Parteitag in Erfurt: Grüne bereiten sich auf Koalition mit CDU vor

Am vergangenen Wochenende fand in Erfurt der Parteitag der Grünen statt. Er sollte die Partei für das kommende "Superwahljahr" 2009 positionieren.

Nachdem im April dieses Jahres die Grünen in Hamburg in die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene eingetreten sind, reagiert die Partei auf die sich rasant verschlimmernde Wirtschaftskrise nun mit einem weiteren Schwenk nach rechts und hat auf ihrem Parteitag die Weichen für eine erste Koalition mit der CDU auf Bundesebene gestellt.

Neuer Parteichef Cem Özdemir

Herausragendes Ereignis des Parteitags war die Wahl von Cem Özdemir zum neuen Vorsitzenden der Grünen. Özdemir sitzt seit 2004 für die Grünen im Europaparlament. Zuvor hatte er im Juli 2002 aufgrund eines Korruptionsskandals mit dem Lobbyisten und CDU-Politiker Moritz Hunzinger seine Ämter auf Bundesebene aufgeben müssen. Er selbst bezeichnet sich als Realo und ist Teil des rechten Flügels der Partei.

Nun wurde Özdemir mit 79,2 Prozent der Stimmen zum Parteivorsitzenden gewählt. Claudia Roth, die mit Özdemir die Doppelspitze der Partei bildet, erhielt 82,7 Prozent. Das neue Spitzenduo für die Wahlen 2009, bestehend aus Jürgen Trittin als ehemaliger Bundesumweltminister und Renate Künast als ehemalige Verbraucherschutzministerin, wurde mit 92 Prozent gekürt.

Özdemir ist gewillt, die Grünen auf eine Koalition mit der CDU vorzubereiten. "Es kann im Einzelfall durchaus sein", erklärte er nach seiner Wahl der Passauer Neuen Presse, "dass man grüne Inhalte besser mit Schwarz als mit Rot umsetzen kann." Hauptbedingung dafür sei für ihn eine Abkehr der CDU von ihrem Atomkurs.

Auf dem Parteitag forderte er, dass die Grünen wieder in die Regierung müssten, da man nur dort Verantwortung übernehmen könne. Auch solle sich die Partei nicht wegen der rot-grünen Jahre schämen. Vielmehr seien diese keine schlechten Jahre gewesen.

Der neue Parteivorsitzende ist der erste in der bundesdeutschen Geschichte mit einem Migrationshintergrund. Wegen seiner türkischen Abstammung und der erneuten radikal-ökologische Rhetorik deuteten viele Kommentatoren den Parteitag als eine Entwicklung der Grünen nach links. Jedoch verfehlt diese Darstellung völlig die Realität.

Dies verdeutlichen Äußerungen Özdemirs vom 10. November. Der Hamburger-Morgenpost sagte er: "Wir haben keine Probleme mit der CDU, wenn die Inhalte und der Ton stimmen - das hat man in Baden-Württemberg gesehen, wo eine Koalition nicht an uns gescheitert ist.... Wir haben den Anspruch, unsere Wähler aus unterschiedlichen Milieus zu rekrutieren. Auch wertkonservativen Wählern wollen wir eine politische Heimat geben, insofern stehen wir in Konkurrenz zur CDU."

Bekenntnis zu Kriegseinsätzen

Auch in anderen Fragen bewegten sich die Grünen auf ihrem Parteitag deutlich nach rechts. So in der seit langem diskutierten Frage von Militäreinsätzen und speziell des Einsatzes in Afghanistan. Im verabschiedeten Beschluss des Parteitags heißt es: "Unter bestimmten Rahmenbedingungen kann Militär einen notwendigen Beitrag zur Gewalteindämmung, Gewaltverhütung und Friedenskonsolidierung leisten."

Damit bekennen sich die Grünen, nachdem sie sich als Regierungspartei in der rot-grünen Koalition zu Befürwortern der Kriegseinsätze im Kosovo und Afghanistan gewandelt hatten, nun auch grundsätzlich zu Militäreinsätzen.

Damals war der Preis der Eintrittskarte in die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder die Zustimmung der Grünen zum Kosovokrieg. Für eine mögliche Regierungsbeteiligung an der Seite der CDU wäre es notwendig, sich auch von den letzten Resten pazifistischer Rhetorik zu trennen. Der Parteitag trug dem Rechnung.

Rezession

Während die Weltwirtschaft von der schwersten Wirtschaftskrise seit Bestehen der Bundesrepublik erfasst ist und Millionen mit Arbeitslosigkeit, Armut und Angriffen auf ihren Lebensstandard konfrontiert sind, spielten diese Probleme auf dem Parteitag der Grünen kaum eine Rolle. Als Antwort auf den Zusammenbruch des Kapitalismus wollen sie diesem ein ökologischeres Antlitz geben.

Zu den Knackpunkten des Kongresses gehörte der Beschluss, bis 2030 die vollständige Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien anzustreben. Die Kfz-Steuer soll sofort am Kohlendioxid-Ausstoß orientiert werden. Unter dem Motto "Grüner New Deal" sollen mit 15 Milliarden Euro die regenerativen Energien gefördert und die Schienenwege ausgebaut werden. Den Finanzmärkten sollen geringfügige Regulierungen auferlegt werden, um die krassesten Spekulationsorgien zu begrenzen.

Der drohende Zusammenbruch der Autoindustrie oder anderer Teile der Industrie interessiert die Grünen nicht. Diese wollen, in den von Jürgen Trittin auf dem Parteitag geäußerten Worten, viel mehr die Bundestagswahl 2009 zur Volksabstimmung über die Atomkraft machen.

Diese Politik entspricht den Interessen der sozialen Schicht, die die Grünen vertreten. Viele Studien belegen inzwischen, dass keine Wählergruppe so wohlhabend ist, wie die der Grünen. Jürgen Fücks, Leiter der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, sagte vergangene Woche im Interview mit der Süddeutschen Zeitung : "Wir sind statistisch gesehen eine Partei der Besserverdienenden.... Die FDP ist nicht in allen Fragen der Hauptfeind. Es gibt Felder, auf denen sich Grüne und Liberale durchaus nahe kommen können."

Mit ihrem Parteitag haben die Grünen den Weg bereitet für eine mögliche Koalition mit CDU oder FDP. Diese würde angesichts der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Angriffe der rot-grünen Jahre auf die Bevölkerung in den Schatten stellen.

Siehe auch:
Hamburg: Erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene
(25. April 2008)
Joschka Fischer im hessischen Wahlkampf: Die Grünen - offen nach allen Seiten
( 24. Januar 2008)
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