Lokführerstreik: GDL-Chef Schell appelliert an die Kanzlerin

Am Wochenende meldete sich der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) Manfred Schell aus seinen Kurort am Bodensee zu Wort. Er appellierte an die Bundesregierung, im Tarifkampf der Lokführer "umgehend zu vermitteln".

"Die Bundesregierung kann sich nicht länger aus dem Konflikt heraushalten", sagte Schell. "Das Land hält das auf Dauer nicht aus. Wir brauchen eine Einigung." Die Regierung sei zu einer Vermittlung verpflichtet. Schell betonte, dass nun beide Seiten Zugeständnisse machen müssten, und kündigte die Bereitschaft der GDL zum Kompromiss an. Das Problem sei aber, dass die Bahn bisher "nicht einmal zu Verhandlungen bereit" sei.

Es ist nicht zum ersten Mal, dass der GDL-Vorsitzende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auffordert, Einfluss auf den Bahn-Vorstand zu nehmen. Mitte Juli hatte er bereit schon einmal in der Berliner Zeitung von der Kanzlerin verlangt, sie solle "ihre Möglichkeiten nutzen und den Bahn-Vorstand dazu anhalten, mit uns in ordentliche, substanzielle Verhandlungen einzutreten". Als Begründung fügte Manfred Schell hinzu, schließlich sei Merkel als Vertreterin des Bundes "im Prinzip oberste Eigentümerin der Bahn".

Doch diese Argumentation stellt die Dinge auf den Kopf. Gerade weil sich die Bahn trotz ihrer Umwandlung in eine Aktiengesellschaft noch immer im Bundeseigentum befindet, ist die Bundesregierung in diesem Konflikt noch weitaus weniger "neutral" als in anderen Tarifkämpfen.

Bahn-Chef Mehdorn ist nicht Vorstandsvorsitzender einer Privatfirma, sondern Angestellter eines Bundesunternehmens. Er wurde von der Bundesregierung eingestellt, um die Gewinne der Bahn zu steigern und sie auf den Börsengang vorzubereiten, und kann auch jederzeit wieder von ihr entlassen werden. Mit anderen Worten: Das Vorgehen von Mehdorn und dem Bahn-Vorstand erfolgt mit Unterstützung und im Einvernehmen mit der Bundesregierung.

Im Büro von Verkehrs-Staatssekretär Jörg Hennerkes wird das Vorgehen des Bahnvorstands ständig abgesprochen und koordiniert. Hennerkes arbeitet eng mit dem Vorsitzenden der DGB-Gewerkschaft Transnet, Norbert Hansen, sowie Konzern-Betriebsratschef Günter Kirchheim zusammen. Alle drei sind Mitglieder im Aufsichtsratspräsidium der Bahn AG und unterstützen die Privatisierungspläne. Sie stehen in engem Kontakt zu Verkehrsminister Tiefensee und gehören wie dieser der SPD an.

Von der Bundesregierung Unterstützung für die Lokführer zu erwarten, ist daher absurd. Man könnte ebenso gut an die Arbeitgeberverbände appellieren. Die Große Koalition kam mit dem ausdrücklichen Ziel an die Macht, die Privatisierung der Bahn ebenso wie die Agenda 2010 ihrer rot-grünen Vorgängerregierung gegen wachsenden Widerstand durchzusetzen. Und sie ist entschlossen, genau dies zu tun. Man kann nicht gegen die Pläne der Regierung kämpfen und sie gleichzeitig um Unterstützung anflehen.

Der Kampf gegen die schlechten Arbeitsbedingungen und die miserablen Löhne der Lokführer steht den Plänen zur Privatisierung der Bahn im Wege. Die Bundesregierung kann keine Investoren anlocken, wenn die Bahn ihre Einnahmen zur Verbesserung der Löhne und Arbeitsbedingungen einsetzt, anstatt sie an profithungrige Aktienbesitzer auszuschütten. Und Anleger werden einen weiten Bogen um die Bahnaktien machen, solange die Gefahr besteht, dass Lokführer und andere Bahnbeschäftigte erneut für bessere Löhne streiken. Schließlich dienen die Privatisierung und die Einführung von Wettbewerb auf der Schiene dazu, Lohndumping zu betreiben - wie dies schon bei der Zerschlagung und Privatisierung von Post und Telekom der Fall war.

Es war von Anfang an klar, dass der gegenwärtige Tarifkonflikt politische Dimensionen hat und eine Auseinandersetzung mit der Regierung bedeutet. Die provokative Arroganz, mit der Bahnchef Mehdorn und seine Personalchefin Margret Suckale seit Wochen ein ernsthaftes Angebot verweigern und Verhandlungen verschleppen, ist ein Ergebnis davon, dass sie die Bundesregierung hinter sich wissen. Sie wollen die Lokführer in die Knie zwingen, um ein Exempel zu statuieren und jeden einzuschüchtern, der es wagt, gegen den sozialen Kahlschlag anzukämpfen.

Wenn GDL-Chef Schell nun von der Regierung Unterstützung fordert und dabei Zugeständnisse und Zusammenarbeit signalisiert, gibt er den Kampf für die berechtigten Forderungen der Lokführer auf und peilt einen faulen Kompromiss an.

Wohin eine Zusammenarbeit mit der Regierung führt, macht die Entwicklung des DGB, allen voran der Bahn-Gewerkschaft Transnet deutlich. Sie ist mit der Interessensvertretung der Mitglieder nicht zu vereinbaren. Transnet arbeitet eng mit dem Bahn-Vorstand und der Bundesregierung zusammen und hat die Drecksarbeit bei der Propaganda gegen die GDL übernommen.

Unmittelbar nach der Urabstimmung Anfang August, nachdem über 95 Prozent der GDL-Lokführer für Streik gestimmt hatten, startete Transnet eine Unterschriftenaktion unter dem Motto: "So nicht GDL!" Seitdem bemühen sich Transnet- und DGB-Funktionäre, die Bahnbeschäftigten zu spalten und gegen die streikenden Lokführer aufzuhetzen.

Anstatt die Bundesregierung um Unterstützung anzuflehen, muss die Solidarität der anderen Bahnbeschäftigten, der von Entlassung und Abstufung betroffenen Mitarbeiter der Telekom und breiter Bevölkerungsschichten mobilisiert werden. Auch zu den streikenden Bahnarbeitern in Frankreich und den ebenfalls streikenden Postarbeitern in England sollte Kontakt aufgenommen werden.

Es darf nicht zugelassen werden, dass die Lokführer von den DGB-Gewerkschaften isoliert, vom Bahn-Management an die Wand gedrückt und von der Klassenjustiz kriminalisiert werden! Es müssen Solidaritätskomitees aufgebaut werden! Der Kampf der Lokführer muss zum Ausgangspunkt einer breiten Offensive gegen Lohn- und Sozialabbau und gegen die Große Koalition in Berlin gemacht werden!

Die Zustimmung zum Streik der Lokführer ist so groß und bisher ungebrochen, weil Millionen Menschen den sozialen Niedergang am eigenen Leib erfahren. Während die Reichen immer reicher und überheblicher werden, muss die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ihr Dasein mit sinkenden Einkommen und Sozialleistungen fristen.

Bahnchef Mehdorn mit seinem Jahresgehalt von 3,2 Millionen Euro und seine Vorstandkollegin Margret Suckale sind Vertreter einer Abzockerschicht, die dem Rest der Gesellschaft immer neue Sozialkürzungen auferlegt. Viele Menschen glauben, dass es Zeit ist, diesem sozialen Kahlschlag entgegen zu treten. Aus diesem Grund begrüßen sie den Kampf der Lokführer. Diese Unterstützung muss ausgebaut und entwickelt werden.

Das erfordert eine politische Strategie, die über den beschränkten Rahmen gewerkschaftlicher Einzelinteressen hinaus geht. Zusätzlich zur Vorbereitung weiterer Streikmaßnahmen muss eine politische Debatte über ein Programm geführt werden, das sich an den Bedürfnissen der arbeitenden Bevölkerung orientiert.

Wenn ständig erklärt wird, vernünftige Löhne, annehmbare Arbeitsbedingungen und menschenwürdige Verhältnisse seien nicht mit den Profitinteressen der Wirtschaft zu vereinbaren, bestätigt das nur, wie notwenig eine grundlegende gesellschaftliche Umwälzung mit einer sozialistischer Zielsetzung ist.

Gerade bei der Bahn wird deutlich, dass die Interessen der Bevölkerung nicht der persönlichen Bereicherung der Finanzelite geopfert werden dürfen. Das Verkehrsnetz der Bahn wurde von vielen Generationen aus Steuermitteln finanziert und aufgebaut. Die Beförderung der Bevölkerung ist ein soziales Anliegen und muss der Kontrolle der Finanzaristokratie entrissen und in den Dienst der Gesellschaft als ganzer gestellt werden.

Die Gegenseite ist sich über die Bedeutung des Lokführerstreiks äußerst bewusst. Nur so ist zu erklären, dass ein Chemnitzer Arbeitsrichter es wagt, mit dem Streikrecht ein elementares Grundrecht aufzuheben, und ein Berufungsgericht den Verhandlungstermin wochenlang verzögert. Die Richter fühlen sich offenbar durch eine breite Einheitsfront aus Regierung, DGB und Medien ermutigt, die hinter dem Bahnvorstand steht.

Das Chemnitzer Urteil, das Streiks im Fern- und Güterverkehr bundesweit verbietet und nur im Regional- und S-Bahnverkehr zulässt, ist völlig willkürlich und setzt sich über rechtsstaatliche Grundsätze hinweg. Es knüpft an die unseligen Traditionen der Klassenjustiz vergangener Zeiten an.

Gestern wurde bekannt, dass erst Anfang November über die Berufung verhandelt wird. Das macht deutlich, worauf das Urteil abzielt. Von Streiks im Nah- und S-Bahnverkehr werden vor allem Pendler, mithin ein Teil der arbeitenden Bevölkerung betroffen. Die Richter hoffen offenbar, dass dadurch die Streikunterstützung sinkt. Gleichzeitig haben die betroffenen Bahnkunden in der Regel längst bezahlte Zeitkarten, so dass der wirtschaftliche Schaden für die Bahn AG niedrig bleibt und sie einen Streik lange verkraften kann.

Ein Streik im Güter- und Fernverkehr hätte dagegen sehr schnell große wirtschaftliche und finanzielle Auswirkungen und soll deshalb möglichst ganz, oder möglichst lange verhindert werden.

Aber auch Rechtsfragen sind Machtfragen. Daher ist es wichtig, dass der Streik der Lokführer unterstützt und zum Ausgangspunkt für eine breite Mobilisierung gegen die Große Koalition gemacht wird.

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