Urabstimmung bei den Berliner Verkehrsbetrieben

Zwei Drittel lehnen Verdi-Abschluss ab

Deutlicher hätte die Ablehnung des Verhandlungsergebnisses kaum ausfallen können. Fast zwei Drittel der Verdi-Mitglieder bei den Berliner Verkehrsbetrieben haben den von der Gewerkschaft ausgehandelten Tarifabschluss abgelehnt. Lediglich 34,3 Prozent stimmten bei der Urabstimmung mit Ja.

Trotzdem erklärte Verdi-Verhandlungsführer Frank Bäsler auf einer Pressekonferenz am Freitag, das Ergebnis sei angenommen und der Tarifkonflikt damit beendet. Laut Satzung ist dafür lediglich die Zustimmung von 25 Prozent der zum Streik aufgerufenen Gewerkschaftsmitglieder notwendig. Dies sei mit 34,3 Prozent Ja-Stimmen "deutlich überschritten" worden, erklärte Bäsler.

Die Kaltschnäuzigkeit, mit der sich die Verdi-Funktionäre über das Votum der Mitglieder hinwegsetzen, spricht Bände. Schon während des Arbeitskampfs waren sie den Streikenden in den Rücken gefallen, hatten den Vollstreik im entscheidenden Moment abgebrochen, die Forderung deutlich reduziert und einen ernsthaften Kampf gegen den Senat verhindert.

Der bisher längste Arbeitskampf der BVG machte vor allem eines deutlich: Gestützt auf Verdi ist es unmöglich Löhne und Arbeitsbedingungen zu verteidigen. Nach fast acht Wochen Streik hat die Dienstleistungsgewerkschaft einen Tarif-Abschluss unterschrieben, der - angesichts einer Inflationsrate von über drei Prozent - für die Beschäftigten eine drastische Senkung der Realeinkommen bedeutet.

Die Altbeschäftigten - das sind etwa 85 Prozent der Belegschaft - erhalten nach dem Verdi-Abschluss im laufenden Jahr eine Lohnerhöhung von 2,7 Prozent. Im nächsten Jahr kommt ab August noch mal ein Prozent hinzu - im Jahresdurchschnitt also etwa 0,4 Prozent, so dass für die Laufzeit von zwei Jahren eine jährliche Einkommenssteigerung von weniger als 1,6 Prozent vereinbart wurde. Die Neubeschäftigten erhalten geringfügig mehr, wobei sie allerdings zu etwa 30 Prozent niedrigeren Gehältern eingestellt werden. Dass alle Verdi-Mitglieder eine Zeitgutschrift auf ihr Kurzzeitkonto in Höhe von 36,5 Stunden erhalten, ändert an der Reallohnsenkung nichts.

Schon vor drei Jahren hatte Verdi einem Abgruppierungsvertrag (Tarifvertrag-Nahverkehr, TV-N) zugestimmt, der eine deutliche Verschlechterung der Lohn- und Arbeitsbedingungen zur Folge hatte. Die Beschäftigten der BVG mussten auf bis zu zwölf Prozent ihres Gehalts verzichten. Gleichzeitig wurde das Weihnachtsgeld gekürzt, das Urlaubsgeld gestrichen und eine Spaltung der Belegschaft eingeleitet. Neueingestellte, das heißt alle nach 2005 eingestellten Arbeiter, bekommen ebenso wie die Fahrer der BT (Berlin Transport) nur 1.650 Euro Brutto im Monat. Gegenüber den Alt-Beschäftigten bedeutete das eine Lohnsenkung von fast einem Drittel.

Angesichts dieser Einkommensverluste war zu Beginn der diesjährigen Tarifrunde die Kampfbereitschaft der Beschäftigten groß. Doch Verdi tat alles, um den Streik zu isolieren, zu sabotieren und schließlich auszuverkaufen. In den vergangenen Tagen setzte die Gewerkschaftsbürokratie ein ganzes Heer von Funktionären ein, um den Abschluss schönzureden und trotz des verbreiteten Widerstands durchzusetzen - mit wenig Erfolg, wie das Ergebnis zeigt.

Die World Socialist Web Site (WSWS) hat während des Arbeitskampfs in mehreren Artikeln vor einem Ausverkauf durch Verdi gewarnt, die enge Verbindung zwischen Verdi-Funktionären und den Senatsparteien SPD und Linkspartei aufgedeckt und in einem Flugblatt, das unter den BVG-Beschäftigten verbreitet wurde, zur Ablehnung des Tarifvertrags aufgerufen. Das Ergebnis der Urabstimmung zeigt, das viele Beschäftigte unsere Argumente teilen.

In der Vorbereitung auf kommende Auseinandersetzungen muss den Verdi-Funktionären auf allen Ebenen das Misstrauen ausgesprochen und das Mandat entzogen werden. Gleichzeitig ist es notwendig, künftige Konflikte aus den engen gewerkschaftlichen Grenzen zu lösen und zum Bestandteil einer breiten Bewegung gegen den Senat zu machen. Das stellt politische Anforderungen und erfordert ein sozialistisches Programm, für das die WSWS und die Partei für Soziale Gleichheit kämpfen.

Siehe auch:
Streik bei den Berliner Verkehrsbetrieben: Urabstimmung: Wie weiter?
(5. Mai 2008)
Heftige Debatte über Verdi-Ausverkauf
(5. Mai 2008)
Verdi unterschreibt Ausverkauf des Verkehrsarbeiterstreiks in Berlin: Stimmt in der Urabstimmung mit Nein!
(7. Mai 2008)
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