Ex-Innenminister Kanther wegen Untreue zu eineinhalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt

Das Landgericht Wiesbaden verurteilte am Montag den früheren Bundesinnenminister Manfred Kanther wegen gemeinschaftlich begangener Untreue zu eineinhalb Jahren Haft auf Bewährung. Kanther muss zudem 25.000 Euro an die Staatskasse zahlen. Der Finanzberater Horst Weyrauch wurde wegen Beihilfe zur Untreue zu einer Geldstrafe von 360 Tagessätzen je 170 Euro, also 61.200 Euro, verurteilt.

Der 1939 in Schlesien geborene Kanther ist einer der bekanntesten Vertreter des rechten, nationalkonservativen Flügels der CDU. Der studierte Jurist war seit 1970 Landesgeschäftsführer und Generalsekretär der CDU Hessen, deren Vorsitz er 1991 übernahm. 1993 ging er als Bundesinnenminister nach Bonn und übte dieses Amt bis zur Abwahl der Regierung Kohl im Oktober 1998 aus.

Kanther galt als Inbegriff des Law-and-order-Politikers. Als Innenminister erwarb er sich durch seine harte Linie in der Asylpolitik und der Kriminalitätsbekämpfung den Spitznamen "schwarzer Sheriff". Dass nun dieser Mann, der mit unerbittlicher Härte gegen Flüchtlinge vorging und selbst für Bagatelldelikte drakonische Strafen forderte, selbst wegen eines Gesetzesverstoßes verurteilt wurde, zeigt, dass er es mit Gesetz und Ordnung nicht allzu genau nahm, wenn es um die Durchsetzung seiner eigenen politischen Interessen ging.

Das Urteil gegen Kanther und Weyrauch geht darauf zurück, dass sie jahrzehntelang ein Millionenvermögen der hessischen CDU in der Schweiz versteckt und daraus heimlich Parteiaktivitäten finanziert hatten, obwohl das Parteiengesetz zwingend die Offenlegung der Parteifinanzen im jährlichen Rechenschaftsbericht vorschreibt.

Kanther und der frühere CDU-Landesschatzmeister Casimir Prinz Wittgenstein hatten Ende 1983 angeordnet, 20,8 Millionen Mark (10,6 Millionen Euro) aus dem Parteivermögen der hessischen CDU in der Schweiz zu verbergen. Der Auftrag sowie die anschließende Verwaltung des Vermögens wurden von Weyrauch durchgeführt. Aus dieser geheimen Kriegskasse wurden dann Parteiaktivitäten finanziert, wie der Landtagswahlkampf der hessischen CDU im Jahr 1999, der den heutigen Ministerpräsidenten und Kanther-Zögling Roland Koch an die Macht brachte.

Woher diese Gelder kamen, ist bis heute nicht geklärt. Vermutlich stammen sie von der Staatsbürgerlichen Vereinigung, die Konrad Adenauer in den fünfziger Jahren eingerichtet hatte, um Gelder der Wirtschaft in die Kassen der CDU zu schleusen. Da die Staatsbürgerliche Vereinigung als gemeinnützig galt, konnten an sie gespendete Gelder von der Steuer abgesetzt werden, was bei direkten Spenden an die CDU nicht der Fall gewesen wäre. Als diese rechtswidrige, aber von den Finanzbehörden geduldete Praxis Anfang der 80er Jahre im Rahmen des Flick-Skandals aufflog und der Bundestag 1984 neue Regeln zur Parteienfinanzierung erließ, brachten Kanther und Wittgenstein - so wird vermutet - den Schatz der hessischen CDU rechtzeitig in Sicherheit.

Auf Verstöße gegen das Parteiengesetz stehen allerdings keine individuellen Strafen und die damaligen Rechtsbrüche sind ohnehin längst verjährt. Kanther und Weyrauch (das Verfahren gegen Wittgenstein wurde aus gesundheitlichen Gründen abgetrennt) standen vor Gericht, weil sie der CDU durch ihr Verhalten einen erheblichen finanziellen Schaden zugefügt haben. Das Parteiengesetz sieht nämlich drastische finanzielle Sanktionen für falsche Rechenschaftsberichte vor, für die die Bundespartei als ganze haftet. Daher lautete die Anklage auf Untreue gegenüber der CDU.

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) hatte im Februar 2000 nach Bekanntwerden der hessischen Schwarzgeldaffäre von der CDU wegen falscher Rechenschaftslegung 21 Millionen Euro zurückgefordert. Diese Rückforderung wurde vom Bundesverfassungsgericht einen Monat nach Beginn des Prozesses gegen Kanther bestätigt und ist damit rechtskräftig. Diese Summe legte das Gericht als Schadenhöhe fest.

Da das Schwarzgeld auch im Rechenschaftsbericht der Partei für 1998 so wie in allen Rechenschaftsberichten seit 1984 fehlte, hätte die Bundestagsverwaltung theoretisch sogar noch viel mehr Geld von der CDU zurück verlangen können. Nur aus Gründen des "Übermaßverbots", so das Gericht, habe Thierse sich damals auf das Jahr 1998 beschränkt.

Zu Untreue gehört nicht nur der Schaden, sondern auch der Vorsatz. Vorsätzlich im strafrechtlichen Sinne handelt ein Täter, wenn er seine rechtlichen Pflichten kennt, sich bewusst ist, dass er diese Pflichten verletzt sowie die Umstände kennt, die eine konkrete Vermögensgefährdung ergeben.

Hier konnte Kanther kein Unwissen vortäuschen. Die Neufassung des Parteiengesetzes, das die CDU zur Rückzahlung von 21 Millionen Euro verpflichtet, war nämlich unter Federführung seines Ministeriums entstanden, während er Innenminister war. Kanthers Schutzbehauptung, er habe sich mit solchen "Zwergfragen des Verwaltungsrechts" nicht abgegeben, wurden durch Beamten seines Ministeriums widerlegt, die aussagten, "dass dieses Gesetz in Kanthers eigenem Ministerium entstanden war - unter großem Interesse und tätiger Mitwirkung des Minister persönlich, der sich die Entwürfe immer wieder vorlegen und erläutern ließ", wie die Frankfurter Rundschau berichtet.

Daraus folgerte das Gericht, Kanther habe aus allererster Hand gewusst, dass das Verschweigen von Auslandsvermögen in einem Rechenschaftsbericht für seine Partei sehr teuer werden könnte. Er nutzte sein Insiderwissen sogar, um das Geld besser zu verstecken. Kanther, Weyrauch und Wittgenstein hätten den auf Schweizer Konten versteckten Auslandsschatz damals noch schnell einer Liechtensteiner Stiftung überschrieben, befand das Gericht.

Die Höhe des Urteils hat allgemein überrascht. Ursprünglich hatte das Wiesbadener Landgericht die Anklage nicht zulassen wollen. Es musste vom Oberlandesgericht dazu verpflichtet werden. Doch schließlich verhängte es deutlich höhere Strafen als von der Staatsanwaltschaft verlangt. Diese hatte für Kanther lediglich eine Geldstrafe in Höhe von von 72.000 Euro und für Weyrauch eine Geldstrafe von 36.000 Euro gefordert. Die Verteidigung hatte für beide Angeklagten Freispruch beantragt.

Die Höhe der Strafe dürfte - neben der rechtskräftigen Bestätigung des 21-Millionen-Schadens, der der CDU entstanden ist - vor allem durch das uneinsichtige und verstockte Verhalten des Angeklagten beeinflusst worden sein. Der Jurist und ehemalige Innenminister bestand nämlich darauf, sich vor Gericht selbst zu verteidigen, und legte dabei ein Rechtsverständnis an den Tag, das bedenklich an die Geisteshaltung rechter Diktatoren erinnert. Im Kampf gegen linke Gegner, lautete der Tenor seiner Verteidigung sinngemäß, dürften bestehende Gesetze auch einmal missachtet werden.

Kanther räumte zwar ein, dass es falsch war, "das Parteiengesetz nicht absolut befolgt zu haben". Dafür habe er die politische Haftung übernommen, indem er von allen Ämtern zurückgetreten sei. Einen strafrechtlichen Vorwurf könne er aber nicht akzeptieren.

In seinem Schlusswort hob er zu einer politischen Tirade an, die an den Höhepunkt des Kalten Krieges erinnerte. "Vom Rechtlichen" wolle er nicht reden, betonte er. Stattdessen beklagte er seine angebliche "öffentliche Hinrichtung" in den vergangenen Jahren. Dann behauptete er, in den siebziger und achtziger Jahren sei es zum "spätsozialistischen Generalangriff" gekommen (im Bund regierten damals SPD und FDP), er habe daher als damaliger Landesgeschäftsführer und Generalsekretär in Hessen seine CDU-Landespartei zu einem "Kampfverband" formieren müssen. Die "Kampagnenfähigkeit der hessischen CDU" habe auf dem Spiel gestanden, rechtfertigte sich Kanther und schilderte seine Partei als letzte aufrechte Bastion im Kampf gegen einen "linkswütigen Zeitgeist".

Von Untreue sei daher überhaupt nicht zu reden, hatte schon früher sein Mitangeklagter Weyrauch betont, im Gegenteil sei man der CDU gegenüber eher "übertreu" gewesen. Die Staatsanwälte übernahmen das dann sogar in ihrem Plädoyer und sprachen von "Übertreue als möglichem Motiv für Untreue".

Das Gericht konnte sich diesen Argumenten nicht anschließen, ohne sich selbst zu diskreditieren. Im Gegensatz zu Kanther argumentierte es nicht politisch sondern juristisch. Es stützte sein Urteil auf den finanziellen Schaden, den Kanther angerichtet hatte, und den Umstand, dass er über viele Jahre hinweg bewusst gegen Gesetze verstieß, die er teilweise sogar selbst ausgearbeitet hatte. Die Motive Kanthers für sein kriminelles Handeln waren rechtlich ohne Belang.

Das Gericht würdigte sogar strafmildernd, dass Kanther vom CDU-Schwarzgeldschatz kein Geld für sich persönlich abgezweigt hatte, dass der Ex-Innenminister noch nicht vorbestraft war, sowie die lange Verfahrensdauer von gut fünf Jahren bis zum Urteil und den Umstand, dass bei dem von allen politischen Ämtern zurückgetretenen Kanther "keine Wiederholungsgefahr" zu erwarten sei.

Kanther warf dem Gericht nach der Urteilsverkündung vor, es habe dem öffentlichen Druck nachgegeben. Er gab sich sicher, es werde in der Revision "zurechtgerückt" werden.

Die CDU hat sich nach dem Urteil gegen ihren ehemaligen Innenminister, der von 1992 bis 1998 auch im Präsidium der Partei saß, in Schweigen gehüllt. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch, Wirtschaftsanwalt, Nutznießer der Schwarzgelder und Nachfolger Kanthers als hessischer CDU-Chef, behauptet bis heute, nichts von den schwarzen Kassen gewusst zu haben. Der Prozess hat nichts Gegenteiliges erbracht. Kanther belastete niemand außer den ohnehin Angeklagten. Manche Pressekommentare vermuten, dass sein diesbezügliches Schweigen eine Rückversicherung ist. Der CDU steht nämlich offen, den finanziellen Schaden, den sie durch die von Thierse verfügten Strafzahlungen erlitten hat, zivilrechtlich von Kanther einzuklagen.

Siehe auch:
Was verkörpert Roland Koch in der CDU?
(31. Januar 2003)
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