Parlamentswahl in Italien

Schlammschlacht verdeckt fehlende Alternative

Am kommenden Wochenende wird in Italien das Parlament neu gewählt. Seit fünf Jahren wird das Land von einer Rechtskoalition unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi regiert. Betrachtet man deren politische Bilanz, so scheint ihre Ablösung überfällig. Selten zuvor hat sich eine Regierung bei so breiten Teilen der Bevölkerung derart unbeliebt gemacht.

Berlusconi hat den Irakkrieg unterstützt und 3.000 italienische Soldaten an den Euphrat geschickt, obwohl der Krieg von der Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit abgelehnt wurde. Er hat seine Gesetzgebungskompetenz skrupellos genutzt, um die Interessen seines Firmenimperiums zu fördern und den Kopf aus der Schlinge mehrerer Gerichtsverfahren zu ziehen, die ihm Bestechung und Kontakte zur Mafia zur Last legten. Die Wirtschaft stagniert, die Lebenshaltungskosten steigen. Die Arbeitslosenquote ist zwar offiziell auf 8 Prozent gesunken, doch das ist vor allem auf die Legalisierung von Schwarzarbeit und die Zunahme schlecht bezahlter Jobs (wie Haushaltshilfen) zurückzuführen. Bei Jugendlichen und Frauen liegt die Arbeitslosigkeit immer noch über 25 Prozent.

Selbst der Unternehmerverband, der vor fünf Jahren noch geschlossen hinter Berlusconi stand, hat sich mehrheitlich von ihm abgewandt. Er wirft dem Medien-Tycoon vor, sich vorrangig um seine eigene Interessen gekümmert zu haben, anstatt die versprochenen "Reformen" - sprich: Sozialabbau - zügig voranzutreiben. Vor allem die hohe Staatsverschuldung und das anhaltende Haushaltsdefizit ist den Wirtschaftsvertretern ein Dorn im Auge.

Am 8. März gab der Corriere della Sera, Italiens größte Tageszeitung, seine Wahlempfehlung für Prodi ab. Bei der letzten Wahl im Jahr 2001 hatte der Corriere auf Silvio Berlusconi gesetzt, aber jetzt schrieb der Chefredaktor Paolo Mieli: "Die Regierung hat den Eindruck hinterlassen, dass sie sich mehr um die Lösung der eigenen internen Querelen und um die persönlichen Belange des Ministerpräsidenten als um jene des Landes kümmert."

Drei Wochen vor der Wahl publizierte Mario Draghi, Chef der italienischen Zentralbank, eine vernichtende Bilanz: Italien habe während Berlusconis Regierungszeit dreißig Prozent seiner Konkurrenzfähigkeit eingebüßt, die Unternehmer seien heute mit der Stagnation des Bruttoinlandsprodukts, Exportverlust, Investitionsrückgang und höheren Arbeitskosten konfrontiert.

Auch international ist Berlusconi zunehmend isoliert. Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl, der Berlusconis Partei Forza Italia einst zur Mitgliedschaft in der christdemokratischen Europaparlaments-Fraktion verhalf, trat in Rom auf einer Wahlkampfveranstaltung seines Widersachers Romano Prodi auf. Und die Neue Zürcher Zeitung, Sprachrohr des Schweizer Finanzkapitals, meint: "Fünf weitere Jahre Berlusconi kann sich Italien nicht leisten."

Die Ohnmacht der Opposition

Obwohl Berlusconi der Wind ins Gesicht bläst, steht der Wahlausgang nicht fest. Umfragen sehen zwar das Oppositionslager vier bis fünf Prozent vor der Regierung, aber fast ein Viertel der Wahlberechtigen ist noch unentschieden. Ein Umschwung in letzter Minute gilt daher als möglich.

Wie ist dies zu erklären? Warum kann eine derart korrupte und diskreditierte Figur wie Berlusconi überhaupt noch ernsthaft mit einem Wahlsieg rechnen?

Viele Kommentare führen dies auf das Medienmonopol und das Showtalent des 69-Jährigen zurück, der vor keiner Gemeinheit zurückschreckt, wenn es darum geht, seine Gegner zu diskreditieren. Das mag eine Rolle spielen, kann für sich genommen aber nicht erklären, warum Berlusconi nach wie vor über Unterstützung verfügt. Seine eigentliche Stärke ist die Ohnmacht seiner Gegner.

Die Sorgen und Bedürfnisse der einfachen Leute finden in diesem Wahlkampf keinen Ausdruck. Die gesamte Opposition, insgesamt elf Parteien und Parteienbündnisse, haben sich unter dem Namen Unione hinter einem Mann vereint, der den italienischen Kapitalismus verkörpert wie kein anderer.

Romano Prodi ist Wirtschaftsprofessor, Manager und bürgerlicher Politiker in einer Person. Er begann seine politische Karriere bei den Christdemokraten, stand dann an der Spitze der gigantischen Staatsholding IRI, leitete deren Privatisierung ein und übernahm 1996 erstmals das Amt des Regierungschefs. In dieser Funktion bereitete er Italien durch drastische Sozialkürzungen auf den Euro vor. 1998 zum Rücktritt gezwungen, übernahm er im Folgejahr den Vorsitz der EU-Kommission. In seine Amtszeit fiel die Osterweiterung der EU und die Ausarbeitung der europäischen Verfassung, die später bei den Referenden in Frankreich und Holland zurückgewiesen wurde.

Die Hauptthemen in der letzten Phase des italienischen Wahlkampfs sind Steuern und Wirtschaftspolitik, und in diesen Fragen greift Prodi den amtierenden Regierungschef von rechts an. Das Wahlprogramm von Unione trägt den Titel "Zuverlässigkeit in der Regierung" und fordert eine rasche Konsolidierung des Haushalts. Den Unternehmen verspricht Prodi eine Senkung der Sozialabgaben um fünf Prozentpunkte - was nur durch drastische Kürzungen bei den Renten und Gesundheitsausgaben möglich ist.

Die Medien werfen Prodi mangelndes Charisma sowie ein hölzernes und professorales Auftreten vor. Aber das ist kein äußerliches, sondern ein inhaltliches Problem. Wähler, die mit Arbeitslosigkeit und sinkendem Lebensstandard konfrontiert sind, interessiert es wenig, ob das Defizit des italienischen Haushalts im kommenden Jahr die Maastricht-Kriterien erfüllt oder nicht. Sie suchen nach einer Zukunftsperspektive und einem Ausweg aus der gesellschaftlichen Krise. Eine solche Perspektive kann Prodi ihnen nicht geben.

Das nutzt Berlusconi, um durch hemmungslose Demagogie vorhandene Ängste zu schüren und zu manipulieren. Dabei schreckt er vor nichts zurück, weder vor zweifelhaften Witzen noch vor sexuellen Anspielungen. Er verbreitet Lügen und Verleumdungen und mobilisiert die rückständigsten Vorurteile. Sein Ton wird dabei zunehmend hysterisch - ein Ausdruck der wachsenden Krise des Regierungslagers.

Immer häufiger verliert Berlusconi die Nerven. So rannte er während eines Interviews mit dem staatlichen Fernsehen RAI wutentbrannt aus dem Studio, als ihm die Moderatorin Lucia Annunziata anders als sonst üblich unbequeme Fragen stellte. Am 18. März beschimpfte er auf dem Kongress des Unternehmerverbandes Confindustria öffentlich den Chef eines Schuhkonzerns. Unternehmer, welche die Opposition unterstützten, verkündete Berlusconi vor der versammelten Wirtschaftselite des Landes, seien entweder verrückt oder hätten "Leichen unter dem Bett".

Ein Dauerthema in Berlusconis Kampagne ist der Anti-Kommunismus. Seine politischen Gegner und die Richter, die gegen ihn ermittelt haben, bezeichnet er ausnahmslos als "Kommunisten" und "rote Roben". Kürzlich trieb er es auf einer Versammlung in Neapel so wild, dass sich der chinesische Botschafter zu einem offiziellen Protest veranlasst sah. Berlusconi hatte behauptet, die chinesischen Kommunisten hätten kleine Kinder gekocht, um sie dann als Dünger auf die Felder zu streuen.

Berlusconis Wahlkampflager erinnert immer mehr an ein rechtes Gruselkabinett. Zu ihm gehören nicht nur die Forza Italia des Regierungschefs und ihre bisherigen Koalitionspartner - die post-faschistische Aleanza Nationale, die separatistische Lega Nord und die christdemokratische UDC -, sondern auch zwei faschistische Kleinparteien. Eine wird von Alessandra Mussolini, der Enkelin des Duce geführt, mit der Berlusconi ein Wahlabkommen getroffen hat.

Auch die Lega Nord, berüchtigt für ihre ausländerfeindlichen Kampagnen, schlägt immer wilder um sich. Sie stimmte sofort in Berlusconis Hetze gegen China ein und gab ihr eine protektionistische Ausrichtung. Der frühere Minister Roberto Calderoli sagte: "In China fraß man die Kinder tatsächlich, und heute verschlingen ihre Unternehmen die unseren mit unlauterer Konkurrenz." Calderoli hatte im Februar zurücktreten müssen, weil er mit einer moslem-feindlichen Karikatur auf dem T-Shirt im Fernsehen aufgetreten war und damit Demonstrationen gegen eine italienische Vertretung in Libyen provoziert hatte, in deren Verlauf elf Menschen von den Sicherheitskräften erschossen wurden.

Die Rolle der "Linken"

Romano Prodi verfügt über keine eigene Partei. Seine wichtigste Stütze sind die drei Organisationen, die nach 1991 aus der Kommunistischen Partei hervorgegangen sind: Die Linksdemokraten (DS - Democratici di Sinistra), der Partito Rifondazione Comunista und die Italienischen Kommunisten, eine Abspaltung von Rifondazione.

Sie haben sich mit einem bunten Reigen bürgerlicher Parteien zusammengetan, darunter der liberal-katholischen Margherita, den Grünen, den Europa-orientierten Christdemokraten (UDEUR) und der Liste Italia dei Valori von Antonio di Pietro. Keine dieser bürgerlichen Splitterparteien verfügt über nennenswerten Einfluss. Ihre Aufgabe besteht darin, sicherzustellen, dass Prodis Bündnis Unione in keiner Frage die Grenzen überschreitet, die für die italienische Bourgeoisie akzeptabel sind.

Eine besonders wichtige Rolle kommt in diesem Bündnis Rifondazione, der "Partei der kommunistischen Neugründung"zu. Im Unterschied zu den Linksdemokraten, die sich längst offen zum Kapitalismus bekennen, bedient sich Rifondazione nach wie vor einer kommunistischen Terminologie und behauptet, für eine sozialistische Perspektive zu kämpfen.

Rifondazione hatte 1991, als die alte Kommunistischen Partei Italiens unterging, den Hammer, die Sichel und den Namen "kommunistisch" für sich gerettet und in den folgenden Jahren zahlreiche kleinbürgerlich radikale Gruppen in ihre Reihen aufgenommen. In ganz Europa galt sie als Vorbild der radikalen Linken, obwohl ihre Parlamentsabgeordneten schon in den neunziger Jahren die Regierung Prodi unterstützten.

Im März letzten Jahres beschloss Rifondazione dann auf einem Parteitag in Venedig, Romano Prodi nicht nur parlamentarisch zu unterstützen, sondern gegebenenfalls auch Minister in seiner Regierung zu stellen. Sie rechtfertigte diese offene Kapitulation mit der altbekannten These des "kleineren Übels". Das Volk, erklärte Parteichef Fausto Bertinotti in Venedig, wolle Berlusconi verjagen. "Wer nicht in der Lage ist, zur Verwirklichung dieses Ziels beizutragen, wird von der politischen Szene verschwinden und den Bezug zu den Massen verlieren."

Inzwischen versucht Bertinotti den Eindruck zu widerlegen, das Programm von Unione entspreche dem des Unternehmerlagers. In einem Liberazione -Artikel mit dem Titel "Confindustria ist keine Freundin" behauptete er: "Die Position, die der Präsident [von Confindustria] Luca Cordero di Montezemolo erläutert hat, unterscheidet sich wesentlich vom Unione -Programm". Gleichzeitig lobte er Montezomolos Einschwenken hinter Prodi: "Es ist gut, dass Confindustria... die politische Position ihrer vorherigen Führung und den anti-gewerkschaftlichen Konfrontationskurs aufgegeben hat, den sie in Übereinstimmung mit der Berlusconi-Regierung verfolgt hatte."

Nur ein Sturz Berlusconis, wiederholt Bertinottis gebetsmühlenartig, beinhalte die Möglichkeit einer neuen Epoche sozialer Reformen. "Es ist unser Ziel, Berlusconi zu verjagen, um einen neuen Kurs der Reformen zu eröffnen", hatte er schon auf dem Kongress von Venedig behauptet.

Diese Behauptung ist offensichtlich absurd. Romano Prodi steht für ein politisches Programm, das von der großen Mehrheit der europäischen Bevölkerung abgelehnt wird und gegen das gegenwärtig in Frankreich Millionen auf die Straße gehen.

Das klassische Argument, man müsse das "kleinere Übel" unterstützen, wird im Fall von Bertinottis Stellungnahme für Romano Prodi ad absurdum geführt: Das sogenannte "kleinere Übel" bedeutet in diesem Fall eine bessere, da reibungslosere Durchsetzung der gleichen sozialen Angriffe. Der Hauptzweck dieser Argumentation besteht darin, eine unabhängige sozialistische Bewegung der Arbeiterklasse und der Jugend zu verhindern.

Die feige Kapitulation von Rifondazione Comunista beinhaltet enorme Gefahren. Der Schulterschluss der sogenannten "Linken" mit dem Unternehmerverband bietet Berlusconi sogar die Möglichkeit, mit der ihm geläufigen populistischen Demagogie erneut an den "kleinen Mann" zu appellieren.

Mit ihrer Parteinahme für Romano Prodi übernimmt Rifondazione eine enorme Verantwortung für alle kommenden Angriffe auf die Arbeiterklasse. Wie ernst sie es mit der Regierungsbeteiligung meint, zeigt die Tatsache, dass sie einen bereits aufgestellten Kandidaten, Marco Ferrando, wieder von der Wahlliste strich, weil er gesagt hatte, der irakische Widerstand habe das Recht, auf italienische Besatzungssoldaten zu schießen.

Wie durch ein Brennglas zeigen die italienischen Wahlen das grundlegende Problem, vor dem die Arbeiterklasse überall in Europa steht: Die Notwendigkeit, eine neue, unabhängige Partei aufzubauen, die für ein sozialistisches Programm kämpft.

Siehe auch:
Der Wahlkampf in Italien hat offiziell begonnen
(17. Februar 2006)
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