Die Gaza-Krise und die Perspektive der permanenten Revolution

Die brutalen Angriffe auf Gaza haben im gesamten Nahen Osten und weltweit breite Empörung hervorgerufen, auch wenn Regierungen in der arabischen Welt und anderen Ländern versuchen, die amerikanisch-israelischen Kriegsverbrechen zu rechtfertigen.

Israels "Kriegserklärung" an eine weitgehend wehrlose halbverhungerte Bevölkerung von 1,5 Millionen Menschen, die in einem abgeriegelten Landstreifen eingesperrt sind, provoziert berechtigte Wut und Abscheu. Das gleiche gilt für die heuchlerischen Lügenberichte der Massenmedien, die nicht ablassen, den Luftkrieg Israels gegen Wohnhäuser, Polizeistationen, Universitäten, Moscheen und Bürogebäude als "Selbstverteidigung" schönzureden und die Besetzten mit den Besatzern und primitive selbstgebastelte Raketen mit F-16 Kampfbombern, Hellfire-Raketen und "Smart Bombs" gleichzusetzen.

Aber moralische Entrüstung und die Verurteilung Israels reichen als Antwort auf die Gräueltaten in Gaza nicht aus. Was vor allem gebraucht wird, ist eine politische Perspektive.

Viele der jetzt Angegriffenen sind die Kinder von Flüchtlingen, die in dem Expansionskrieg Israels von 1967 gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben wurden. Damals wie heute wurde das Schicksal der Palästinenser von den Regierungen der Welt weitgehend ignoriert. Auch die bürgerlich-nationalistischen Regimes der arabischen Länder, die angeblich in ihrem Namen sprachen, haben sie verraten.

Mit dem Fortgang der schrecklichen Ereignisse in Gaza in den letzten drei Tagen ist immer klarer geworden, dass die heutigen bürgerlichen arabischen Regierungen entweder als direkte Komplizen bei den Angriffen auf die Palästinenser handeln oder aber zumindest stillschweigend politische Unterstützung geben.

Die kriminellste Rolle spielt das von den USA unterstützte Polizeistaatsregime von Hosni Mubarak in Ägypten. Ägypten hat Israel bei der Durchsetzung der Wirtschaftsblockade gegen Gaza unterstützt, indem es den Grenzübergang Rafah zwischen Gaza und Ägypten geschlossen hat. Nach dem Beginn der Bombardierung wurden verängstigte Palästinenser, die über die ägyptische Grenze zu fliehen versuchten, von Maschinengewehrfeuer zurückgetrieben.

Es gibt begründete Vermutungen, dass das Regime in Kairo die Hamas-Führung in Gaza absichtlich täuschte, indem es ihr nur wenige Stunden vor dem Beginn der Bombardierung versicherte, Israel habe nicht die Absicht anzugreifen. Vertreter der Hamas haben erklärt, dass aufgrund dieser ägyptischen Informationen Gebäude nicht evakuiert wurden, was zu der hohen Zahl an Toten und Verstümmelten beigetragen hat.

Die in London erscheinende arabisch-sprachige Zeitung al-Quds al Arabi zitierte arabische diplomatische Quellen in dem Sinne, dass der ägyptische Minister für die Nachrichtendienste Omar Suleiman mehrere arabische Führer gewarnt habe, Israel plane einen Angriff auf Gaza.

Der ägyptische Außenminister Ahmed Aboul Gheit sagte auf einer Pressekonferenz am Samstag, dass Hamas für die Gewalt gegen Gaza verantwortlich sei. "Ägypten hat sie seit langem gewarnt, und wer Warnungen ignoriert, ist für die Folgen verantwortlich", sagte er.

Der saudischen Monarchie nahestehende Zeitungen begrüßten den israelischen Angriff praktisch. Sie nannten ihn einen Angriff auf die "Agenten des Iran" im Nahen Osten.

Auch Vertreter der palästinensischen Autonomiebehörde von Präsident Mahmoud Abbas in Ramalla haben israelische Medien wissen lassen, dass sie das Massaker in Gaza als Gelegenheit sehen, wieder an die Macht zu kommen. Sie versicherten dem israelischen Establishment, dass sie bereit stünden, wenn es Israel gelinge, die Hamas-Regierung mit Hilfe von Sprengstoff zu stürzen.

Selbst die Regimes, die die Angriffe formal verurteilen und andere arabische Regierungen wegen ihrer Komplizenschaft kritisieren, wie Iran und Libyen, tun das vom Standpunkt ihrer eigenen regionalen bürgerlichen Interessen.

Ein passendes Symbol für die Reaktion der arabischen Regierungen insgesamt ist die Verschiebung eines "Dringlichkeitsgipfels" der Außenminister der Arabischen Liga auf Mittwoch. Das gibt Israel volle fünf Tage Zeit für seine Bombardierungen, bevor es sich mit einer weiteren zahnlosen Resolution auseinandersetzen muss.

Auch wenn es notwendig ist, Hamas gegen die fortgesetzte Ermordung ihrer Führer und die endlose Verleumdung ihrer Anhänger als "Terroristen" zu verteidigen, so hat die islamistische Bewegung doch keine wirkliche Perspektive für einen Kampf gegen die amerikanisch-israelische Offensive.

Der Beschuss Südisraels mit Raketen sollte Israel zu einer Aufhebung der Wirtschaftssanktionen bewegen. Die Ankündigung von erneuten "Märtyrer-Aktionen", bei denen sich junge Palästinenser in israelischen Cafes und Bussen in die Luft sprengen, zielt in gleicher Weise darauf ab, Druck auf das zionistische Regime auszuüben.

Aber niemand hat größeren Nutzen aus dem Nationalismus und Islamismus in den arabischen Ländern gezogen, als das zionistische Regime selbst. Es gibt keinen nationalistischen Weg aus diesem Morast.

Die Schaffung eines weiteren Miniatur-Nationalstaats in der Region ist keine Lösung für die Jahrzehnte lange Vertreibung der Palästinenser. Die Zerstückelung der Westbank und Gazas durch israelische Siedlungen, Sicherheitsstraßen, Kontrollpunkte und Mauern würde ein solches Territorium zu einem Bantustan-ähnlichen Gefängnis machen. Eine palästinensische Regierung wäre nicht mehr als der Wächter dieses Gefängnisses.

Israelische Sprecher haben deutlich gemacht, dass sie als Ziel des so genannten "Friedensprozesses" exakt eine solche Monstrosität im Sinn haben. Das wird "Zwei-Staaten-Lösung" genannt, um die Grundlage für die Vertreibung der eine Million israelischen Araber aus Israel zu legen, was nichts weiter wäre, als eine massive ethnische Säuberung.

Diese wahnsinnige Perspektive ist, genau wie der Angriff auf Gaza, Ausdruck des politischen Bankrotts und der Krise des Zionismus. Der israelische Staat und seine wichtigsten Parteien stehen unter der Fuchtel einer militärischen Kamarilla. Das Regime stolpert von einem verantwortungslosen militärischen Abenteuer zum nächsten - vom Libanon über Gaza bis zum sich bereits ankündigenden Angriff auf den Iran - bringt es Tod und Zerstörung über ganze Völker und entsetzt und demoralisiert breite Schichten des eigenen Volkes.

Während die Regierung versucht, sich durch das ständige Schüren von Furcht und Chauvinismus an der Macht zu halten, wenden sich viele Israelis mit Abscheu von der Gewalt ab und sind der Überzeugung, dass sie nur zu neuen Katastrophen führen kann.

Letztlich ist der aggressive Militarismus des israelischen Staates nicht nur Ausdruck der zionistischen Ideologie, sondern der tiefen sozialen, politischen und Klassenspaltungen der israelischen Gesellschaft. Israel ist von scharfer sozialer Ungleichheit geprägt und wird von einem Politiker geführt (Ministerpräsident Ehud Olmert), der nur knapp einem Strafprozess wegen finanzieller und politischer Korruption entgangen ist. Das selbst ist Ausdruck der inneren Auszehrung des gesamten zionistischen Establishments.

Olmerts Sprecher, Mark Regev, machte nach einer Kabinettssitzung nach der ersten Runde der Bombardierung Gazas die entlarvende Bemerkung: "Im Kabinett herrschte heute eine energiegeladene Stimmung, ein Gefühl, nach so langer Zeit der Zurückhaltung endlich gehandelt zu haben." Dass das Abschlachten Unschuldiger durch Luftangriffe als Quelle erneuter politischer "Energie" empfunden wird, spricht Bände über den Charakter des Regimes.

Ein wirklicher Kampf gegen den Zionismus kann nur auf der Basis des Klassenkampfs geführt werden, der nationale Grenzen überschreitet und arabische und jüdische Arbeiter auf der Grundlage ihrer gemeinsamen Klasseninteressen vereint. Außerhalb einer Klassenperspektive, die arabische und israelische Arbeiter unabhängig und gemeinsam zu mobilisieren sucht, gibt es kein wirkliches Mittel, dem Zionismus und dem Imperialismus im Nahen Osten den Todesstoß zu versetzen.

Die Demonstrationen, die von Kairo bis Bagdad zur Unterstützung von Gaza stattgefunden haben, waren nicht nur gegen Israel gerichtet, sondern auch gegen die verkommenen arabischen Regimes, die Israels verlässlichste Bündnispartner sind. Diese breite Bewegung ist nicht nur eine Reaktion auf die jüngsten Ereignisse, sondern Teil einer wachsenden Radikalisierung der Arbeiterklasse im Nahen Osten und in Europa, Amerika und darüber hinaus. Sie wird von der verzweifelten Krise des Weltkapitalismus angetrieben.

Bei allem Heroismus der Palästinenser angesichts israelischer F-16 und von Apache-Kampfhubschraubern geht die größte Bedrohung für das zionistische Regime von der Verschärfung des Klassenkampfs und der Aussicht auf die sozialistische Revolution in Ägypten, den anderen arabischen Staaten und in Israel selbst aus. Das ist seine Achilles-Ferse.

Eine wirklich revolutionäre Alternative kann nur auf der Grundlage der Theorie der permanenten Revolution geschaffen werden, die von Leo Trotzki entwickelt wurde. In der imperialistischen Epoche, so Trotzki, können die grundlegenden demokratischen und nationalen Aufgaben in den unterdrückten Ländern - Aufgaben, die in einer früheren historischen Periode mit dem Aufstieg der Bourgeoisie verbunden waren - nur durch die unabhängige politische Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage einer sozialistischen und internationalistischen Perspektive verwirklicht werden.

Die Palästinafrage, die im Zentrum der bitteren Konflikte und politischen Tragödien der Region steht, ist untrennbar mit dem Schicksal der sozialistischen Revolution im Nahen Osten und international verknüpft. Die Ereignisse in Gaza stellen mit größter Dringlichkeit die Aufgabe, die jüdische und arabische Arbeiterklasse im Kampf für eine sozialistische Föderation des Nahen Ostens zu vereinen. Diese Perspektive ist mit dem Kampf für die Beendigung des Kapitalismus weltweit verbunden.

Siehe auch:
Politische Pattsituation erzwingt Neuwahlen in Israel
(13. November 2008)
US-Verschwörung zum Sturz der gewählten palästinensischen Regierung aufgedeckt
( 14. März 2008)
Washington bears guilt for Gaza war crimes
( 29. Dezember 2008)
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