Hamburger Bürgerschaftswahl: Ex-Justizsenator stellt Selbstmord-Gerät für Altenheimbewohner vor

Bei einem Wahlkampftermin im Altenheim erwartet man für gewöhnlich, dass der Wahlkämpfer, gleich welcher Partei er angehört, den anwesenden Senioren und Altenpflegern erklärt, wie er sich für sie einsetzen will. Erst recht, wenn, wie geschehen, wenige Wochen zuvor ein Bericht des Medizinischen Diensts der Krankenkassen katastrophale und lebensgefährliche Zustände in Alten- und Pflegeheimen attestiert hat.

Danach bekommt jeder dritte Senior in Pflege nicht ausreichend Nahrung und Getränke. Mehr als 35 Prozent der Heimbewohner und mehr als 42 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause werden nicht häufig genug umgebettet und liegen sich deshalb wund. Für viele Senioren beginnt in Altenheimen nicht der verdiente Lebensabend mit der nötigen medizinischen und psychosozialen Betreuung, sondern ein langer Weg des Leidens. Die Pfleger selbst sind durch ständige Kürzungen meist am Ende ihrer Kräfte.

Doch Roger Kusch, Chef der neuen Partei "Heimat Hamburg", die zur Hamburger Bürgerschaftswahl im Februar 2008 antritt, erklärte am Dienstag vergangener Woche auf sehr eigentümliche Weise, wie er die durch Kürzungen in der Kranken- und Pflegeversicherung verursachten Leiden der Älteren zu beenden gedenkt. Kusch stellte in einem Seniorenheim im Stadtteil Lokstedt den versammelten Senioren und Pflegern den Prototypen eines Automaten vor, mit dem die Heimbewohner Selbstmord begehen können.

Sterbewillige, so Kusch, könnten sich mit dem kleinen grünen Gerät per Knopfdruck selbst eine tödliche Injektion verabreichen. Damit könnten sie, genauso wie ihre Angehörigen und Pfleger, die in Deutschland verbotene Sterbehilfe umgehen.

Das ist schon ein starkes Stück! Galt das als Aufforderung an Alte und Kranke? Es sei daran erinnert, dass ein Altenheim kein Hospiz ist, in dem unheilbar Kranke in den letzten Tagen und Wochen beim Sterben begleitet werden. Bewohner eines Altenheimes sind in der Regel nur eines: alt und gebrechlich. Wenn sie leiden, dann meist aufgrund der Zustände in den Altenheimen. Wenn Roger Kusch also den älteren Menschen erläutert, wie sie sich das Leben nehmen können, zeigt das nur seine völlige Geringschätzung und Verachtung alter Menschen.

Dahinter steht die Auffassung, dass Alte unproduktiv, nutzlos, eine Last seien und unnötig den Sozialversicherungen auf der Tasche liegen. Vor gut vier Jahren hatte der Vorsitzende der CDU-Nachwuchsorganisation Junge Union Phillip Mißfelder erklärt: "Ich halte nichts davon, wenn 85-Jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen." Mißfelder, nach wie vor Bundesvorsitzender der Jungen Union und seit 2005 auch Bundestagsabgeordneter, hatte wie in der Wirtschaft üblich Kosten und Nutzen gegeneinander aufgerechnet.

Der Auftritt von Kusch entspringt demselben reaktionären Bodensatz wie die Aussagen Mißfelders, geht aber noch einen Schritt weiter. Er erinnert an die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft, als man sich "unwerten Lebens" entledigte.

Die abscheuliche Veranstaltung Kuschs kann nicht einfach als "tragikomische" (tageszeitung) Episode eines rechten Spinners abgetan werden. Kusch war immerhin bis vor eineinhalb Jahren CDU-Mitglied, insgesamt 34 Jahre lang. Von 2001 bis 2006 bekleidete er unter Ole von Beust (CDU) das Amt des Justizsenators im Hamburger Senat. Er ist auch nicht der erste Senator der Hansestadt, der mit extrem rechten Aktionen Aufsehen erregt. Es lohnt sich daher, einen näheren Blick auf Kusch, von Beust und die Hamburger CDU zu werfen.

Bis 2001 hatte 44 Jahre lang die SPD Hamburg regiert, zuletzt mit der Unterstützung der Grünen. Auch bei der Bürgerschaftswahl 2001 wurde die SPD noch stärkste Partei, doch die CDU ging mit der rechtsextremen "Partei Rechtsstaatlicher Offensive" des ehemaligen Richters Ronald Barnabas Schill und der FDP eine Koalition ein. Die CDU unter Carl-Friedrich Arp Ole Freiherr von Beust, so sein vollständiger Name, verhalf so der extremen Rechten an die Macht.

Ronald Schill hatte sich den Namen "Richter Gnadenlos" erworben, weil er 1996 eine psychisch kranke Frau, die einige Autos zerkratzt hatte, zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilte. Die gleiche Strafe erhielt ein Inder, der sich mit falschen Papieren eine Aufenthaltserlaubnis verschaffen wollte. Der ehemalige Richter Schill gründete dann 2000 die "Partei Rechtsstaatlicher Offensive" und führte ein Jahr später einen ausländerfeindlichen Law-and-order-Wahlkampf.

Schill forderte u.a. die Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters, drastische Strafverschärfungen vor allem im Ausländer- und Jugendstrafrecht, eine weitere Einschränkung des Asylrechts, die kompromisslose Abschiebung von straffällig gewordenen Ausländern, eine generelle Aufrüstung der Polizei, Einsparungen im Kulturbereich sowie eine wesentlich härtere Gangart gegen Bagatelldelikte wie Graffitisprühen, Schwarzfahrerei usw. Im Wahlkampf forderte er Haftstrafen für Eltern, die ihre Kinder nicht angemessen beaufsichtigen, die Kastration von rückfällig gewordenen Sexualstraftätern - und die Einführung blauer Polizei-Uniformen.

Ole von Beust machte Schill zum Innensenator und zweiten Bürgermeister.

2003 trennte sich von Beust wieder von Schill. Der Oberbürgermeister begründete dies damit, dass ihn Schill habe erpressen wollen. Von Beust hatte den Schill-Vertrauten und damaligen Innenstaatsrat Walter Wellinghausen entlassen wollen, weil dieser horrende geheime Nebeneinkünfte bezog und außerdem als Staatsrat zu Gunsten eines kriminellen Polizisten, den er zuvor als Anwalt vertreten hatte, in ein Disziplinarverfahren eingegriffen habe.

Laut von Beust versuchte Schill die Entlassung seines Staatsrats mit der Drohung zu verhindern, er werde die Öffentlichkeit über ein angebliches homosexuelles Verhältnis zwischen von Beust und seinem Justizsenator Kusch informieren. Schill soll von "eindeutigen Geräuschen in Kuschs Wohnung" während eines Besuchs von Beusts erzählt haben. Die beiden CDU-Politiker, die beide zuvor ihre Homosexualität nicht öffentlich gemacht hatten, wiesen diesen Vorwurf entschieden zurück. Sie räumten aber ein, dass sie in der Tat Studienfreunde seien und dass von Beust der Wohnungsvermieter von Kusch sei.

Nach der Entlassung Schills im Dezember 2003 rief von Beust Neuwahlen aus, aus denen die CDU als stärkste Partei hervorging. Sie konnte die Hansestadt nun allein regieren. Die Schill-Partei erhielt kaum noch Stimmen, ihr ehemaliger Vorsitzender lebt nun in Brasilien.

Ole von Beust ernannte danach seinen Studienfreund Kusch, der schon unter Bundeskanzler Helmut Kohl im Bundeskanzleramt gearbeitet hatte, erneut zum Justizsenator. Auch Kusch sorgte als Law-and-order-Mann für Schlagzeilen.

Im Sommer 2002 besuchte er das Gefängnis des berüchtigten Sheriffs Joe Arpaio im US-Staat Arizona "im Interesse der Modernisierung des Hamburger Strafvollzuges", wie er dem Hamburger Abendblatt mitteilte. Arpaio ist ein brutaler Sadist. Er lässt viele seiner 7.000 bis 8.000 Sträflinge - Männer wie Frauen - in Ketten arbeiten und füttert seine Schäferhunde, die auf deutsche Befehle gehorchen, besser als die Gefangenen. Die Gefängnisinsassen müssen rosarote Unterwäsche und schwarz-weiß gestreifte Sträflingskleidung tragen. Rund um die Uhr werden sie per Video überwacht.

Auch auf anderer Ebene trat Kusch in die Fußstapfen Schills. So haben im Zuge der Föderalismusreform die Länder das Recht erhalten, eigene Strafvollzugsgesetze zu erlassen. Das Bundesverfassungsgericht hatte zudem festgelegt, dass den besonderen Belangen jugendlicher Straftäter in den Gesetzen Rechnung getragen werden müsse. Als einziges Bundesland hat Hamburg aber einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem der Jugend- und der Erwachsenenstrafvollzug zusammengefasst sind - eine alte Forderung Schills.

Am 27. März 2006 musste Oberbürgermeister von Beust Justizsenator Kusch entlassen. Dessen Behörde hatte vertrauliche Unterlagen aus einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss an Kuschs Anwalt sowie an einen befreundeten CDU-Bundestagsabgeordneten weitergeleitet.

Der Untersuchungsausschuss war eingesetzt worden, um die Zustände in einem geschlossenen Heim für straffällig gewordene Jugendliche zu klären. Dort wurde heimlich die Post der Jugendlichen geöffnet. Den Jugendlichen sollen auch Psychopharmaka mit schweren Nebenwirkungen verabreicht worden sein. Gewaltanwendung und Willkür gegen Jugendliche waren nicht selten. Mehr als ein Dutzend Jugendlicher wurden in dem Heim ohne die entsprechende richterliche Anordnung festgehalten. Außerdem sollen Minderjährige zum Teil gefesselt in das Heim gebracht worden sein.

Fünf Stunden nach seiner Entlassung trat Kusch aus der CDU aus. In einem Zeitungsinterview erklärte er später warum: Die Große Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) führe "Deutschland spürbar in eine sozialistische Gesellschaft".

Am 1. Mai 2006 gab Kusch dann die Neugründung einer Partei unter dem Namen "Heimat Hamburg" bekannt. Ähnlich wie Schill will auch Kusch Drogendealer härter bestrafen, das Antidiskriminierungsgesetz außer Kraft setzen und das Jugendstrafrecht sowie den generellen Leinenzwang für Hunde abschaffen. Diese Forderung ist besonders scheußlich, wenn man bedenkt, dass vor wenigen Jahren ein 6-jähriger türkischer Junge in Hamburg von zwei Kampfhunden zerfleischt wurde.

In einem Interview mit der rechtsextremen Wochenzeitung Junge Freiheit vom 1. Dezember 2006 kündigte Kusch auch die Unterstützung des Bremer Zusammenschlusses "Bremen muss leben" des Rechtsextremisten Joachim Siegerist an. Siegerist, bis 1987 Hamburger CDU-Mitglied, war unter anderem 1997 wegen Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhass verurteilt worden. 1992 hatte er in zwei Spendenschreiben "Zigeuner" als "durchweg ein übles, kriminelles Pack" charakterisiert, das sich "bei uns aufführt wie von Nazis verfolgte Juden", die "rauben, stehlen, betrügen, erpressen und bedrohen". Den Schreiben lag ein Überweisungsträger mit dem Verwendungszweck "Zigeunerterror" bei.

Kuschs Wahlkampfauftritt in einem Hamburger Seniorenheim und sein Selbstmordapparat sind mitnichten einfach nur "unmoralisch und skandalös", wie der SPD-Spitzenkandidat für die kommende Bürgerschaftswahl 2008 Michael Naumann dies nennt. Sie sind erst recht keine "Verirrung" eines rechten Populisten, sondern die folgerichtige Konsequenz der reaktionären und asozialen Politik, die dem Schoß der Rechten innerhalb der CDU entspringt. In Hamburg hat diese Politik nicht zuletzt durch Ole von Beust offensichtlich Tradition.

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