkerung mit den Bedingungen des Osloer Abkommens zu versöhnen. Die Lage wurde noch durch die Weigerung der verschiedenen israelischen Regierungen erschwert, auch nur ein Element des Abkommens umzusetzen. Die Zahl der Siedlungen und Siedler im Westjordanland und Ostjerusalem hat sich seit dem Osloer Abkommen mehr als verdoppelt.

Auch die wirtschaftlichen Bedingungen verschlechterten sich. Die militärischen Einfälle, Straßensperren, Ausgangssperren, die Zerstörung von Häusern und Festnahmen ohne Anklage und Prozess wurden fortgesetzt. Die israelische Politik wurde in wachsendem Maße von ultranationalistischen, rechten Interessensvertretern der Religiösen und Siedler bestimmt, die jedes Zugeständnis an die Palästinenser ablehnten.

Trotzdem versuchte die PA weiterhin, zu einer Vereinbarung mit Israel zu gelangen, bis die israelische Arbeitspartei-Regierung unter Ehud Barak bei den Gesprächen in Camp David 2000 Forderungen aufstellte, die Arafat nicht akzeptieren konnte: den Verlust ganz Ostjerusalems und schwere Beschränkungen für die Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge.

Nach Scharons provokativem Besuch des Tempelbergs im September 2000 brach die angestaute Wut in der Bevölkerung auf. Erneut erwies sich Abbas als entschlossener Gegner des Widerstands gegen Israel und forderte die Massen auf, die zweite Intifada zu beenden. Dies überzeugte Washington und Tel Aviv davon, ihn 2003 auf dem Posten des Premierministers und als Gegengewicht zu Arafat zu unterstützen. Seine Aufgabe bestand darin, die Intifada zu beenden. Im Gegenzug erhielt er das Versprechen, dass es bis zum Jahre 2005 irgendeine Art der palästinensischen Selbstverwaltung im Gazastreifen und Westjordanland geben würde.

Abbas sah sich ein paar Monate später zum Rücktritt gezwungen, nachdem er aus einem internen Machtkampf mit Arafat als Verlierer herausgegangen war. Arafats Tod im November 2004 versetzte Abbas schließlich in die Lage, mit großer Entschlossenheit vorzugehen und die Hoffnungen zu erfüllen, die das Weiße Haus in ihn gesetzt hatte.

Ein Kompradorenregime

Abbas steht an der Spitze einer Palästinensischen Autonomiebehörde, deren Funktion darin besteht, im Auftrag der Vereinigten Staaten, Israels und der palästinensischen Bourgeoisie die palästinensischen Massen zu unterdrücken.

Das Osloer Abkommen legte den Grundstein für Institutionen, die der Bevölkerungsmasse keine Rechenschaft schuldig sind. Es etablierte eine Präsidialherrschaft, die von einem Rat gewählter Vertreter gestützt wird, und kein parlamentarisches System. Das Abkommen versorgte die entstehende Palästinensische Autonomiebehörde mit Krediten und Hilfsgeldern internationaler Finanzinstitutionen, was zur Konsolidierung der Herrschaft eines bürgerlichen Kompradorenregimes beitrug - eines Regimes, das vor Ort die Interessen der Finanz- und Handelsmächte wahrnimmt, der Unternehmen und Banken, die die Weltwirtschaft dominieren, und dessen Existenz insbesondere von der Schirmherrschaft Washingtons abhängt.

Die PA etablierte sich als politische Vertretung der außer Landes lebenden palästinensischen Bourgeoisie. Viele ihrer Mitglieder stammen aus alten Patrizierfamilien, die vor 1948 eine privilegierte soziale Stellung innehatten und ihre Zeit im Exil nutzten, um in den Vereinigten Staaten, Europa und der Golfregion das eigene Vermögen zu mehren. Bei ihrer Rückkehr gestattete ihnen die PA, Monopole über alle wichtigen Teile des produzierenden Gewerbes und des Dienstleistungssektors zu errichten und noch größere Gewinne anzuhäufen.

Munib Masri und seine Familie stehen exemplarisch für diese soziale Schicht. Der in Texas erzogene Milliardär aus Nablus kehrte auf Arafats Einladung aus London ins Westjordanland zurück, schloss sich Arafats erstem Kabinett an und half dabei, die Palästinensische Entwicklungs- und Investitionsgesellschaft (PADICO) zu gründen und zu betreiben. Sein Auftrag bestand darin, für die außer Landes lebende Elite in der jungen Ökonomie "Investitionsmöglichkeiten zu schaffen". Zu diesem Zweck umwarb er palästinensische Investoren auf der ganzen Welt und trieb mehr als eine Milliarde Dollar auf.

Dank der Monopole, die sie von der PA erhalten hat, kontrolliert die PADICO das größte Produktionsunternehmen der PA, ein Gewerbegebiet im Gazastreifen mit eigener israelischer Zollstelle. Sie dominiert auch den palästinensischen Aktienmarkt und hält große Anteile an der Energieerzeugung, an Luxushotels und Immobilien. Sie verfügt über einen bedeutenden Anteil an anderen staatlich vergebenen Monopolen, so im Bereich Telekommunikation und Elektrizität. Maher Masri ist der Handels- und Industrieminister.

Premierminister Ahmed Kurei ist selbst ein großer Anteilseigner an Unternehmen, die über Monopole für Zigaretten, Konserven, Milchprodukte und andere Artikel des Grundbedarfs verfügen. Ihm wird vorgeworfen, durch Zementverkäufe an Israel vom Bau der Sicherheitsmauer zu profitieren.

Vor einigen Jahren wurde der persönliche Reichtum des PADICO-Vorstands auf 20 Milliarden Dollar geschätzt. Um dies in Relation zu setzen: Das gesamte Bruttosozialprodukt der Besetzten Gebiete beträgt nur rund drei Milliarden Dollar.

Die Kosten für die Profite und die Monopolpreise lasten auf der palästinensischen Bevölkerung. Die PA unterhält weltweit die höchste Anzahl von Polizisten im Vergleich zur Einwohnerzahl. Ein Drittel des Haushalts der Autonomiebehörde wird für Sicherheit ausgegeben - nicht, um Israel etwas entgegenzusetzen, sondern in erster Linie, um die schmale palästinensische Schicht an der Spitze zu schützen, die seit 1993 eine Blüte erlebt.

Es ist kein Zufall, dass das zentrale Thema von Abbas Antrittsrede die Notwendigkeit war, die Gewalt bewaffneter Gruppen im Zaum zu halten und den palästinensischen Polizeikräften ein Monopol auf Waffengewalt zu verschaffen. Dies dient nicht nur Israels Interessen, sondern auch denjenigen der palästinensischen Bourgeoisie.

Der Niedergang der PLO zeigt, dass es keinen nationalen Weg zur Befreiung der unterdrückten Völker gibt. Man kann der palästinensischen bürgerlichen Elite oder Israel mit begrenzten Widerstandsakten im Rahmen der Intifada nicht wirksam entgegentreten, und erst recht nicht mit Selbstmordattentaten, wie sie die islamistischen Gruppen befürworten. Solche Taten führen nur zu einer Vertiefung der Kluft zwischen den palästinensischen und israelischen Arbeitern. Sie stoßen die arbeitenden Menschen weltweit ab und schaffen den Vorwand für weitere israelische Repressionsakte. Die islamistischen Gruppen selbst artikulieren lediglich die Interessen eines anderen Teils der arabischen Bourgeoisie, die einem religiösen bürgerlichen Staat den Vorzug vor einem säkularen geben.

Ein neuer politischer Weg ist nötig, der den Aufbau einer sozialistischen Partei der Arbeiterklasse erfordert. Unter den Bedingungen einer global integrierten kapitalistischen Wirtschaft kann nur die Perspektive des sozialistischen Internationalismus einen Weg nach vorne weisen. Es ist nötig die palästinensischen Arbeiter mit der Arbeiterklasse in Israel, Ägypten, Syrien, Libanon, Jordanien und im gesamten Nahen und Mittleren Osten auf der Basis eines gemeinsamen Kampfes gegen kapitalistische Ausbeutung und imperialistische Unterdrückung zu vereinen.

Ende

Siehe auch:
Mahmud Abbas und der Niedergang der palästinensischen Nationalbewegung - Teil 1
(2. März 2005)
Jassir Arafat: 1929-2004
( 16. November 2004)
Der politische Bankrott der PLO und die Wurzeln der Hamas
( 11. Juli 2002)
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