Dollar-Sturz nach Rekord-Zinssenkung der amerikanischen Notenbank

Vor zwei Tagen hat die US-Notenbank (Federal Reserve, "Fed") ihren Basiszinssatz auf die Rekord-Niedrigmarke von Null bis 0,25 Prozent gesenkt und gleichzeitig angekündigt, unbegrenzt Liquidität in die Kreditmärkte zu pumpen, die beinahe zum Stillstand gekommen sind. Seither hat der Dollar an den internationalen Devisenmärkten einen scharfen Kurssturz erlitten. Die panikartigen Dollarverkäufe sind Ausdruck schwindenden Vertrauens in die Solvenz der amerikanischen Finanzinstitute und die Kreditwürdigkeit der amerikanischen Währung. Sie drücken die wachsende Befürchtung aus, dass die Rezession, die mit dem Zusammenbruch des amerikanischen Wohnungsbaus und der Kreditmärkte begann, sich zu einer ausgewachsenen Depression entwickeln könnte.

Der beispiellose Schritt der Fed wurde von vielen Kommentatoren als "Schocktherapie" bezeichnet. Sie wurde an den Finanzmärkten mit Erleichterung begrüßt, als ein Zeichen dafür, dass die US-Regierung bereit ist, außerordentliche Maßnahmen zu ergreifen. Aber gleichzeitig löste sie ein gewisses Unbehagen aus, weil es doch ein verzweifelter und tollkühner Schritt ist, der sich möglicherweise katastrophal auf die amerikanische und die Weltwirtschaft auswirken könnte.

Im Kern anerkannte die Fed am Dienstag stillschweigend, dass die amerikanische Wirtschaft unter der Last fauler Schulden in Höhe von Billionen Dollar zusammenbricht und in eine deflationäre Spirale geraten könnte, ähnlich der Großen Depression in den 1930er Jahren. Sie machte deutlich, dass sie unbegrenzt Dollars drucken werde, um Hypotheken-gestützte Wertpapiere, Kreditkartenschulden, Ratenverträge zum Kauf von Autos und selbst langfristige Schatzbriefe aufzukaufen, und dass sie dadurch die Banken veranlassen will, wieder Kredite an Unternehmen und Konsumenten zu vergeben.

Das ist das finanzpolitische Äquivalent zu einer Notoperation an einem sterbenden Patienten. Es bedeutet einen massiven Anstieg der amerikanischen Staatsverschuldung und eine weitere Verwässerung des Dollarwerts. Es ist das Rezept für ein explosives Anwachsen der Inflation in der Zukunft, für einen weiteren Niedergang der ökonomischen Weltposition des amerikanischen Kapitalismus und für eine weitere Verarmung großer Teile der Bevölkerung. Der Hintergrund ist, dass die Brutto-Verschuldung des privaten Sektors schon von 118 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahre 1978 auf 290 Prozent in diesem Jahr angestiegen ist.

Wenn die Fed, deren zentrale Aufgabe in der Verteidigung der Stabilität und des Werts des Dollars besteht, heute bereit ist, solche Maßnahmen zu ergreifen, dann belegt das die wachsende Sorge über die Tiefe der Wirtschaftskrise und über die Geschwindigkeit, mit der sie sich ausbreitet.

Am Dienstag schoss der Euro vier Cent gegenüber dem Dollar hoch, was der größte Tagesanstieg seit der Einführung des Euro 1999 war. Gegenüber dem Yen stürzte der Dollar auf seinen tiefsten Wert seit dreizehn Jahren. Er fiel auch gegenüber dem britischen Pfund und dem Schweizer Franken.

Am Mittwoch stieg der Euro innerhalb von zwei Stunden von 1,4058 Dollar auf ein Elf-Wochen-Hoch von 1,4440 Dollar. Am Donnerstag machte der Dollar gegenüber dem Euro wieder einigen Boden gut, nachdem die Europäische Zentralbank die Zinsen auf Einlagen von 2,0 auf 1,5 Prozent gesenkt hatte, um die Flucht aus dem Dollar in den Euro zu bremsen. Gegenüber dem Yen fiel der Dollar aber weiter. Gold Futures zogen stark an.

Noch vor einem Monat stand der Euro bei 1,24 Dollar. Nach der Ankündigung der Fed sprang er in nur zwei Tagen um fast 7,5 Prozent nach oben.

Die amerikanischen Börsen, die am Dienstag nach der Ankündigung der Fed starken Aufwind hatten, fielen am Mittwoch und Donnerstag wieder zurück. Der Dow Jones fiel am Mittwoch um 99 und am Donnerstag um 219 Punkte und gab damit seine Gewinne vom Dienstag wieder fast ganz ab. Der Rückgang spiegelte die wachsende Sorge um die Auswirkungen der Schritte der Fed und neue Wirtschaftsdaten wieder, die ein anhaltendes Ansteigen der Arbeitslosigkeit und eine weiteres Schrumpfen der Wirtschaft in den nächsten Monaten erwarten lassen.

Finanzkommentatoren in den USA und im Ausland äußerten sich besorgt über die tiefere Bedeutung der Aktion der Fed. Die Financial Times veröffentlichte am Donnerstag einen Leitartikel unter der Überschrift "Die Fed zerreißt das Lehrbuch". Er begann mit den Worten: "Wir befinden uns im Blindflug."

Weiter heißt es darin: "Die Ankündigung der Federal Reserve von dieser Woche, konventionelle Zinsschritte zugunsten direkter Förderung von Kreditvergabe aufzugeben, ist ein kühnes Politikexperiment. Der Vorsitzende der Fed, Ben Bernanke, spielt ein riskantes Spiel, aber seine Alternativen sind begrenzt...

Die Realwirtschaft in den USA beginnt zu bröckeln und verschlechtert sich weiter, der globale Abschwung wird durch das gelähmte eigene Finanzsystem verschlimmert. Konsumenten und Firmen bekommen keine Kredite mehr, weil die Risiken zu groß sind... Den Kreditfluss wieder in Gang zu bekommen, ist wohl das vornehmste Ziel der Fed, aber ihre Maßnahmen sind auch eine Versicherung gegen den Absturz in eine deflationäre Spirale... Wenn das Wachstum wieder anzieht, dann könnte die Inflation mit Macht zurückschlagen."

In einem Bericht der Credit Suisse Gruppe heißt es: "Die gelockerten Bremsen der Fed und die extrem niedrigen Zinssätze in den USA werden letztlich den Dollar auf breiter Front schwächen."

C.Fred Bergsten, Direktor des Peterson Instituts für internationale Wirtschaft, schrieb: "Das Risiko besteht darin, dass die Abwertung des Dollar sich ausbreitet und die Zinsen hochtreibt, weil die übrige Welt höhere Erträge auf ihre US-Investitionen verlangt."

Nouriel Roubini von der Stern Wirtschaftsschule der New York University fasste die Maßnahmen der Fed folgendermaßen zusammen: "Traditionell sind die Zentralbanken der letzte Kreditgeber, jetzt werden sie zur ersten und einzigen Rettung. Weil die Banken aufhören, sich gegenseitig, anderen Finanzinstituten und der Wirtschaft Geld zu leihen, bleiben die Zentralbanken als einziger Kreditgeber übrig.

Weil der Privatkonsum und Investitionen austrocknen, werden die Regierungen bald auch als erste und einzige Verbraucher übrigbleiben. Die langfristigen Folgen der sich auftürmenden Haushaltsdefizite werden schwerwiegend sein."

Die Fed hat ihre Entscheidung vor dem Hintergrund einer Menge ökonomischer Daten getroffen, die auf einen beschleunigten Wirtschaftsabschwung hinweisen. Anfang der Woche wurde in mehreren Berichten darauf hingewiesen, dass die Industrieproduktion ständig zurückgeht, der Wohnungsbau auf einem historischen Tiefpunkt angelangt ist und die Konsumentenpreise schneller fallen als je zuvor. Zu diesen Anzeichen einer Deflation kommt noch hinzu, dass der Rohölpreis auf unter 36 Dollar abgesunken ist, obwohl die OPEC am Mittwoch eine beispiellose Produktionsdrosselung bekannt gab. Außerdem kamen in der Woche, die am 13. Dezember endete, 554.000 neue Arbeitslose hinzu, was eine weitere gewaltige Zunahme der Arbeitslosigkeit bedeutet. Der Conference-Board berichtete, dass seine wichtigsten ökonomischen Kriterien für die zukünftige Wirtschaftsentwicklung im November mit minus 3,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr ihren stärksten jährlichen Rückgang seit 1991 aufwiesen.

Jetzt gehen die Analysten der JP Morgan Chase Bank davon aus, dass die globale Wirtschaft in diesem Quartal mit einer Rate von 3,7 Prozent pro Jahr schrumpft, und im ersten Quartal 2009 immer noch mit einer Rate von 2,3 Prozent. Das ist dann für die Weltwirtschaft das schlimmste halbe Jahr seit dem zweiten Weltkrieg.

Jeder neue Tag bringt zahlreiche Ankündigungen von Arbeitsplatzvernichtung in allen Bereichen des amerikanischen Privatsektors mit sich. So wurde in den letzten Tagen bekannt, dass die Versicherungsgesellschaft Aetna tausend Stellen streicht, der Festplattenhersteller Western Digital 2.500 Stellen und das Caterpillar-Motorenwerk in Mossville, Illinois, 800 Stellen. Hunderte weitere Arbeitsplätze werden im Ford-Werk von Flat Rock, Michigan, bei American Apparel in Los Angeles, bei Cooper Tyre und bei Newell Rubbermaid vernichtet.

Die massive Liquiditäts-Spritze für die Finanzmärkte ändert nichts an den grundlegenden Ursachen dieser Abwärtsspirale. Es handelt sich nicht um eine Liquiditätskrise, sondern um eine Krise der Bonität, d.h. der Zahlungsfähigkeit. Jahrzehntelange ungezügelte Spekulation, offener, durch Billigkredite erleichterter Betrug und eine Schuldenexpansion, die von der staatlichen Deregulierung der Banken und Finanzmärkte noch begünstigt wird, - all dies hat einen riesigen Turm aus Papierwerten geschaffen, der jetzt einstürzt.

Das Vertrauen in die Kreditmärkte ist erschüttert. Das Grundproblem sind nicht die Kreditkosten, sondern die Tatsache, dass Banken und andere Finanzinstitute sich untereinander kein Geld mehr leihen, und dass sie auch anderen Unternehmen oder den Konsumenten kein Geld mehr leihen, weil sie kein Vertrauen in die finanzielle Tragfähigkeit ihrer künftigen Kunden mehr haben.

Im Mittelpunkt dieser Krise steht der internationale Niedergang des amerikanischen Kapitalismus, der sich vor allem in der Zerstörung großer Teile seiner Produktionsbasis und dem Niedergang seiner globalen Wirtschaftsposition ausdrückt. Eine lang anhaltende Rentabilitätskrise der Industrie hat dazu geführt, dass die Anhäufung des Reichtums in den Händen der Finanzelite immer stärker vom Produktionsprozess abgekoppelt wurde, und dass sich im Finanzwesen ein gewaltiges Schmarotzertum entwickelt hat. Im Rahmen des kapitalistischen Marktsystems gibt es für diese Krise keine Lösung - nur immer brutalere Angriffe auf die Arbeitsplätze und den Lebensstandard der Arbeiterklasse, und immer mehr Militarismus und Krieg.

Siehe auch:
Die internationale Finanzkrise und die Illusion eines geläuterten Kapitalismus
(20. September 2008)
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