Militärputsch in Thailand stürzt Regierungschef

Am späten Dienstagabend übernahm das thailändische Militär unter Einsatz von Soldaten und Panzerfahrzeugen die Kontrolle über die Hauptstadt Bangkok. Das Parlamentsgebäude und der Sitz des Premierministers wurden besetzt sowie sämtliche Fernsehstationen übernommen. Der Putsch gegen Premierminister Thaksin Shinawatra folgte auf monatelange politische Querelen, angeheizt durch ein tiefes Zerwürfnis innerhalb herrschenden Elite und eine Verfassungskrise, da die Parlamentswahlen vom 2. April gerichtlich für ungültig erklärt worden waren.

Mit stillschweigender Billigung des thailändischen Königs Bhumibol Adulyadej wurde die Armee mobilisiert, um den für Mittwoch geplanten erneuten Massenprotesten gegen Thaksin zuvorzukommen. Im April und Mai waren bereits Hunderttausende Demonstranten in Bangkok auf die Straße gegangen. Sie hatten Thaksin der Korruption beschuldigt und seinen Rücktritt gefordert. Im April versprach Thaksin, er werde nach Neuwahlen zurücktreten. Als sich die Verfassungskrise jedoch in die Länge zog, schien er nicht bereit, das Ruder abzugeben.

Zur Zeit des Putschs hielt sich Thaksin in New York auf, wo er vor der UN-Generalversammlung eine Rede halten wollte. Als der Premierminister vom Putsch erfuhr, versuchte er, den Armeechef, General Sonthi Boonyaratkalin, zu entlassen und den Notstand auszurufen. Telefonisch gab Thaksin eine Nachricht an die Fernsehstation Bangkok Channel 9 durch; um zweiundzwanzig Uhr zwanzig begann der Sender seine Verordnung auszustrahlen. Laut Bangkok Post wurde die Sendung jedoch unterbrochen, als die Soldaten in die Fernsehstation eindrangen. Um dreiundzwanzig Uhr kontrollierten schwere Panzer sämtliche strategischen Stellen in der Stadt.

Der Zeitung Nation zufolge, erhielten General Sonthi und andere Militärführer um Mitternacht eine Audienz beim König, was deutlich macht, dass der Putsch vom König gebilligt wird. Am frühen Mittwochmorgen ernannten die Militärführer sich selbst zum Rat für Politische Reformen, verhängten das Kriegsrecht, setzten die Landesverfassung von 1997 außer Kraft und erklärten die Thaksin-Regierung, das Verfassungsgericht und den Senat für aufgelöst.

Der Rat für Politische Reformen rechtfertigte den Putsch mit der Erklärung, die Thaksin-Regierung habe eine "beispiellose soziale Spaltung" hervorgerufen, "den König beleidigt" und sich in die Angelegenheiten staatlicher Organisationen "politisch eingemischt". Auch habe es "weit verbreitete Berichte über Korruption" gegeben, die eine Grundlage für juristische Schritte gegen den abgesetzten Premierminister böten.

General Sonthi, der die Rolle eines Interimspremiers übernahm, trat gestern im Fernsehen auf. Er gab bekannt, innerhalb von zwei Wochen werde ein ziviler Premierminister eingesetzt. Die für den nächsten Monat vorgesehenen Wahlen würden jedoch um ein Jahr verschoben; in der Zeit solle eine neue Verfassung ausgearbeitet werden solle. Er drohte mit einem Gerichtsverfahren gegen Thaksin.

Bezeichnenderweise gab der König gestern eine Erklärung heraus, in der er Sonthi als Chef des Rats für Politische Reformen bestätigte und die Staatsbeamten und die Bevölkerung dazu aufrief, "seinen Anordnungen Folge zu leisten". Die Monarchie hat enge Verbindungen zum Militär, das Thailand den größten Teil des zwanzigsten Jahrhunderts direkt regiert hat. Die Rückendeckung des Königs für den Putsch weist darauf hin, dass die konservativsten Elemente der herrschenden Kreise Thailands den Schritt unterstützen.

Die Armee konnte sich besonders in der Hauptstadt die weit verbreitete Feindschaft gegen Thaksin zunutze machen. Soldaten und Panzer wurden mit gelben Schleifen dekoriert - eine Farbe, die ihre Unterstützung für den Monarchen ausdrückt, die aber auch schon zu Beginn des Jahres von den Anti-Thaksin-Demonstranten verwendet wurde. Der Putsch ist bisher auf keinen offenen Widerstand gestoßen, weder bei den Sicherheitskräften, die Thaksin ergeben waren, noch auf dem Land, wo seine Partei Thai Rak Thai (TRT) Unterstützung hatte.

Langwierige Krise

Der Putsch ist der Höhepunkt eines schon ein Jahr währenden politischen Machtkampfs in den herrschenden Kreisen Thailands. Der milliardenschwere Telekommunikationsmagnat Thaksin und seine TRT-Partei gelangten an die Macht, weil sie in den Wahlen von 2001 und 2005 die weit verbreitete Opposition gegen die IWF-"Reformen" ausbeuten konnten. Eine Regierung angeführt von der Demokratischen Partei hatte dieses "Reformprogramm" nach der asiatischen Wirtschaftskrise von 1997-98 durchgesetzt.

Thaksin gewann besonders auf dem Land mit seinen populistischen Versprechungen beachtliche Unterstützung, als er den Dörfern Subventionen versprach, billige Gesundheitsversorgung und protektionistische Maßnahmen zum Schutz thailändischer Unternehmen in Aussicht stellte. Mehr und mehr geriet Thaksin jedoch unter internationalen Druck, das IWF-Umstrukturierungsprogramm wieder aufzunehmen, um ausländische Investitionen anzuziehen und die Wirtschaft zu stützen. Er privatisierte staatliche Unternehmen wie die nationalen Elektrizitätswerke (EGAT) und nahm mit den USA Gespräche über ein Freihandelsabkommen auf.

Diese Schritte riefen erheblichen Widerstand hervor, und auch frühere Verbündete Thaksins wandten sich von ihm ab, wie der Verlagsmagnat Sondhi Limthongul, der letztes Jahr zu mehreren Protestveranstaltungen aufrief. Die Demonstrationen wurden immer größer, und im Februar trieb die Empörung über hunderttausend Menschen auf die Straße, als Thaksin Aktien seiner Familie an dem Telekommunikationsriesen Shin Corp für 1,9 Milliarden US-Dollar verkaufte. Große Wut löste nicht nur die Art aus, wie Thaksin die Steuern umging, sondern auch die Tatsache, dass er einen großen Thai-Konzern an eine ausländische Gesellschaft, nämlich an Temasek, verkaufte. Temasek ist der für Investitionen zuständige Abteilung der Regierung Singapurs.

Die Volksallianz für Demokratie (PAD), die den Protest organisierte, wurde zum Kristallisationspunkt für eine breitere Unzufriedenheit kleinbürgerlicher und Arbeiterschichten. EGAT-Angestellte, die mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes und ihrer Lebensstandards konfrontiert waren, schlossen sich den Massenkundgebungen an. Es gab weitere Proteste dagegen, dass Thaksin die Medien monopolisierte und demokratische Rechte mit Füßen trat. Zum Beispiel führte er 2003 einen brutalen "Krieg gegen Drogen", in dessen Verlauf die Polizei Tausende angebliche Drogendealer ohne Gerichtsverfahren exekutiert haben soll.

Auf den Protestversammlungen verurteilten ehemalige führende Thai-Diplomaten die brutale Unterdrückung demokratischer Rechte im muslimischen Süden des Landes durch die Regierung, wodurch separatistische Aufstände noch verstärkt und die Beziehungen zu Malaysia verschlechtert wurden. Die Kritik widerspiegelte auch eine tiefe Unzufriedenheit innerhalb der militärischen Ränge, weil die Armee im Süden den Ausnahmezustand durchsetzen musste und sich in zunehmendem Maße in einen Bürgerkrieg verwickelt sah.

Thaksin versuchte, die politische Krise zu entschärfen, indem er kurzfristig Parlamentswahlen für den 2. April ansetzte. Zu Recht spekulierte er darauf, dass populistische Wahlgeschenke im ländlichen Norden der TRT die Wiederwahl sichern würde. Die Oppositionsparteien boykottierten jedoch die Wahl, was eine Verfassungskrise auslöste.

In Bangkok war die Feindschaft gegen Thaksin so groß, dass eine Reihe von Parlamentssitzen leer blieben, weil die Wahlbeteiligung das juristische Minimum von zwanzig Prozent nicht erreicht hatte. Der Verfassung zufolge war das Parlament nicht befugt, zusammenzutreten und eine neue Regierung zu bilden, solange nicht alle Mandate vergeben waren.

Die Oppositionsparteien appellierten an den König, Thaksin zu entlassen. Er weigerte sich, übte jedoch hinter den Kulissen Druck auf Thaksin aus, um ihn zum Rücktritt zu bewegen. Am 4. April versprach Thaksin, er werde zurücktreten, sobald ein neues Kabinett gebildet sei, und konnte die PAD bewegen, die Kundgebungen in Bangkok einzustellen. Die Nachwahlen vom 23. April führten jedoch auch nicht dazu, dass die vakanten Abgeordnetensitze aufgefüllt wurden. Deshalb boten auch sie keinen Ausweg aus dem konstitutionellen Patt.

Schließlich intervenierte König Bhumiphol am 25. April direkt. Er bezeichnete die Situation als "Schlamassel", wies erneut die Appelle der Opposition nach Thaksins Entlassung zurück und forderte die Gerichte auf, die Verfassungskrise zu lösen. Am 8. Mai entsprach das Verfassungsgericht den Forderungen der Oppositionsparteien und annullierte die Wahl.

Dennoch setzte sich die politische Krise unvermindert fort, weil Thaksin und seine Gegner erbittert um die Kontrolle über die Staatsorgane kämpften. Aus Sorge, die TRT könnte eine neue Wahl gewinnen, forderten die oppositionellen Parteien die Absetzung der Wahlkommission und unternahmen juristische Schritte gegen die TRT, um sie für illegal erklären zu lassen. Thaksin seinerseits unternahm Schritte gegen seine Gegner und gab zu verstehen, er werde auch nach den Neuwahlen TRT-Führer bleiben.

Einer der unmittelbaren Auslöser für den Putsch scheint Thaksins Vorgehen gegen führende Offiziere, darunter General Sonthi, gewesen zu sein, die dem Premierminister gegenüber kritisch eingestellt waren. Die Londoner Times berichtete, im Juli seien hundert Offiziere mittleren Rangs, die Thaksin gegenüber loyal gewesen seien, von Schlüsselpositionen in Bangkok entfernt worden. Laut der Website der Asia Times war Thaksin gerade dabei, zurückzuschlagen und zwei seiner Getreuen in Schlüsselpositionen im Sicherheitsapparat der Hauptstadt einzusetzen.

Der Asia Times- Journalist Shawn Crispin schrieb: "Der Putsch erfolgt bezeichnenderweise vor dem Hintergrund einer heiß umstrittenen, geplanten Militärumbesetzung, bei der Thaksin trotz Widerstands versucht hatte, Militärpersonal, das ihm loyal war, von der Unterkadettenklasse 10 in die entscheidende Erste Armeedivision zu versetzen. Dies soll Thaksin in Konflikt mit führenden Mitgliedern des obersten Generalstabs und mit dem Geheimen Rat [der Königsberater] gebracht haben. So scheint seine Weigerung, von den geplanten personellen Veränderungen Abstand zu nehmen, ein wichtiger Auslöser für den Putsch gewesen zu sein."

Was jedoch noch wichtiger war: Sonthi und seine Verbündeten waren zutiefst beunruhigt, die ungelöste politische Krise könnte wieder überkochen und Massen einfacher Arbeiter miteinbeziehen. Unfähig, ihre tiefgehenden Spaltungen mit verfassungsmäßigen Mitteln durch Wahlen zu lösen, setzten die herrschenden Kreise eine Militärregierung ein, um vor allem zu verhindern, dass sich eine neue politische Bewegung entwickelt, die droht, der Kontrolle der existierenden Parteien und Institutionen zu entgleiten.

Es ist kein Zufall, dass die oppositionelle Demokratische Partei den Putsch unterstützt. So sagte der ehemalige Premierminister und Parteiführer Chuan Leekpai den Medien: "Als Politiker unterstützen wir einen Putsch in keiner Weise, aber in den letzten fünf Jahren hat die Regierung Thaksin eine Reihe von Bedingungen geschaffen, die das Militär zum Putsch zwangen. Thaksin ist Schuld an der Krise im Land." Die Demokratische Partei war früher gegen Militärherrschaft und stand bei den Massenprotesten von 1992, die zum Sturz der letzten Diktatur führten, in vorderster Front.

Auch die internationalen Reaktionen fielen gedämpft aus. Die Vereinigten Staaten, Großbritannien und andere Großmächte beklagten in ihren Kommentaren den Verlust der Demokratie in Thailand und riefen zu ihrer schnellen Wiedereinführung auf. Aber es gab keinerlei Forderungen nach Sanktionen gegen Thailand oder Appelle, Thaksin als Premierminister wieder einzusetzen. Typisch waren die Worte von Frederick Jones, dem Sprecher des amerikanischen Nationalen Sicherheitsrats: "Wir erwarten von der Bevölkerung Thailands, ihre politischen Differenzen in friedlicher Weise und in Übereinstimmung mit den Prinzipien von Demokratie und Rechtstaatlichkeit zu lösen."

An der Börse brach der Wert des Baht und thailändischer Aktien scharf ein. Dies und eine gewisse Marktinstabilität spiegeln die umfassendere Sorge wider, der Putsch könnte ein Zeichen für weitere politische Unruhen in Asien sein. Michael Spencer, Chef-Volkswirtschaftler für Asien bei der Deutschen Bank in Hongkong, beruhigte die Investoren und erklärte: "Warum sollte es in Asien zu einer Epidemie kommen? Wir haben in ganz Asien Steuerüberschüsse, laufende Bilanzüberschüsse, wir haben Schuldenniveaus, die seit 1997 dramatisch gesenkt wurden."

Dennoch liegen dem Putsch in Thailand unterschwellig tiefer Ärger und Wut auf die Auswirkungen der wirtschaftlichen Umstrukturierungsmaßnahmen zugrunde, die zu der begrenzten wirtschaftlichen Erholung nach der asiatischen Finanzkrise geführt haben. Obwohl die Militärherrschaft zunächst von vielen akzeptiert wird, ist sie weit davon entfernt, die tiefer liegenden wirtschaftlichen und politischen Probleme zu lösen. Sie wird unvermeidlich neuen Widerstand der Bevölkerung hervorrufen und zu weiteren politischen Unruhen führen. Eine der ersten Maßnahmen der neuen Militärherrscher bestand darin, alle Proteste, öffentlichen Versammlungen und Treffen von mehr als fünf Personen zu verbieten.

Zwar hoffen die Finanzexperten, es werde keine "Epidemie" geben, aber viele Prozesse, die sich in Thailand abspielen, haben Parallelen in ganz Südostasien und haben schon zu Anzeichen politischer Instabilität auf den Philippinen, in Malaysia und Indonesien geführt. Ironischerweise sprach Thaksin einen Tag vor seiner Absetzung vor dem renommierten Rat für Auslandsbeziehungen in New York über das Thema "Die Zukunft der Demokratie in Asien". Sein Schicksal könnte gut als Indiz für das Schicksal anderer Regierungen gelten, da die herrschenden Kreise in der gesamten Region unfähig sind, ihre Vorhaben mittels Wahlen durchzusetzen.

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