Über den Neuwahlen in Polen schwebt die Gefahr eines politischen Coups

Am 12. August hat der polnische Premierminister Jaroslaw Kaczynski nach nur zwei Jahren Regierungszeit Neuwahlen für den 21. Oktober angekündigt. Zuvor hatten sich schon dessen Zwillingsbruder, Staatspräsident Lech Kaczynski, und der Führer der oppositionellen Bürgerplattform (PO) Donald Tusk auf diesen Schritt verständigt. Nun muss noch der Sejm seiner Selbstauflösung mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen. Passiert dies nicht, hat der Premier seinen Rücktritt angekündigt.

Die Vorgezogenen Neuwahlen sind das Ergebnis einer endlosen Regierungskrise, die das Kabinett von Beginn an begleitet hat. Im September 2005 konnten die Kaczynski-Brüder mit ihrer Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nur deshalb die Wahl gewinnen, weil sich ein Großteil der Bevölkerung enttäuscht von den anderen Parteien und der Politik insgesamt abgewendet hatte.

Seit der Wiedereinführung kapitalistischer Verhältnisse vor fast zwei Jahrzehnten befindet sich das politische System in Polen in einem ständigen Niedergang. Von demokratischen Verhältnissen kann kaum noch gesprochen werden. Alle wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen werden von einer kleinen privilegierten Schicht getroffen, die aus der ehemaligen stalinistischen Staatspartei PZPR (Polnische Vereinigte Arbeiterpartei) hervorgegangen ist und das sogenannte "Demokratische Linksbündnis" (SLD) gründete oder sich aus der Führungsschicht der Solidarnosc rekrutierte.

In unterschiedlichen Kombinationen regierten immer wieder die Vertreter derselben privilegierten Minderheit, die sich nach der Wende das Staatseigentum angeeignet und hemmungslos bereichert hatte. Angesichts des wachsenden Unmuts der Bevölkerung fand innerhalb dieser privilegierten Politikerkaste eine rege Umgruppierung und ein ständiges "Bäumchen-wechsel-dich-Spiel" statt. Nicht eine Regierung hat seither eine volle Legislaturperiode durchgestanden. Seit der Wende wurden an der Weichsel nicht weniger als 13 Regierungschefs verschlissen.

Die Akzeptanz des gesamten politischen Systems innerhalb der Bevölkerung sank immer weiter, bis vor zwei Jahren schließlich nur noch 40 Prozent zur Wahl gingen. Für die Kaczynski-Partei PiS, die damals 27 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielt, stimmte somit nur ein gutes Zehntel der Wahlberechtigten.

Das hinderte die beiden Brüder allerdings nicht, sich als die "Retter Polens" aufzuspielen. Sie hatten ihren Wahlkampf mit einer Mischung aus extremem Nationalismus und sozialer Demagogie bestritten und versucht, die rückständigsten Elemente der polnischen Gesellschaft zu mobilisieren. Sie konnten sich dabei auf den politischen Bankrott der Vorgängerregierung unter Leitung der SLD (Demokratische Linksallianz) stützen, die sich völlig diskreditiert hatte.

In den ersten acht Monten versuchten die Kaczynskis, das Land mit einer Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten zu lenken. Gegen Ende dieser Periode stützten sie sich zunehmend auf die beiden kleinen, rechtsextremen Parteien Samoobrona (Selbstverteidigung) und Liga Polnischer Familien (LPR), mit denen sie schließlich eine Koalition bildeten, die nun zusammengebrochen ist.

Die Kaczynskis spielten sich von Anfang an als Saubermänner auf, riefen den Kampf gegen die Korruption aus und verkündeten eine "moralische Revolution". Ihre nationalistische Hetze verbanden sie mit sozialen Versprechen wie einer allgemeinen medizinischen Versorgung oder der Unterstützung armer Familien. Sie propagierten den Aufbau einer "Vierten Republik", in der schonungslos mit den Erben des Stalinismus und der Korruption abgerechnet würde.

Heraus kam das Gegenteil. Die soziale Krise verschärfte sich weiter, während gleichzeitig elementare demokratische Rechte abgebaut wurden. "Kein anderer polnischer Politiker hat seit der politischen Wende von 1989 dem Ansehen der polnischen Justiz so großen Schaden zugefügt wie der Doktor der Jurisprudenz Jaroslaw Kaczynski, der seiner Partei den schönen Naben ‚Recht und Gerechtigkeit’ gegeben hat", schreibt Thomas Urban, der Korrespondent der Süddeutschen Zeitung aus Warschau.

Ursprünglich sollte die PiS vor zwei Jahren eine Koalition mit der wirtschaftsliberalen Bürgerplattform (PO) bilden und so das Wahlbündnis Solidarnosc (AWS), aus dem beide Parteien hervorgegangen waren, wieder aufleben lassen. Die politische Sanduhr wäre dann ein weiteres Mal gedreht worden und - wie schon 1989 bis 1993 und 1997 bis 2000 - die alte Solidarnosc-Führung wieder an der Macht gewesen. Die Kaczynskis entschieden sich angesichts der wachsenden Instabilität aber, die Spielregeln zu ändern und mithilfe der rechtsextremen Parteien autoritäre Formen der Herrschaft zu etablieren.

Mit der LPR und insbesondere der Samoobrona hatten sich die Kaczynskis allerdings extrem unsichere Elemente in die Regierung geholt. Während die LPR bisher vor allem durch reaktionäre bis absurde Initiativen, wie dem Vorschlag Jesus Christus zum König Polens zu krönen, aufgefallen war, machte Samoobrona in erster Linie durch die Führung von Bauernprotesten von sich reden.

Um die Koalitionäre zu disziplinieren, bemühte sich die PiS darum, ihnen das Wasser abzugraben, indem sie selbst verstärkt nationalistische und ultrakonservative Positionen besetzte. Zur gleichen Zeit bauten die Kaczynskis ihre Kontrolle über den Staatsapparat systematisch aus.

Die Popularität der Koalition nahm ständig ab, da die Kaczynskis kein einziges ihrer Wahlversprechen einlösten. Eine ihrer ersten Amtshandlungen bestand darin, das Kürzungsbudget der Vorgängerregierung in Kraft zu setzen. Sie stockten es lediglich durch ein kosmetisches Kindergeld auf. Zahllose staatlich Beschäftigte leben weiterhin in bitterer Armut, und aus dem Kampf gegen Korruption ist ein Kampf für die eigenen politischen Interessen mit mafiösen Methoden geworden.

Eine provozierte Regierungskrise

Die Spannungen in der Koalition verschärften sich in dem Maße, wie die Regierung mit Protesten von Arbeitern konfrontiert war.

Vor einigen Monaten streikten und demonstrierten Zehntausende Krankenhausangestellte. Die Proteste stießen auf große Solidarität in breiten Bevölkerungsschichten. Gleichzeitig kündigten Eisenbahner, Lehrer und Bergarbeiter Streiks und Proteste für eine angemessene Bezahlung an. Angesichts der brummenden Konjunktur und steigenden Staatsausgaben wollen sie von ihren Löhnen zumindest die eigene Familie ernähren können.

Mit Blick auf die schlechten Wahlumfragen hatte Samoobrona-Führer Lepper Verständnis für die demonstrierenden Krankenschwestern geäußert. Doch die polnischen Eliten sind zu keinen Zugeständnissen bereit, insbesondere weil von der Senkung des Haushaltsdefizits der Beitritt in die Euro-Zone abhängt. Die Kaczynskis entschieden sich, die Koalition ein für alle mal zu disziplinieren oder Neuwahlen anzusetzen.

Zu diesem Zweck setzte die PiS das eigens gegründete Zentrale Antikorruptionsbüro (CBA) gegen den Koalitionspartner ein. Zwei Beamte des CBA gaben sich als Interessenten für die Umwandlung von Agrarland in Baugrund aus und boten Mitarbeitern von Leppers Agrarministerium eine knappe Million Euro für die Unterschrift des Ministers. Obwohl die Mitarbeiter zustimmten, kam es nicht zu dem geplanten Deal. Lepper unterschrieb an dem vereinbarten Tag den Umwandlungsbescheid nicht, und der Bote, der das Geld für ihn abholen sollte, blieb aus. Ob der Agrarminister über die Aktion informiert worden war oder die Mitarbeiter ohne sein Wissen abkassieren wollten, ist bis heute trotz der Durchsuchung des Ministeriums durch das CBA ungeklärt.

Obwohl die Inszenierung nicht vollständig geglückt war, entließ Kaczynski seinen Agrarminister umgehend. Samoobrona und LPR reagierten aber nicht etwa mit dem sofortigen Bruch der Koalition. Dazu fürchteten sie Neuwahlen viel zu sehr. Trotz der Entlassung ihrer Gallionsfigur hielt Somoobrona die Stellung und stimmte ebenso wie die LPR einer Fortführung der Koalition zu. Lepper begründete diese Selbstdemütigung mit dem lächerlichen Satz: "Über dem eigenen Ehrgeiz und privaten Interessen steht eines, und das ist unser Polen."

Die Kaczynskis wollten sich damit jedoch nicht zufrieden geben und forderten von den Koalitionspartnern die Aufgabe ihrer politischen Eigenständigkeit und absoluten Gehorsam gegenüber der PiS. Einer solchen Selbstaufgabe konnten schließlich selbst die Opportunisten der Kleinparteien nicht zustimmen. Sie verließen die Koalition.

Auch wenn derzeitige Umfragen die PO mit 35 Prozent vor der PiS mit 25 Prozent klar in Führung sehen, ist der Wahlausgang noch keineswegs sicher. Die PiS setzt den Staatsapparat und ihre Kontrolle über einen großen Teil der Medien ein, um die Wahl für sich zu entscheiden.

Vorbereitungen eines politischen Coups

Mit Gesetzen und Verordnungen haben die Kaczynskis ihre Kontrolle über wichtige Teile des Staatsapparat und die Medien systematisch ausgeweitet. Eine der ersten Amtshandlungen der PiS-Regierung war eine Änderung des Rundfunkgesetzes, die ihnen unmittelbaren Zugriff auf das staatliche Fernseh- und Radioprogramm ermöglichte. Seinen vorläufigen Höhepunkt fand der Kreuzzug der Gebrüder in der Schaffung des "Antikorruptionsbüros" CBA, das sie schließlich gegen Lepper einsetzten.

Die Behörde vereint polizeiliche, geheimdienstliche und staatsanwaltschaftliche Kompetenzen und ist in ihren Befugnissen mit dem früheren stalinistischen Geheimdienst vergleichbar. Die 500 Mann starke Truppe ist mit modernster Technik ausgestattet, um verdächtige Personen - ohne richterlichen Beschluss - abzuhören, auszuspionieren und zu verhaften. Die Beamten sind befugt, sämtliche persönlichen Daten bei Banken, Telefon- und Fluggesellschaften abzufragen und diese zu speichern - unabhängig davon, ob später eine Anklage erhoben wird oder nicht. Ausgenommen sind weder Angaben über Krankheiten und Liebesleben noch über Religionszugehörigkeit. Im April dieses Jahres beging die ehemalige Bauministerin Barbara Blida (SLD) bei einer rabiaten Durchsuchung ihrer Wohnung durch das CBA Selbstmord. Ihr wurde Bestechung vorgeworfen.

Die Verhaftungen durch die martialisch und ganz in schwarz auftretende Gruppe wurden nicht selten vom Staatsfernsehen medial inszeniert und zum Kampf gegen Korruption stilisiert. In Wirklichkeit ist das CBA ein politisches Instrument, um unliebsame Personen in Wissenschaft, Politik und Medien einzuschüchtern und auszutauschen. Der Chef der Behörde kann jederzeit vom Premierminister berufen oder entlassen werden.

Von diesem Recht hat Kaczynski im Verlauf der Regierungskrise auch Gebrauch gemacht. Am 9. August entließ er den bisherigen Chef des CBA, Zbigniew Rau, und ersetzte ihn durch einen seiner engsten Getreuen. Auch Innenminister Janusz Kaczmarek musste in diesem Zusammenhang seinen Sessel räumen. Beiden wurde vorgeworfen, Lepper über die Ermittlungen gegen ihn in Kenntnis gesetzt zu haben. Das CBA wurde umgehend beauftragt, Kaczmareks Haus zu durchsuchen, ohne dass es allerdings Anhaltspunkte finden konnte.

Am 13. August entließ Kaczynski dann offiziell die Minister von LPR und Samoobrona und ersetzte sie durch Parteifreunde und ihm nahestehende Politiker. Entlassen wurden der Vorsitzende der LPR und Bildungsminister Roman Giertych, der für den Seehandel zuständige Minister Rafal Wiechecki (ebenfalls LPR) sowie Arbeitsministerin Anna Kalata und Bauminister Andrzej Aumiller von der Samoobrona. Die meisten der neu eingesetzten Minister haben sich auf Kontinuität in ihren Ressorts verständigt. Der neue Bildungsminister Ryszard Legutko hat sogar angekündigt, er werde die extrem unpopulären Gesetze seines Vorgängers zur Einführung von Schuluniformen und zur reaktionären Umstrukturierung des Unterrichts beibehalten.

Den Kaczynskis geht es vor allem darum, den durch zahlreiche Gesetze gestärkten Staatsapparat kurz vor den Wahlen möglichst vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie versuchen das Zentrale Antikorruptionsbüro, den "gesäuberten" Geheimdienst und die staatlichen Medien möglichst direkt gegen ihre politischen Gegner einzusetzen. Lepper hat bereits davor gewarnt, dass der Premier umfangreiches Geheimdienstmaterial über Führer der PO, Samoobronas und der LPR gesammelt habe und im Wahlkampf einzusetzen gedenke. Schon jetzt hat die PiS zahlreiche Werbespots in Fernsehen und Radio geschaltet. Angesichts der bisherigen Entwicklung sind auch direkte Wahlmanipulationen oder ein Aussetzen der Wahlen nicht auszuschließen.

Mangel an politischer Alternative

In der Bevölkerung ist die Opposition gegen die Regierung groß und nimmt weiter zu. Trotzdem ist der Wahlausgang offen. Und das nicht nur, weil die Regierungspartei PiS Antikorruptionsbüro und Geheimdienst gegen ihre Widersacher einzusetzen gedenkt, sondern auch, weil die Oppositionsparteien kaum eine Alternative zu den verhassten Zwillingen darstellen.

Die größte Oppositionspartei PO und ihr Präsidentschaftskandidat Donald Tusk hatten sich bei den letzten Wahlen eine Schlacht mit der PiS um die rechtesten Positionen geliefert. Tusk hatte ebenso wie Lech Kaczynski den polnischen Diktator und Antikommunisten Jozef Pilsudski als Vorbild beschworen. Die PO besetzt allerdings stärker neoliberale Positionen und fordert eine zügige Privatisierung und Demontage des Sozialstaats. Sie gilt außenpolitisch als weniger europafeindlich, strebt aber trotzdem ein festes Bündnis mit den USA an und unterstützt die Kampfeinsätze polnischer Soldaten in Afghanistan und im Irak.

Neben Samoobrona und LPR, die sich zur "Liga und Samoobrona" (LiS) zusammengeschlossen haben, um ihre Chancen zu erhöhen, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen, kandidiert noch die SLD im Bündnis mit der erst kürzlich gegründeten "Demokratischen Partei" als "Linke und Demokraten" (LiD). Angesichts ihrer vorangegangenen Regierungspolitik hatte die SLD bei den letzten Wahlen nur 11,3 Prozent der Stimmen erhalten. Schließlich sitzt noch die ehemalige Bauern-Blockpartei PSL im Parlament, die schon mit fast mit jeder anderen Partei koaliert hat.

Unter diesen Bedingungen ist die angekündigte Wahl eine Farce. Ein Großteil der polnischen Bevölkerung sieht im Rahmen der bestehenden Parteienlandschaft keinerlei Möglichkeit, den wachsenden Angriffen auf soziale und demokratische Rechte entgegenzutreten. Der Aufbau einer unabhängige Partei, die dem hysterischen Nationalismus entgegentritt und die Interessen der arbeitenden Bevölkerung auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms vertritt, wird immer dringender.

Siehe auch:
Kaczynskis provozieren Regierungskrise
(24. Juli 2007)
Nationalismus und Internationalismus in Polen
( 2. Juni 2007)
Die Politische Krise in Polen: Die Wirren der Kaczynski-Regierung
( 22. November 2006)
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