Der Lokführerstreik braucht die Unterstützung und Solidarität der ganzen Arbeiterklasse

Flugblatt

Die Lokführer stehen einer geschlossenen Front aus Bahnvorstand, Wirtschaftsverbänden, Regierung, einem Großteil der Medien und der DGB-Gewerkschaften gegenüber. Sie alle sind entschlossen, die Streikenden in die Knie zu zwingen und wenn nötig die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) zu zerschlagen.

Es ist dringend notwendig, den Streik mit allen Kräften zu unterstützen, denn es geht um Fragen, die die Zukunft von Millionen Arbeitern und ihrer Familien betreffen. Die völlig berechtigte Forderung nach einem angemessenen Lohn sowie die Weigerung, die Einkommensverluste und verschärften Arbeitsbedingungen der vergangenen Jahre weiter hinzunehmen, hat sich zu einer Grundsatzfrage und zu einem Machtkampf entwickelt.

Bahnchef Mehdorn und die hinter ihm stehende Elite in Wirtschaft und Politik sind entschlossen, ihr Gesellschaftsmodell, in dessen Mittelpunkt die Jagd nach Profit und die persönliche Bereicherung stehen, mit aller Macht durchzusetzen und der gesamten Bevölkerung aufzuzwingen. Für sie ist es normal, dass die acht Vorstandsmitglieder der Bahn ein Jahresgehalt von zusammen 20 Millionen Euro verdienen und ihre Pensionsfonds drastisch erhöhen, während gleichzeitig Reallöhne gesenkt, die Arbeitsbedingungen verschlechtert und immer mehr Familien in Not und Verzweiflung getrieben werden.

In allen gesellschaftlichen Bereichen soll ungebremster Wettbewerb herrschen. Ein gut funktionierendes und modernes Transportunternehmen, das jahrzehntelang mit Steuermitteln aufgebaut wurde, soll privatisiert und in einen globalen Logistikkonzern verwandelt werden, mit dem einzigen Ziel, die Aktionäre zu bereichern. Dazu sollen Tausende Kilometer "unrentable" Bahnstrecken stillgelegt werden. Dass dadurch entlegene Regionen abgeschnitten und die Bewegungsmöglichkeiten vieler Menschen eingeschränkt werden, interessiert nicht. Es geht nur noch um eines: Wettbewerb und Profit.

Nicht anders ist es beim Gesundheitssystem, der Energieversorgung und vielen anderen Dienstleistungsbereichen. In den Planungsstäben der Brüsseler EU-Bürokratie wird bereits an der Privatisierung des europäischen Straßensystems gearbeitet. Das großangelegte Maut-System dient nicht nur dazu, Gebühren von LKWs einzutreiben. Schon bald sollen Autobahnstrecken an private Finanzkonsortien verkauft oder verpachtet werden, die dann eine PKW-Maut kassieren.

Die Unterstützung der Lokführer muss zum Ausgangspunkt für eine breite politische Mobilisierung gemacht werden, die sich gegen diese Bereicherungsorgie richtet, die den sozialen und demokratischen Zusammenhalt der Gesellschaft bedroht. Dazu ist es notwendig, aus der bisherigen Entwicklung des Streiks einige wichtige Lehren zu ziehen.

Die Streikbrecherrolle von Transnet und DGB

Vom ersten Streiktag an stellte sich die größte Bahn-Gewerkschaft Transnet, die sich mit der Beamtenvereinigung GDBA in einer Tarifgemeinschaft befindet, gegen den Streik. Ganz offen und schamlos fungiert sie als gelbe Gewerkschaft und ruft ihrer Mitglieder zum Streikbruch auf. Sie wird dabei von DGB-Chef Michael Sommer (SPD) und den Spitzenfunktionären der DGB-Einzelgewerkschaften unterstützt.

Transnet-Chef Norbert Hansen nutzt jede Gelegenheit, um gegen den Streik zu hetzen. Auf einer Sondersitzung des Aufsichtsrats der Bahn AG am vergangenen Donnerstag unterstützten er und alle anderen Arbeitnehmervertreter eine Resolution, die den Konzernvorstand auffordert, hart und unnachgiebig zu bleiben, "auch wenn die GDL unentwegt weiter streiken sollte".

Hansens Hauptvorwurf lautet, die GDL versuche, Sonderrechte für eine Minderheit zu erkämpfen, und verletze damit die "Solidarität" mit den übrigen Bahnbeschäftigten. Unter "Solidarität" versteht er die enge Zusammenarbeit mit dem Bahnvorstand, wofür er als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender viel Geld einstreicht. Er ist ein vehementer Befürworter der Bahn-Privatisierung und hat sich alle Argumente der Kapitaleigner und Profiteure zu eigen gemacht.

Ein anderer Vorwurf lautet, die GDL spalte die Tarifeinheit. Früher dienten einheitliche Tarifverträge dazu, Verbesserungen, die von den stärksten Teilen der Belegschaft erstritten wurden, auf alle Beschäftigten zu übertragen. Seitdem die Gewerkschaften begonnen haben, Lohnsenkung und Sozialabbau zuzustimmen, ist es umgekehrt. Die Tarifeinheit dient dem Abschluss von Knebelverträgen, die die Beschäftigten zwingen, schlechtere Löhne und Arbeitsbedingungen zu akzeptieren.

Während Hansen und andere DGB-Funktionäre gegen die GDL das "Prinzip der Einheitsgewerkschaft" und "einheitlicher Tarifverträge" anführen, spalten sie an anderer Stelle systematisch die Belegschaft. Bei Telekom stimmten Verdi und ihre Betriebsräte der Ausgliederung von 50.000 Beschäftigten in eine betriebseigene Billiglohnfirma zu und unterschrieben Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen, die neun Prozent Lohnsenkung bei vier Stunden Mehrarbeit die Woche bedeuten.

Es gibt eine Vielzahl anderer Beispiele. Millionen Arbeiter machen gegenwärtig die Erfahrung, dass Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte soziale Verschlechterungen aushandeln und gegen die Beschäftigten durchsetzen.

Diese Verwandlung der Gewerkschaften aus Organisationen, die für eine allmähliche Verbesserung der Verhältnisse der Arbeiter eintraten, in Partner der Unternehmer, die sich für Sozialabbau und schlechtere Arbeitsbedingungen zur Steigerung der Profite einsetzen, ist nicht auf Transnet und den DGB beschränkt. Sie ist ein internationales Phänomen, verbunden mit der Globalisierung der Produktion.

So lange das Wirtschaftsleben noch vorrangig auf den Nationalstaat beschränkt war, wurden vernünftige Löhne, gute Berufsausbildung, bezahlter Urlaub plus Urlaubsgeld, betriebliche Weiterbildung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, in vielen Betrieben übertarifliche Löhne usw. als Mittel der Qualitätssicherung und Produktionsvorteil betrachtet. Die Globalisierung der Produktion und die Vorherrschaft internationaler Finanzkonzerne haben der Politik des sozialen Ausgleichs den Boden entzogen.

Weil die Gewerkschaften den Rahmen von kapitalistischer Produktion und Eigentumsverhältnissen bedingungslos anerkennen und durch ihre enge Bindung an die SPD mit in die Regierung eingebunden sind, vollziehen sie eine dramatische Rechtsentwicklung. Sie betrachten sich als Ordnungsmacht und treten jeder selbstständigen Regung von Arbeitern mit offener Feindschaft entgegen.

Die Rolle der GDL

Die Gewerkschaft der Lokführer hebt sich von dieser allgemeinen Rechtsentwicklung der Gewerkschaften nur ab, weil sich ihr nach der Wiedervereinigung die große Mehrheit der Lokführer in Ostdeutschland angeschlossen hat. Sie haben vor zwei Jahren darauf gedrängt, dass die GDL die Tarifgemeinschaft mit Transnet und GDBA aufkündigt und sich dem Lohnabbau widersetzt. Diese Militanz widerspiegelt eine wachsende Radikalisierung von Arbeitern im Osten, die von den Auswirkungen des sozialen Niedergangs am stärksten betroffen sind.

Insgesamt ist die GDL aber eine konservative Standesgewerkschaft, an deren Spitze seit vielen Jahren der CDU-Politiker Manfred Schell steht. Er hält sich zwar zugute, als einziger Abgeordneter der Union im Bundestag gegen die Privatisierung der Bahn gestimmt zu haben, versucht aber seit Wochen einen "tragfähigen Kompromiss" mit dem Bahnvorstand zu finden und signalisiert immer wieder seine Bereitschaft, bei der Tarifforderung deutliche Abstriche zu machen. Auf das Ausmaß der gegenwärtigen Konfrontation und die Bildung einer breiten Front aus Bahnvorstand, Regierung, Medien und DGB war er völlig unvorbereitet. Seine Appelle an die Kanzlerin machen deutlich, dass er den Kampf gegen das Machtkartell des Sozialabbaus nicht führen will.

Er versucht die Auseinandersetzung auf die Forderung nach einem "eigenständigen Tarifvertrag" zu reduzieren. Diese Forderung könnte aber auch zu einer deutlichen Verschlechterung für die Lokführer führen. Vor einigen Tagen wurde in den Medien der Vorschlag lanciert, man solle die Lokführer aus der Bahn AG ausgliedern und in einer eigenständigen Gesellschaft organisieren. Dann könne auch ein eigenständiger Tarifvertrag abgeschlossen werden. Die Folge wäre eine Aufspaltung der Belegschaft und der Versuch, die einzelnen Teile der Belegschaft gegeneinander auszuspielen.

Die Lokführer müssen derartige Pläne strikt ablehnen und dürfen die Leitung des Arbeitskampfs nicht der Führung um Schell in der GDL überlassen. Sie müssen Komitees gründen, die die Führung des Streiks in die eigene Hand nehmen. Sie müssen sich an die Mitglieder der anderen Bahngewerkschaften wenden, um sie gegen die Streikbrecheraktivitäten von Transnet-Chef Hansen und Co. zu mobilisieren. Und der Streik muss auf die gesamte Bahn ausgedehnt und unbefristet geführt werden.

Dabei brauchen die Lokführer die Solidarität und Unterstützung der gesamten Arbeiterklasse.

Internationalismus

Vor allem ist es notwendig, sich einer internationalen Orientierung und sozialistischen Perspektive zuzuwenden. Es mag vielen als zufällig erscheinen, dass zeitgleich mit den deutschen Lokführern auch die Beschäftigten der französischen Eisenbahn im Streik stehen. Doch während die Gewerkschaften diesseits wie jenseits des Rheins die Tarifkämpfe im nationalen Rahme halten und eine Zusammenarbeit mit der jeweiligen Regierung anstreben, sind Arbeiter in jedem Land mit den selben Problemen konfrontiert.

Die herrschende Klasse in Europa hat ihr Vorgehen gegen die Arbeiter über die Landesgrenzen hinweg koordiniert. Dazu dient ihr die EU-Bürokratie in Brüssel. Dort werden die rechtlichen und politischen Bedingungen geschaffen, um die Perspektive des unbeschränkten Wettbewerbs und einer hemmungslosen Bereicherung einer privilegierten Minderheit in allen Ländern durchzusetzen.

Die Arbeiterklasse muss dem ihre eigene internationale Strategie entgegensetzen. Sie muss eine gezielte Zusammenarbeit mit den Arbeitern in den anderen Ländern aufbauen. Das erfordert einen bewussten politischen Bruch mit den alten, nationalen Organisationen und deren reaktionärer Politik der Sozialpartnerschaft.

Die Verteidigung von Einkommen sowie von sozialen und demokratischen Rechten erfordert eine grundlegend neue politische Strategie. Anstatt der Profitinteressen der Wirtschaft müssen die Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung in den Mittelpunkt gestellt und eine sozialistische Zielsetzung verfolgt werden. Die Produktion im allgemeinen und derart wichtige Unternehmen wie die Bahn AG müssen der Kontrolle der Finanzaristokratie entrissen und in den Dienst der Gesellschaft als ganzer gestellt werden.

Vor wenigen Wochen sprach Bahnchef Mehdorn von Krieg, als er seine unnachgiebige Haltung gegenüber den Lokführern erläuterte. Dann brachte er ein Machtkartell in Stellung, das sowohl die Regierung wie den DGB umfasst. Nun muss die Arbeiterklasse ihrerseits Stellung beziehen und die Herausforderung annehmen. Sie muss den Streik der Lokführer uneingeschränkt unterstützen und zu einem Kampf für eine sozialistische Reorganisation der Gesellschaft ausweiten.

Das erfordert den Aufbau einer internationalen sozialistischen Partei. Die Redaktion der World Socialist Web Site und die Partei für Soziale Gleichheit (PSG) kämpfen für diese Ziel. Wir rufen jeden Leser auf, die Artikel der WSWS zu verbreiten und mit der Redaktion Kontakt aufzunehmen.

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