Indien beteiligt sich am Kampf ums Öl

"Keiner von uns in Asien sollte den Strategien Außenstehender zum Opfer fallen. Der einzige Weg, um der Geopolitik Anderer etwas entgegenzusetzen, besteht darin, eine eigene Geopolitik zu haben." (Manishankar Aiyer, indischer Erdöl- und Erdgasminister)

Ebenso wie andere asiatische Staaten - China, Südkorea und Japan - hat sich Indien in der jüngsten Zeit dem globalen Kampf ums Öl angeschlossen. Durch diplomatische Manöver, die transnationale Pipeline-Verläufe sowie überseeische Rohöl- und Erdgasproduktionsabkommen sichern sollen, versucht Indien einen größeren Anteil der Weltenergieressourcen für sich zu beanspruchen. Darüber hinaus hat das Land mit einer umfassenden Neustrukturierung seiner nationalen Energieindustrie begonnen.

Indiens Öldurst entspringt zwar wirtschaftlichen Sachzwängen, doch das neue Auftreten des Landes als große Interessensmacht bei ausländischen Energiegeschäften wird weitreichende Konsequenzen auf die weltweite Geopolitik haben. Dies besonders unter den gegebenen Bedingungen, wo die Ölvorräte bereits von den Vereinigten Staaten, der Europäischen Union, China, Japan und Russland heftig umkämpft sind.

Die internationale Ölpolitik Indiens wird im wachsenden Maße zur Konfliktfrage mit den Vereinigten Staaten. Die Vereinigten Staaten sind insbesondere entschlossen, indische Verhandlungen mit dem Iran über eine Pipeline via Pakistan nach Indien zum Scheitern zu bringen. Auch die Entwicklung engerer Beziehungen zwischen Indien, China und Russland sowie Indiens Schmeicheleien gegenüber dem ölreichen Venezuela bedrohen potenziell amerikanische Interessen.

Der Energiebedarf und die Kontrolle über Energievorräte stehen im Zentrum der strategischen Kalkulationen aller Großmächte. Sie sind für die indische Bourgeoisie nicht minder wichtig. Seitdem diese im Jahre 1991 ihre alte, noch aus der Periode nach der Unabhängigkeit stammende nationale Entwicklungsstrategie aufgegeben hat, versucht sie Indien in eine Plattform für weltweite Produktion, Bürodienstleistungen und Forschungsarbeiten zu verwandeln. Sie setzt dabei ihr wachsendes Gewicht in der kapitalistischen Weltwirtschaft, ihr Weltraumprogramm sowie ihre militärischen und nuklearen Kapazitäten ein, um für sich den Status einer Großmacht zu beanspruchen.

In Hinblick auf den globalen Ölverbrauch nimmt Indien immer noch eine vergleichsweise kleine Rolle ein. Obwohl in Indien mehr als 15 Prozent der Weltbevölkerung leben, beträgt der Anteil des Landes am Weltölverbrauch nur drei Prozent. Im Vergleich dazu verbraucht China 7,6 Prozent des Weltöls. Indiens Energiebedarf steigt jedoch enorm. Allein im vergangenen Jahr stieg der Rohölverbrauch des Landes um zehn Prozent. Zudem ist Indien stark auf Ölimporte angewiesen. Etwa 70 Prozent des von Indien verbrauchten Öls wird importiert und Ölimporte machen insgesamt nicht weniger als 30 Prozent aller Importe des Landes aus. Es wird erwartet, dass Indien im Jahre 2020 etwa 80 Prozent seines Ölbedarfs importieren muss.

Indiens Automarkt weist im Weltvergleich die höchsten Zuwachsraten auf, was mit höherem Ölverbrauch und -import einhergeht. Das Wirtschaftswachstum, steigende Ölpreise und in jüngster Zeit die Unterbrechungen bei Öllieferungen aufgrund der US-Militärinterventionen im Irak und in Afghanistan veranlassen die indische Regierung, sich der Jagd nach billigen und sicheren Öl- und Erdgasressourcen anzuschließen.

Hinter Indiens derzeitigem Streben nach Sicherung und Streuung der Öl- und Erdgasquellen steht aber auch in nicht geringem Maße die Angst, hinter andere Länder - insbesondere China - zurückzufallen. Der Vorsitzende des mittlerweile zum Teil privatisierten, früher staatlichen Energieunternehmens ONGC Subir Reha sagte kürzlich in einem Interview mit Bloomberg.com, dass Indien besorgt sei, weil es bei Ölgeschäften mit dem Sudan und Indonesien gegenüber China den Kürzeren zog. Seit "drei bis vier Jahren" habe China bei der aggressiven Suche nach ausländischen Energieressourcen einen "Vorsprung" gegenüber Indien, und die Chinesen hätten "viele Öl- und Gasprojekte bekommen", als die Rohölpreise "in den einstelligen Bereich gefallen waren", klagte Reha. "Als wir auf den internationalen Markt traten, war das Rohöl auf Rekordniveau gestiegen und niemand verkaufte Anteile."

Doch das amerikanische Streben nach Kontrolle über die weltweiten Ölvorräte ist Anlass zu noch größerer Besorgnis. Neu Delhi ist sich sehr wohl bewusst, dass die Vereinigten Staaten nach den Weltölvorkommen greifen, wenn sie ihre militärische Macht durch die Invasion Afghanistans und Iraks in den Nahen Osten und nach Zentralasien ausdehnen. Dies bedroht in starkem Ausmaß die Interessen der indischen Bourgeoisie.

Seit dem Ende des Kalten Krieges und der Abschaffung nationaler Wirtschaftsregulationen hat die indische Regierung eine neue Beziehung zu Washington aufgebaut und eine strategische Partnerschaft zwischen Indien und den Vereinigten Staaten eingeleitet. Die Vereinigten Staaten sind derzeit der größte Handelspartner Indiens und im Rahmen von bilateralen Verteidigungsabkommen, die nach den Terroranschlägen des 11. Septembers geschlossen wurden, haben das indische und amerikanische Militär gemeinsame Übungen im Indischen Ozean und der Südchinesischen See durchgeführt.

Trotz dieser Verbindungen lässt Indiens dringender Bedarf nach sicheren Energieressourcen größere Spannungen innerhalb der indisch-amerikanischen Beziehungen entstehen. Dies wiederum ist ein treibender Faktor für die Bemühungen Neu Delhis, die im Zuge der amerikanischen Invasionen in Afghanistan und im Irak begannen, bessere Beziehungen zu anderen asiatischen Staaten zu etablieren, darunter China, Russland und Iran. Verbunden damit ist die Hoffnung, die amerikanische Macht im Zaum halten zu können.

Es herrschen tiefe wirtschaftliche und geostrategische Konflikte zwischen Indien und China. Doch die derzeitige indische Regierung der Vereinten Fortschrittsallianz unter Führung der Kongresspartei führt die Maßnahmen fort, die von der Vorgängerregierung unter Führung der Bharatiya Janata Party eingeleitet wurden, um die Unstimmigkeiten mit China beizulegen. Indien reagiert argwöhnisch auf die amerikanischen Pläne, Indien zum Frontstaat in möglichen zukünftigen Konfrontationen zwischen den Vereinigten Staaten und China zu machen. Indien achtet auch in wachsendem Maße darauf, direkte Konflikte über Energieressourcen mit China zu vermeiden. Die beiden Länder haben gemeinsame Ölförderprojekte auf den Weg gebracht - unter anderem in Russland, dem Iran und Sudan - und China hat sogar eine noch engere Zusammenarbeit vorgeschlagen.

In Bezug auf diese Veränderungen erklärte der indische Premierminister Manmohan Singh kürzlich: "Die Diplomatie hat sich gewandelt. Heute geht es um Wirtschaft, Handel und Öl." Diesen Worten stimmte der stellvertretende chinesische Außenminister Zhou Wenzhong bei, indem er sagte: "Geschäft ist Geschäft. Wir versuchen, die Politik vom Geschäft zu trennen."

Es gibt Gerüchte über eine inoffizielle indisch-chinesisch-russische Allianz, um dem amerikanischen Eindringen in Asien Einhalt zu gebieten. Am 11. April gaben Indien und China die Bildung einer "strategischen Partnerschaft" bekannt. Singh erklärte dazu: "Indien und China können gemeinsam die Weltordnung neu gestalten." Das Abkommen beinhaltet das Versprechen, den bilateralen Handel zu steigern, die diplomatischen Beziehungen zu verbessern und angesichts "globaler Herausforderungen und Bedrohungen" stärker zusammenzuarbeiten.

Energiesicherheitspakt mit Russland

Als der russische Präsident Putin im vergangenen Jahr Indien bereiste, unterzeichneten die beiden Länder ein Memorandum, in dem sie eine gemeinsame Erschließung und Verteilung der Erdgasressourcen im Kaspischen Becken, den Bau unterirdischer Gaslagerstätten in Indien und einen Technologietransfers von Russland nach Indien vereinbarten.

Während seines Besuchs in Moskau im vergangenen Oktober erklärte der indische Erdöl- und Erdgasminister Manishankar Aiyar: "In dem halben Jahrhundert seit Indiens Unabhängigkeit hat Russland unsere territoriale Integrität garantiert, und in den nächsten 50 Jahren könnte es unsere Energiesicherheit garantieren. Ich spreche über eine strategische Allianz mit Russland im Bereich der Energiesicherheit, die für Indien mindestens ebenso wichtig wird wie die nationale Sicherheit."

Indien hält bereits einen Anteil von 20 Prozent an Russlands energiereichem Sakhalin-1-Ölfeld. ONGC Videsh Ltd (OVL), die Auslandsabteilung des halbstaatlichen indischen Energieunternehmens ONGC, hat Investitionen in Höhe von 1,7 Milliarden Dollar getätigt, die noch im Laufe des Jahres auf 3,5 Milliarden Dollar steigen sollen.

Berichten zufolge beabsichtigt Indien weitere 1,5 Milliarden Dollar in die Sakhalin-3-Gasfelder und noch einmal die gleiche Summe in das russisch-kasachische Ölfeld Kurmangazy zu investieren. Die russische Einladung an Indien, sich dem Sakhalin-3-Projekt anzuschließen, ist besonders bemerkenswert, weil kurz zuvor eine große amerikanische Ölfirma in Bezug auf das gleiche Projekt eine Absage aus Moskau erhalten hatte.

Im Rahmen eines geplanten indisch-chinesischen Joint Ventures stehen Ölfirmen aus Indien und China bereit, Teile des russischen Energieunternehmens Jukos zu kaufen, das vom Putin-Regime konfisziert worden ist.

Mit diesen Schritten soll fraglos eine Art Gegengewicht zur amerikanischen Dominanz über die Energieproduktion erreicht werden. Am 14. Februar berief Indien das dritte Gipfeltreffen der asiatischen Gasimporteure in Neu Delhi ein. Der indische Ölminister Manishankar Aiyer rief alle asiatischen Teilnehmer am Erdgasgeschäft dazu auf, ein asiatisches Gasnetzwerk zu bilden. Das Ziel eines solchen Netzwerks bestehe darin, den Ländern der Region volle Profite aus dem Energiegeschäft zu sichern und dadurch die "elende westliche Dominanz" zu beenden, die Energiesicherheit und Wirtschaftswachstum in Asien verhindert habe.

Diplomatische Vorstöße im Ölgeschäft mit Pakistan und Iran

Der Vorschlag über den Bau einer Pipeline für Öl- und Gastransporte nach Indien, den der Iran gegenüber der inzwischen abgewählten indischen BJP-Regierung gemacht hatte, ist wieder aktuell. Der Iran bemüht sich verstärkt darum, über den Weg des Energiegeschäfts seine diplomatischen Beziehungen zu asiatischen Mächte zu festigen, um den amerikanischen Drohungen, Wirtschaftssanktionen zu verhängen und militärisch zu intervenieren, etwas entgegenzusetzen. Am 7. Januar wurde ein Geschäft über 40 Milliarden Dollar mit der staatlichen iranischen Ölgesellschaft NIOC unterzeichnet. Laut Vertrag wird Indien damit ab dem Jahre 2009 über eine Periode von 25 Jahren hinweg iranisches Erdgas importieren. Im Rahmen dieses Abkommen soll die NIOC auch zwei iranische Ölfelder und ein Gasfeld erschließen.

Die indische Regierung beharrt darauf, ihre Geschäfte mit dem Iran fortzuführen, auch wenn die Vereinigten Staaten Einwände erheben, wie es die US-Außenministerin Condoleezza Rice jüngst bei ihrem Besuch in Indien tat. Am Rande einer Konferenz des Indischen Industrieverbandes sagte Aiyer: "Wir haben die amerikanischen Bedenken zur Kenntnis genommen und ich denke, dass sich die Vereinigten Staaten unseres Energiebedarfs bewusst sind. [...] Wir brauchen im Jahre 2025 etwa 100 Millionen Kubikmeter Erdgas pro Tag. Kann uns Amerika das liefern? Ich versuche lediglich die Energiesicherheit des Landes zu wahren."

Der Iran ist der zweitgrößte Rohölproduzent innerhalb der Organisation Erdölproduzierender Länder (OPEC). Das Land verfügt über zehn Prozent der weltweit nachgewiesenen Ölreserven und die zweitgrößten Erdgasreserven der Welt. Indien betrachtet den Iran als lebenswichtige Verbindung, um Zugang zu den natürlichen Ressourcen und Geschäftsmöglichkeiten in Zentralasien und dem Nahen Osten zu erhalten. Während des dritten Gipfeltreffens asiatischer Gasimporteure im Februar traten Vertreter des staatlichen iranischen Gasexportunternehmens NIGE in Vorverhandlungen hinsichtlich der iranischen Gaslieferungen, die über eine Pipeline an der indisch-pakistanischen Grenze erfolgen sollen. Die Vertragsunterzeichnung soll im Juni in Teheran stattfinden.

Die Entwicklung einer indisch-pakistanisch-iranischen Pipeline wird von Neu Delhi nicht nur als Mittel betrachtet, um ihren Energiebedarf zu decken, sondern soll auch dazu dienen, eine engere Wirtschaftsbeziehung mit Pakistan zu erreichen. Die politische Elite Indiens kalkuliert, dass dies Pakistans davon abhalten wird, einen geopolitischen Konfrontationskurs gegen Indien zu fahren, und die indische Geschäftswelt in die Lage versetzt, den pakistanischen Markt zu dominieren.

Um jedoch ein direktes Abkommen mit Pakistan zu umgehen, hat Indien zwei getrennte Abkommen vorgeschlagen - eines zwischen Indien und Iran über den Gaskauf und ein anderes zwischen Iran und Pakistan über die Pipeline. Während des Gipfeltreffens wurden der ursprüngliche Konstruktionsplan überarbeitet und Pläne für eine Verlängerung der Pipeline nach Südchina aufgenommen.

Indien schaut nach Osten ... und Westen

Neu Delhi hat die frühere Isolationspolitik gegenüber der Militärjunta im burmesischen Rangun aufgegeben und im vergangenen Oktober war der burmesische Militärgeneral Than Shwe für eine Woche Gast der indischen Regierung. Der Besuch zielte darauf, engere Beziehungen zu Myanmar (Burma) und auch dem benachbarten Bangladesh herzustellen, zum Teil um den Weg für eine Pipeline frei zu machen, mit der Myanmars Erdgas über Bangladesh nach Indien transportiert werden soll.

Das burmesische Pipelineabkommen wurde in Indien als wichtiger Schritt in Richtung einer regionalen Kooperation gepriesen. Es wird insbesondere als Meilenstein in den Beziehungen zwischen Indien und Bangladesh betrachtet. Nach den Worten des indischen Ölministers erteilte Bangladesh hiermit zum ersten Mal seit über 30 Jahren die Erlaubnis, dass für den indischen Markt bestimmte Waren über das Territorium des Landes transportiert werden dürfen.

Indiens jüngste Initiative, eine führende Rolle bei der engeren regionalen Zusammenarbeit im Rahmen der Vereinigung Südostasiatischer Staaten (ASEAN) und der Bengalischen Initiative für Bereichsübergreifende Technischen und Wirtschaftliche Kooperation (BIMSTEC) zu spielen, ist Teil von Neu Delhis Versuchen, in weiter östlich gelegene Regionen vorzudringen, die traditionell von China und Japan dominiert wurden.

Im Westen hat Indien Energieverträge in Afrika abgeschlossen, unter anderem mit Libyen, dem Sudan und der Elfenbeinküste. Noch weiter westlich versucht Indien langfristige Beziehungen mit einer Reihe lateinamerikanischer Staaten zu etablieren. Unter diesen Ländern sticht vor allem Venezuela hervor. "Venezuela ist unsere Pfeilspitze in Lateinamerika", sagte der indische Ölminister und meinte damit, dass Indien Venezuela benutzen will, um Zugang zu den Energiemärkten anderer südamerikanischer Länder zu erhalten.

Engere Beziehungen zwischen Indien und Venezuela stehen im direkten Gegensatz zu den amerikanischen Versuchen, die Regierung von Hugo Chavez zu isolieren. Während seines viertägigen Besuchs in Indien in diesem Monat unterzeichneten der venezolanische Präsident Chavez und der indische Premierminister Singh insgesamt sechs Energie- und Kooperationsabkommen. Die halbstaatliche Ölfirmen ONGC und das staatliche indische Gasunternehmen GAIL werden einen Anteil von 49 Prozent an den venezolanischen Ölfeldern in San Cristobal erwerben. Die staatliche venezolanische Ölfirma PDVSA wird in der indischen Mangalore-Raffinerie im Bundesstaat Karnataka investieren.

Venezuela, der fünftgrößte Ölproduzent der Welt, versucht derzeit seine Märkte zu streuen, um die Abhängigkeit des Landes von den Vereinigten Staaten zu verringern, die im Augenblick mehr als 60 Prozent des venezolanischen Öls aufkaufen. Venezuela hat in jüngster Zeit die Zusammenarbeit mit Russland, China, Brasilien und Argentinien vertieft und mit diesen Ländern einige Ölabkommen geschlossen.

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