Die Rolle der Betriebsräte bei der Spaltung der europäischen Autoarbeiter

GM baut in Antwerpen deutlich mehr Arbeitsplätze ab als angekündigt - Arbeitskampf in Gliwice beendet

General Motors Europe (GME) will im Opel-Werk Antwerpen deutlich mehr Arbeitsplätze abbauen als bisher angekündigt. Wie Ende Mai bekannt wurde, werden noch im Laufe dieses Jahres fast 1.900 Stellen gestrichen; zusätzlich werden 400 befristete Jobs ab Juli nicht weiter verlängert. Damit ist die Hälfte der 4.500-köpfigen belgischen Opel-Belegschaft von Entlassung bedroht.

Als Ende April die ersten Nachrichten über Stellenstreichungen bekannt wurden, trat die Belegschaft in Streik und besetzte das Antwerpener Werk zwei Wochen lang. Damit reagierte sie auf den Beschluss der europäischen GM-Konzernleitung, die Produktion des Opel Astra in Antwerpen bis 2010 auslaufen zu lassen. Statt wie bisher 225.000 Wagen pro Jahr sollen dort künftig nur noch rund 120.000 Wagen vom Typ Chevrolet und eines weiteren, kleinen Geländewagens produziert werden, wofür eine Schicht weniger als bisher gebraucht wird.

General Motors, immer noch der weltgrößte Autohersteller, unterhält in Europa fünfzehn Produktions- und Montagewerke mit rund 60.000 Mitarbeitern in neun Ländern. Mitte April gab der Präsident von GM Europe, Carl-Peter Forster bekannt, den Astra in Zukunft nicht mehr in Antwerpen, sondern künftig nur in Bochum, dem polnischen Gliwice, dem britischen Ellesmere Port und dem schwedischen Trollhättan zu bauen.

Die Entscheidung ist Teil einer größeren Umstrukturierung des GM-Weltkonzerns, der die Arbeitsplätze, Löhne und Arbeitsbedingungen der Arbeiter angreift, um die Profite seiner Aktionäre zu steigern. Wie auch andere globale Autokonzerne will General Motors die Produktivität seiner Werke steigern und einen Teil seiner Produktion in osteuropäische Billiglohngebiete verlagern.

In den nordamerikanischen Produktionsstätten und Zulieferbetrieben hat General Motors in den vergangenen Monaten über 30.000 Arbeitsplätze abgebaut, und in Europa sind in den letzten sechs Jahren rund 20.000 Arbeitsplätze vernichtet worden. Der neueste Sparplan von GM Europa sieht weitere Einsparungen in Höhe von 450 Millionen Euro bei den europäischen Personalkosten vor; ab 2010 soll ein PKW in nur noch 15 statt wie bisher 24 Stunden hergestellt werden.

Kürzungsprogramm des Europäischen Arbeitnehmerforums

Bei der Durchführung dieser Pläne arbeitet der Konzernvorstand eng mit seinen "Co-Managern" in den Gewerkschaftszentralen und Betriebsratsbüros zusammen. Zu diesem Zweck wurde ein sogenanntes Europäischen Arbeitnehmerforum (European Employee Forum EEF) geschaffen, das von Klaus Franz, dem Betriebsratsvorsitzender im Stammwerk Opel-Rüsselsheim geleitet wird. Franz ist nicht nur IG Metall-Funktionär und Opel-Gesamtbetriebsratsvorsitzender, sondern auch stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Adam Opel AG.

Franz und das Europäische Arbeitnehmerforum arbeiteten eigene drastische Kürzungspläne aus, um "eine finanzielle Lücke von schätzungsweise 290 Millionen Euro zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Werke zu schließen", wie es in einer Pressemitteilung des EEF heißt. "Weitere Reduzierungen von Strukturkosten würden ebenfalls gemeinsam untersucht, wenn das GM-Management die notwendigen konsolidierten Daten zur Verfügung stellt."

Parallel zu diesem gewerkschaftlichen Sparprogramm übernimmt das Europäische Arbeitnehmerforum gemeinsam mit den Betriebsräten vor Ort die Aufgabe alle Widerstandsversuche der Arbeiter zu isolieren, auf hohlen Trillerpfeifen-Protest zu beschränken und schließlich abzuwürgen. Dies war der Fall bei der einwöchigen Betriebsbesetzung von Opel-Bochum vor drei Jahren, bei der Schließung des Werks im portugiesischen Azambuja vergangenes Jahr, wie auch vor einem Monat bei der Beendigung des Arbeitskampfs in Antwerpen.

Einer der übelsten Aspekte der Betriebsrats- und IGM-Politik besteht darin, dass sie darauf abzielt, die Beschäftigten der verschiedenen Opel-Werke in Deutschland und diese wiederum gegen die Beschäftigten in anderen Ländern auszuspielen.

GM Europe hatte die Produktion für das Nachfolgemodell des jetzigen Astra europaweit ausgeschrieben. Nur die kostengünstigsten Werke sollten einen Produktionsauftrag erhalten. Das unprofitabelste Werk sollte geschlossen werden. Der Bochumer Betriebsratsvorsitzende Rainer Einenkel antwortete auf diese Erpressung auf einer Belegschaftsversammlung in Essen am 28. Januar 2005: "Die besten Chancen, gegen Ende des Jahrzehnts neue Modellaufträge zu erhalten, hat derjenige, der die besten Kostenstrukturen aufweist."

Daraufhin haben Einenkel sowie die Betriebsräte der anderen Werke, sich darangemacht, die "Kostenstrukturen" zu verbessern, indem sie den Arbeitsplatzabbau mit "flankierenden Maßnahmen" begleiteten. Vor dem siebentägigen Streik in Bochum im Oktober 2004 umfasste die Belegschaft in Bochum fast 10.000 Arbeiter. Nun sind noch 4.900 Arbeitsplätze vorhanden. Die jüngsten Kürzungen sehen vor, weitere 1.700 Stellen zu abzubauen. Durch Auslagerungen von Betriebsteilen sollen künftig nur noch 2.200 Arbeiter bei Opel in Bochum angestellt sein.

Diese ständigen Zugeständnisse an die Geschäftsleitung versuchen die Betriebsräte mit dem abgedroschenen Argument zu rechtfertigen, sie hätten eine "Standortgarantie" erreicht. Doch das ist reine Augenwischerei. Das Ende der Salamitaktik ist bereits abzusehen. Im Zusammenhang mit dem immer schärferen Wettbewerb unter den europäischen Standorten kam es daher auch zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Rainer Einenkel und Klaus Franz.

Ein Briefwechsel wurde bekannt, in dem sich die zwei Gewerkschaftsbürokraten vergangenen November gegenseitig vorwarfen, im Interesse des jeweiligen Standorts Verträge umgangen, Geheimprojekte verfolgt, gelogen und betrogen zu haben. (http://www.labournet.de/branchen/auto/gm-opel/allg/schlamm.html)

Erst beschuldigte Klaus Franz den Bochumer Betriebsratsvorsitzenden, Rainer Einenkel, während einer Ausschusssitzung des EEF, er ziehe aus dem "Zukunftsvertrag 2010" von General Motors besondere Vorteile für den Standort Bochum. Darauf reagierte Einenkel sofort mit geharnischten Briefen an Klaus Franz und an den deutschen IG-Metall-Vorsitzenden Jürgen Peters, in denen er Franz seinerseits beschuldigte, dieser lasse in einem "Geheimprojekt" in Rüsselsheim bereits seit Wochen untersuchen, ob der Astra nicht auch im Stammwerk Rüsselsheim gebaut werden könne.

Nur zähneknirschend, aus Angst vor einem Verlust ihrer Kontrolle über die Autoarbeiter und mit einem ständigen scheelen Blick auf die parallel laufende Betriebsbesetzung des VW-Werks in Brüssel-Forest einigten sie sich am Ende notdürftig. So beschwerte sich Klaus Franz am 26. November 2006 in einem Brief an Einenkel über "die Form, Art und Weise, wie Du mit dieser komplizierten Situation (durch VW Brüssel für die IG-Metall besonders sensibel) umgehst" [Hervorhebung MA].

In der Tat gibt es Parallelen zwischen dem jetzigen Deal der Opel-Betriebsräte mit GM Europe und der damaligen Situation bei VW. Die Volkswagenarbeiter hatten das Werk in Brüssel-Forest zum vergangenen Jahresende sieben Wochen lang besetzt, um zu verhindern, dass die Golfproduktion abgezogen, die Hälfte der Arbeitsplätze gestrichen und das Werk zu einem schleichenden Tod verurteilt würde.

Dabei wurden sie von der Führung des europäischen Betriebsrats und dessen Vorsitzenden Bernd Osterloh, der gleichzeitig Vorsitzender des Wolfsburger Betriebsrats ist, systematisch isoliert und im Stich gelassen. Die Produktion wird aus Brüssel abgezogen und auf die deutschen Standorte Wolfsburg und Mosel verlagert, weil die Wolfsburger Betriebsräte zuvor einer Verlängerung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich (von 28,8 auf 33 Stunden) und anderen Verschlechterungen zugestimmt hatten.

Offensichtlich haben Einenkel und Franz ihren Schlagabtausch vom November letzten Jahres so beigelegt, dass sie dafür gesorgt haben, dass Opel-Antwerpen auf Raten geschlossen wird. GM rechnet im günstigsten Fall mit einer Produktionskapazität von bis zu 120.000 Einheiten im dann neu strukturierten Werk. 2006 wurden in Antwerpen vom Astra und vom Astra Twin Top noch 224.000 Einheiten gefertigt.

Opel Bochum hatte sich auf den jüngsten Streik in Antwerpen denn auch vorbereitet. Nach Angaben des Bochumer Betriebsrates Jürgen Schwartz wurden Motorhauben, Türen und andere Pressteile, die in Antwerpen produziert werden, bereits seit Januar auf Halde gelegt. Dies sollte dazu dienen, einen Streik in Antwerpen möglichst ins Leere laufen zu lassen, damit die Produktion "ihres" Werkes durch einen Streik in Antwerpen nicht gefährdet werden kann.

Arbeitskampf in Gliwice

Die Rolle der Betriebsräte als Spezialisten zur Unterdrückung von Arbeitskämpfen wurde vor kurzem auch in Polen sichtbar. Am 31. Mai - dem gleichen Tag, an dem die neuen, massiven Stellenstreichungen in Antwerpen bekannt wurden - reiste Klaus Franz nach Gliwice, um einen Arbeitskampf im dortigen Opelwerk zu beenden. Bezeichnenderweise machte er deutlich dass er nicht als Arbeitnehmervertreter, sondern als Schlichter hinzugezogen worden sei.

Der Konflikt in Gliwice schwelt schon seit Februar dieses Jahres, als die polnischen Gewerkschaftsvertreter von Solidarnosc einen Forderungskatalog über 21 Forderungen nach besseren Lohn- und Arbeitsbedingungen vorgelegt hatten, um die schlechte Stimmung im Werk aufzufangen.

Gliwice ist das GM-Werk mit den niedrigsten Arbeitskosten. Das erst 1998 fertig gestellte, 500 Millionen Euro teure Werk mit 2.800 Arbeitsplätzen profitiert von zahlreichen Vergünstigungen der Stadt Gliwice. Opel braucht die ersten zehn Jahre lang überhaupt keine und weitere zehn Jahre nur die Hälfte der Steuern zu bezahlen.

Die Arbeiterklasse in dieser ehemaligen Bergbau- und Stahlregion, die nach der Wende einen beispiellosen sozialen Niedergang erlebt hatte, begrüßte das neue Werk mit der Hoffnung, dass es jetzt aufwärts gehe. Sie wurde jedoch enttäuscht. Die Investitionen sind ihr nicht wirklich zugute gekommen. Trotz der positiven Auftragslage sind die Löhne für die Opel-Mitarbeiter bei ca. 700 Euro (2.700 Zloty) eingefroren worden, während die Arbeitsbedingungen immer brutaler werden. Wer jung und unabhängig ist, wandert ab und sucht sein Glück in Westeuropa.

Ein Bericht auf dem GM-Workersblog im Internet zitiert folgende Schilderung des Solidarnosc-Vertreters Miroslaw Rzezniczek aus Gliwice: "Zwei Mitarbeiter haben beim Gericht Klage wegen Mobbings eingereicht. Ein Teil der Leute hat es psychisch nicht mehr ausgehalten und ist gegangen, um eine schlechter bezahlte, aber ruhigere Arbeit aufzunehmen. Es gehen selbst langjährige Mitarbeiter, die das Werk mit aufgebaut haben. Den Mitarbeitern liegen diese Leute mehr am Herzen als dem Vorstand. Nur dieser wird nach europäischem Niveau bezahlt." Der Bericht erwähnt auch, dass die Zeitarbeiter, die über die Agentur Adecco bei Opel arbeiten, sogar dann arbeiten müssen, wenn sie krank sind und Fieber haben.

Die Forderungen von Solidarnosc haben sich schließlich auf eine Lohnerhöhung von monatlich 500 Zloty (130 Euro) konzentriert, wofür die Arbeiter mehrmals in Streik traten, zuletzt am Montag, den 29. Mai. An dem Streik beteiligten sich 85 Prozent der Belegschaft; sie streikten jeweils von 13-15:00 Uhr, je eine Stunde der Früh- und eine der Spätschicht. Daraufhin wurde Klaus Franz zu Hilfe gerufen, der schließlich am Donnerstag, 31. Mai, eine Einmalzahlung von 2.500 Zloty (ca. 625 Euro) aushandelte. Dies wurde auf der Website des Europäischen Arbeitnehmerforums als "großer Erfolg" gefeiert, obwohl dadurch das allgemeine Lohnniveau niedrig gehalten wurde.

Außerdem bildete Franz ein "Schlichtungskomitees für Arbeitskonflikte", das künftig eng mit dem Europäischen Arbeitnehmerforum zusammenarbeiten soll, um Konflikte im Frühstadium unter Kontrolle zu halten.

Wachsender Widerstand

Die Streiks in Gliwice und Antwerpen und weitere Arbeitskämpfe, wie bei den Ford-Zulieferbetrieben SLM und Lear in Belgien, bei VW-Brüssel und bei Skoda in den tschechischen Städten Mlada Boleslav und Kwasiny im April, sind deutliche Anzeichen für wachsenden Widerstand unter den europäischen Autoarbeitern gegen die Angriffe der Konzerne.

An einem Aktionstag gegen die Stellenstreichungen haben sich am 3. Mai Tausende GM-Arbeiter in Antwerpen, Bochum, Rüsselsheim, Eisenach, Kaiserslautern, Dudenhofen, Wien-Aspern, Ellesmere Port und Luton (GB), Göteborg, Södertälje und Trollhättan (Schweden), Straßburg, Saragossa (Spanien), Togliatti (Russland) und Szentgotthardt (Ungarn) beteiligt. Im ungarischen Szentgotthardt soll es die erste größere Protestaktion seit der Wende gewesen sein.

Der global integrierte Charakter der Autoproduktion macht eine internationale Strategie der Arbeiter zur Verteidigung der Arbeitsplätze und aller Errungenschaften dringend notwendig und lässt diese gleichzeitig als konkrete Möglichkeit erkennen. Doch das erfordert einen bewussten Bruch mit den nationalistischen Konzeptionen der Gewerkschaften. Arbeiter müssen neue, unabhängig Kampforganisationen aufbauen, die demokratisch strukturiert und den Interessen der Arbeiter verpflichtet sind.

Siehe auch:
Der Kampf bei Opel wirft grundlegende politische Fragen auf
(19. Oktober 2004)
Prozess Opel/General Motors gegen Turhan Ersin in Bochum eröffnet
(3. Mai 2005)
Volkswagen Brüssel-Forest: Stimmt gegen den Ausverkauf der Gewerkschaften und Betriebsräte!
(5. Januar 2007)
Stoppt die Zerschlagung von Chrysler! Für Arbeiterkontrolle und Gemeineigentum in der Autoindustrie!
(29. März 2007)
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