Marxismus, Geschichte und sozialistisches Bewusstsein

Teile 14-16

Die World Socialist Web Site setzt heute die Veröffentlichung der deutschen Übersetzung von "Marxism, History & Socialist Consciousness" von David North fort. Es handelt sich um die Antwort auf eine Kritik der Politik des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, die von Alex Steiner und Frank Brenner unter dem Titel "Objektivismus oder Marxismus" verfasst wurde. Steiner und Brenner sind ehemalige Mitglieder der Workers League (der Vorgängerin der heutigen Socialist Equality Party). David North ist Nationaler Sekretär der Socialist Equality Party in den USA und Chefredakteur der WSWS.

Die englischsprachige Originalfassung von Norths Antwort ist kürzlich bei Mehring Books in Buchform erschienen und kann online bestellt werden.

Vorwort | Teile 1-3 | Teile 4-7 | Teile 8-10 | Teile 11-13 | Teile 14-16 | Teile 17-19 | Teile 20-22

14. Die Sozialisten und die Massen

Ausgehend von ähnlichen idealistischen Auffassungen gelangst du, Genosse Brenner, zu einem Verständnis des Verhältnisses zwischen Sozialisten und Masse, das in bemerkenswerter Weise dem Standpunkt der "Kritischen Kritik" ähnelt, wie Plechanow ihn beschrieben hat.

"Beams zufolge", schreibst du, "werden es nicht die Sozialisten, sondern die Massen sein, die die Gesellschaft leiten, und folglich besteht kein Bedarf für sozialistische Politik - die er verächtlich als ‚Vorschriften’ bezeichnet - in Fragen wie Familie, Arbeit, Umwelt usw., von einer kohärenten Vision der zukünftigen sozialistischen Gesellschaft ganz zu schweigen. Darin steckt ein wahrer Kern - dass die Arbeiterklasse sich emanzipieren muss - der grundlegend für das sozialistische Projekt ist. Doch nie zuvor wurde dies so interpretiert, dass die Sozialisten kein Programm brauchen."

Einmal mehr greifst du zu einem polemischen Taschenspielertrick: Beams’ Aussage, die sozialistische Gesellschaft werde nicht von den Sozialisten "geleitet", sondern die neuen Gesellschaftsformen müssten von der Arbeiterklasse im Prozess ihrer Selbstemanzipation ohne vorgefertigte "Vorschriften" geschaffen werden, stellst du fälschlich als Ablehnung jedes Programms dar.

Du erklärst: "Es gibt keinen Widerspruch zwischen der Selbstemanzipation der Massen und dem Leiten der Gesellschaft durch die Sozialisten." Sollen die Massen annehmen, dies sei so, weil du, Genosse Brenner, es sagst? Entweder bedeutet die Selbstemanzipation der Arbeiterklasse, dass die Massen die neuen Formen ihrer eigenen Befreiung schaffen und ausarbeiten müssen, oder dem ist nicht so. Das ist keine rein theoretische Frage. Man muss lediglich die Frage stellen: Wäre eine revolutionär-sozialistische Regierung nach der Eroberung der politischen Macht der demokratischen Kontrolle der Arbeiterklasse unterworfen? Wird die Erarbeitung der Politik in Form von Diktaten der herrschenden Sozialisten stattfinden oder durch die offene Auseinandersetzung diverser gesellschaftlicher Tendenzen, deren Recht, für ihre Anschauungen und Politik zu kämpfen, zu den kostbarsten und am eifrigsten verteidigten demokratischen Rechten gehören wird?

Es genügt, deine Beschreibung der Zustände nach der Revolution durchzulesen, um sich deine Antwort auf diese Fragen vorzustellen:

Einige Arbeiter werden sich der Revolution aktiv entgegenstellen; sich vorzustellen, dass diese in der sozialistischen Gesellschaft irgendetwas zu leiten haben werden, ist pervers. Andere werden politisch neutral sein: Ihnen von Anfang an Verantwortung für eine Revolution aufzuhalsen, die sie kaum zu verstehen beginnen, wird wenig mehr tun, als sie zu entfremden; ihr politisches Bewusstsein (und allgemeiner: ihr kulturelles Niveau) wird geduldig gefördert werden müssen. Für eine beträchtliche Periode wird also die Leitung der sozialistischen Gesellschaft nicht in den Händen der amorphen "Massen" liegen, sondern in den Händen der klassenbewussten Arbeiter - in anderen Worten, des Teils der Klasse (notwendigerweise eines großen Teils von ihr und hoffentlich sogar der Mehrheit), dessen politisches Bewusstsein von der revolutionären sozialistischen Bewegung geprägt worden ist. Das ist mit "Sozialisten leiten die Gesellschaft" gemeint - nicht eine kleine Clique von Bürokraten, sondern ein Großteil der Arbeiter, die von sozialistischem Bewusstsein erfüllt sind.

Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll beim Lesen deiner Vision der Situation, vor der eine sozialistische Regierung stehen wird. Obwohl du an der Hoffnung festhältst, dass eine Mehrheit der Arbeiterklasse (wenn auch bestimmt nicht der Bevölkerung insgesamt) die Revolution unterstützen wird, scheint in deinen Augen kein Zweifel daran zu bestehen, dass die Sozialisten mindestens ebensoviel Zeit damit verbringen werden, Menschen zu unterdrücken, wie sie zu emanzipieren. Und wenn alle Teile der Arbeiterklasse, von denen du Opposition oder Gleichgültigkeit erwartest, davon ausgeschlossen werden, "irgendetwas zu leiten", dann wird sich das weitere Funktionieren eines bedeutenden Teils der wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Infrastruktur gelinde gesagt problematisch gestalten. Es bestehen Grenzen dessen, was aufgrund rein politischer Erwägungen entschieden werden kann. Nach der Erringung der Macht werden die Sozialisten auf die interessierte Mitarbeit einer großen Zahl von Menschen angewiesen sein, die ungeachtet ihrer politischen Überzeugungen weiterhin eine kritische Rolle für das Funktionieren der Gesellschaft spielen werden. Selbst wenn sie dazu geneigt wären, könnten die Sozialisten diese Menschen nicht einfach herumkommandieren. Man wird sie nicht nur anhören, sondern sie auch mit dem Respekt behandeln müssen, den ihre Erfahrung und Sachkenntnis verdienen.

Du bist derart auf das Zusammenbrauen von Vorschriften für die künftige sozialistische Gesellschaft fixiert, dass du nicht allzu viele Gedanken auf die Probleme des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus verschwendet zu haben scheinst. Der Sozialismus ist von Natur aus undenkbar, wenn sich nicht Massen an allen Entscheidungen beteiligen, die das Leben der Menschen betreffen - das heißt: ohne eine gewaltige Ausweitung der Demokratie. Wie es Engels im Mai 1895, nur wenige Monate vor seinem Tode, im Vorwort zur Neuauflage von Marx’ Klassenkämpfe in Frankreich so hervorragend ausdrückte: "Die Zeit der Überrumpelungen, der von kleinen bewussten Minoritäten an der Spitze bewusstloser Massen durchgeführten Revolutionen ist vorbei. Wo es sich um eine vollständige Umgestaltung der gesellschaftlichen Organisation handelt, da müssen die Massen selbst mit dabei sein, selbst schon begriffen haben, worum es sich handelt, für was sie mit Leib und Leben eintreten. Das hat uns die Geschichte der letzten fünfzig Jahre gelehrt." [Marx/Engels, Ausgewählte Werke, Band VI, Berlin 1979, S. 468]

In anderen Worten, die Revolution kann nicht für die Arbeiter gemacht werden, sie muss durch die Arbeiter gemacht werden, die verstehen, wofür sie kämpfen. Die Auffassung, die Arbeiterklasse sei fähig, um die politische Macht zu kämpfen und diese zu erobern, kann nur demjenigen vernünftig erscheinen, der daran glaubt, dass Massen von Arbeitern aufgrund ihrer eigenen Lebenserfahrungen von der Perspektive des Sozialismus angezogen werden. Du aber, Genosse Brenner, glaubst nicht daran. Du erblickst in den Massen lediglich ein Schauspiel abstoßender Rückständigkeit. Du schreibst: "Wenn die undifferenzierten Massen durch den bloßen Akt der Beteiligung an einer Revolution aus ihrer Haut schlüpfen und ein Leben voller Unterdrückung und Rückständigkeit soweit überwinden können, dass sie in der Lage sind, die Riesenaufgabe des sozialistischen Aufbaus selbstständig, d.h. ohne jede Anleitung oder ‚Vorschrift’ der Sozialisten durchzuführen, dann muss man sich schon fragen, warum sie Sozialisten benötigen, die sie überhaupt erst zur Revolution führen. Man muss sich kurz gefasst fragen, warum sie überhaupt eine Veränderung ihres Bewusstseins brauchen."

Rückständig treten die Arbeiter in die Revolution ein, rückständig kommen sie aus ihr heraus. Nur durch die Herkulesarbeit des Frank Brenner kann aus diesem allgemeinen Schlamassel etwas geborgen und können die Massen, trotz ihrer selbst, zur neuen Utopie geführt werden.

15. Bewusstsein und Sozialismus

Glücklicherweise vollzieht sich der wirkliche geschichtliche Prozess recht anders. Die Veränderung im sozialen Bewusstsein, die dem Ausbruch der Revolution notwendigerweise vorausgeht, ebenso wie die nachfolgende Entwicklung dieses Bewusstseins im Verlauf großer Kämpfe, wurzeln in sozioökonomischen Vorgängen, die sich unabhängig vom individuellen Bewusstsein entwickeln. Des weiteren sind die immensen "Sprünge" des Bewusstseins, die für eine Zeit revolutionärer Kämpfe charakteristisch sind, Ausdruck der lange herausgezögerten (und daher höchst explosiven) Anpassung des gesellschaftlichen Denkens an die äußere gesellschaftliche Realität. [18] Die Erfahrung aus den Massenkämpfen verändert die Menschen und ihr Bewusstsein. Oder, wie Marx und Engels es ausdrückten, als sie den Brenners der 1840er Jahre antworteten:

Die Geschichte zeigt, dass sowohl zur massenhaften Erzeugung des kommunistischen Bewusstseins wie zur Durchsetzung der Sache selbst eine massenhafte Veränderung der Menschen nötig ist, die nur in einer praktischen Bewegung, in einer Revolution vor sich gehen kann; dass also die Revolution nicht nur nötig ist, weil die herrschende Klasse auf keine andere Weise gestürzt werden kann, sondern auch, weil die stürzende Klasse nur in einer Revolution dahin kommen kann, sich den ganzen alten Dreck vom Halse zu schaffen und zu einer neuen Begründung der Gesellschaft befähigt zu werden. [Marx/Engels Ausgewählte Werke Band I, Berlin 1979, S. 231.]

Diese zu Recht vielgerühmte Passage findet sich in der Deutschen Ideologie, die Marx und Engels gemeinsam im Jahre 1845 verfassten. Dieses Werk war die erste Ausarbeitung der materialistischen Geschichtsauffassung, die das gesellschaftliche Bewusstsein des Menschen aus seinem gesellschaftlichen Sein erklärte, anstatt umgekehrt das Sein aus dem Bewusstsein. Die Formen des menschlichen Denkens, so entdeckten sie, entwickeln sich auf einer objektiven, materiellen Grundlage. "Nicht das Bewusstsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewusstsein." [ebd., S. 213] Ihre neue Auffassung der Geschichte und der Entwicklung des Bewusstseins "beruht also darauf, den wirklichen Produktionsprozess, und zwar von der materiellen Produktion des unmittelbaren Lebens ausgehend, zu entwickeln und die mit dieser Produktionsweise zusammenhängende und von ihr erzeugte Verkehrsform, also die bürgerliche Gesellschaft in ihren verschiedenen Stufen, als Grundlage der ganzen Geschichte aufzufassen..." [ebd., S. 231]

Das Verständnis der sozialen Revolution als objektives Ergebnis wirklicher sozioökonomischer Widersprüche des sich entwickelnden kapitalistischen Systems versetzte allen idealistischen Geschichtsinterpretationen den Todesstoß. Auch die Entwicklung der Arbeiterklasse als revolutionärer Kraft innerhalb der Gesellschaft, als "Totengräber" des Kapitalismus, war ein objektiver Prozess. Die weltgeschichtliche Rolle der Arbeiterklasse wurde im Kern nicht durch ihr Bewusstsein, sondern durch ihre einzigartige Stellung in der kapitalistischen Produktionsweise bestimmt. In Antwort auf den - wie sich zeigen sollte - langlebigsten Einwand gegen diese Auffassung des Proletariats als revolutionärer Kraft - der Arbeiterklasse fehle es an revolutionärem Bewusstsein, sie wolle die Revolution nicht usw. - schrieben Marx und Engels in der Heiligen Familie :

Es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird. Sein Ziel und seine geschichtliche Aktion ist in seiner eignen Lebenssituation wie in der ganzen Organisation der heutigen bürgerlichen Gesellschaft sinnfällig, unwiderruflich vorgezeichnet. [Karl Marx, Friedrich Engels, Die heilige Familie, Berlin 1973, S. 38]

Jede marxistische Diskussion über die Rolle des Bewusstseins (ein Thema, das für die trotzkistische Bewegung seit jeher von beträchtlichem Interesse ist, falls du, Genosse Brenner, dies nicht bemerkt haben solltest) muss von einem korrekten Verständnis seiner Beziehung zu den materiellen, sozioökonomischen Entwicklungsprozessen ausgehen. Pläne zum Aufbau einer revolutionären Partei und zur Entwicklung sozialistischen Bewusstseins wären zum Scheitern verurteilt, bestünden nicht die objektiven Voraussetzungen für ihre Verwirklichung. Die Erarbeitung der materialistischen Geschichtsauffassung kennzeichnete einen gewaltigen Fortschritt des menschlichen Verständnisses über seine eigene gesellschaftliche Praxis sowie über sein Bewusstsein. Wie Engels erklärte, "sind die letzten Ursachen aller gesellschaftlichen Veränderungen und politischen Umwälzungen zu suchen nicht in den Köpfen der Menschen, in ihrer zunehmenden Einsicht in die ewige Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern in, Veränderungen der Produktions- und Austauschweise; sie sind zu suchen nicht in der Philosophie, sondern in der Ökonomie der betreffenden Epoche." [ Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, in Marx/Engels, Ausgewählte Werke, Band V, Berlin 1979, S. 455]. Selbst das Aufkommen eines allgemeinen Gefühls, dass "die Dinge sich ändern müssen", innerhalb breiter Schichten der Gesellschaft, ist eine Widerspiegelung des archaischen Charakters des gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Systems im gesellschaftlichen Bewusstsein. [19]

Anzuerkennen, dass die sozialistische Bewegung über eine objektive Grundlage verfügt, mindert nicht die Bedeutung des Kampfes für die Entwicklung des sozialistischen Bewusstseins. Die Darlegung der objektiven Grundlage des Sozialismus ist sogar selbst ein wichtiger Bestandteil der theoretischen Erziehung der Arbeiterklasse. Doch die pädagogischen Aufgaben der sozialistischen Bewegung können nur korrekt formuliert werden, wenn verstanden wird, dass die Widersprüche des Kapitalismus den wichtigsten und entscheidenden Antrieb für die Entwicklung revolutionären Bewusstseins bilden.

Das Problem des sozialistischen Bewusstseins stellt sich denen, die es als ideellen Reflex eines materiellen, sozioökonomischen Prozesses verstehen, ganz anders als denen, für die kein solcher Zusammenhang zwischen den ökonomischen Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaft und der Entwicklung des gesellschaftlichen Denkens besteht. Für Marxisten bedeutet der Kampf für sozialistisches Bewusstsein nicht, die Arbeiter vom Kampf gegen den Kapitalismus zu überzeugen. Sie beginnen, indem sie die Unvermeidlichkeit solcher Kämpfe anerkennen, die aus dem objektiven Prozess der Ausbeutung und der Extraktion von Mehrwert erwachsen und die durch die sich vertiefende wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise des kapitalistischen Systems ungeheuer verschärft werden. Davon ausgehend bemüht sich die marxistische Bewegung, die fortgeschrittenen Schichten der Arbeiterklasse mit einem wissenschaftlichen Verständnis der Geschichte als gesetzmäßigen Prozess, der kapitalistischen Produktionsweise und der gesellschaftlichen Beziehungen, die aus ihr hervorgehen, sowie des Wesens der gegenwärtigen Krise und ihrer welthistorischen Bedeutung vertraut zu machen. Es geht darum, den unbewussten historischen Prozess in eine bewusste politische Bewegung umzuwandeln, die Auswirkungen der Zuspitzung der kapitalistischen Weltkrise vorauszusehen und vorzubereiten, die Logik der Ereignisse offenzulegen und die angemessene politische Antwort zu formulieren - strategisch und taktisch.

Wer in den objektiven, vom Kapitalismus selbst geschaffenen Bedingungen keine Grundlage für den Sozialismus erblickt, wer von Niederlagen und Rückschlägen demoralisiert ist, wer weder das Wesen der kapitalistischen Krise begreift noch das revolutionäre Potenzial der Arbeiterklasse wahrnimmt - sieht das Problem der Veränderung des Bewusstseins im Wesentlichen auf ideelle, ja psychologische Weise. Da keine reelle Grundlage für das sozialistische Bewusstsein existiert, muss die Möglichkeit seiner Entwicklung anderswo gesucht werden. Aus diesem Grund glaubt ihr, Genossen Brenner und Steiner, dass "die Utopie entscheidend für die Wiederbelebung einer sozialistischen Kultur ist".

16. Brenner über Familie und Rückständigkeit

Für dich, Genossen Brenner, liegen die nahezu unüberwindbaren Hindernisse, die dem Aufbau der sozialistischen Bewegung im Wege stehen, vor allem im traumatisierten Zustand der menschlichen Psyche. Schuld daran, so glaubst du, trägt der Einfluss der Familie auf das Bewusstsein. Daher muss auch, bevor irgendein echter Fortschritt in Richtung sozialistisches Bewusstsein gemacht werden kann, ein Programm ausgearbeitet und in den Brennpunkt der Parteiarbeit gerückt werden, das eben diese Institution zum Thema hat. "Es sollte keine strittige Frage sein, ob Sozialisten eine Politik bezüglich der Familie brauchen", rufst du aus. "Da wir für die Errichtung einer Welt kämpfen, in der die Leute erstmals in der Geschichte ein vollständig menschliches Leben führen können, ist dieses Ziel offensichtlich unvorstellbar ohne eine Generalüberholung der Institution, die für die Sozialisation - d.h. Humanisation - der Kinder verantwortlich ist und in welcher der menschlichen Persönlichkeit in der Klassengesellschaft die ersten (und oftmals tiefsten) Wunden beigebracht werden." Die Familie bedeutet "sexuelle Unterdrückung und Rückständigkeit". Dass Beams dieses überragende Problem nicht anspricht, ist "einfach unglaublich". Während du uns versicherst, es sei "nicht die Aufgabe der Sozialisten, den Menschen vorzuschreiben, wie sie ihr Privatleben zu führen haben", bist du entsetzt, dass Beams "die Maßnahmen völlig ignoriert, die ergriffen werden müssen", um die Hindernisse zu beseitigen, welche die Familie der Entwicklung des Bewusstseins in den Weg legt. Sozialisten, so betonst du, "sollten eine ganze Menge über die Familie zu sagen haben - von programmatischen Forderungen zur Bekämpfung von Rückständigkeit und sexueller Unterdrückung bis hin zu Erziehungsmaterial über das Ziel einer kollektiven Familie und das Wesen des Privatlebens im Sozialismus."

Dass Beams die revolutionäre Bewegung nicht für verpflichtet hält, eine Alternative zur bestehenden Kernfamilie zu vertreten, ist eine Art von "sozialistischem Laissez-faire". Du weist Beams’ Aussage zurück, die Familie der Zukunft werde sich "auf der Grundlage der unaufhörlich fortschreitenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Organisationsformen der sozialistischen Gesellschaft entwickeln", und erwiderst: "Der ganze Zweck des Sozialismus besteht doch darin, dass zum ersten Mal in der Geschichte die Menschen diese Veränderungen bewusst gestalten werden, die Familie eingeschlossen."

Als Patentrezept bietest du die "kollektive Familie" an, die "es Kindern wie Eltern ermöglichen wird, aus dem auszubrechen, was Wilhelm Reich einst die ‚Familitis’ nannte: der erstickenden Atmosphäre emotional überladener, zwanghafter Familienbande, die so viele tiefreichende und dauerhafte psychische Probleme ausbrütet". Du bleibst recht vage, wie die "kollektive Familie" entstehen soll und wie sie sich vom gegenwärtigen Stand der Dinge unterscheidet. Wer sich zu deinen Schülern rechnet, muss sich mit einigen wenigen allgemeinen Hinweisen darüber begnügen, wie die Familie in deiner Utopie funktionieren wird:

Es gibt tiefe sexuelle und emotionale Bande zwischen Liebenden, wie auch zwischen Eltern und Kindern, denen auch die kollektive Familie wird Rechnung tragen müssen. In diesem Sinne schafft die kollektive Familie die Kernfamilie nicht ab, sondern überwindet sie im dialektischen Sinne, d.h. sie bewahrt die romantische und elterliche Liebe, während sie sich die repressiven Verhältnisse und die soziale Entfremdung vom Hals schafft, die das Familienleben in der bürgerlichen Gesellschaft zu einem solchen Jammer werden lassen.

Für dich, Genosse Brenner, wurzeln die Probleme der Familie im Wesentlichen nicht in gesellschaftlichen Bedingungen, sondern in der Psychologie des Individuums. Dein Groll richtet sich weniger gegen das bestehende Wirtschaftssystem, als gegen die Familie, die deiner Überzeugung nach aus sich heraus einen ungeheuren Jammer erzeugt. Daher verlangst du von den Sozialisten, dass sie ein anderes, ideales Verhältnis erfinden - die sogenannte "kollektive Familie" - und es in ihr Programm aufnehmen. Das erfordert eine erhebliche Fehlinterpretation der Standpunkte, die Marx und Engels zu dieser Frage bezogen. [20]

Bei all deinen visionären Ansprüchen scheinst du außerordentlich desinteressiert - und schlecht informiert - an der Lebenswirklichkeit der meisten Arbeiterfamilien. Fixiert auf die psychologische und sexuelle Dimension des familiären Traumas, hast du über die praktischen Aspekte der Probleme, vor denen die meisten Arbeiterfamilien stehen, bemerkenswert wenig zu sagen. [21] Nur ganz nebenbei streust du die Forderung nach allgemeinem Zugang zu einer qualifizierten Kinderbetreuung ein. Man hat den Eindruck, du seiest der Meinung, eine sozialistische Revolution könne - rein praktisch gesehen - relativ wenig für eine bedeutende Verbesserung der Lebensumstände von Arbeiterfamilien tun, abgesehen von Propagandakampagnen gegen unterschiedliche Formen gesellschaftlicher Rückständigkeit. "Der Kern der Frage ist, dass die Probleme der Familie nicht automatisch verschwinden werden, wenn der Sozialismus einmal da ist."

Wer ist jemals davon ausgegangen, irgendetwas werde automatisch geschehen? Die sozialistische Revolution ist nicht dasselbe wie ein Computerinstallationsprogramm (das dann normalerweise zu zahlreichen unerwarteten Schwierigkeiten führt). Derart philisterhafte Bemerkungen zielen darauf ab, die grundsätzliche Perspektive des Sozialismus zu verunglimpfen: Dass der Sturz der bestehenden kapitalistischen Eigentumsverhältnisse, auf denen die gegenwärtige Gesellschaft basiert, den Schlüssel zur Erleichterung allen menschlichen Leidens bildet. Die Lösung des großen Problems des Privateigentums an den Produktionsmitteln wird den Weg für die schrittweise Lösung vieler anderer wichtiger Probleme des menschlichen Daseins bereiten.

Natürlich werden nicht alle Probleme der innerfamiliären Beziehungen im ersten Jahr des Sozialismus gelöst werden, vielleicht nicht einmal in seinem ersten Jahrhundert. Niemand kann ernsthaft annehmen, dass unter dem Sozialismus alle Ehen oder sonstigen Lebensgemeinschaften glückliche sein werden, oder dass alle Kinder mit ihren Eltern zufrieden sein werden oder umgekehrt. Was wir aber mit Sicherheit annehmen dürfen, ist, dass eine revolutionäre Neuorganisierung der ökonomischen Gesellschaftsstruktur nach sozialistischen Grundsätzen die wichtigsten materiellen Ursachen der Mühsal und Misere des Familienlebens bedeutend vermindern wird.

Ein modernes sozialistisches Programm muss in praktischer Weise die Probleme von Männern, Frauen und Kindern ansprechen, so wie sie sich konkret im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts stellen. Dein Hinweis auf die Befreiung der Frau von der "häuslichen Sklaverei" erscheint etwas altmodisch zu einer Zeit, da die Mehrheit der Mütter Jobs außerhalb ihres Haushalts ausüben. Anscheinend ist dir entgangen, dass das Vater-Mutter-Kind-Familienmodell, wie es in "Father knows best" vorgeführt wird, seit der Ausstrahlung dieser Fernsehserie in den 50er Jahren nur noch auf einen Bruchteil der Familien zutrifft. Man sollte hinzufügen, dass das Bild des autoritären pater familias heutzutage nur noch wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat - besonders mit der Wirklichkeit von Arbeitervätern, die sich in den Mühlen des Systems legaler Folter namens "Friend of the court" befinden, das Unterhaltszahlungen bis zur Hälfte des Lohns anordnen kann. Arbeiterfamilien werden von finanziellen Schwierigkeiten geplagt, aus denen sie kein Entrinnen finden. Die gewaltige Komplexität des sozialen Lebens und der Druck, den es den Familien auferlegt, erfordert nicht die Erfindung einer neuen Familienform, sondern die Verschiebung der Lasten, die heute mehr oder weniger ausschließlich auf dem Individuum liegen, auf die Gesellschaft als ganze.

Die eigentliche Bedeutung deiner Diskussion über die Familie liegt aber nicht bei den von dir vertretenen Forderungen, sondern bei dem Licht, das du damit unfreiwillig auf die völlig idealistische Weltsicht und Methode des zeitgenössischen Neo-Utopismus wirfst. Du betonst wiederholt, dass die Familie ein Bollwerk sozialer Rückständigkeit sei. Doch wie immer ortest du die Ursache dieser Rückständigkeit nicht in der wirtschaftlichen Organisation der Gesellschaft, sondern in der Psychologie des Individuums, genauer gesagt in den "unterdrückten unbewussten Gefühlen", die in der "erstarrten, nicht aufgearbeiteten Vergangenheit" des Menschen fortbestehen. Du weist die Ansicht zurück, wonach Veränderungen der wirtschaftlichen Organisation und Struktur der Gesellschaft die entscheidende Rolle bei der Überwindung der Rückständigkeit spielen werden, die deiner Meinung nach "fortbestehen und sich selbst verewigen" wird. Ein Eingreifen anderer Art sei nötig: " Um den Inhalt dieses Eingreifens dreht sich die ganze Diskussion: Den Kampf gegen sexuelle Unterdrückung und die sozialistische Neuformierung der Familie - denn man kann die Probleme an der Wurzel der menschlichen Persönlichkeit nur angehen, wenn man die Art und Weise verändert, wie Menschen großgezogen werden." [Betonung hinzugefügt.]

Die Kluft zwischen deiner Perspektive und derjenigen der revolutionären sozialistischen Bewegung könnte nicht deutlicher dargelegt werden. Würden deine Vorschläge und Perspektiven angenommen, so wäre das Ergebnis die Auflösung der SEP, des IKVI und der trotzkistischen Bewegung. Es bestünde kein Bedarf an einer internationalen Partei, deren Ziel die revolutionär-strategische Orientierung der internationalen Arbeiterklasse ist, gegründet auf ihr bewusstes Verständnis der objektiven Gesetze des gesamten sozioökonomischen Systems. Das IKVI würde durch eine Organisation ersetzt werden, die sich auf die Psychotherapie konzentrieren, die "unterdrückten unbewussten Gefühle" ihrer Mitglieder und Unterstützer untersuchen und die sexuellen Ängste ansprechen würde, die du in der Familienstruktur verankert glaubst.

Wir werden später zu den beunruhigenden und reaktionären Implikationen dieser völlig verwirrten Perspektive zurückkehren. Doch zunächst müssen wir auf den krassen Widerspruch in deiner Begründung hinweisen. Wenn, wie du behauptest, die Überwindung der gesellschaftlichen Rückständigkeit ein umfassendes psychologisches Rehabilitationsprogramm erfordert, den Neuaufbau der Persönlichkeit, die Umformierung der Familie - wie kann dann das Bewusstsein der Massen jemals bis zu dem Punkt angehoben werden, an dem die Revolution, von der ja dieses beispiellose gesellschaftliche Umgestaltungsprojekt abhängt, überhaupt möglich wird? In einer Gesellschaft, die aus Menschen besteht, die dir zufolge als Folge ihrer Erziehung psychologisch geschädigt sind - wie kann da der Sozialismus eine Massenbewegung werden? Diesen Widerspruch kannst du nicht auflösen. Stattdessen vertiefst du ihn, indem du die ahistorischen Konzeptionen der alten Utopisten wieder belebst. Ganz wie sie behauptest du: "Man kann die Probleme an der Wurzel der menschlichen Persönlichkeit nur angehen, indem man die Weise verändert, in der Menschen großgezogen werden." In anderen Worten: Wir müssen ihnen eine neue Form der Familie anbieten. Doch da dies aus offensichtlichen Gründen nicht vor der sozialen Revolution möglich ist, hängt die Machteroberung von den Handlungen von Menschen ab, wie sie heute existieren - was wiederum eine Revolution scheinbar ausschließt. Bringen es aber all diese geschädigten Menschen durch irgendein Wunder dennoch fertig, den Kapitalismus zu stürzen, so wird man sie danach wiederherstellen und umerziehen müssen. Deine Überzeugung, die Leitung der Gesellschaft müsse "für eine beträchtliche Zeit" in den Händen von Sozialisten verbleiben, die besonders ausgebildet und im Voraus mit dem vorgeschriebenen Bewusstsein indoktriniert sind, ergibt sich logisch aus deinem idealistischen Schema. [22]

Wird fortgesetzt

18 Trotzki erklärte diesen Vorgang wie folgt: "Schnelle Veränderungen von Ansichten und Stimmungen der Massen in der revolutionären Epoche ergeben sich folglich nicht aus der Elastizität und Beweglichkeit der menschlichen Psyche, sondern im Gegenteil aus deren tiefem Konservativismus. Das chronische Zurückbleiben der Ideen und Beziehungen hinter den neuen objektiven Bedingungen, bis zu dem Moment, wo die letzteren in Form einer Katastrophe über die Menschen hereinbrechen, erzeugt eben in der Revolutionsperiode die sprunghafte Bewegung der Ideen und Leidenschaften, die den Polizeiköpfen als einfache Folge der Tätigkeit von ‚Demagogen’ erscheint." [ Geschichte der Russischen Revolution, Frankfurt 1973, S.8] [zurück]

19 Bei Engels heißt es weiter: "Die erwachende Einsicht, dass die bestehenden gesellschaftlichen Einrichtungen unvernünftig und ungerecht sind, dass Vernunft Unsinn, Wohltat Plage geworden, ist nur ein Anzeichen davon, dass in den Produktionsmethoden und Austauschformen in aller Stille Veränderungen vor sich gegangen sind, zu denen die auf frühere ökonomische Bedingungen zugeschnittne gesellschaftliche Ordnung nicht mehr stimmt. Damit ist zugleich gesagt, dass die Mittel zur Beseitigung der entdeckten Missstände ebenfalls in den veränderten Produktionsverhältnissen selbst - mehr oder minder entwickelt - vorhanden sein müssen. Diese Mittel sind nicht etwa aus dem Kopfe zu erfinden, sondern vermittelst des Kopfes in den vorliegenden materiellen Tatsachen der Produktion zu entdecken... Die neuen Produktionskräfte sind der bürgerlichen Form ihrer Ausnutzung bereits über den Kopf gewachsen; und dieser Konflikt zwischen Produktivkräften und Produktionsweise ist nicht ein in den Köpfen der Menschen entstandner Konflikt, wie etwa der der menschlichen Erbsünde mit der göttlichen Gerechtigkeit, sondern er besteht in den Tatsachen, objektiv, außer uns, unabhängig vom Wollen oder Laufen selbst derjenigen Menschen, die ihn herbeigeführt. Der moderne Sozialismus ist weiter nichts als der Gedankenreflex dieses tatsächlichen Konflikts, seine ideelle Rückspiegelung in den Köpfen zunächst der Klasse, die direkt unter ihm leidet, der Arbeiterklasse." [ebd., S. 455 ff.] [zurück]

20 Du behauptest, Marx und Engels hätten "die stickige Moral des viktorianischen Zeitalters offen angegriffen, indem sie die Abschaffung der Familie forderten und die Ehe als legale Prostitution anprangerten". Ohne Marx und Engels direkt zu zitieren, legst du einem mit ihren Werken nicht vertrauten Leser die Auffassung nahe, sie seien für die Auflösung jeglicher Familie eingetreten, für die Praxis der freien Liebe usw. Damit wiederholst du ein Zerrbild des Kommunismus, wie man es in der reaktionärsten Literatur findet. In Wahrheit sprachen Marx und Engels im Kommunistischen Manifest von der Familie nicht als einer ahistorischen Abstraktion; sie stellten vielmehr die Frage: "Worauf beruht die gegenwärtige, die bürgerliche Familie?" und antworteten:

Auf dem Kapital, auf dem Privaterwerb. Vollständig entwickelt existiert sie nur für die Bourgeoisie; aber sie findet ihre Ergänzung in der erzwungenen Familienlosigkeit der Proletarier und der öffentlichen Prostitution.

Die Familie der Bourgeois fällt natürlich weg mit dem Wegfallen dieser ihrer Ergänzung, und beide verschwinden mit dem Verschwinden des Kapitals. [in: Ausgewählte Werke, Band I, Berlin, 1979, S. 434]

Ähnlich sprechen Marx und Engels nicht von der Ehe im Allgemeinen, sondern von der bürgerlichen Ehe. Ihre Behandlung des Themas beginnt mit einer spöttischen Zurückweisung der bürgerlichen Behauptung, Ziel der Kommunisten sei die Errichtung der "Weibergemeinschaft", d.h. die Frauen einem öffentlichen Harem einzuverleiben. Sie antworten:

Der Bourgeois sieht in seiner Frau ein bloßes Produktionsinstrument. Er hört, dass die Produktionsinstrumente gemeinschaftlich ausgebeutet werden sollen, und kann sich natürlich nichts anderes denken, als dass das Los der Gemeinschaftlichkeit die Weiber gleichfalls treffen wird.

Er ahnt nicht, dass es sich eben darum handelt, die Stellung der Weiber als bloßer Produktionsinstrumente aufzuheben.

Übrigens ist nichts lächerlicher als das hochmoralische Entsetzen unserer Bourgeois über die angebliche offizielle Weibergemeinschaft der Kommunisten. Die Kommunisten brauchen die Weibergemeinschaft nicht einzuführen, sie hat fast immer existiert.

Unsre Bourgeois, nicht zufrieden damit, dass ihnen die Weiber und Töchter ihrer Proletarier zur Verfügung stehen, von der offiziellen Prostitution gar nicht zu sprechen, finden ein Hauptvergnügen darin, ihre Ehefrauen wechselseitig zu verführen.

Die bürgerliche Ehe ist in Wirklichkeit die Gemeinschaft der Ehefrauen. Man könnte höchstens den Kommunisten vorwerfen, dass sie an Stelle einer heuchlerisch versteckten eine offizielle, offenherzige Weibergemeinschaft einführen wollten. Es versteht sich übrigens von selbst, dass mit Aufhebung der jetzigen Produktionsverhältnisse auch die aus ihnen hervorgehende Weibergemeinschaft, d.h. die offizielle und nichtoffizielle Prostitution, verschwindet. [ebd., S. 434f.]

In einer anderen Schrift mit dem Titel Grundsätze des Kommunismus, geschrieben fast gleichzeitig mit dem Kommunistischen Manifest, gab Engels folgende Antwort auf die Frage "Welchen Einfluss wird die kommunistische Gesellschaftsordnung auf die Familie ausüben?":

Sie wird das Verhältnis der beiden Geschlechter zu einem reinen Privatverhältnis machen, welches nur die beteiligten Personen angeht und worin sich die Gesellschaft nicht zu mischen hat. Sie kann dies, da sie das Privateigentum beseitigt und die Kinder gemeinschaftlich erzieht und dadurch die beiden Grundlagen der bisherigen Ehe, die Abhängigkeit des Weibes vom Mann und der Kinder von den Eltern vermittelst des Privateigentums, vernichtet. Hierin liegt auch die Antwort auf das Geschrei hochmoralischer Spießbürger gegen kommunistische Weibergemeinschaft. Die Weibergemeinschaft ist ein Verhältnis, was ganz der bürgerlichen Gesellschaft angehört und heutzutage in der Prostitution vollständig besteht. Die Prostitution beruht aber auf dem Privateigentum und fällt mit ihm. Die kommunistische Organisation also, statt die Weibergemeinschaft einzuführen, hebt sie vielmehr auf. [ebd., S. 352] [zurück]

21 In deinem Dokument findet sich kein Hinweis darauf, dass du die dringendsten Nöte der Familien bedacht hättest, die außerhalb der reichsten kapitalistischen Länder leben. [zurück]

22 Die Vorstellung, die Umwandlung der Gesellschaft hinge von der Veränderung der menschlichen Persönlichkeit (d.h. der menschlichen Natur) ab, die wiederum von der Veränderung ihrer Erziehung abhinge, veranlasste die Utopisten und ihre Anhänger zur Organisation ihrer eigenen Sektengesellschaften. In diesen sollte die Erziehung der Jugend in Übereinstimmung mit den von den offiziellen Erziehern festgelegten Prinzipien stattfinden. Doch diese Experimente, die schließlich allesamt in Sackgassen endeten, basierten auf einer grundsätzlich falschen Auffassung der gesellschaftlichen Entwicklung. Marx unterwarf diese utopische Illusion in der dritten These über Feuerbach einer vernichtenden Kritik:

Die materialistische Lehre, dass die Menschen Produkte der Umstände und der Erziehung, veränderte Menschen also Produkte anderer Umstände und geänderter Erziehung sind, vergisst, dass die Umstände eben von den Menschen verändert werden und dass der Erzieher selbst erzogen werden muss. Sie kommt daher mit Notwendigkeit dahin, die Gesellschaft in zwei Teile zu sondern, von denen der eine über der Gesellschaft erhaben ist. (Z.B. bei Robert Owen.)

Das Zusammenfallen des Änderns der Umstände und der menschlichen Tätigkeit kann nur als umwälzende Praxis gefasst und rationell verstanden werden. [wiedergegeben in: Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Berlin 1984, S. 69f] [zurück]

Loading