Polizei verbietet Antikriegsmarsch in London

Neue Angriffe auf demokratische Grundrechte

Die Londoner Polizei hat eine Demonstration des Antikriegsbündnisses "Stop the War Coalition" im Zentrum der Hauptstadt verboten. Polizeisprecher ließen durchblicken, dies sei auf Drängen der Labour-Regierung von Premierminister Gordon Brown geschehen.

Die Demonstration war für Montag, den 8. Oktober geplant, den Tag der Parlamentseröffnung. Das Verbot ist ein schwerer Angriff auf die Meinungsfreiheit und muss von allen Arbeitern, Jugendlichen und sozialistisch gesinnten Intellektuellen zurückgewiesen werden.

Mit diesem Verbot erreichen die seit zehn Jahren andauernden Angriffe der Labour-Regierung auf demokratische Grundrechte einen neuen Höhepunkt. Nicht zufrieden mit den unzähligen Bestimmungen, die in letzter Zeit die Meinungsfreiheit eingeschränkt haben, greift sie nun auf ein demokratiefeindliches Gesetz zurück, das aus dem 19. Jahrhundert stammt.

Die Demonstration wurde unter Berufung auf ein weitgehend unbekanntes Gesetz aus dem Jahr 1839 verboten. Es stammt aus der Zeit der Chartisten-Bewegung, einer Periode, die von Klassenkonflikten im Inneren und kolonialen Aufständen geprägt war. Damals wähnte sich die britische herrschende Klasse auf der Schwelle zur sozialen Revolution - eine Befürchtung, die 1948 bestätigt werden sollte, als Revolutionen in ganz Europa Throne zum Einsturz brachten und die marxistische Bewegung entstand.

Die Bourgeoisie überstand den Sturm, der sich 1837 erhob, als die Charta veröffentlicht wurde und die erste Arbeiterbewegung entstand, und bis 1858 dauerte, als die "indische Meuterei", der erste indische Unabhängigkeitskrieg, blutig niedergeschlagen wurde. Durch Gewaltanwendung und wirtschaftliche Zugeständnisse gelang es der Kapitalistenklasse, sich an der Macht zu halten.

Dass diese Gesetze heute wieder zur Anwendung kommen, zeigt, wie sehr die Vertreter des Kapitals eine Bedrohung ihrer Herrschaft fürchten. Bei der heutigen Wirtschaftslage sind die Möglichkeiten des britischen Kapitalismus, wirtschaftliche Zugeständnisse wie zur Zeit ihrer uneingeschränkten Weltherrschaft zu machen, höchst begrenzt. Geblieben ist ihm nur das Gewaltmonopol, das er ohne Zögern einsetzen wird, wenn sich Widerstand gegen seine fundamentalen Interessen erhebt.

Das Polizeigesetz von 1839, der sogenannte Metropolitan Police Act, ist bis heute Teil des Gesetzbuchs. Es erlaubt dem Parlament die jährliche Erneuerung eines Sondergesetzes ("Sessional Order") für die Sitzungsperiode, das die Polizei anweist, jegliche Behinderung von Parlaments- oder Oberhausmitgliedern bei der Amtsausübung zu unterbinden. Die Anordnung kann auf die öffentlichen Straßen in der Nachbarschaft des Parlaments angewandt und auf die "Paläste ihrer Majestät", staatliche Behörden, Gerichte, Theater und weitere öffentliche Plätze ausgeweitet werden.

Das Sondergesetz ermöglicht es der Polizei, an allen Tagen, an denen das Parlament tagt, Demonstrationen aufzulösen und Menschenmengen auseinander zu treiben. Es könnte auf jede Demonstration an jedem beliebigen Ort in London angewandt werden, wenn diese als Behinderung von Abgeordneten und Lords auf dem Weg zum Parlament aufgefasst wird.

Schon seit dem 1. August 2005 sind spontane Demonstrationen im Zentrum von London flächendeckend verboten, gestützt auf ein Gesetz namens "Serious Organised Crime and Police Act" (SOCP Act 2005). Dieses Gesetz hat eine Bannmeile im Radius von einem Kilometer um das Parlamentsgebäude herum geschaffen. Ein großer Teil des Londoner Zentrums liegt in diesem Bannkreis. Dazu gehören der St.-James-Park, ein großer Teil des Themse-Südufers und ein breiter Streifen Londons von Charing Cross bis Lambeth Bridge.

Maya Evans wurde im Dezember 2005 als erste nach dem SOCP-Gesetz verurteilt, weil sie die Namen der im Irak getöteten britischen Soldaten öffentlich vorgelesen hatte. Ihr Freund, Milan Rai, der damals die Namen der getöteten irakischen Zivilisten vorlas, wurde im April 2006 für schuldig befunden, gegen das Gesetz verstoßen zu haben. Der Ort ihres Protestes, das Cenotaph-Kriegsdenkmal, liegt innerhalb der Bannmeile.

Selbst dieses Gesetz war Brown nicht scharf genug. Indem die Regierung nun den "Sessional Order" ins Feld führt, weitet sie das schon jetzt großflächige Verbot auf ganz London aus. Sogar eine Kundgebung auf dem Trafalgar Square könnte unter den "Sessional Order" fallen, wenn sie als Hindernis für Mitglieder des Parlaments und für Lords gesehen würde, sich durch London zu bewegen. Trafalgar Square ist der traditionelle Ort für politische Versammlungen und liegt außerhalb der Bannmeile.

Nach dem SOCP-Gesetz von 2005 muss jeder, der innerhalb der Bannmeile demonstrieren will, schriftlich eine Genehmigung beantragen. Selbst wenn die Genehmigung erteilt wird, kann die Demonstration mit Auflagen, wie z. B. dem Verbot von Megaphonen, einer abweichende Route oder zeitlichen Begrenzungen, belegt werden.

Die Organisatoren des Marschs vom 8. Oktober hatten eine Genehmigung beantragt und auch erhalten. Ihre Route vom Trafalgar Square zum Parlamentsgebäude war genehmigt worden. Vor dem Unterhaus angekommen, wollten sie die Parlamentsabgeordneten auffordern, die Truppen aus dem Irak abzuziehen.

Die Tatsache, dass die Regierung auf eine friedliche Kundgebung vor dem Parlament durch eine wahrscheinlich eher kleine Menschengruppe auf so drakonische Art und Weise reagiert, muss als Warnung verstanden werden. Sie zeigt, in welche Richtung die Regierung zu gehen gedenkt. Die Regierung Brown wird noch repressiver vorgehen als die von Tony Blair. Sie greift tief in ihr Gesetzesarsenal, um die Meinungsfreiheit zu unterdrücken.

Ihr Vorgehen könnte eine Bestätigung von Presseberichten in Großbritannien und den Vereinigten Staaten sein, denen zufolge die britische Regierung ihre Unterstützung für eine Bombardierung des Iran zugesagt hat. Unter diesen Umständen und angesichts der Möglichkeit einer überraschend angesagten Parlamentswahl wird selbst eine eher bescheidene Demonstration, die den militaristischen und kolonialistischen Kurs der Regierung anprangert, als untragbar erachtet.

Brown fürchtet jede Aktion, die zum Brennpunkt für eine breitere Massenopposition gegen den Krieg im Irak, in Afghanistan und möglicherweise im Iran werden könnte.

Seit der weltweiten Massenmobilisierung gegen den Krieg von 2003 hat die "Stop the War Coalition" die Antikriegsbewegung verkümmern lassen: Sie hat nichts getan, um den Kampf gegen Krieg mit einem politischen Kampf der Arbeiterklasse gegen die Regierung zu verbinden. Stattdessen wurden die Proteste auf ein Maß zugeschnitten, das für eine Handvoll Labour- und Gewerkschafts-"Linke" politisch akzeptabel war, die sich in der Rolle von Gegnern der Irakbesetzung gefallen.

Als bekannt wurde, dass Blair zurücktreten und Brown seine Nachfolge antreten würde, hat die Gruppe nichts weiter als einen unterwürfigen Aufruf zur Veränderung der Regierungspolitik zustande gebracht. Noch bevor Brown im April Premierminister wurde, forderte ihn die "Stop the War Coalition" auf, "die britischen Truppen nicht später als im Oktober 2007 aus dem Irak abzuziehen" und "eine Außenpolitik einzuschlagen, die unabhängig von der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika ist".

Der Vorsitzende der "Stop the War Coalition", Andrew Murray, Mitglied der stalinistischen Kommunistischen Partei Großbritanniens, und die Organisationsleiterin Lindsey German von der Socialist Workers Party räumten in einem Offenen Brief an die angegliederten Gruppen ein, dass "Brown schon während der gesamten Zeit der Entscheidungen zum Irak und zu Afghanistan ein enger Mitarbeiter des Premierministers war". "Dennoch", fährt der Brief fort, "sind wir überzeugt, dass Massendruck und das Eigeninteresse derjenigen, die wieder gewählt werden wollen, die britische Regierung dazu zwingen kann, sich von George Bushs Krieg zu trennen".

Inzwischen hat Gordon Brown Blairs Nachfolge als Premierminister angetreten und bereitet hinter den Kulissen die nächste Etappe eines Nahostkriegs vor. Ein solcher Krieg liegt im Interesse der britischen Finanzoligarchie, auch wenn er von Washington geführt wird.

Trotz ihrer politisch feigen und opportunistischen Bilanz will sich die Regierung offensichtlich nicht darauf verlassen, dass die unterwürfige Führung der "Stop the War Coalition" den Massenprotest, den eine Bombardierung Irans hervorrufen würde, unter Kontrolle halten kann. Brown ist sich darüber im Klaren, dass eine Ausweitung des Kriegs wieder Millionen auf die Straße bringen wird. Die Entscheidung, die Demonstration am Montag zu verbieten, deutet darauf hin, dass seine Regierung mit nackter Gewalt gegen Proteste vorgehen wird.

Die britischen Medien sind bereit, ihm dabei freie Hand zu lassen. Über das Verbot der Demonstration sind sie praktisch mit völligem Stillschweigen hinweg gegangen. Die Reaktion der Antikriegs-Koalition selbst war ähnlich gedämpft. Obwohl sie entschieden hat, trotz des Verbots zu demonstrieren, ist ihre Reaktion geradezu lächerlich weit von der politischen Realität der Situation entfernt.

Ihr Präsident, der frühere Labour-Abgeordnete und Minister Tony Benn, der an der Spitze der Demonstration marschieren will, bringt dies auf den Punkt. Er hat an Innenministerin Jacqui Smith geschrieben und ihr angekündigt, dass er eine Postkarte mit seiner Unterschrift als Mitglied des Kronrats mitführen wird. Die Postkarte enthält die Bitte an die Polizei, ihn zu unterstützen. Er schlägt vor, allen anderen Demonstranten, die auch eine solche Postkarte tragen wollen, eine Kopie davon abzugeben.

"Die Berechtigung für diese Demonstration", schreibt Benn, "ergibt sich aus unserem althergebrachten Recht auf Rede- und Versammlungsfreiheit, das in unserer Geschichte verankert ist, dessen wir uns oft brüsten und das wir in zwei Weltkriegen energisch verteidigt haben."

Benn erwähnt nicht, dass das Recht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit von der arbeitenden Bevölkerung in langen, erbitterten Kämpfen errungen wurde. Stattdessen stützt er sich auf die Institutionen, die gegen das Recht auf Redefreiheit und die Ausdehnung der Bürgerrechte auf die Masse der Bevölkerung gekämpft haben. In seinem Brief bittet er Smith:"Ich hoffe, Sie werden mir zusichern, dass diejenigen, die demonstrieren und auf Whitehall marschieren werden, Ihre volle Unterstützung und die Unterstützung der Polizei haben werden." [Hervorhebung hinzugefügt]

Die Vorstellung, dass Benns Stellung als Kronrat die Demonstranten am Montag schützen kann, ist im besten Fall eine gefährliche Illusion. Historisch war der Kronrat die Institution, die den Monarchen beriet. In jüngerer Zeit erlässt der Premierminister im Namen des Kronrats Verfügungen ohne parlamentarische Beteiligung oder eine öffentliche Diskussion. Aber Benns eigene Geschichte als Minister, der repressive Maßnahmen gegen Streikende und Waffengewalt zum Schutz von Atomeinrichtungen eingesetzt hat, legt nahe, dass er sich nicht aus politischer Naivität auf seine Position im Kronrat stützt, sondern aus dem verzweifelten Versuch heraus, die Illusionen in die britische parlamentarische Demokratie aufrechtzuerhalten und eine wirkliche Kampfansage an die Regierung zu verhindern.

Es ist bezeichnend für Benns Politik und für alle, die seine Führung in der "Stop the War Coalition" unterstützen, dass er am Donnerstag den 4. Oktober, nur wenige Tage nach Verhängen des Verbots, seinen Wunsch äußerte, als Labour-Kandidat für Kensington im Westen Londons aufgestellt zu werden. Sein Tamtam gegen den Krieg ist offensichtlich zweitrangig verglichen mit seiner Loyalität gegenüber einer Partei und einer Regierung, die im Irak mit der Bush-Regierung im Gleichschritt marschiert.

Die Behauptung der "Stop the War Coalition", eine Handvoll angeblich linker Labour-Anhänger, wie der achtzigjährige Benn, könnten Gordon Brown dazu bewegen, Großbritanniens Krieg im Irak und Afghanistan zu beenden oder seine Unterstützung für die USA in Bezug auf den Iran einzustellen, ist politisch kriminell. Das einzige Mittel, mit dem der Militarismus und Kolonialismus und die damit einhergehenden Angriffe auf demokratische Rechte - wie das Verbot der Demonstration am Montag - besiegt werden können, ist eine politisch unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse gegen die Labour-Regierung.

Siehe auch:
Irakkriegsgegner George Galloway vom Parlament ausgeschlossen
(3. August 2007)
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