Lehrer, Angestellte im Öffentlichen Dienst mit Eisenbahnarbeitern im Ausstand

Französische Arbeiter brauchen eine neue politische Strategie

Diese Erklärung wird heute an die Lehrer, Angestellten im Öffentlichen Dienst und Studenten verteilt, die sich dem Streik der Eisenbahner und Elektrizitätsarbeiter angeschlossen haben, um gegen die Angriffe der gaullistischen Regierung von Präsident Sarkozy auf Renten, Sozialprogramme und Ausbildung kämpfen.

Bei den Streiks und Demonstrationen, die heute, am 20. November in ganz Frankreich stattfinden, handelt es sich um die größte soziale Bewegung gegen Präsident Nicolas Sarkozy, seit seine Regierung die Amtsgeschäfte übernahm. Sie belegen die breite und tief sitzende Opposition gegen die politische Agenda Sarkozys, die darauf abzielt, Frankreich in ein Paradies für Profiteure zu verwandeln, in dem die Reichen ständig größeren Reichtum anhäufen können auf Kosten des Lebensstandards und der Rechte der Masse der Bevölkerung.

Sarkozy, der sich für jedermann sichtbar an die Seite von US-Präsident Bush gestellt hat, unterstützt nicht nur die verbrecherische Außenpolitik des amerikanischen Imperialismus, sondern möchte auch "amerikanische Verhältnisse" in Frankreich herstellen, indem er soziale Rechte zerstört, die von der Arbeiterklasse in jahrzehntelangen Kämpfen errungen wurden.

Die heutigen Demonstrationen werden Lehrer, Krankenhausbeschäftigte, Post-, Gemeinde- und weitere im Öffentlichen Dienst Beschäftigte zusammenbringen mit den Eisenbahnern, Arbeitern im öffentlichen Dienst und bei den Elektrizitätswerken, die sich seit sieben Tagen im Ausstand befinden, um ihre Renten zu verteidigen, die so genannten "Sonderrenten" in öffentlichen Unternehmen; dazu gesellen sich die Studenten, die gegen die Pläne der Regierung protestieren, die Universitäten für private Unternehmen zu öffnen, die Qualität der höheren Bildung zu senken und den Zugang zu höherer Bildung zu beschränken.

Es geht um sämtliche sozialen und demokratischen Rechte der Arbeiterklasse.

Für die Regierung wird eine Niederlage der Eisenbahnarbeiter, die zu den militantesten Teilen der Arbeiterklasse gehören, den Weg freimachen, um Arbeiter in allen anderen Wirtschaftszweigen anzugreifen und die Arbeiterklasse in die schlimmste Armut und brutale Ausbeutung zurückzuwerfen, wie sie einst Emile Zola beschrieben hat.

Es wäre sehr falsch, die Gefahren zu unterschätzen, die von Sarkozys Regime ausgehen.

Die soziale Basis dieser Regierung ist schmal - die Wirtschaftsführer, die Reichen und Superreichen, mit denen der Präsident sich gerne trifft und die engsten politischen Beziehungen unterhält. Doch Sarkozy hat die Unterstützung der europäischen Regierungen und des internationalen Finanzkapitals, die der Meinung sind, dass Frankreich bei den "Reformen" weit im Hintertreffen ist, d.h., bei der Zerschlagung sozialstaatlicher Elemente, die der ungehemmten Anhäufung von Profit im Wege stehen. Sarkozy hat darüber hinaus eine politische Strategie und ist entschlossen, sie durchzusetzen, koste es, was es wolle.

Er will die militantesten Teile der Arbeiterklasse isolieren, ihnen eine entscheidende Niederlage zufügen und dann rücksichtslose Angriffe auf den Rest der Bevölkerung durchführen.

Auf den Konflikt mit den Eisenbahnarbeitern hat sich Sarkozy schon seit seinem Amtsantritt sorgfältig vorbereitet. Er hat darauf hingearbeitet, sie zu isolieren, indem er die Führer der verschiedenen Gewerkschaften hofiert und sie gegeneinander ausgespielt hat.

Unter der Überschrift "Der Elysée baut auf die Ungeduld der Reisenden mit den Streikenden", berichtete Le Monde am Sonntag über die strategischen Überlegungen, die in höchsten Regierungskreisen angestellt werden. In der vergangenen Woche habe er die Karte des "Dialogs" gespielt, habe Sarkozy geäußert und hinzugefügt, "alles, was wir bis jetzt getan haben, wird uns helfen, später unnachgiebiger zu sein."

Jetzt soll eine zweite, stärker auf Konfrontation ausgerichtete Phase beginnen. "Nächste Woche geht es um Politik und Ideologie", sagte Sarkozy.

Am Sonntag, den 18. November, marschierten 8.000 Unterstützer der Regierungspartei UMP (Partei für eine Volksbewegung) durch Paris, um gegen den Streik zu demonstrieren und kündigten weitere Demonstrationen an, wenn die Arbeitsniederlegungen andauern sollten.

Die streikenden Eisenbahnarbeiter haben eine bewundernswerte Militanz, Mut und Hartnäckigkeit bewiesen. Allerdings verfügen sie, anders als die Regierung, über keine Strategie und Führung, die notwendig ist, um diesen Kampf zu gewinnen. Die Vorstellung, dass diese Regierung durch Militanz allein zum Nachgeben gezwungen werden kann, ist nicht nur naiv, sondern äußerst gefährlich.

Sarkozy hat sein zukünftiges Schicksal ganz von der Durchsetzung seiner so genannten "Reformen" abhängig gemacht, die vom Standpunkt der Bourgeoisie betrachtet nicht länger aufgeschoben werden können. Arbeiter und Studenten, die gegen diese Reformen kämpfen, stehen nun vor politischen Aufgaben.

Der konterrevolutionären Strategie der Regierung müssen sie ihre eigene, revolutionäre Strategie entgegenstellen. Renten, Arbeitsplätze und Ausbildung können nur durch die umfassende betriebliche und politische Mobilisierung der gesamten Arbeiterklasse verteidigt werden, mit dem Ziel, die gaullistische Regierung zu stürzen und sie mit einer wahrhaft demokratischen Arbeiterregierung zu ersetzen.

Die Parteien der so genannten "Linken", die "extreme Linke" eingeschlossen, und die Gewerkschaften stehen einer solchen Perspektive völlig feindselig gegenüber. Die Feigheit und offene Zusammenarbeit dieser Organisationen ist Sarkozys wichtigste Waffe. Ein politischer und organisatorischer Bruch mit diesen Organisationen, verbunden mit einer kompromisslosen Bloßstellung ihrer Komplizenschaft mit der Politik der Regierung bilden die unerlässliche Voraussetzung für einen erfolgreichen Kampf gegen Sarkozys Angriffe.

Die Sozialistische Partei unterstützt offen den wichtigsten Bestandteil der "Reform" der Sonderrenten: die Erhöhung der Anzahl der zur vollen Rente berechtigenden Beitragsjahre von 37,5 auf 40 Jahre. Wie Sarkozys UMP hat sie wiederholt ein Ende des Eisenbahnerstreiks im Namen der Reisenden gefordert - das klassische Argument jedes Streikbrechers. Es kann keinen Zweifel daran geben, dass diese Partei, sollte sie je an die Regierung zurückkehren, eine Sozialpolitik betreiben wird, die sich praktisch in nichts von der Sarkozys unterscheidet.

Die Kommunistische Partei unterstützt zwar in Worten den Streik, steht jedoch voll hinter den Manövern der Gewerkschaften mit der Regierung, die den Streik abwürgen sollen.

Die Gewerkschaften, die um alles in der Welt eine politische Konfrontation mit der Regierung verhindern wollen, geben sich jede erdenkliche Mühe, einen Kuhhandel zu machen und den Streik zu verraten. Im Elektrizitäts- und Gassektor sind die Gewerkschaften bereits in Verhandlungen eingetreten, haben den Streik praktisch beendet und so die Gas- und Elektrizitätsarbeiter von den Eisenbahnern isoliert.

Bei der staatlichen Eisenbahn SNCF hat eine Gewerkschaft, die CFDT, ein Ende des Streiks gefordert, während die anderen fünf Gewerkschaften - darunter die CGT und Sud (Solidarität, Einheit, Demokratie) einem Runden Tisch mit den Unternehmen und der Regierung am 21. November zugestimmt haben, sobald die heutige Demonstration vorbei ist.

Eine entscheidende Rolle bei der Vorbereitung eines Ausverkaufs spielt die CGT, die einflussreichste Gewerkschaft bei den Eisenbahnern. Schon vor Beginn des Streiks machte CGT-Generalsekretär Bernard Thibault ein wesentliches Zugeständnis. Allgemein wurde dies als Geste der Unterwerfung gedeutet, oder, wie die Zeitung Libération es ausdrückte, als "die Absage an die Haltung des 'Alles-oder Nichts'."

Welche Rolle spielen Lutte Ouvrière (LO) und Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR)?

Beide Organisationen unterstützen zwar offiziell den Eisenbahnerstreik und fordern in einer gemeinsamen Erklärung "eine massive Offensive der ganzen Arbeiterklasse, um die Regierung zum Rückzug zu zwingen", aber damit decken sie in Wirklichkeit die verräterische Rolle der "linken" Parteien und der Gewerkschaften ab. Sie tun alles in ihrer Macht Stehende, um die Arbeiter daran zu hindern, von den Gewerkschaften und jenen "linken" Parteien zu brechen. Es findet sich in ihren Erklärungen kaum mal eine Kritik an diesen Organisationen. Beide Gruppen nähren die gefährliche Illusion, dass Gewerkschaftsmilitanz alleine ausreicht, um die Regierung zum Rückzug zu zwingen.

Lutte Ouvrière gab mitten während des Streiks bekannt, dass sie in mehreren Städten gemeinsame Wahllisten mit der Sozialistischen Partei aushandele - was sie noch nie vorher getan hat. Während die sprichwörtlichen Ratten schon das sinkende Schiff verlassen, scheint Lutte Ouvrière genau in die Gegenrichtung zu gehen: Sie verschafft dieser diskreditierten bürgerlichen Partei einen linken Deckmantel.

Was LCR-Sprecher Olivier Besancenot betrifft, so fordert er Einheit mit der Sozialistischen Partei zur Unterstützung des Streiks, - den die Sozialistische Partei offen bekämpft!

Am 16. November richtete er einen Appell an die Parteien der ehemaligen Koalition der Pluralen Linken (1997-2002) von Premierminister Lionel Jospin, d.h. an die Sozialistische Partei, die Kommunistische Partei und die Grünen. Er erklärte: "Die Parteien der Linken müssen sofort ihre Verantwortung wahrnehmen und Solidaritätsinitiativen zur Unterstützung der Streikenden ergreifen. Deshalb schlage ich allen wichtigen Führern der linken Parteien ein baldiges gemeinsames Treffen vor, um über Initiativen zur Unterstützung der Streikenden und ihrer Forderungen zu entscheiden."

Wen glaubt Besancenot eigentlich hinters Licht führen zu können? Er weiß, dass die Sozialistische Partei den Streik nicht unterstützen wird. Sein Appell gibt der SP lediglich einen Deckmantel.

Darin zeigt sich der betrügerische Charakter der so genannten antikapitalistischen Partei, die die LCR im Januar gründen will. Genau wie Rifondazione Communista in Italien, die am Ende in die rechte bürgerliche Regierung von Romano Prodi eintrat, wird sich diese Partei nur als ein weiterer Mechanismus erweisen, um die Arbeiter von einem Bruch mit der Sozialdemokratie und von der Hinwendung zu einer wirklich internationalen sozialistischen Perspektive abzuhalten.

Frankreich weist eine lange Geschichte machtvoller sozialer Bewegungen auf, die scheiterten, weil sie verraten wurden. 1968, vor fast vierzig Jahren, standen Hunderttausende Studenten und Millionen Arbeiter in einem gemeinsamen Kampf gegen die Regierung von General de Gaulle. Damals retteten die Kommunistische Partei und die CGT de Gaulle. Sie weigerten sich, die Macht zu übernehmen, und würgten den Streik mit dem Abkommen von Grenelle ab. Danach dauerte es noch mal dreizehn Jahre, bis die Rechte aus der Regierung gedrängt werden konnte.

Noch 32 Jahre früher war eine Streikbewegung von revolutionären Ausmaßen von der Volksfront-Regierung von Leon Blum verraten worden, was den Rechten den Weg zurück an die Macht ebnete und schließlich im Vichy-Regime endete.

Arbeiter müssen die Lehren aus diesen historischen Erfahrungen ziehen. Es muss eine politische Führung aufgebaut werden, um die Streiks, Demonstrationen und politischen Aktivitäten der Arbeiterklasse gegen die Machenschaften der herrschenden Elite, ihrer Verbündeten und politischen Vertreter zu koordinieren und um ein revolutionäres sozialistisches Programm zu verbreiten, das den Interessen der arbeitenden Bevölkerung entspricht.

Das ist nur im internationalen Rahmen möglich. Es gibt keine nationale Antwort auf die Krise, vor der die arbeitende Bevölkerung steht. Hinter Sarkozy stehen die Europäische Union, die europäischen Regierungen und die großen Konzerne und Banken.

Es ist kein Zufall, dass die deutschen Lokomotivführer gleichzeitig mit den französischen Eisenbahnern streiken. Auf beiden Seiten des Rheins kämpfen sie gegen die Unterordnung öffentlicher Dienstleistungen und jeden Aspektes ihres persönlichen Lebens unter das Diktat der Wirtschaft.

Diese Kämpfe müssen koordiniert und vereint werden.

Wir rufen alle französischen Arbeiter und Studenten auf, die World Socialist Web Site zu lesen und sich dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale anzuschließen, um eine wirklich internationalistische und sozialistische Partei aufzubauen.

Siehe auch:
Frankreich: Widerstand der Basis vereitelt Streikabbruch bei der Eisenbahn
(17. November 2007)
weitere Artikel zu Frankreich und zum Streik
Loading