Obama entscheidet sich für Biden - zur Beschwichtigung der Herrschenden

Die Demokratische Partei hat Senator Joseph Biden zu ihrem Vizepräsidentschaftskandidaten erkoren. Diese Entscheidung unterstreicht den betrügerischen Charakter der Demokratischen Vorwahlen und den Mangel an Demokratie im gesamten Zwei-Parteien-Wahlsystem. Der Demokratische Präsidentschaftskandidat Barack Obama, der angeblich den "Wandel" personifizieren soll, hat eine feste Größe des Washingtoner Establishments zu seinem Vize gewählt. Biden sitzt seit sechs Wahlperioden im US-Senat und hat sich als Verteidiger des amerikanischen Imperialismus und der Wirtschaftsinteressen bestens bewährt.

Die Enthüllung der Nominierung Bidens zog sich unter wachsendem Medieninteresse über drei Tage hin und gipfelte am Samstag in einer Auftaktkundgebung in Springfield, Illinois. Die Nominierung ist typisch für den gesamten Obama-Wahlkampf. Seine Präsidentschaftskandidatur ist nicht Ausdruck einer Rebellion von unten, sondern der Versuch, die Stimmung der Massen mittels Internettechnologie und cleveren Marketingtechniken und mithilfe eilfertiger Medien zu manipulieren. Das Ergebnis dieser Wahl wird durch und durch konventionell und in Übereinstimmung mit den Erfordernissen der herrschenden amerikanischen Elite sein.

Früher war die Auswahl eines Vizepräsidentschaftskandidaten bei beiden großen Wirtschaftsparteien ein komplexer Balanceakt zwischen diversen institutionellen Kräften. Die Demokratische Partei musste sich mit Gewerkschaftsvertretern, Bürgerrechtsorganisationen, Kongressführern und den Spitzen besonders mächtiger Parteimaschinen auf Staats- oder Stadtebene beraten.

Heute hat keine der beiden Parteien noch eine breite Basis in der Bevölkerung. Beide Parteien haben nur noch eine wirklich wichtige "Basis": die Finanzaristokratie, die das wirtschaftliche und politische Leben bestimmt und die Massenmedien kontrolliert, und deren Interessen Innen- und Außenpolitik der Regierung bestimmen. Die Auswahl Bidens, eines Senators aus einem kleinen Staat, der nur über drei Wahlmänner verfügt und dessen eigene Präsidentschaftsbewerbung wegen mangelnder Unterstützung in der Bevölkerung jämmerlich scheiterte, unterstreicht die enorme Kluft, die das gesamte politische Establishment von der breiten Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung trennt.

Obama hat sich für Biden entschieden, um dieser "Basis" zu versichern, dass der Reichtum und die Privilegien der herrschenden Elite und die geostrategischen Interessen des US-Imperialismus bei einer Demokratischen Administration bestens aufgehoben sein werden. Die Herrschenden sollen sich von eventueller populistischer Rhetorik im Wahlkampf nicht irritieren lassen.

Mann des Establishments

Biden ist seit drei Jahrzehnten führender Repräsentant des politischen Establishments. Er wurde 1972 zum ersten Mal in Delaware in den US-Senat gewählt, als Richard Nixon noch Präsident, und Obama gerade einmal elf Jahre alt war. Biden hat in dieser Position inzwischen sieben Präsidentschaften überdauert. Er war Vorsitzender zweier wichtiger Senatsausschüsse: des Justizausschusses, der die Nominierungen für wichtige Positionen im Justizwesen bestätigen muss, darunter auch die für den Obersten Gerichtshof, und des Auswärtigen Ausschusses. Diesen Ausschuss führte Biden 2001 und 2002 und dann wieder ab 2006, als die Demokraten wieder die Mehrheit im Senat errangen. Biden bewarb sich schon einmal vor zwanzig Jahren und dann dieses Jahr um die Nominierung für das Präsidentenamt.

In den 1990er Jahren unter Präsident Bill Clinton war Biden einer der hauptsächlichen Befürworter der amerikanischen Intervention im ehemaligen Jugoslawien. In seiner Wahlkampfbiographie vom vergangenen Jahr schrieb er, dass er auf diesen außenpolitischen Standpunkt am meisten stolz sei. Mitte der 1990er Jahre setzte er sich dafür ein, die bosnisch-muslimische Regierung gegen Serbien zu bewaffnen, und forderte dann während der Kosovo-Krise 1999 einen direkten Angriff der USA auf Serbien. Er tat sich mit einem gewissen republikanischen Senator zusammen, der die gleiche Meinung vertrat, und brachte die McCain-Biden-Resolution ein, die Clinton autorisierte, jede notwendige Gewalt "gegen Serbien" anzuwenden.

Dieser Gesetzentwurf war das Modell für die Kongressresolution von 2002, die Bush ermächtigte, gegen den Irak Krieg zu führen. Sie wurde gemeinsam von Biden und dem Republikanischen Senator Richard Lugar eingebracht. Die Bush-Regierung lehnte die Resolution ab, weil sie das Kriegsziel darauf beschränkte, den Irak frei von Massenvernichtungswaffen zu machen, und verlangte von der Demokratischen Senatsmehrheit eine weitergehende Kriegsresolution, für die Biden dann auch stimmte.

Innenpolitisch ist Biden ein konventioneller Liberaler, dessen Wurzeln auf die Kalte-Kriegs-Ära zurückgehen. Er verbindet gelegentliche populistische Beruhigungspillen wie die Sorge für die Armen und Vergessenen mit engen Beziehungen zur Gewerkschaftsbürokratie und selbstverständlicher Verteidigung des Profitsystems. Wie alle anderen Senatoren sorgt er für die Interessen großer Konzerne in seinem Heimatstaat. Das war in Delaware vor allem die MBNA, die größte unabhängige Kreditkartenfirma, bevor sie 2005 von der Bank of America aufgekauft wurde.

In diesem Zusammenhang war Biden einer der entschiedensten Demokratischen Befürworter des reaktionären Gesetzes von 2005, das den Konsumentenbankrott reformierte. Dieses Gesetz machte es Familien aus der Arbeiterklasse und der Mittelschicht viel schwieriger, aus der Schuldenfalle zu entkommen, in die die korrupten und irreführenden Werbesprüche von Firmen wie MBNA sie hineingelockt hatten. Das Gesetz von 2005 hat die Probleme von Hausbesitzern, die der Zwangsräumung zu entkommen versuchen, noch weiter verschärft.

Biden verteidigte das Konkursgesetz in der Senatsdebatte und stimmte mit der großen Mehrheit der Republikaner und John McCain für das Gesetz. Obama lehnte das Gesetz ab und hat es in seinem bisherigen Wahlkampf wiederholt als Strafmaßnahme gegen Arbeiterfamilien angegriffen.

Angestellte von MBNA waren in den letzten zwei Jahrzehnten die größten Spender für Bidens Wahlkämpfe. 2003 stellte MBNA den Sohn des Senators, Hunter Biden, direkt nach seinem Jurastudium ein, und machte ihn in kürzester Zeit zum stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden. (Sein Vater ist im Vergleich zu den meisten US-Senatoren nicht wirklich reich, aber Hunter Biden ist inzwischen zu einem Hedge-Fond-Multimillionär aufgestiegen).

Biden hat sich gelegentlich etwas liberaler als Obama positioniert. Erst kürzlich stimmte er gegen das Gesetz, das die massive Ausweitung der staatlichen Telefon- und Email-Überwachung billigte und den Telekommunikationsunternehmen Immunität zusicherte, die an solchen illegalen Überwachungsmaßnahmen der letzten sieben Jahre beteiligt waren. Obama hat dieses Gesetz unterstützt. Aber Biden ist ein glühender Anhänger des USA Patriot Act, den er während des Demokratischen Vorwahlkampfs gegen die Kritik einiger seiner Gegner verteidigte.

Biden und der Irakkrieg

Senator Obama gewann die Demokratischen Vorwahlen gegen Hillary Clinton zu einem guten Teil, weil Clinton im Oktober 2002 für den Irakkrieg gestimmt hatte, während Obama, der damals noch nicht im US-Senat saß, sich verbal gegen den Krieg ausgesprochen hatte. Dieser Unterschied in der politischen Biographie wurde vom Obama-Lager ausgenutzt, um die Antikriegsstimmung für den Kandidaten nutzbar zu machen, obwohl sich Obamas Bilanz seit seiner Wahl in den US-Senat im Januar 2005 in nichts von der Clintons unterschied.

Bidens Haltung zum Irakkrieg ist ein besonders krasses Beispiel für den Zynismus der Obama-Kampagne. Früher als die meisten anderen Demokratischen Senatoren hat er den Krieg gegen den Irak enthusiastisch befürwortet. Er trat für eine drastische Ausweitung der Gewalt ein, um den Krieg zu gewinnen. Er plädierte für die Entsendung von 100.000 zusätzlichen Soldaten und für die Zerschlagung des Irak in drei Teile, einen kurdischen, einen sunnitischen und einen schiitischen, weil diese dann - wie zuvor schon Jugoslawien - leichter zu kontrollieren seien.

In der Vorbereitung der unprovozierten amerikanischen Aggression im März 2003 plapperte Biden die Propaganda der Bush-Regierung nach. Bei der Anhörung im außenpolitischen Senatsausschuss unmittelbar nach Außenminister Colin Powells Auftritt vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Februar 2003 flötete Biden: "Ich bin stolz, auf Ihrer Seite zu stehen. Ich glaube, Sie haben das wegen Ihres Rangs, ihres Ansehens und ihrer Integrität besser gemacht, als irgendjemand anderes das hätte machen können..." Jedes wichtige Detail in Powells Präsentation wurde später als gefälscht oder unzutreffend entlarvt.

Als die Lügen der Bush-Regierung über Massenvernichtungswaffen und irakische Verbindungen zu al-Qaida und zu den Attentätern vom 11. September entlarvt wurden, begann sich Biden kritisch zur Bush-Regierung zu äußern. Er warf ihr Unfähigkeit vor, eine ausreichende Rechtfertigung für den Krieg zu finden, mit der die Unterstützung der Öffentlichkeit hätte gerettet werden können.

In einer Rede vor dem Brookings-Institute im Juni 2005 erklärte er: "Ich will, dass der Präsident der Vereinigten Staaten im Irak erfolgreich ist... Sein Erfolg ist der Erfolg Amerikas, und seine Niederlage ist die Niederlage Amerikas."

Biden äußerte sich kritisch über die optimistischen Voraussagen des Weißen Hauses und des Pentagons zum angeblich kurz bevorstehenden Erfolg im Irak, die mit der Realität vor Ort nichts zu tun hatten. "Dieser Widerspruch nährt den Zynismus, der die wichtigste Waffe unterminiert, die wir unseren Truppen an die Hand geben müssen, damit sie ihren Job tun können, und das ist die feste Unterstützung der amerikanischen Bevölkerung. Diese Unterstützung schwindet."

Erst als sich die öffentliche Meinung entschieden gegen den Krieg wandte, ließ Biden von seiner Forderung nach einer Eskalation ab und begann einen begrenzten Rückzug der US-Truppen zu fordern. Eine Kolumne der Washington Post stellte Ende 2005 fest, dass sich die Ansichten des langjährigen Senators aus Delaware und die des neu gewählten Senators aus Illinois, Barack Obama, annäherten. In dieser Kolumne wurde Biden als ein "früher und konsequenter Anhänger der amerikanischen Intervention gegen Saddam Hussein" bezeichnet.

Als die Demokraten die Mehrheit im Kongress zurück gewannen, wurde Biden Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses des Senats, wo er eine zentrale Rolle bei der Kapitulation der Kongress-Demokraten vor Bushs "Surge"-Strategie im Irak spielte. Millionen von Kriegsgegnern hatten für die Demokraten gestimmt, um den Krieg zu beenden, aber das Weiße Haus weitete den Krieg aus, und die Demokraten kläfften lediglich ein wenig herum und gaben dann klein bei.

Die Demokratische Mehrheit im Kongress steckte eingeschüchtert zurück, als Bush sein Veto gegen bescheidene Beschränkungen der Kriegsführung einlegte, und stimmte im Mai 2007 ohne Einschränkung der Finanzierung der Kriege im Irak und in Afghanistan zu. Als einige Demokratische Senatoren, zu denen Clinton und Obama gehörten, in einer Protestgeste gegen das Finanzierungsgesetz stimmten, kritisierte Biden sie, weil sie die Sicherheit der Truppen gefährdeten.

Zwei Wochen nach dieser entscheidenden Abstimmung verurteilte Biden Anti-Kriegs-Kritiker der Demokratischen Kongressmehrheit. Er lamentierte: "Wir arbeiten uns jeden einzelnen Tag den Rücken krumm", um den Krieg zu beenden. Der Krieg könne nicht beendet werden, ohne dass eine namhafte Zahl von Republikanischen Senatoren überliefe, sodass es zu einer Zweidrittelmehrheit reiche, um ein Veto Bushs auszuhebeln. Oder es müsse ein Demokratischer Präsident im Weißen Haus sitzen. "Wir werden das Geld für die Sicherheit der Truppen bereitstellen, bis wir 67 Stimmen zusammenbekommen", erklärte er.

Inzwischen hatten die Demokratischen Vorwahlen begonnen, und obwohl Biden wenig Unterstützung und keine Delegierten erhielt, spielte er eine wichtige politische Rolle. Die World Socialist Web Site erklärte damals nach einer Debatte der Kandidaten im August 2007: "Biden ist der Demokratische Präsidentschaftskandidat, der am ehesten bereit ist, sich öffentlich gegen die Antikriegsstimmung zu stellen."

In der Debatte griff Biden die Vorstellung an, dass die US-Regierung durch die Drohung mit einem schnellen Abzug die irakischen Politiker zwingen könne, eine stabile Regierung in Bagdad zu bilden. Er wies die Illusion zurück, "dass es möglich wäre, die Irakis in absehbarer Zukunft dazu zu bringen, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden, die das Land zusammenhält. Das wird nicht geschehen... Das wird niemand hier mehr erleben." Mit anderen Worten, die US-Besatzung werde zeitlich unbegrenzt andauern müssen.

Es hat in den letzten Tagen zahllose Spekulationen bei Vertretern der Demokraten und in den Medien gegeben, dass Bidens Wahl angesichts seines Rufs als verbaler Scharfmacher das Signal für einen aggressiveren Ton gegen die Republikaner in Obamas Wahlkampf sein könnte. Aber bei seiner Bilanz ist es fast wahrscheinlicher, dass er als Waffe gegen Anti-Kriegs-Kritiker des Wahlkampfs von Obama eingesetzt wird.

Diese Tatsache macht die kriecherische Billigung Bidens durch solche Anti-Kriegs-Publikationen wie die Nation umso verächtlicher. John Nichols, der Washington-Redakteur dieses linksliberalen Magazins, schrieb, die Wahl Bidens sei ein "akzeptable, vielleicht sogar befriedigende Lösung der großen Suche nach dem Vize", die die Umfragen vielleicht wieder in Obamas Richtung ausschlagen lassen könnten.

Über die Kundgebung in Springfield vom Samstag geriet Nichols fast aus dem Häuschen: "Als Biden sich John McCain mit Schwung, ja mit einer gewissen Giftigkeit vorknöpfte, die man in Obamas Wahlkampfreden sonst vermisst, war das Balsam für die Fußtruppen. Sie haben die ganze Zeit auf einen Wahlkampf gewartet, der auch mal austeilt, statt immer nur einzustecken."

Diese Reaktion bestätigt eine grundlegende Wahrheit über die politische Krise in der die Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten steckt: Es ist unmöglich, einen ernsthaften Kampf gegen den amerikanischen Imperialismus und sein Programm von sozialer Reaktion und Krieg zu führen, ohne aus der Zwangsjacke der Demokratischen Partei auszubrechen.

Die arbeitende Bevölkerung hat keinen Anteil am Ausgang der Auseinandersetzung zwischen Obama und McCain, die für die herrschende Elite Amerikas entscheiden wird, wer in den nächsten vier Jahren ihr Oberbefehlshaber sein wird. Die Arbeiterklasse muss mit dem Zwei-Parteien-System brechen und eine unabhängige politische Bewegung mit einem sozialistischen und internationalistischen Programm aufbauen.

Siehe auch:
Aufbau und Vermarktung Barack Obamas: Schein und Sein in der US-Politik
(13. August 2008)
Was steckt hinter Europas Love Affair mit Obama?
(24. Juli 2008)
Obama skizziert Kriegspolitik
(17. Juli 2008)
Die zwei Gesichter des Barack Obama
(16. Februar 2008)
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