Demonstration zur Verteidigung des Streikrechts in Warschau

Am vergangenen Freitag demonstrierten mehr als 2.000 Arbeiter und Jugendliche in den Straßen Warschaus gegen die Pläne der Regierung, das Streikrecht und andere elementare Rechte der Arbeiter einzuschränken. Die Beteiligung ist beachtlich, da die großen Gewerkschaftsverbände sich geweigert hatten, den Protest zu unterstützen. Die konservative Solidarnosc und die ehemalige stalinistische Staatsgewerkschaft OPZZ arbeiten bei der Einschränkung eng mit der Regierung zusammen.

Zu der Demonstration hatten kleine Gewerkschaften wie August 80 und Solidarnosc 80 aufgerufen. In Redebeiträgen sprachen sich Vertreter dieser Organisationen und Sprecher sozialer Initiativen für eine Anhebung des Mindestlohnes auf 50 Prozent des Durchschnitteinkommens, für den Stopp der Privatisierung des Gesundheitssystems und der Wohnungsbaugesellschaften und gegen die Zerschlagung von Arbeitnehmerrechten durch die Regierung aus.

Die konservative Regierung Donald Tusks plant den Anspruch von Arbeitern mit besonders hoher Arbeitsbelastung auf eine frühzeitige Rente abzuschaffen. Außerdem soll das Streikrecht faktisch beseitigt werden. Arbeiter sollen nur noch dann in Lohnverhandlungen mit der Betriebsleitung gehen dürfen, wenn mindestens 33 Prozent der Arbeiter in einer Gewerkschaft organisiert sind. Dies bedeutet in einem Land, in dem nur 15 Prozent der Arbeiter gewerkschaftlich organisiert sind, eine faktische Abschaffung des Streikrechts.

Hintergrund dieser Gesetze ist die enorme soziale Polarisierung in Polen. Während die Löhne gerade in staatlichen Betrieben stagnieren, sind die Lebenshaltungskosten mit dem Beitritt des Landes zur EU auf westeuropäisches Niveau gestiegen.

Der 27-jährige Marek sprach mit der WSWS über diese Entwicklung. Er ist Metallarbeiter in einem Betrieb in Katowice. Die Arbeit dort ist im Vier-Schicht-System organisiert und besonders gefährlich und körperlich belastend. Trotzdem erhält der junge Arbeiter nur 1.800 Zloty (etwa 540 Euro) im Monat. In den letzten drei Jahren gab es Lohnerhöhungen von insgesamt 180 Zloty (etwa 50 Euro). "Die Preise sind in diesem Zeitraum aber explodiert, und so hatten meine Kollegen und ich immer weniger in der Tasche."

Ein Bergarbeiter aus Klodawa, der seinen Namen nicht nennen möchte, ist mit fünf Kollegen nach Warschau gekommen. Für die harte Arbeit untertage erhält er 1.500 Zloty (etwa 450 Euro) im Monat. "Das ist angesichts der steigenden Preise schon zu wenig, und jetzt will uns die Regierung auch noch das Recht nehmen, als Arbeiter mit besonderer Gesundheitsbelastung früher in Rente gehen zu können." Die Zeche, in der er arbeitet, soll wie 740 andere Unternehmen innerhalb der nächsten drei Jahre privatisiert werden. "Das würde eine weitere Verschlechterung unserer Situation führen. Die Löhne würden weiter sinken."

Auf der Demonstration waren auch einige Studenten, die sich mit den Arbeitern solidarisierten. Bartek Grucela studiert Public relations. Er glaubt, dass die Angriffe auf das Streikrecht die ganze Bevölkerung treffen. Er sei selbst indirekt betroffen. Sein Vater ist arbeitslos und seine Mutter ist Lehrerin. Für ihre verantwortungsvolle Arbeit bekommt sie nur 2.000 Zloty (etwa 600 Euro) und muss damit die ganze Familie ernähren. "Mein Schicksal ist eng mit dem Schicksal der Arbeiter verbunden", sagt Bartek.

Andrzej Boris (siehe Foto) arbeitet in einem staatseigenen Helikopter-Werk in Swidnik. Die Regierung Tusk will den Betrieb privatisieren. Wahrscheinlich wird das Werk an die italienische Firma Agusta verkauft. "Die würden versuchen, unsere Löhne massiv zu kürzen, aber wir wollen für italienische Löhne in unserem Werk kämpfen. Dazu wollen wir auch Verbindungen zu den italienischen Kollegen aufbauen."

"Mit der Preissteigerung" sagt Andrzej Boris, "steigt die Kampfbereitschaft der Arbeiter. Viele Arbeiter verdienen nicht mehr als 1.000 Zloty (etwa 300 Euro) im Monat und wissen nicht mehr, wie sie die Miete, Nahrungsmittel und Heizkosten bezahlen sollen. Deshalb sind sie bereit zu protestieren." Er ist überzeugt, dass die Pläne der Regierung auf massiven Widerstand bei den Arbeitern stoßen werden.

Der soziale Niedergang großer Teile der Bevölkerung hat zu einem Anstieg von Streiks und Protesten geführt. Solidarnosc und OPZZ haben dabei eng mit der Regierung zusammengearbeitet und alles getan, Streiks zu unterbinden oder wirkungslos verpuffen zu lassen. Als Reaktion haben Arbeiter selbst begonnen, Streiks und Proteste zu organisieren, oder sich kleinen Gewerkschaften angeschlossen. Die beiden großen Gewerkschaften habenm darauf reagiert, indem sie noch näher an die Regierung herangerückt sind und die Abschaffung des Streikrechts unterstützen.

Andrzej Boris erklärt zu dieser Entwicklung: "OPZZ und Solidarnosc machen nichts gegen die Pläne der Regierung. Stattdessen unterstützen sie die Regierung und besprechen sich mit ihr in den Drei-Seiten-Gesprächen, an denen neben Regierung und Gewerkschaften auch die Unternehmerverbände teilnehmen. Sie wollen die kleinen Gewerkschaften zerschlagen, weil sie die Kampfbereitschaft der Arbeiter artikulieren."

Trotz der offensichtlichen Rolle der großen Gewerkschaften fehlte auf der Demonstration von Seiten der Organisatoren jede tiefer gehende Kritik an diesen Organisationen. August 80 hatte im Vorfeld Solidarnosc sogar aufgerufen, sich an dem Protest zu beteiligen. Sie lehnten ab und organisierten stattdessen Paralleldemonstrationen in Warschau. Es demonstrierten einige hundert Danziger Werftarbeiter gegen die Schließung ihres Betriebs und Angestellte des staatlichen Sanitätsdienstes Sanepid. Am Tag zuvor hatten Bergarbeiter gegen die Abschaffung der Frührentenregelung protestiert. OPZZ und Solidarnosc sorgten dafür, dass alle Proteste fein säuberlich voneinander getrennt blieben.

August 80 und die anderen kleinen Gewerkschaften haben den großen Verbänden keine substanzielle Kritik entgegenzusetzen. Anstatt politisch Bilanz zu ziehen und die Rolle der Gewerkschaften nüchtern zu analysieren, rufen sie einfach nach mehr Militanz. Nur Vertreter der WSWS brachten eine ernsthafte Analyse der Verwandlung der Gewerkschaften und eine sozialistische Perspektive in die Demonstration ein. Sie verteilten hunderte Flugblätter, die reißenden Absatz fanden.

Siehe auch:
Wie weiter im Kampf gegen die Regierung in Polen?
(18. Juni 2008)
Sechs Wochen Streik im Kohlebergwerk "Budryk"
(13. Februar 2008)
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